Angst vor der Schulöffnung: Wenn Eltern Risikopatienten sind

Seit über einem Monat sind die Kinder nun zuhause. Seit über einem Monat müssen Eltern es irgendwie schaffen, Homeschooling und Job unter einen Hut zu bekommen. Auch ich. Mit drei Kindern und einem Mann in einem systemrelevanten Beruf hat mich das an einigen Tagen an den Rand der Verzweiflung (und seien wir ehrlich, mitunter auch ein bisschen darüber hinaus) gebracht. Und trotzdem wird mir, aktuell im achten Monat schwanger, ganz schummrig, wenn ich an die möglichen Schulöffnungen ab nächster Woche denke.

Wir können nicht einfach “durchseuchen”

Als Schwangere gehört man nicht zur Risikogruppe. Trotzdem macht mir eine mögliche Infektion kurz vor der Geburt eine Heidenangst. Noch schlimmer müssen sich aber all die Eltern fühlen, die entweder selbst zur Risikogruppe gehören oder Kinder mit Asthma, Diabetes oder anderen Vorerkrankungen haben. Genau wie Lehrer, die entweder selbst gefährdet sind oder mit Menschen zusammenleben, denen sie auf keinen Fall den Virus einschleppen sollten. Die Idee, dass Schulen ein idealer Ort zum “Durchseuchen” seien, leuchtet mir nicht ein. Denn Schüler sind ja keine für sich stehende Gruppe, sie sind eingebunden in Familiensysteme, die nicht nur aus jungen gesunden Menschen bestehen.

Die andere Seite der Medaille

Natürlich sehe ich auch die andere Seite… Eltern, die in ihrer Überforderung aggressiv werden, Schüler, die um ihren Abschluss betrogen werden, Arbeitnehmer, die wirklich keine Lösung finden, wie sie Job und Betreuung vereinbaren sollen, Menschen, die um ihre Existenz bangen und ganz besonders Kinder und Frauen, deren Not ohne Kontakt zur Außenwelt unsichtbar bleibt. Nur um die Bildung mache ich mir ehrlich gesagt keine Sorgen. Wenn Modelle wie G8 tragbar waren und sind, in denen ganze Klassen ein Jahr früher Abitur machen, dann wird in dieser Krisensituation eine mehrwöchige oder mehrmonatige Lernpause bildungstechnisch kein Drama sein. Es wird nur dann zu einem, wenn von Eltern verlangt wird, dass sie nebenbei mal eben noch den Lehrer ersetzen. Zum Glück sind die meisten Schulen besonnen genug, die Kirche im Dorf zu lassen. Geschlossene Schulen stellen also vor allem uns Eltern vor ein Betreuungsproblem. 

Eine Lösung? So richtig gibt es die nicht

Heute morgen habe ich mit der Rektorin einer Grundschule in Niedersachsen gesprochen. Auch sie weiß nicht, was sie hoffen soll. “Ich habe schon das Gefühl, dass es am Montag wieder losgehen könnte”, sagt sie. “Aber ich möchte wirklich nicht in der Haut derer stecken, die das entscheiden.” Sorgen macht sie sich um Schüler, Lehrer, Eltern und Geschwisterkinder, die Vorerkrankungen haben. “Im nächsten Jahr werden an unserer Schule zum Beispiel zwei Kinder eingeschult, die regelmäßig Chemotherapie machen müssen. Ich habe keine Ahnung, wie wir das regeln sollen.” Maßnahmen wie die Teilung von Klassen sind für sie keine echte Lösung des Problems. “Wir merken ja jetzt schon bei fünf Kindern in der Notbetreuung, dass es wahnsinnig schwer ist, die Kinder komplett auf Abstand zueinander zu halten.”

Gibt es ein Recht auf Homeschooling?

In Deutschland gibt es kein allgemeines Recht, die Kinder zuhause zu unterrichten. Doch auch schon vor Corona war es im Einzelfall dann doch schon immer möglich. Zum Beispiel, wenn Kinder über Monate schwer erkrankt waren oder ihr Immunsystem einen normalen Schulbesuch nicht erlaubten. Wie das jetzt geregelt wird, bleibt abzuwarten. Noch gibt es keine Beschlüsse, nur Empfehlungen, und die gehen noch nicht so sehr ins Detail. Eine einfache gute Lösung für alle Familien wird in den nächsten Tagen niemand aus dem Hut zaubern können. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Verantwortlichen eine gute Balance finden zwischen Wirtschaftsinteressen und Gesundheitsfragen. Dass sie niemanden zwingen, sich oder seine Liebsten in große Gefahr zu bringen durch die Schulpflicht. Und dass sie trotzdem Möglichkeiten finden für Eltern und Kinder, die Unterstützung bei der Betreuung brauchen. 

Was Eltern und Schüler jetzt brauchen

Die anstehenden politischen Entscheidungen möchte wahrscheinlich keiner von uns treffen müssen. Aber wenn man mich als Mutter fragen würde, was Familien brauchen in dieser Zeit, dann würden mir vor allem zwei Dinge einfallen:

1. Lehrer, die telefonisch oder online erreichbar sind für ihre Schüler und auch mal einem Einzelnen die Matheaufgabe erklären, anstatt alle Fragen den Eltern zu überlassen

2. Eine deutlich ausgebaute Notbetreuung (nicht nur für systemrelevante Berufe)

3. Besonnene Entscheidungen, die niemanden in Gefahr bringen

Was wir nicht brauchen, sind überengagierte Lehrer, die jetzt irgendwie den Lehrplan komplett durchprügeln wollen. Eltern, die sich gegenseitig zerfleischen, weil sie unterschiedliche Meinungen und Situationen haben. Oder Panik vor der ganz großen Bildungslücke. Viel größer erscheint mir die Lücke, die geliebte Menschen hinterlassen könnten, wenn wir zu früh nach der “Normalität” greifen…