Andreas Etter ist der unbekannte Trumpf

Nach seiner Covid-Erkrankung konnte endlich auch Andreas Etter vom Richter befragt werden: der Co-Gründer derjenigen Firma, die den Fall Vincenz überhaupt erst ins Rollen brachte. Er ging auf Konfrontation zu den Staatsanwälten.

Erstmals stand am Mittwoch im Zürcher Volkshaus auch der mitbeschuldigte Investnet-Gründer Andreas Etter (links im Bild) den Richtern Red und Antwort.

Ennio Leanza / Keystone

Im Vincenz-Prozess ist der grosse Abwesende der ersten Woche Ende Januar aufgetreten: Der Investnet-Gründer Andreas Etter trat als letzter Beschuldigter für die Befragung vor die Richter. Wie Tausende anderer Schweizer hatte er sich jüngst mit dem Coronavirus angesteckt und musste dem Gerichtssaal bisher fernbleiben. Wegen Etter stand gar eine Verschiebung des Prozesses im Raum, was das Gericht dank Extra-Verhandlungstagen im März abwenden konnte.

Etter machte einen sehr gefassten Eindruck, bedankte sich mit etwas heiserer Stimme als Erstes höflich bei den Richtern für die Flexibilität rund um seine Corona-Erkrankung. Er beeindruckte in der Folge durch sein Detailwissen: Er bot auf alle Fragen der Richter eine umfassende Antwort, erwähnte zahlreiche Aktennotizen und korrigierte selbst die Richter mehrfach, als sie ein Gespräch oder ein Dokument einem falschen Datum zuwiesen. Der Kontrast zu Pierin Vincenz, der in seiner Befragung fahrig gewirkt hatte und im Ungefähren geblieben war, konnte kaum grösser sein.

Offenkundig war es Etter wichtig, der Öffentlichkeit seine Version der Ereignisse vorstellen zu können: Als der zweite Richter und später die Ankläger ihre Fragen an ihn bereits vorgebracht hatten, ergänzte Etter aus eigenem Antrieb zusätzlich ihm wichtige Punkte.

Der Investnet-Co-Gründer ging mit der Anklage hart ins Gericht: Diese habe «einen Grossteil der vorgebrachten Beweise» stark aus dem Kontext gerissen.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Etter ging, von einem Verteidiger befragt, im Detail auf eine Mail ein, die Etter am 18. April 2016 verfasst hatte. Etter stellte darin die Agenda für eine Besprechung auf, an der unter anderem auch Vincenz teilnahm. Ein Traktandum lautete: Berücksichtigung PV Phase 1. Das heisst: in der ersten Phase der Vereinbarung von Investnet und Raiffeisen. Die Anklage sieht darin einen Hinweis, dass die Investnet-Minderheitsaktionäre Vincenz für sein Wirken bei Raiffeisen bei den frühen Investnet-Verhandlungen, zu ihren Gunsten, ungebührlich belohnen wollten.

Etter hielt frontal entgegen: «Die Staatsanwaltschaft pickt einen Unterpunkt heraus und behauptet irgendeine Geschichte dazu.» Er wirke allein genommen heikel, müsse aber in den Kontext mit dem entsprechenden Hauptpunkt gestellt werden: Es sei dabei um offene Diskussionspunkte in den Vertragsverhandlungen mit der Raiffeisen gegangen. Man sei damals am Anfang der Verhandlungen zu einem weiteren Aktionärsbindungsvertrag gestanden, wo genau dieser Unterpunkt tatsächlich eine grosse Schwierigkeit dargestellt habe. Wo die Linie von tendenziöser Ermittlung zum Amtsmissbrauch liege, könne er nicht genau sagen, sagte Etter. «Irgendwo dort muss diese Linie liegen.»

«Aussergewöhnliche Fähigkeiten»

Etter hat bisher im Schatten der beiden Hauptbeschuldigten gestanden, des ehemaligen Raiffeisen-Chefs Pierin Vincenz und von dessen Geschäftspartner Beat Stocker. Er ist jedoch eine Schlüsselfigur, sowohl für die Verteidiger als auch für die Staatsanwaltschaft.

Letztere zeichnet in ihrer Anklageschrift das Bild eines gefallenen Genies, das der dunklen Seite anheimfiel: Er sei mit einer «kognitiven Hochbegabung gesegnet» und sehr arbeitsam, habe «seine aussergewöhnlichen Fähigkeiten aber in den Dienst der Bestechung» gestellt; weil sich mit Investnet ein enormes Gewinnpotenzial eröffnet habe. Er soll den Hauptbeschuldigten bei ihrem Tun geholfen und sie bestochen haben. Die Staatsanwälte beantragen eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren gegen Etter, eventuell bedingt, also mit einer Probezeit von zwei Jahren. Er soll zudem mehr als 12 Millionen Franken an Gewinnen zurückerstatten. Die Privatklägerin Raiffeisen verlangt gar 37 Millionen Franken an Schadenersatz von Etter, weil sie für Investnet zu viel bezahlt habe.

Eine geheime Beteiligung

Was war konkret passiert? Die Investnet-Gründer Andreas Etter und Peter Wüst verhandelten ab Sommer 2011 mit Stocker und Vincenz über Möglichkeiten, wie die Raiffeisen mit der Private-Equity-Boutique Investnet zusammenarbeiten und an ihr partizipieren könnte. Gleichzeitig wurde immer wieder darüber diskutiert, wie Stocker an der Investnet partizipieren könne; ab wann genau, ist umstritten. Ebenso, welche Gegenleistung von Stocker erwartet wurde: Dieser sollte operativ für Investnet tätig werden, so die Verteidigung. Stocker sollte die Verhandlungen mit Raiffeisen im Sinne der Investnet-Gründer beeinflussen, findet dagegen die Anklage.

2012 kaufte Raiffeisen 60 Prozent von Investnet, vorerst via Aktientausch, also ohne dass Geld floss. In einem Treuhandvertrag, in dem die Parteien Stillschweigen vereinbarten, wurde Stocker von Etter und Wüst mit einem Drittel ihres Anteils beteiligt, insgesamt erhielt er 13,3 Prozent. Der Raiffeisen-Chef Vincenz wurde darüber von den Investnet-Gründern informiert; die restliche Bankführung wusste nichts davon.

Im Frühling 2015 floss erstmals Geld von der Raiffeisen an die Investnet-Gründer; von diesen rund 17 Millionen Franken reichten Etter und Wüst knapp 6 Millionen an Stocker weiter. Kurze Zeit später überwies Stocker 2,9 Millionen Franken auf ein Konto von Vincenz bei der Raiffeisen Lugano.

Diese Zahlung ist ein Dreh- und Angelpunkt im ganzen Prozess: Die Anklage geht davon aus, dass auch Vincenz im Geheimen via Stocker schon in der Frühphase an Investnet beteiligt war und hier seinen Anteil am «Schmiergeld» erhielt, seine Belohnung fürs Einfädeln des Investnet-Deals mit Raiffeisen. (Die Verteidigung argumentiert, dass die 2,9 Millionen Franken keine Gewinnbeteiligung waren, sondern nur ein Darlehen Stockers an Vincenz; dass also Stocker dieses Geld später von Vincenz zurückverlangen wollte.)

Investnet und die 2,9-Millionen-Zahlung standen auch insofern am Anfang des Prozesses, als diese an das Finanzportal «Inside Paradeplatz» geleakt wurde. Die Öffentlichkeit und später die Staatsanwaltschaft nahmen somit erst wegen dieser Zahlung überhaupt die Fährte des Bündner Bankers auf.

Der Fall Investnet ist auch der Hauptgrund, weshalb die Raiffeisen so eng mit dem Gerichtsfall verwickelt ist, dass die Verhandlung in den Medien mitunter als «Raiffeisen-Prozess» bezeichnet wird. In zwei der vier anderen Firmen-Deals ist nur die Kreditkarten-Dienstleisterin Aduno involviert, die Stocker für eine gewisse Zeit führte und Vincenz präsidierte.

Nur ein Investnet-Gründer kann sich verteidigen

Auch aus Sicht der Verteidigung ist Etter ein wichtiger Trumpf. Er soll, dem Vernehmen nach, gemeinsam mit Beat Stocker, schon an der Einvernahme die stringenteste und engagierteste Gegenwehr aller Beschuldigten an den Tag gelegt und sich sehr gut auf den Prozess vorbereitet haben. Dieser Eindruck bestätigte sich bei Etters Befragung. Seitens Investnet hat Etter inzwischen zudem die ganze Last der Verteidigung zu tragen: Sein Co-Gründer Peter Wüst leidet an einer schweren Demenz und ist seit geraumer Zeit schon nicht mehr verhandlungsfähig.

Die Verteidigung fusst auf zentralen Argumenten, die schon in einem Gutachten des Basler Strafrechtsexperten Wolfgang Wohlers ausgearbeitet wurden: Zunächst zieht die Verteidigung in Zweifel, dass sich die Hauptbeschuldigten selbst des Betrugs oder der ungetreuen Geschäftsbesorgung schuldig gemacht hatten, als sie ihre Gewinne aus den Firmentransaktionen nicht an Raiffeisen und die Kreditkartenfirma Aduno meldeten und diese nicht zurückerstatteten. Die Rückweisung dieses «Retrozessionen-Modells» der Anklage steht im Zentrum der Verteidigung.

Zweitens sollen sich Etter und Wüst in einem sogenannten vorsatzausschliessenden Sachverhaltsirrtum befunden haben: Sie mussten gemäss Wohlers also nicht davon ausgehen, dass Stocker (und allenfalls Vincenz) etwas Illegales getan hatten; konkret, dass sie ihre Gewinne aus dem Investnet-Deal hätten abgeben müssen.

Sie hätten, drittens, die Hauptbeschuldigten auch nicht bestochen; es fehle an einer «konkreten Unrechtsvereinbarung», die Leistung und Gegenleistung miteinander verknüpft. Die blosse Kontaktpflege oder ein «Anfüttern» des Gegenübers ist im Falle der Privatbestechung, die Etter und Wüst vorgeworfen wird, noch nicht strafbar.

Zu diesem argumentativen Grundgerüst hinzu kommt, dass gerade Etters Team zahlreiche einzelne Aktenstücke anders interpretiert als die Staatsanwaltschaft; was sich an seiner Befragung bereits zeigte, und wohl auch im Plädoyer seines Verteidigers nochmals thematisiert werden dürfte.

Doppelte Absicherung

Wie gut stehen Etters Chancen auf einen Freispruch? Klar ist: Die Hürde für eine Verurteilung ist in seinem Fall noch höher als bei Vincenz und Stocker, denn: Er wird in erster Linie dafür angeklagt, dass er den Haupttätern bei ihrem verbotenen Tun geholfen haben soll. Sollte man Vincenz und Stocker im Fall Investnet kein strafbares Handeln nachweisen können, liessen sich auch die Anschuldigungen gegen Etter nicht aufrechterhalten.

An Etter, so der Eindruck aus dem Gerichtssaal, dürfte die argumentative Mauer, welche die Verteidigung errichtet hat, nicht einbrechen. Er hatte auf alles eine Antwort parat, die zumindest Zweifel an der Version der Anklage wecken konnte.

Die Richter nahmen in seiner Befragung den Ball auf, den ihr Etter mit seinem starken Wunsch, sich zu erklären, zugespielt hatte. Sie fragten hartnäckiger und präziser nach als bei anderen Angeschuldigten, auch bezüglich Details. Etwa: Warum habe Etter bereits im Dezember 2011 in einer Mail an Wüst geschrieben, sich über eine bestimmte Bewertungsmethode für die Investnet intensiv Gedanken gemacht zu haben, bevor die Verhandlungen mit dem neuen Team seitens Raiffeisen erst im Januar starteten? Etter sagte, dass die erste Sitzung zwar erst am 5. Januar stattfand; man sich aber schon vorher mit dem Verhandlungsführer ausgetauscht habe.

Auch in den wichtigen Fragen präsentierte Etter seine Version präzise: Gab es schon im Juni 2011 eine Handschlag-Vereinbarung der Investnet-Gründer mit Stocker – damit dieser die Verhandlungen mit Raiffeisen beeinflusste? Etter: Am Meeting am 24. Juni 2011 in Peter Wüsts Büro – das übrigens in St. Gallen und nicht wie geschildert in Herisau gelegen habe – sei es einzig um das Projekt «Rai 2.0» gegangen, mit dem das Firmenkundengeschäft der Raiffeisen gestärkt werden sollte. «Nach meinem Wissen haben wir sicher nicht über irgendeine Art Beteiligung gesprochen.»

Was wusste Raiffeisen?

Man habe mit Stocker ab September 2011 über eine Gewinnbeteiligung gesprochen, weil man ihn als operative Kraft gewinnen wollte, «als klar wurde, dass wir Verstärkung brauchen im Team». Stocker sei der ideale Kandidat gewesen sei. Erst ab 10. Dezember 2011 sei eine Aktienbeteiligung Stockers zum Thema geworden; dann habe Peter Wüst innert 48 Stunden Vincenz per Mail informiert und auf Stockers drohenden Interessenkonflikt aufmerksam gemacht. Vincenz habe Stocker in der Folge aus dem Verhandlungsteam abgezogen.

Warum denn, wollte der Richter wissen, im Vertrag von 2012 zwischen Etter, Wüst und Stocker noch eine Geheimhaltungsklausel enthalten war, wenn doch die Raiffeisen bereits im Dezember 2011 informiert war? Etter verwies darauf, dass Stocker Wüst darum gebeten habe. Es wäre um einen bedeutenden Job- und Rollenwechsel Stockers gegangen. Stocker sollte selbst entscheiden können, wann er informiere.

Und zur postulierten geheimen Beteiligung von Vincenz: Bis zu den Artikeln von «Inside Paradeplatz» habe er nichts gewusst von einer möglichen Unterbeteiligung Vincenz’, sagte Etter. Kurz nach den Artikeln habe man Stocker und Vincenz zur Rede gestellt; Vincenz habe erklärt, es handle sich bei der Zahlung um ein Privatdarlehen, nicht um eine Gewinnbeteiligung. Die Transaktion sei zudem von der Raiffeisen intensiv geprüft worden; alles sei mit korrekten Dingen zugegangen.

Unstimmigkeiten

Dass die Interessen der Investnet-Gründer und der beiden Hauptbeschuldigten im Prozess derart harmonisch ineinandergreifen, entbehrt übrigens nicht der Ironie. Stocker und Vincenz sollen sich im Lauf der Verhandlungen mit den Investnet-Gründern immer stärker in die Haare geraten sein.

Anfangs sei noch eine operative Rolle Stockers bei der Investnet zur Diskussion gestanden, sagte Etter nun auch an der Befragung. Darauf ging er in der Befragung eingehend ein. Zu einem solchen Job Stockers sei es nicht mehr gekommen, weil er im November 2012 erfahren habe, dass Stocker einen Konkurrenten zu Investnet aufbauen wollte. Dies, obwohl er alle Interna von Investnet gekannt habe, sagte Etter .

«Und dann geht er hin, und Entschuldigung, legt sich mit einem anderen ins Bett. Da war ich richtig sauer.» Aus den Protokollen abgehörter Telefonate, die Stocker und Vincenz noch kurz vor ihrer Verhaftung 2018 geführt hatten, geht hervor, dass alle Beteiligten bis zuletzt mit harten Bandagen spielten. Es ging dabei mitunter um die Geheimhaltung von Beteiligungen und um die Frage, wem der Erfolg der Investnet überhaupt zu verdanken war.

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