Das macht uns laut Hirnforscher wirklich zufrieden

In einem Moment fühlen wir uns unendlich glücklich und im nächsten erscheint uns unser Leben langweilig und leer. Wie kann das sein? Warum ist Glück manchmal so flüchtig? Können wir überhaupt langfristig glücklich sein? Der Hirnforscher Professor Doktor Martin Korte hat Antworten.

Als auf dem Konzert im Berliner Olympiastadion 70.000 Lichter an den Handgelenken von Menschen gelb aufleuchten und die Band das Lied spielt, das du immer mit deiner ersten großen Liebe verbinden wirst. Als du die Zusage für deinen Traumjob bekommst, auf die du niemals zu hoffen gewagt hattest. Als er oder sie um deine Hand anhält. In solchen Momenten fühlen wir uns typischerweise maximal glücklich. In solchen Momenten möchten wir am liebsten die Zeit anhalten oder sie irgendwie konservieren und für immer verfügbar machen, damit wir sie wieder und wieder erleben können. Doch dann sind die Momente plötzlich vorbei. Und mit ihnen das Glück, das wir empfunden haben. Puff, einfach weg.

Ist das unser Schicksal? Müssen wir ihn aufgeben, den Traum von andauerndem Glück? Wenn wir den Neurobiologen Professor Doktor Martin Korte fragen, vielleicht nur bedingt. Ihm zufolge können wir nämlich zwei grundverschiedene Kategorien von Glück erleben – und eine davon kann durchaus längerfristig währen.

Was ist kurzfristiges Glück?

“Es gibt eine Reihe von Gründen, die darauf hindeuten, dass kurzfristig empfundenes Glück etwas ganz anderes ist als langfristig empfundene Zufriedenheit”, sagt Martin Korte. Bei kurzfristigem Glück, mit welchem wir es etwa bei den bisher genannten Beispielen zu tun haben, ist in unserem Gehirn vorwiegend eine Region aktiv, die sich als Belohnungszentrum einen Namen gemacht hat, vor allem der Nucleus accumbens spielt hierbei eine Rolle. Er befindet sich unterhalb der Großhirnrinde, gehört zu einem entwicklungsgeschichtlich recht alten, ursprünglichen Bereich unseres Gehirns und setzt immer dann, wenn uns etwas Erfreuliches wie ein Kompliment, ein Geldsegen oder ein schönes Konzert widerfährt, die Ausschüttung von Dopamin, körpereigenen Opiaten und Endorphinen in Gang. Diese Stoffe bescheren uns ein Gefühl von Freude, einen angenehmen Glücksrausch. Sobald der auslösende erfreuliche Moment jedoch vorbei ist, stellt der Nucleus accumbens die Ausschüttung der Glückshormone wieder ein und ihre Konzentration in unserem Blut nimmt ab. Der Glücksrausch hat ein Ende. Und lässt sich wahrscheinlich nicht so einfach auf die gleiche Weise wiederholen.

“Bei Drogen wissen wir, dass wir bei regelmäßigem Konsum mit der Zeit die Dosis erhöhen müssen, um den gleichen Glückszustand zu erreichen wie am Anfang”, sagt der Hirnforscher. “Bei dem Streben nach Glück, im Sinne eines kurzfristigen Gefühls von Euphorie, ist das nicht anders.” In beiden Fällen seien es die gleichen Substanzen und Regionen in unserem Gehirn, die aktiviert werden. Martin Korte sagt: “Es ist in unserer evolutiven Psyche verankert, mehr von dem zu wollen, was uns in einem bestimmten Moment glücklich gemacht hat.” Zwar haben kurzfristiges Glück und Situationen, in denen wir Freude empfinden, einen unbestreitbaren Wert und eine Bedeutung für unser Leben. Unseren Weg einzig und allein daran auszurichten, kann offenbar allerdings anstrengend, enttäuschend und gefährlich werden – und womöglich niemals richtig gut gehen. Doch es gibt ja noch eine zweite Kategorie von Glück, Martin Korte nennt sie Zufriedenheit.

Was ist langfristiges Glück?

“Im Gegensatz zu einer kurzfristigen Emotion wie der Freude würden wir Zufriedenheit in der Neurobiologie als Grundgefühl bezeichnen”, sagt der Hirnforscher. “Sie ist in einer anderen Hirnregion lokalisiert, und zwar dem Stirnlappen.” Der Stirnlappen ist, vereinfacht gesagt, der Sitz unseres Bewusstseins und unserer Persönlichkeit. Unter anderem verdanken wir ihm unsere Willenskraft, unser Sprachvermögen und unsere Fähigkeit, Zukünftiges zu planen oder zu berücksichtigen. Ein Grundgefühl der Zufriedenheit stellt sich in unserem Stirnlappen laut Martin Korte üblicherweise ein, wenn in unserem Leben folgende Kriterien erfüllt sind.

6 Faktoren, die uns zufrieden machen können

1. Uns geht es ähnlich (gut) wie anderen Menschen in unserem Umfeld

“Unser Stirnlappen bezieht das Grundgefühl der Zufriedenheit maßgeblich aus dem Vergleich mit anderen Menschen”, sagt der Neurobiologe. Ist mein Balkon genauso groß wie der meines Nachbarn? Verdiene ich ähnlich viel Geld wie meine Freundin? Ist mein Arbeitspensum vergleichbar mit dem meiner Kolleg:innen? Stimmen die Rahmenbedingungen unseres Lebens in etwa mit denen von anderen Personen überein, die wir auf unserem Radar haben, ist das eine gute Voraussetzung dafür, dass wir uns zufrieden fühlen.

2. Fairness

Stellen wir bei dem Vergleich mit Menschen in unserem Umfeld Diskrepanzen zwischen ihrem und unserem Leben fest, kann es unser Zufriedenheitsgefühl erhalten, wenn wir darin eine gewisse Fairness erkennen können. Wenn unser Balkon beispielsweise zwar kleiner ist als der unseres Nachbarn, wir dafür aber stets die Sonne auf unserer Seite haben. Oder wenn unsere Freundin mehr verdient als wir, ihr Job allerdings stressiger oder wichtiger ist als unserer oder sie eine längere Ausbildung dafür machen musste.

3. Langfristige Ziele

Ausbildung abschließen, Probezeit überstehen, Arbeitszeit reduzieren oder ein Sabbatical machen, zusammenziehen, ein Kind bekommen, Arabisch lernen, Verantwortung abgeben und unabhängiger werden – je nach Lebensentwurf und Persönlichkeit könnten das langfristige Ziele für uns sein, die uns Orientierung geben und auf unsere Zufriedenheit einzahlen. “Der Wunsch, langfristige Ziele zu verfolgen, zeichnet uns als Spezies Mensch aus und unterscheidet uns von anderen Tieren”, sagt der Hirnforscher. Dieser Wunsch sei, ebenso wie die Ziele selbst, in unserem Stirnlappen kodiert, könne jedoch manchmal mit unseren kurzfristigen Zielen beziehungsweise unserem Bedürfnis nach kurzfristigem Glück kollidieren.

“Wir haben unterschiedliche Systeme in unserem Gehirn, die miteinander konkurrieren”, sagt Martin Korte. “Das eine will planen und vorsorgen, das andere will sofort etwas haben. Aus der Nummer kommen wir nicht heraus.” Gelegentlich können wir aufgrund dieser zwei widerstreitenden Systeme in einen Konflikt geraten, doch im Verlauf der Evolution hat sich diese eigentümliche Kombination durchgesetzt, weil sie für unser (Über-)Leben am vorteilhaftesten ist.

4. Erinnerungen

Unser Gedächtnis spielt Martin Korte zufolge eine wichtige Rolle für unsere Zufriedenheit, und zwar in zweierlei Hinsicht: Einerseits kann es uns in schwierigeren Zeiten (zum Beispiel im dunklen Winter) Kraft und Zufriedenheit schenken, an schöne Momente zurückzudenken (den Sommer). Andererseits können wir aus dem Vergleich unserer aktuellen Situation mit einer früheren Lebensphase Zufriedenheit beziehen, wenn wir erkennen, dass wir uns weiterentwickelt haben. Ob es unsere finanzielle Situation betrifft, unsere Prioritäten, unser Selbstvertrauen, gewisse Fertigkeiten oder unsere Gesundheit, sehen wir beim Blick zurück einen Fortschritt in unserem Leben, schaltet unser Stirnlappen in den Status “zufrieden”.

5. Autonomie

Ein gewisses Maß an Selbstbestimmtheit und Autonomie ist laut dem Hirnforscher für ein zufriedenes Leben unabdingbar. “Sich ausgeliefert zu fühlen und keine eigenen Entscheidungen treffen zu können, ist mit langfristiger Zufriedenheit unvereinbar”, sagt er, “deshalb spricht tatsächlich einiges für die Gesellschaftsform der Demokratie oder dafür, dass Arbeitgebende ihren Angestellten bestimmte Freiheiten einräumen.” Haben wir das Gefühl, unsere Lebenssituation selbst gestalten und gegebenenfalls verändern zu können, können wir daraus Zufriedenheit und Energie beziehen, auch wenn gerade vielleicht nicht alle Umstände unseren Wunschvorstellungen entsprechen.

6. Beziehungen

“Als Menschen sind wir vornehmlich kooperierende Wesen, deshalb ist es für unsere Zufriedenheit essenziell, dass wir mit anderen Menschen zusammen sind oder etwas zusammen machen”, sagt Martin Korte. Im beruflichen Kontext fühlen wir uns am zufriedensten, wenn wir in einem harmonischen Team arbeiten, in unserem Privatleben ist es unser Freundeskreis oder sind es unsere partnerschaftlichen oder familiären Beziehungen, die uns Zufriedenheit schenken. Aus unseren Beziehungen beziehen wir das Gefühl, gebraucht zu werden und einen Sinn zu erfüllen. Und das ist für unseren stets nach Erklärungen suchenden Stirnlappen sehr wichtig.

Die Glücksformel und die Variable der Individualität

Als menschliche Geschöpfe haben wir auf der einen Seite vieles gemeinsam. Wir müssen essen und trinken, um zu überleben, und können uns gegenseitig Nieren spenden, weil sie in unseren Körpern die gleichen Funktionen erfüllen. Wir haben tendenziell die gleichen Bedürfnisse und Ansprüche, unterliegen den gleichen Regeln und Naturgesetzen und durchleben ähnliche Konflikte. Wenn wir unfair behandelt werden oder von dem Kurs auf unsere langfristigen Ziele abkommen, wird eine große Region in der Mitte unseres Gehirns aktiv und schlägt Alarm, indem sie Gefühle wie Angst, Stress oder Ekel in uns auslöst. Dann sind wir alles andere als zufrieden. Doch bei all unseren Gemeinsamkeiten: Wir sind auch sehr unterschiedlich. Und je freier und ausgereifter unsere Gemeinschaft, umso vielfältiger können wir unsere Individualität ausleben.

So liest eine Person gerne historische Romane, eine andere liebt Fantasy und Science-Fiction. Der eine Mensch träumt schon als Kind von einer Familie, ein anderer von einem unabhängigen, freien Single-Leben. Manche Leute streben nach Karriere und beruflichem Erfolg, andere nach einem Lebensmodell, in dem der Job möglichst wenig Zeit und Energie in Anspruch nimmt. Und wir alle können uns jederzeit verändern. Gewiss können wir uns an anderen Menschen orientieren, und wir werden uns stets mit ihnen vergleichen. Unbedingt können wir uns selbst besser verstehen lernen, indem wir uns mit Prinzipien beschäftigen, die für die Spezies Mensch gelten. Doch viele Fragen lassen sich nicht pauschal, sondern nur individuell und subjektiv beantworten. Und die Frage, wie wir ein glückliches, zufriedenes, erfülltes oder gelungenes Leben führen, gehört wahrscheinlich zumindest teilweise dazu.

Professor Doktor Martin Korte ist Neurobiologe und Leiter der Abteilung “Zelluläre Neurobiologie” an der Technischen Universität Braunschweig. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis sowie Wechselwirkung zwischen Immunsystem und Gehirn bei der Entstehung der Alzheimer-Erkrankung. In seinen Büchern “Hirngeflüster”, “Wir sind Gedächtnis” und “Jung im Kopf” bereitet er Erkenntnisse aus der Hirnforschung alltagsrelevant und für ein breites Publikum auf. Fernsehzuschauer:innen kennen Martin Korte vielleicht aus der RTL-Quizshow mit Günther Jauch “Bin ich schlauer als …”, für die er die Fragen entwickelte.

Brigitte

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