Anklage fordert neun Jahre Haft


Die neusten Entwicklungen

Seit Juni läuft der Prozess gegen Hanno Berger, den Architekten der umstrittenen Cum-Ex-Aktiengeschäfte. Worum geht es in diesem komplizierten Fall?

Hanno Berger wird in Handschellen in den Bonner Gerichtssaal geführt.

Thilo Schmuelgen / Reuters

Die neusten Entwicklungen

  • Im Strafprozess gegen den Architekten der Cum-Ex-Aktiendeals, Hanno Berger, hat die Anklage eine Freiheitsstrafe von neun Jahren gefordert. Der Angeklagte habe Geschäfte initiiert und sie anderen Beteiligten «beigebracht», sagte Staatsanwalt Jan Schletz am Dienstag (6. 12.) vor dem Bonner Landgericht. Das mögliche Höchstmass für die Tatvorwürfe liegt bei 15 Jahren. In den drei Fällen der besonders schweren Steuerhinterziehung, bei denen Berger laut den Ermittlungen mitwirkte, sei ein Steuerschaden von 276 Millionen Euro entstanden. Schletz forderte die Einziehung von 27,3 Millionen Euro, die Berger und ein Ex-Kollege zahlen sollen. Nach dem Plädoyer der Anklage wurde am Dienstag die Erwiderung der Verteidigung erwartet. Ein Urteil soll in der kommenden Woche gefällt werden.
  • Wegen seiner vermuteten Rolle im Cum-Ex-Skandal ist nun auch der frühere Chef der Privatbank MM Warburg angeklagt worden. Die Staatsanwaltschaft Köln beschuldigt Christian Olearius nach Angaben aus informierten Kreisen der Steuerhinterziehung in mehreren Fällen, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg am 6. 7. berichtet. Dem Staat soll wegen Warburg ein finanzieller Schaden von mehr als 100 Millionen Euro entstanden sein. Olearius ist der Banker mit der höchsten Position, der in der Angelegenheit vor Gericht steht. Sein Anwalt, Klaus Landry, erklärte, noch keine Klage erhalten zu haben. Die Vorwürfe seien unbegründet, und er werde das vor Gericht beweisen.

Der grösste Steuerskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte ist kompliziert und der finanzielle Schaden beträchtlich. Banken und ihre Helfer hatten zwischen 2001 und 2011 bestehende Kontrolllücken ausgenutzt und sich beim Handel von Aktien die nur einmal bezahlten Steuern von den Steuerbehörden mehrfach rückerstatten lassen. Den deutschen Staat sollen die Steuertricks laut der Deutschen Presse-Agentur (DPA) 30 Milliarden Euro gekostet haben.

2012 wurde das Steuerschlupfloch geschlossen. Und im Sommer 2021 entschied der Bundesgerichtshof, dass Cum-Ex-Geschäfte als Steuerhinterziehung gelten und damit strafbar sind.

Den Cum-Ex-Skandal beschäftigt Gerichte und Staatsanwaltschaften seit Jahren. Gegen mehr als 1300 Beschuldigte wird ermittelt. Während einige Beteiligte ins Ausland flohen, kamen andere vor Gericht und wurden verurteilt.

Der prominenteste Angeklagte im Cum-Ex-Fall ist Hanno Berger. Der deutsche Steueranwalt gilt als Miterfinder der Steuertricks. Er steht jetzt in zwei parallelen Verfahren vor Gericht. Die Richter werden vor allem die Frage zu klären haben, ob Berger und viele andere Beteiligte tatsächlich illegal gehandelt haben – oder ob sie bloss Gesetzeslücken geschickt ausgenutzt haben.

So laufen die Prozesse gegen Berger

  • Am Donnerstag (2. Juni 2022) hat das Landgericht Wiesbaden einen Prozess gegen Hanno Berger wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung aufgenommen. Verhandlungstermine sind bisher bis in den August festgelegt. Ein Antrag der Verteidigung auf Aussetzung der Verhandlung bis im September ist am Donnerstag (9. 6.) abgelehnt worden, wie eine Gerichtssprecherin der Nachrichtenagentur dpa mitteilte. Die beiden erst im März bestellten Pflichtverteidiger hatten argumentiert, sie würden mehr Zeit brauchen, um sich in den komplexen Fall einzuarbeiten. Sie wollen erreichen, dass die Verhandlung erst nach den hessischen Sommerferien fortgesetzt wird.
  • Parallel zum Verfahren in Wiesbaden läuft ein Prozess gegen Hanno Berger vor dem Landgericht Bonn weiter. Dieser hat am 4. April begonnen. Es sind Verhandlungstermine bis in den Herbst vorgesehen.

Der 1951 geborene Berger hatte einst als Finanzbeamter in Hessen gearbeitet und Banken kontrolliert. Später wechselte er die Seite und machte sich als Steueranwalt im Dienst von Banken und Vermögenden selbständig. Er gilt als treibende Kraft und Erfinder der sogenannten Cum-Ex-Geschäfte. In Deutschland übernahmen zahlreiche Banken Bergers Schema. «Mr. Cum-Ex» beriet Banken und auch reiche Privatinvestoren bei der Konstruktion der Aktiendeals. Ihm selber wird vorgeworfen, dass er dem deutschen Staat einen Schaden von mehreren hundert Millionen Euro zugeführt hat.

Berger hatte sich im Herbst 2012 nach der Durchsuchung seiner Kanzlei in Frankfurt in die Schweiz abgesetzt – das Oberlandesgericht Frankfurt wertete das als Flucht. Von seinem Exil im Engadiner Zuoz aus wies Berger die Vorwürfe gegen ihn zurück und sah sich als Opfer eines Justizskandals. Als im März 2021 ein Cum-Ex-Prozess in Wiesbaden begann, blieb Berger fern. Er sei verhandlungsunfähig, sagten seine Anwälte mit Blick auf seine Gesundheit. Er habe «nichts Unrechtes» getan und werde vorverurteilt, sagte er später in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin «Capital».

Bis zuletzt wehrte sich Berger gegen seine Auslieferung nach Deutschland, die die Justiz in Hessen und Nordrhein-Westfalen beantragt hatte. Nach seiner Festnahme im Kanton Graubünden sass er ab Mitte 2021 in Auslieferungshaft. Berger leistete Widerstand in allen juristischen Instanzen, doch letztlich bewilligte das Schweizer Bundesamt für Justiz die Auslieferung. Ende Februar übergab die Schweizer Polizei Berger in Konstanz Beamten des Bundeskriminalamts.

Berger wird schwere Steuerhinterziehung vorgeworfen. Konkret soll er, gemeinsam mit weiteren Angeklagten, ungerechtfertigte Steuerrückerstattungen in Höhe von insgesamt rund 392 Millionen Euro erwirkt haben.

Gegen Hanno Berger laufen zwei Prozesse

  • Vor dem Bonner Landgericht wird Berger wegen besonders schwerer Steuerhinterziehung in drei Fällen von 2007 bis 2013 angeklagt. Konkret soll er eine Privatbank zur Aufnahme von Cum-Ex-Geschäften bewogen und massgeblich geholfen haben, die nötigen Strukturen einzurichten. Zudem soll er gutgläubige Investoren angeworben und diese möglicherweise ebenfalls betrogen haben. Dem Fiskus soll damit ein Schaden von 279 Millionen Euro entstanden sein.
  • Im Wiesbadener Prozess wirft die Generalanwaltschaft Frankfurt Berger vor, von 2006 bis 2008 falsche Bescheinigungen über gut 113 Millionen Euro nie gezahlter Steuern erlangt zu haben. Dabei seien mit weiteren Angeklagten Aktien im Volumen von 15,8 Milliarden Euro über ein komplexes System gehandelt worden.

Die beiden Prozesse dürften Monate dauern.

Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt bezeichnete Berger als «Spiritus Rector» der Aktiendeals. Ihm droht eine lange Gefängnisstrafe. Für schwere Steuerhinterziehung können bis zu zehn Jahre Haft verhängt werden. Das Oberlandesgericht Frankfurt hat Cum-Ex-Geschäfte aber auch schon als gewerbsmässigen Bandenbetrug gewertet.

Mit Cum-Ex-Geschäften (auch Steuer-Stripping genannt) haben sich Banken, Finanzberater und Manager jahrelang bereichert – auf Kosten der Steuerzahler.

So ist das reguläre Prozedere: Börsennotierte Unternehmen schütten in der Regel einmal im Jahr eine Dividende an ihre Aktionäre aus. Die Aktionäre werden so am Gewinn beteiligt. Stichtag ist der Tag vor der Dividendenzahlung. Wer zu diesem Zeitpunkt im Besitz der Aktien ist, erhält die Dividende ausgezahlt. Dabei wird die Kapitalertragssteuer von 25 Prozent gleich abgezogen. Diesen Abzug kann man sich aber bei der nächsten Steuererklärung unter bestimmten Bedingungen (beispielsweise durch Verrechnung mit Verlusten und Kosten aus anderen Wertpapiergeschäften) vom Finanzamt zurückerstatten lassen. Grundsätzlich können Aktien mit Dividendenberechtigung («cum») oder ohne Ausschüttungsanspruch («ex») verkauft oder gekauft werden.

So liefen die Steuertricks: Bei den Geschäftspraktiken ging es um ein Verwirrspiel mit den Steuerbehörden. Anleger und Banken haben dabei die Aktien um den Dividendenstichtag herum zwischen Geschäftspartnern schnell hintereinander gekauft und wieder verkauft – teilweise mit («cum)» oder ohne («ex») Dividende. Am Ende liessen sich die Beteiligten von den Finanzämtern Steuern rückerstatten, die sie nie einbezahlt hatten. Grund: Für die Finanzämter war nicht mehr nachvollziehbar, wem die Papiere zu welchem Zeitpunkt gehörten. Die Geschäfte liefen im Detail sehr kompliziert ab.

Erst unter Finanzminister Schäuble wurde die Praxis 2012 ganz abgestellt. Seither liegen die Abführung und die Bescheinigung der Steuer bei der deutschen Depotbank und damit in einer Hand. Und die deutsche Bank muss den Steuerabzug auch vornehmen, wenn sie die Dividende einer deutschen Aktiengesellschaft an ein ausländisches Institut weiterleitet. Mehrere Bescheinigungen über eine nur einmal abgeführte Steuer sind so nicht mehr möglich.

Berger hält die obige Darstellung der Geschäfte für falsch. Dies sei eine antiquierte Sicht des Wertpapierhandels, da heute keine physische Urkunde vom Verkäufer zum Käufer mehr verschoben werde. Es stünden sich keine individualisierten Käufer und Verkäufer gegenüber. Der Käufer wisse also gar nicht, von wem die Aktie stamme, die bei ihm verbucht worden sei. Weshalb könnte das wichtig sein? Brenzlig wird es für die Beteiligten, wenn sich nachweisen lässt, dass sie sich abgesprochen haben, um den Fiskus «auszunehmen». Es ginge dann um den Vorwurf des banden- und gewerbsmässigen Betrugs. Bei Fonds, die er beraten habe, habe es keine Absprachen gegeben, sagt Berger.

Die Geschäfte um den Dividendenstichtag herum sollen auch mit Aktien von kotierten Firmen aus Frankreich, Italien, Dänemark oder Belgien durchgeführt worden sein. Gemäss Spekulationen soll sich der angebliche Schaden in Deutschland auf rund 30 Milliarden Euro, über alle Länder auf über 50 Milliarden Euro belaufen. Doch diese Zahlen sind umstritten, da verschiedene Transaktionen durcheinandergewirbelt werden. So haben bei sogenannten Cum-Cum-Geschäften ausländische Eigentümer deutscher Aktien diese über den Dividendenstichtag an einen deutschen Besitzer verkauft. Der deutsche Besitzer konnte dann die ganze Verrechnungssteuer zurückfordern, der ausländische hätte je nach Doppelbesteuerungsabkommen nur einen Teil erhalten.

Ja und nein. Laut dem Online-Magazin «Republik» häuften sich bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung (EStV) im Jahr 2006 Rückforderungen der Verrechnungssteuer in Millionenhöhe an.

Dazu muss man wissen: In der Schweiz wird die Verrechnungssteuer auf Dividenden von kotierten Unternehmen direkt eingezogen und an den Fiskus weitergeleitet. Wenn die Aktionäre die Dividenden in der Steuererklärung deklarieren, können diese die Steuer bei der EStV zurückfordern. Mit diesem Hin und Her sollen Anreize zu Steuerehrlichkeit geschaffen werden.

Dass die Rückforderungen von Finanzgesellschaften urplötzlich in die Höhe geschossen seien, sei der EStV verdächtig vorgekommen, sagte ein involvierter Steuerbeamter gegenüber der «Republik». Dass die Wege der riesigen Aktienpakete häufig mit dem Einsatz von Finanzinstrumenten vernebelt worden seien, habe den Argwohn noch verstärkt.

Fünf Steuerbeamte hätten deshalb beschlossen, die Rückerstattungen vorerst zu stoppen. Während die EStV den Sachverhalt vertieft abgeklärt habe, hätten sich Rückerstattungsforderungen von fast einer Milliarde Franken aufgetürmt. Im Herbst 2007 habe man schliesslich beschlossen, diese Forderungen definitiv nicht anzuerkennen. Die Steuerbeamten hatten die Trickserei als solche entlarvt.

Im Frühling 2008 schob die EStV Cum-Ex-Geschäften mit einem Kreisschreiben einen Riegel vor. In diesem schrieb sie: «Es ist sicherzustellen, dass gesamthaft nicht mehr Verrechnungssteuer ausgewiesen wird, als an die EStV abgeliefert wurde.» Vorausgegangen waren der Direktive Gespräche zwischen der Bundesbehörde und der Bankiervereinigung. Letztere hatte laut einer Sprecherin hiesige Banken bereits 1990 mit einem Zirkular dazu verpflichtet, auf Cum-Ex-Geschäfte zu verzichten. Mit dem Kreisschreiben wurde die Gesetzeslücke auch für ausländische Institute geschlossen.

Im Mai 2015 bestätigte das Bundesgericht schliesslich, dass der Fiskus zwei skandinavischen Banken die Verrechnungssteuern zu Recht nicht «zurückerstattet» habe. Anders als in Deutschland haben die Schweizer Steuerzahler die Tricksereien – soweit bekannt – ohne Schaden überstanden.

Auch die noblen Hamburger Privatbank M.M. Warburg soll jahrelang sogenannten Cum-Ex-Handel betrieben haben. Der erste Cum-Ex-Prozess in Bonn begann im September 2019 und endete im März 2020 mit Bewährungsstrafen. Die zwei angeklagten Börsenhändler packten aus und bereiteten den Boden für den nächsten Prozess, der im Oktober 2020 begann und im Juni 2021 die erste Haftstrafe in der Affäre zur Folge hatte. Der ehemalige Generalbevollmächtigte der M.M. Warburg wurde zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Christian Olearius, der damalige Patron von Warburg soll ebenfalls angeklagt werden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem schwere Steuerhinterziehung vor, bei der ein Steuerschaden von weit über 100 Millionen Euro entstanden sein soll. Tatsächlich hat Warburg bereits 155 Millionen Euro an den Fiskus überwiesen, nachdem das Landgericht Bonn eine Einziehung beim Geldhaus angeordnet hatte.

Olearius hat nicht nur die Bank, sondern auch schon Bundeskanzler Olaf Scholz in Erklärungsnöte gebracht. Das Hamburger Finanzamt wollte fast 47 Millionen Euro an Steuern von Cum-Ex-Geschäften aus dem Jahr 2009 zurückhaben. Olearius traf kurz darauf Scholz. Wenig später sah das Finanzamt von der Rückzahlung ab. Scholz und auch der damalige Finanzsenator und heutige Hamburger Oberbürgermeister Peter Tschentscher bestreiten jegliche politische Einflussnahme. In Hamburg versucht ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss die Vorgänge aufzuklären.

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