CDU-Vorstand Prien im Interview: “Jetzt ist nicht mehr Hauen und Stechen angesagt”

Karin Prien ist Bildungsministerin in Schleswig-Holstein und will stellvertretende CDU-Vorsitzende werden. Nah dran an der Spitze war sie schon: So berief Armin Laschet sie im Wahlkampf in sein Kompetenzteam. Nach dem Wahldesaster war sie als Generalsekretärin im Gespräch. Im Interview mit ntv.de erklärt sie, warum sie nicht für den Vorsitz kandidiert, welchem Kandidat manch einer Unrecht tut und was “Wetten, dass..?” mit der CDU zu tun hat.

ntv.de: In einem Tweet haben Sie vor einigen Wochen über “Wetten, dass..?” geschrieben. Was hat Ihnen an der Sendung gefallen?

Karin Prien: Ich habe nur konstatiert, dass eine Retro-Sendung wie “Wetten, dass..?”, die eine gewisse Leichtigkeit hat, eine sehr hohe Akzeptanz erfährt. Das ist schon ein Phänomen. Ich glaube, die Menschen sind insgesamt verunsichert, nicht nur durch die Pandemie. In einer Zeit, die sich immer schneller wandelt und in der man vieles nicht versteht und durchschaut, haben solche Formate offenbar eine hohe Attraktivität.

Sie haben geschrieben, das sei die Rückkehr der Mitte der Gesellschaft. Was ist denn die Mitte der Gesellschaft heute?

Für diese Frage wären Soziologen zuständig, aber es gibt zunehmend verschiedene Milieus der Mitte. Es gibt eine alte Mitte – das sind die, die Tag für Tag das Land am Laufen halten, vom Handwerker über die Krankenschwester bis zur Grundschullehrerin und dem kleinen Unternehmer. Die sich vielleicht auch manchmal nicht mehr richtig verstanden fühlen. Aber es sind auch die, die in einer Stadt wie Berlin in der Kultur oder in einem Startup unterwegs und weltweit vernetzt sind. Das ist alles Mitte. Es ist nicht mehr so einfach zu definieren.

Wie “Wetten dass..?” hatten es die Volksparteien früher auch viel leichter, ein großes Publikum zu gewinnen. Wie kann eine Volkspartei heute die unterschiedlichen Milieus ansprechen?

Ich bin nach wie vor fest vom Konzept der Volksparteien überzeugt. Aber es funktioniert nicht mehr so wie in den 70er oder 80er Jahren. Man muss all die sich stetig diversifizierenden Milieus ansprechen. Das gelingt nicht, wenn man einen Vorsitzenden oder eine Vorsitzende hat, die allein eine Linie vertreten. Das gelingt, indem man über verschiedene Köpfe verschiedene Milieus anspricht. Und man braucht eine ganz andere Art von Beteiligung.

Ist die Mitgliederbefragung, über die der neue Vorsitzende bestimmt werden soll, ein erster Schritt dahin oder bleibt das eine Ausnahme?

Wir werden sehen. Diese Mitgliederbefragung ist eher darauf gerichtet, die Partei zu befrieden, und ich wünsche mir sehr, dass das gelingt. Das ist in den letzten drei Jahren in der Nachfolge von Angela Merkel ja nicht gelungen. Das würde ich jetzt noch nicht als modernes Beteiligungsformat beschreiben. Aber wer weiß, vielleicht kommen wir dahin. Ich bin allerdings skeptisch, ob man damit bei Personalfragen zu besseren Ergebnissen kommt.

Sie wollen sich als stellvertretende CDU-Vorsitzende bewerben. Welches Milieu wollen Sie besonders ansprechen?

Man sollte immer authentisch bleiben. Ich habe nun einmal die meiste Zeit in einer Großstadt gelebt. Ich bin eine Frau, die sowohl Familie als auch Beruf leben wollte und das auch gemacht hat. Ich glaube, dass ich allein aus meiner Biographie heraus eine bestimmte Frauen und Männer anspreche. Aber ich würde für mich auch in Anspruch nehmen, über die Parteigrenzen hinaus in die Zivilgesellschaft zu wirken. Das ist ein anderer wichtiger Punkt: Man darf nicht nur senden wollen, man muss auch empfangen. Entsprechend würde ich meine Aufgabe darin sehen, Brücken in Milieus zu bauen, die der CDU vielleicht nicht so nahe sind, etwa in die Kulturszene.

Vor allem in der Großstadt ist die CDU oft schwach.

Das konnten wir auch schon. In Hamburg hat die CDU mit Ole von Beust 47 Prozent geholt. Man muss es nur richtig machen.

Als Armin Laschet und Annegret Kramp-Karrenbauer Vorsitzende wurden, gab es bei der jeweiligen Wahl eine 50:50-Spaltung. Auf der einen Seite stand die alte, auf der anderen Seite die Merkel-CDU. Kann man das überhaupt unter einen Hut bekommen? Sind es nicht schon fast zwei Parteien?

Das glaube ich nicht. Es wird jetzt darauf ankommen, dass wir darauf schauen, was uns eigentlich verbindet und das auch besser herausarbeiten. Wir werden jetzt viele Fragen neu beantworten müssen, wir werden intensive Debatten führen müssen. Das gilt ja auch für die gesamte Gesellschaft. Es ist ja gut, wenn in einer Partei wie in der Gesamtgesellschaft verschiedene Position zu einem Ausgleich gebracht werden. Das ist das Wesen der Volkspartei. Das ist auch etwas, wonach sich viele Menschen sehnen, in einer Zeit, in der vieles auseinanderzubrechen droht. Ich glaube, wir können das. Aber wir müssen es auch wollen.

Mit wem kann das für die CDU bundesweit wieder gelingen?

Über den Kanzlerkandidaten reden wir jetzt noch nicht. Die Frage, wer über die Lager und Milieus hinweg integrieren kann, werden wir uns in zwei Jahren stellen. Die Inhalte müssen stimmen, die Person muss stimmen und die Kampagne muss auch stimmen. Da muss man ehrlich sein: Das alles hat in diesem Jahr nicht gepasst.

Muss man einen Kandidaten nicht schon jetzt aufbauen?

Die Wahlen sind in vier Jahren. Wenn wir uns in zwei Jahren auf einen Kanzlerkandidaten verständigen, dann hätte die betreffende Person immer noch zwei Jahre Zeit.

Welche Rolle spielt die Mitgliederbefragung in diesem Prozess?

Wir werden erleben, wie sich in diesem Diskussionsprozess Köpfe profilieren werden – oder eben auch nicht. Da wird man genau hinschauen müssen, wer sich in dieser neuen Rolle, in der die Union sich jetzt befindet, im Interesse der Gesamtpartei profilieren kann. Jetzt ist nicht mehr Hauen und Stechen angesagt. Jetzt ist angesagt, ruhig, konzentriert mit Anstand und Solidarität unsere Partei wieder aufzubauen. Das wird spannend.

Warum kandidieren Sie eigentlich nicht für den CDU-Vorsitz?

Kultusministerin in Schleswig-Holstein zu sein, ist eine sehr fordernde und erfüllende Aufgabe. Das möchte ich gerne weitermachen. Dazu bin ich ab Januar auch noch KMK-Präsidentin. Als Ministerin in Schleswig-Holstein, die schon fast 100 Stunden arbeitet, kann ich nicht auch noch nebenbei Parteivorsitzende sein. Das ist nicht realistisch. Und wenn ich meinen Job in Schleswig-Holstein aufgebe, müsste ich mich von der Partei bezahlen lassen. Ich bin ja keine Bundestagsabgeordnete. Ich weiß, Robert Habeck ist diesen Weg gegangen. Aber ich finde, für die Unabhängigkeit, die man in so einer Situation braucht, ist das keine gute Voraussetzung. Ich könnte zudem nicht mal im Bundestag sprechen. Und das andere ist: Ich habe meine Zweifel, ob ich als Politikerin, die in der Wahrnehmung vieler eher auf dem liberalen, dem linken Flügel der CDU positioniert ist, die Partei befrieden könnte.

Zumal ja schon zwei vom liberalen Flügel, Laschet und AKK, …

… am Ende daran gescheitert sind.

Sind die beiden nicht auch daran gescheitert, den wirtschaftsliberal-konservativen Flügel einzubinden? Wäre es nicht folgerichtig, wenn jetzt einer von der anderen Seite kommt und versuchen darf, den liberalen Flügel einzubinden?

Wer auch immer es jetzt macht, wird versuchen müssen, möglichst breit zu integrieren. Das heißt natürlich auch, dass man Protagonisten der verschiedenen Strömungen integriert. Man sieht jetzt, dass alle das verstanden haben.

Haben Sie eine Prognose, wer von den drei Kandidaten bei der Basisbefragung gewinnt?

Ich halte viel davon, dass wir “Funktionäre” nicht versuchen, das Ergebnis zu beeinflussen. Ich werde mich da deshalb zurückhalten. Außerdem ist eine Prognose zum jetzigen Zeitpunkt sehr schwer. Es passiert im Moment ganz viel in der Partei. Die, die vor einem Jahr den einen unterstützt haben, werden das jetzt vielleicht nicht mehr tun.

Norbert Röttgen hat gesagt, bei einem Großteil der Mitglieder wisse man gar nicht, was sie wollen.

So ist das. Ich sehe das in meiner Familie und in meinem Umfeld, wo einige CDU-Mitglied sind und abstimmen dürfen. Die sagen jetzt: Ich weiß es nicht. Es ist sehr schwer im Augenblick. Ich will auch deutlich sagen, dass es drei Kandidaten gibt, von denen man sagen kann: Die könnten das wahrscheinlich. Das ist ja auch schon etwas, das man positiv vermerken kann. Auch deshalb fällt vielen die Entscheidung nicht leicht.

Wissen Sie schon, wen Sie wählen werden?

Ich weiß es, ja.

Röttgen?

Ha, nice try!

Gefällt Ihnen an Helge Braun, dass er nicht aus Nordrhein-Westfalen kommt?

Helge Braun ist ein sehr kluger Mann, der tief in der Partei verwurzelt ist. Ich finde ihn total sympathisch und respektiert. Aber die Frage ist, ob er derjenige ist, der die Partei wirklich erreichen wird. Das werden die nächsten Wochen zeigen.

Friedrich Merz hat beteuert, es werde mit ihm keinen Rechtsruck geben. Kaufen Sie ihm das ab?

Nachdem ich etwas Nettes über Helge Braun gesagt habe, sage ich auch etwas Nettes über Friedrich Merz: Er hat verstanden, dass er die CDU nur modernisieren kann, wenn er das aus der Mitte der Partei heraus macht. Auch wenn er viele Anhänger hat, die etwas anderes in ihn hineinprojizieren, ist Friedrich Merz ein kluger und analytischer Mensch. Er weiß, dass er mit einem einigermaßen diversen Team antreten muss. Man würde Friedrich Merz unterschätzen, wenn man ihm unterstellt, dass er meint, mit neoliberalen Ideen der 90er Jahre könne man die CDU wieder nach vorne bringen. Das wird ihm nicht gerecht. Eigentlich müsste ich jetzt auch noch ein paar der guten Eigenschaften von Norbert Röttgen aufzählen, damit es nicht hinterher heißt, ich hätte einen der Kandidaten weniger gelobt, als seine Mitbewerber.

Sie liegen ja auch in der Gender-Frage auf einer Wellenlänge mit Friedrich Merz: Sie haben als Bildungsministerin die Lehrer*innen angewiesen, das Gendersternchen als Fehler anzustreichen.

Wer den Erlass liest, sieht, dass ich überhaupt nicht gegen das Gendern bin. Ich gendere selbst. Aber wir haben als Kultusministerkonferenz, auch als Land Schleswig-Holstein, gesagt: Für uns ist maßgeblich, was der Rat für deutsche Rechtschreibung entscheidet. Ich habe nicht verboten, dass sich die Schulen im Unterricht mit dem Thema Gendern beschäftigen, dass die Diversität von Geschlechtern thematisiert wird, dass in den älteren Jahrgängen auch in der gesprochenen Sprache mit Gendergap gesprochen wird. Es geht lediglich um die Schriftsprache. Ich finde, da müssen wir uns auf eine einheitliche Verfahrensweise verständigen, sonst schreibt jeder wie er will.

Muss eine Lehrerin, die das nicht anstreicht, Konsequenzen befürchten?

Ich gehe mal davon aus, dass die Erlasse des Ministeriums befolgt werden. Wenn Beamte nicht einverstanden sind mit dem, was Vorgesetzte oder Minister machen, gibt es Mittel und Wege, sich zu äußern. Aber am Ende werden sie es trotzdem tun müssen.

Provozieren Sie damit nicht einen Kulturkampf?

Das sehe ich überhaupt nicht so. Wer gegen Regeln verstößt, muss akzeptieren, dass es Konsequenzen hat – das gilt für die Lehrerinnen und Lehrer und für die Schülerinnen und Schüler. Aber es gibt keinen Kulturkampf an den Schulen.

Der Historiker Andreas Rödder hat die CDU dazu aufgerufen, diesen Kulturkampf offensiv zu führen. Halten Sie das für eine kluge Strategie?

Ich glaube schon, dass wir viel offensiver in gesellschaftliche Debatten gehen müssen, da teile ich die Auffassung von Professor Rödder. Aber an den richtigen Stellen. Die Gender-Debatte ist sehr aufgeheizt. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass Frauen, auch Menschen dritten Geschlechts, sich in der Sprache wiederfinden wollen. Da ist nun die Frage: Wie macht man das? Müssen sich das alle aufzwingen lassen oder ist das eine Sprachentwicklung, die sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte ergibt? Ich würde immer sagen: Lasst die Dinge sich entwickeln. Problematisch wird es dort, wo einer Mehrheit aus politischen Gründen aufgezwungen wird, die Sprache zu verändern.

Zurück zur CDU. Sie haben mal gesagt, in der Politik müsse man sich realistische Ziele setzen. Wo soll die CDU in einem Jahr stehen?

Wir müssen den Prozess für ein neues Grundsatzprogramm fortsetzen. Unser Programm ist von 2007. Das greift bestimmte Entwicklungen nicht auf. Die Themen Klimaschutz, Demographie und Zuwanderung hatten damals nicht diese Brisanz. Auch Bildung und Forschung müssen anders betrachtet werden. Außenpolitisch hat sich wahnsinnig viel verändert. Da gibt es viele Themen, die neu durchdekliniert werden müssen. Wenn man das vernünftig machen will, dann braucht das zwei Jahre.

Unabhängig davon müssen wir uns jetzt schon Themen suchen, die wir kurzfristig in der Partei vernünftig durchdiskutieren, um zu neuen Positionen zu kommen. Mein Plädoyer wäre, darüber auch mit Dritten zu debattieren. Ich bin in der Partei sozialisiert worden, als Heiner Geißler Generalsekretär war. Ich kann mich gut an meinen ersten Parteitag erinnern. Da war ich nicht als Delegierte, sondern als eine von 500 Jugendlichen eingeladen, als auf den Straßen 100.000 gegen den NATO-Doppelbeschluss demonstrierten. Da hat Heiner Geißler gesagt: Jetzt laden wir die mal ein und diskutieren mit denen. Leute wie Kurt Biedenkopf und Richard von Weizsäcker haben die Foren mit den Jugendlichen geleitet. Das war richtig gut.

Die Union scheint den ersten Wahlschock schon überwunden zu haben und macht harte Opposition, hat den Begriff “Linksgelb” erfunden und lief am vergangenen Donnerstag im Bundestag Sturm gegen die Novelle des Infektionsschutzgesetzes. War es klug, den Konsens in der Pandemie-Bekämpfung zu gefährden?

Auf Dauer müssen wir als kritisch-konstruktive Opposition zeigen, dass wir die besseren Vorschläge haben. Aber natürlich können wir nicht so tun, als hätten wir die vergangenen 16 Jahre nicht das Land regiert. Die CDU hat als Opposition zu Recht kritisiert, dass die Ampel zunächst einen völlig untauglichen Entwurf vorgelegt hat. Der war ja überhaupt nicht geeignet, um in dieser Lage der Pandemie Herr zu werden. Dieses Festhalten an der Beendigung der pandemischen Lage von nationaler Tragweite – das ist ja fast ein Fetisch, den vor allem die FDP da vor sich hergetragen hat. Das zu kritisieren, fand ich richtig. Und im Nachgang der harschen Kritik, die aus der Union kam, sind ja auch deutliche Nachbesserungen gekommen.

Dann hätte die Union im Bundestag zustimmen können.

Na ja, es bleibt aber bei diesem für die Bevölkerung überhaupt nicht verständlichen Signal: Wie kann man in der schlimmsten Phase dieser Pandemie davon sprechen, dass die epidemische Lage aufgehoben wird? Und wo ist eigentlich Herr Scholz? Warum kommuniziert er nicht? In dieser Situation muss man doch seinen Führungsanspruch auch umsetzen. Das aufzuzeigen, finde ich richtig.

Haben die Bundeskanzlerin und der Bundesgesundheitsminister besser kommuniziert?

Die Kommunikation hat in den vergangenen Wochen darunter gelitten, dass wir in einer Übergangsphase sind. Dass die einen zwar noch geschäftsführend im Amt sind, aber keine parlamentarische Mehrheit mehr haben, und die anderen in Anspruch nehmen, es jetzt regeln zu dürfen. Das ist ein klassisches Vakuum. Ja, ich hätte mir gewünscht, dass auch in diesem Vakuum klarer kommuniziert worden wäre. Aber das war wahrscheinlich keine realistische Erwartungshaltung.

Mit Karin Prien sprachen Volker Petersen und Hubertus Volmer

.
source site-34