Darmkrebs: Hier erfahrt ihr, warum ihr zur Vorsorge gehen solltet!

BRIGITTE.de-Leserin Ines Hanl weiß, was es bedeutet, Darmkrebs zu haben. Hier erzählt sie ihre Geschichte – damit möglichst viele zur Vorsorge gehen. 

Der März steht im Zeichen der Darmkrebsvorsorge. Deshalb erzähle ich euch heute mal von meinen Erfahrungen mit meiner Darmkrebsdiagnose, damit ihr danach hoffentlich beschließt, zur Vorsorgeuntersuchung zu gehen – auch, wenn ihr keine Symptome habt.

Nach meiner Zufallsdiagnose durch einen FIT-Test – damit kann man den eigenen Stuhl auf Blut untersuchen – bin ich in ein tiefes Loch gefallen. Tränen ohne Ende, schlaflose Nächte, Herzrasen, Hyperventilation. Muss ich sterben? Was wird aus meinem Mann/Kind/Haustier? Was wird aus meinem Job, wie komme ich finanziell über die Runden? Fragen über Fragen, Stress pur, Verzweiflung. Der Boden wurde mir unter den Füßen weggezogen. Dann setzte der Überlebensmodus ein.

Scanner, OPs, Chemo – nichts für schwache Nerven

Verwirrt und hoffnungslos überfordert wird man vom ärztlichen Personal mit Informationen bombardiert und muss Entscheidungen treffen, bei denen es um Leben und Tod geht. Und man lernt die gesamte, utopisch anmutende technische Ausstattung in den Untiefen eines Krankenhauses kennen – Röntgengeräte, CT-Scanner, Ultraschall, MRT-Geräte.

Die operativen Eingriffe – das sind interne Amputationen, um da mal Klartext zu reden – werden oft einbettet in über mehrere Wochen dauernde tägliche Bestrahlungen. Dadurch werden manche von uns dermaßen verbrannt, dass die Schmerzen der bis aufs Blut rohen Haut sie monatelang kaum schlafen lassen. Ob Sex danach nochmal ein Thema sein kann, steht auch in den Sternen. Dazu kommt die Vergiftung durch die Chemotherapie, in der Hoffnung, dass genau dieses Gift einem das Leben schenkt.

Es ist ja bekannt, dass eine Chemo kein Zuckerschlecken ist. Trotzdem fand ich vor meiner Diagnose den Begriff “Cancer Warrior”, wie Krebskranke im Englischen auch genannt werden, etwas übertrieben. Not anymore! Chemo is a real bitch – auf gut Deutsch: Krebs ist ein Arschloch. Wir haben den Titel “Kämpfer*innen” verdient.

Die eigenen Ausscheidungen werden zum Lebensmittelpunkt

Während der ganzen Prozeduren wird man so oft mit Nadeln traktiert, dass sich die Venen tief ins Innere des Körpers zurückziehen, sobald Pflegepersonal den Raum betritt. Das Schamgefühl geht zum Teufel. Blut, Urin und Kot verlieren zwangsläufig ihren Ekelstatus:  Bei uns Darmkrebspatient*innen werden Ausscheidungen für sehr lange Zeit zum Lebensmittelpunkt, und jedes kleinste Verdauungsdetail wird von nun an aufmerksamst beobachtet, analysiert, und in den Selbsthilfegruppen auf Facebook besprochen.

Anders als bei Brustkrebs, stiehlt einem die Darmkrebs-Chemo übrigens nur selten die Haare – weshalb man während der ganzen Tortur oft zu hören bekommt, wie wahnsinnig gut man doch aussieht – “für jemanden mit Krebs”, steht da noch unausgesprochen im Raum. Das ist sicher gut gemeint, wenn man aber etwas zarter besaitet ist – und das ist man in dieser Zeit – treibt einem dieser Kommentar den Blutdruck in die Höhe. Also nicht wundern, wenn Darmkrebsdiagnostizierte in eurem Leben etwas wenig enthusiastisch auf so einen Kommentar reagieren.

Leben mit dem Beutel

Hab ich was vergessen? Ach ja – der Beutel! Mit dem hoffentlich temporären Sch**ßbeutel am Bauch (elegant als ‘künstlicher Darmausgang’ und ‘Stoma’ umschrieben) freundet man sich besser sofort an. Manche geben ihrem neuen ‘Mitbewohner’ sogar einen Namen und kleiden ihn/sie in ein hübsches Gewand.

Wer schaut schon gerne auf die halbverdauten Überreste der vor 20 Minuten genossenen Käsesahnetorte?

Das Teil macht sich leider auch gerne mit lauten Gurgelgeräuschen bemerkbar – vorzugsweise, wenn man sich gerade in Gegenwart von Kund*innen oder Klient*innen befindet. Als Selbstständige in Kanada hatte ich nicht den Luxus, mich krankschreiben zu lassen. Aber man ist ja schon froh, wenn das Teil nicht ausläuft oder gar platzt. In meiner Zeit der Zweisamkeit mit dem Stoma hatte ich immer extra Klamotten im Auto.

Für die Glückspilze unter uns ist diese Prozedur inklusive Rückverlegung unserer internen Sanitäranlage nach ungefähr einem Jahr vorbei. Was bleibt, ist die Angst, dem Monster bald wieder in seine hässliche Visage starren zu müssen. Und natürlich bleiben auch die Nachwirkungen des fehlenden Darmabschnittes. Oft müssen die anhaltenden Verdauungsstörungen mit einem ausgeklügelten System von täglich zugeführten Laxativen und Antidiarrhoika ausbalanciert werden. Darmverschluss ist so ziemlich der fieseste Schmerz, den ich kenne. Er raubt einem den Atem, manchmal sogar die Lebensenergie. Ich sympathisiere mit jedem Baby, das eine Kolik hat – ich würde in diesen Stunden auch gerne furchtbar schreien.

Aber vielen meiner Mitstreiter*innen geht es schlimmer. Die tauschen sich auf Facebook darüber aus, wie man damit weiterleben kann, wenn man bis zu 40 Mal am Tag aufs Klo muss, wenn einem der Hintern in Flammen steht, und man sich nicht traut, das Haus zu verlassen, weil man ständig in der Nähe einer Toilette bleiben muss. Die schlimmsten Fälle entscheiden sich meist für ein permanentes Stoma, die sogenannte Kolostomie, um wieder Lebensqualität zu erlangen. An meinen schlimmsten Tagen, wenn ich es mal wieder gewagt habe, grünen Salat oder einen Apfel zu essen, gehe ich zwar auch 15 Mal aufs Klo. Das riskiere ich aber schon mal, wenn ich mir den Job entsprechend einteilen kann.

Es kann alle treffen – auch gesunde, junge Menschen

Zum Zeitpunkt meines Zufallsbefundes war ich 53. Fit, gesund ernährt, viel Bewegung, ein schönes Leben, Sicherheit, ein erträgliches Stresslevel. Viele meiner Mitstreiter*innen sind Sportler, Vegetarier, normalgewichtig – und weit unter 60. Zu meinem Schrecken sehe ich viele junge Mütter in meinen Darmkrebs-Foren, die während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt diagnostiziert wurden.

Bitte, bitte, bitte, lasst euch untersuchen! Besteht auf einer Darmspiegelung, wenn ihr ungeklärte Blutarmut oder auch nur die leisesten Anzeichen von Verdauungsbeschwerden habt. Überlasst Entscheidungen nicht immer den Ärzten – das sind auch nur Menschen, sie können sich irren. Ihr müsst eure eigene beste Anwältin sein. Darmkrebs ist eine der heilbarsten Krebsarten, wenn man ihn nur früh genug erkennt.

PS: Zwei Jahre nach meiner Darmresektion war ich endlich in der Lage, meinen traumatischen Erlebnissen zeichnerisch Ausdruck zu geben (s.o.). Mein Alter Ego ist “Henny the Tough Chick.” Das ‘taffe Hühnchen’ ist im Englischen ein gängiger Ausdruck für eine starke Frau. 

Die Autorin: Ines Hanl lebt seit 1999 an der Westküste Kanadas und tobt sich dort kreativ als Innenarchitektin und architektonische Designerin aus. Sie lebt mit ihrem Partner und vier Katzen in einer kleinen Villa Kunterbunt, und freut sich über die Besuche von Waschbären und Rehen – und über die Care-Pakete ihrer Schwester in Köln. Sie hat erst vor kurzem damit angefangen, ihr Leben vor dem Krebs wieder aufzunehmen – Harfe spielen, Flamenco tanzen, stricken, mit dem Fahrrad am Meer entlang fahren.