Autos von damals mit der Technik von heute

Was macht der ideenreiche Autohersteller, wenn er mit seiner Historie spielen will, Geld braucht und Kapazitäten frei hat? Continuation Cars. Jaguar ist bei dieser Spielart vorne mit dabei. Wir haben die Ergebnisse ausprobiert.

Jaguar lässt seine ruhmreiche Historie durch Neubauten alter Modelle aufleben. Auch in der Kasse stimmt es.

Jaguar

Auf Renn- und Teststrecken kennt Jaguar keinen Spass: Helm und Hosenträgergurte sind Pflicht. Und, zur weiteren Sicherheit, als Beifahrer ein Instruktor. Kein Wunder, denn die Automobile, die wir gleich scheuchen dürfen, kosten als Kleinstserienfahrzeuge zwischen 1,2 und 1,75 Millionen Pfund netto pro Exemplar, die von uns gefahrenen Prototypen sind wahrscheinlich noch wertvoller. Jedoch sind sie trotz ihrem Aussehen nicht alt, sondern nagelneu. Wie geht das?

Der Fachbegriff lautet Continuation Car. Inoffizielle Definition: die Fortsetzung des Baus eines Klassikers von einst in Kleinstserie vom gleichen Hersteller wie damals (oder einem lizenzierten Dritten) nach damaligen Vorgaben und Konstruktionszeichnungen mit möglichst den gleichen Werkzeugen und Materialien. Alle anderen Nachbauten gelten eher als genehmigte oder ungenehmigte Replikas.

Neu ist diese Spielart der automobilen Unterhaltung nicht – die ersten Continuation Cars entstanden wohl in den 1960er Jahren bei Studebaker. Heute erfreuen besonders die drei grossen Briten Bentley, Aston Martin und Jaguar ihre Kunden mit diesen sündhaft teuren, neu gebauten Alten.

Bentley zum Beispiel forciert damit den Mythos der Bentley Boys. Einer von ihnen, Tim Birkin, baute in den späten 1920er Jahren vier Exemplare des Bentley Blower für das 24-Stunden-Rennen von Le Mans (der Erfolg blieb allerdings aus). Eingedenk dessen brachte Bentley Ende 2020 eine Neuauflage von zwölf Exemplaren heraus. Jedes dieser neuen Autos verfügt über einen 240 PS starken 4,4-Liter-16-Ventil-Vierzylindermotor, der mit einem Kompressor des Typs Amherst Villiers Mk IV ausgestattet ist. Ganz aktuell hat Bentley soeben ein Dutzend neuer Speed-Six-Modelle angekündigt – die Originale gehören zu den Le-Mans-Siegern von 1929 und 1930.

Bei Jaguar wird wie hier beim C-Type Continuation auf neuste Technik zurückgegriffen, um alte Autos in neuer Qualität frisch aufzubauen.

Bei Jaguar wird wie hier beim C-Type Continuation auf neuste Technik zurückgegriffen, um alte Autos in neuer Qualität frisch aufzubauen.

Jaguar

Aston Martin begann seine Continuation-Serien 2017 mit dem DB4GT aus den 1960er Jahren. 25 neue Exemplare wurden per Hand aufgebaut, Stückpreis 1,5 Millionen Pfund. Und weil das Geschäft blühte, schoben die Briten gleich eine Serie mit dem noch schöneren DB4GT Zagato in einer handgedengelten Aluhülle nach. Ein einziges Gesamtkunstwerk verschlang 4500 Mann-Stunden. 1961 waren vom Original 25 Stück geplant, aber nur 19 Stück fanden Abnehmer. Grund genug, nicht nur die fehlenden 6 Exemplare neu zu machen, sondern gleich 19 insgesamt.

Um sie dann richtig teuer zu verkaufen, und zwar zur Feier von «100 Jahre Zagato» zwangsweise im Paket mit einem 725 PS starken DBS Zagato. Das Duo, genannt Century Collection, kostete dann umgerechnet rund 8,3 Millionen Euro.

Davon nicht satt, schob Aston Martin schliesslich noch 25 Stück James-Bond-DB5-Goldfinger nach – inklusive drehbarer Kennzeichenhalter, ausfahrbarer Kanonen, Kugelfang am Heck und Ölschleuder. Letztgenannte wird bei Bedarf mit schwarz gefärbtem Wasser befüllt . . .

Den Jaguar E-Type Lightweight treibt auch in der Neuzeitversion ein Reihensechszylinder mit 3,8 Litern Hubraum an.

Den Jaguar E-Type Lightweight treibt auch in der Neuzeitversion ein Reihensechszylinder mit 3,8 Litern Hubraum an.

Jaguar

Und Jaguar? Die damals junge Abteilung Jaguar Land Rover Special Operations begann 2014/15 mit dem Jaguar E-Type Lightweight. Fakt war: 1963 sollten achtzehn Special GT E-Type gebaut werden – ein eifriger Mitarbeiter vergab sofort achtzehn Fahrgestellnummern dafür. Allerdings wurden nur zwölf Stück gebaut (elf existieren heute noch). Da konnte man doch eigentlich die fehlenden sechs Exemplare ein paar Jahre später noch nachliefern, oder nicht?

Und weil das Geschäft trotz (oder wegen?) einem Stückpreis von rund 1,2 Millionen Pfund netto glänzend lief, schoben die Briten 2017 neun Exemplare des Jaguar XKSS nach, der einstigen Strassenvariante des Rennwagens D-Type mit zwei Türen, Lederausstattung, Windschutzscheibe und Stossstangen. Denn 9 Stück von geplanten 25 fielen 1957 einem Feuer zum Opfer. Historisch korrekt baute Jaguar die «fehlenden» Exemplare neu – mit identischen Spezifikationen der Originale und fortlaufenden Chassis-Nummern. Preis eines Wiedergeborenen: etwa eine Million Pfund. Entwicklungszeit: 16 Monate. Bauzeit pro Auto: rund 10 000 Stunden.

Das nächste Continuation-Projekt liess nicht lange auf sich warten und hiess Jaguar D-Type – der Le-Mans-Sieger von 1955 bis 1957. Obwohl Jaguar damals vorhatte, 100 D-Type zu produzieren, wurden nur 75 fertiggestellt, bevor das Auto nicht mehr wettbewerbsfähig war. 2018 machte Jaguar folgerichtig 25 Käufer glücklich, die zwischen einem 1955er Shortnose und einem gerippten 1956er Longnose wählen konnten. Preis jedes neuen alten Exemplars: 1,75 Millionen Pfund ohne Steuern.

Klar, dass Jaguar sich letztlich auch an den C-Type heranmachte. 1951 gewann ein XK 120C genannter C-Type als erstes Modell der Marke die heiligen 24 Stunden von Le Mans. 1953 klappte das noch einmal – auch dank damals neuartigen Scheibenbremsen. Jaguar baute damals nur 53 C-Types. Siebzig Jahre nach dem ersten Sieg in Le Mans beschloss Jaguar, eine limitierte Auflage des C-Type für anspruchsvolle Kunden und Showrooms wieder aufzunehmen – nach Spezifikationen des Le-Mans-Siegerautos von 1953 wegen der Scheibenbremsen.

Seit 2021 entstehen insgesamt acht handgefertigte moderne C-Types für 1,5 Millionen Pfund pro Exemplar – diesmal also als logische Fortsetzung der Baureihe. Was auch erklärt, dass Jaguar von möglichen weiteren acht C-Types spricht. Alle Wiedergeborenen sind als Rennwagen klassifiziert und nicht für die Strasse zugelassen, was viele Probleme umschifft.

Und wie fährt sich so ein Continuation Car? Jaguar hat drei Exemplare nach Fen End bei Birmingham gebracht, wo sich eine 2,6 Meilen lange Teststrecke mit vielen Geraden und nur vier Kurven befindet: den Lightweight, den D-Type und den C-Type. Leider fällt der D-Type wegen eines Technikdefektes vorzeitig aus, so dass als Ersatz ein echter alter XK120 bereitsteht – als Uropa und damit Vorlage aller Jaguar-Le-Mans-Renner. Seine 160 PS aus einem 3,4 Liter grossen Reihensechszylinder treiben den 1325 Kilo schweren Open Two Seater noch heute kraftvoll an.

Der Jaguar XK120 ist der Urahn aller Le-Mans-Rennwagen des Herstellers.

Der Jaguar XK120 ist der Urahn aller Le-Mans-Rennwagen des Herstellers.

Jaguar

Das weiche Fahrwerk allerdings lässt einen in den Kurven hoffen, dass der schöne Roadster nicht umkippen möge. Das grosse Lenkrad will stets beidhändig festgehalten werden, und die hohen Lenkkräfte erfordern in den Kurven ein beherztes Nachgreifen.

Dann ist der Lightweight dran, serienmässig mit Sicherheitskäfig ausgestattet. Es dürfte sich übrigens um den ersten wirklich symmetrischen E-Type handeln, denn ganz ohne moderne Technik ging es dann doch nicht: Eine Digitalabtastung erlaubte absolute Passgenauigkeit aller 230 Karosserieteile. Nur etwa 0,5 Prozent aller verwendeten Teile sind tatsächlich alt, wie zum Beispiel die Getriebeglocke und Teile des Differenzials. Auch der 3,8 Liter grosse XK-Motor mit 340 PS wurde exakt nachgebaut.

Der Jaguar E-Type Lightweight Continuation dürfte der erste E-Type sein, dessen Symmetrie stimmt. Er ist mit Digitalabtastung gefertigt.

Der Jaguar E-Type Lightweight Continuation dürfte der erste E-Type sein, dessen Symmetrie stimmt. Er ist mit Digitalabtastung gefertigt.

Roland Löwisch

Wer es schafft, sich durch die kleine Türöffnung auf die Sitzschale fallen zu lassen, bemerkt den herrschenden Purismus. Kein Wunder: Viel Innenausstattung ist der natürliche Feind eines Lightweights. Nicht nur dank der fehlenden Dämmung wird nach Aktivierung von Zündung und Benzinpumpe der Innenraum mit prächtigem Doppelnockenwellensound erfüllt. Anschiebhilfe soll die Kupplung vor frühzeitigem Verbrennen schützen, auch weil das Gaspedal zunächst eine Menge Gegendruck ausübt.

Der E-Type Lightweight Continuation ist äusserst spartanisch ausgerüstet.

Der E-Type Lightweight Continuation ist äusserst spartanisch ausgerüstet.

Jaguar

Für Rennstreckenfahrten ist der E-Type mit Überrollkäfig ausgestattet.

Für Rennstreckenfahrten ist der E-Type mit Überrollkäfig ausgestattet.

Jaguar

Und dann, beim Kickdown, brüllt der Lightweight auf und macht einen Höllenspass. Auch hier das wunderbare grosse Holzlenkrad für fest zugreifende Hände. Die Gänge des synchronisierten Vierganggetriebes liegen eng beieinander, lassen sich aber problemlos einlegen, auch dank kurzen Schaltwegen. Und wer ab und zu einmal einen Oldie fährt, hat auch keine Probleme mit der gut zupackenden, servolosen Bremse. Viel zu schnell sind die paar Runden, die uns erlaubt werden, vorbei.

Aber da ist ja noch der C-Type – der erste Jaguar Classic, der vollständig mithilfe von 3 D Computer Aided Design (CAD) reproduziert wurde. Das jüngste neue alte Modell von Jaguar besitzt einen 220 PS starken 3,4-Liter-Reihensechszylinder-Motor. Allein der Bau eines jeden Autoherzens inmitten eines handgefertigten Rohrrahmens und umgeben von einer Aluhaut, die jetzt 1,5 statt wie früher 1,2 Millimeter dick ist, um Knittern zu verhindern, dauerte neun Monate. Und mit so etwas haben sie damals Le Mans gewonnen?

Der C-Type Continuation wurde komplett in CAD nachgebaut. Die Karosserie ist jetzt 1,5 statt 1,2 Millimeter dick.

Der C-Type Continuation wurde komplett in CAD nachgebaut. Die Karosserie ist jetzt 1,5 statt 1,2 Millimeter dick.

Jaguar

Respekt – denn als gut 1,80 Meter grosser Mitteleuropäer halte ich dieses Auto zunächst für nicht fahrbar. Das grosse Lenkrad vor dem Bauch verhindert die problemlose Bedienung der Pedale. Denn es reicht nicht, das Knie links am Lenkrad vorbeizumogeln, man muss dann auch noch den Fuss heben zum Kuppeln, weil das Pedal sehr hoch angebracht ist und es sich nicht bedienen lässt, wenn man die Ferse auf dem Fahrzeugboden abstellt.

Auf kleinstem Platz ist das grosse Lenkrad störend, wenn man mit den Beinen daran vorbei an die Pedale gelangen will.

Auf kleinstem Platz ist das grosse Lenkrad störend, wenn man mit den Beinen daran vorbei an die Pedale gelangen will.

Jaguar

Hinzu kommt das unsynchronisierte Getriebe, weswegen man – zumindest beim Herunterschalten – das Kupplungspedal zweimal treten muss und dazwischen mit einem Gasstoss die Getriebewelle mit Drehzahl füttert. Das rechte Bein muss sich logischerweise rechts am Lenkrad vorbeidrängeln, um die einst ersten Scheibenbremsen in einem Rennwagen zuverlässig bedienen zu können. Der Rest ist 1953: Lärm, Wind, Mechanik, Arbeit, Faszination, Freude.

Kontrovers beurteilt

Allerdings werden Continuation-Serien konträr diskutiert. Zum Beispiel hat der britische Gralshüter automobiler Historie, der Goodwood-Eigner Charles Gordon-Lennox alias 11th Duke of Richmond, dem E-Type Lightweight bei seiner Premiere das Fahren auf seinem adligen Asphalt verwehrt.

Dabei haben die Hersteller gute Argumente. Wie der Kommunikationsschef Mike Sayer bei Bentley: «Die Fortsetzungsprojekte bei Bentley ermöglichen es uns, neue Fähigkeiten zu entwickeln, um historische Bentleys – sowohl Originale als auch Continuations – zu pflegen, zu schützen und zu bewahren, damit diese besonderen Autos für die Zukunft einsatzbereit bleiben. Einige Kunden kaufen Continuations, um ihre originalen, historischen Autos zu schonen. Andere Kunden haben noch nie einen Vorkriegs-Bentley oder überhaupt ein Vorkriegsauto besessen, und es ist wichtig, neue Enthusiasten für diesen Teil unserer Geschichte zu gewinnen.»

Ähnlich äussert sich der Aston-Martin-Works-Chef Paul Spires: «Der DB4GT Zagato war vorher ein vergessenes Auto. Jetzt ist er wieder in aller Munde, die Werte der Originale steigen – es unterstützt also unsere Historie. Und noch ein Vorteil: Beim Bau der Continuation Cars sind viele junge Leute von Aston Martin beteiligt – so bleibt das Wissen, wie man so ein Auto baut, erhalten.»

Und Stephen Horscroft, Head of Operations Jaguar Land Rover Classic, sagt: «Mit Continuation Cars erweitern wir die Marke, wir halten diese Autos am Leben. Und wir produzieren diese Autos in solch kleinen Stückzahlen, dass sie nicht die Authentizität oder den Wert der Originale beschädigen können. Wir halten die Historie lebendig für zukünftige Generationen.»

Man könnte es auch Gewinnung von Neukunden nennen, bevor sich diese an Original-Vorkriegswagen heranwagen.

Jaguar baut alte Autos für die Neuzeit auf

Drei Continuation-Modelle

Jaguar E-Type Lightweight ContinuationJaguar C-Type ContinuationJaguar XK 120 Roadster
MotorR6R6R6
Hubraum3868 cm³3442 cm³3442 cm³
Leistung340 PS / 250 kW220 PS / 162 kW160 PS / 188 kW
Drehmoment380 Nm bei 4500 U./min298 Nm264 Nm bei 2500 U./min
GetriebeM4M4M4
Gewichtk.A.1063 kg1325 kg
0–100 km/hk.A.k.A.10,2 s
Höchstgeschwindigkeitk.A.238 km/h200 km/h

source site-111