Der tiefe Fall der Schweizer Grossbank

Wie die einst so stolze Institution zum ewigen Sanierungsfall wurde.

Ein fensterloser Raum, bestuhlt mit Kinosesseln, und ganz rechts ein Rednerpult. Dort steht Ulrich Körner, an die Wand gedrängt. Ein Mann mit ernstem Blick, schwarzer Brille und akkurat gekämmtem grauem Haar. Lachfalten sind auf seinem Gesicht keine zu entdecken. Warum auch. Körner ist CEO der Credit Suisse, dieser einst so stolzen Schweizer Grossbank, die wohl selten in ihrer 166 Jahre langen Geschichte so nah am Abgrund stand wie heute.

Mit monotoner Stimme und langfädigen Sätzen schildert Körner am Donnerstag in diesem trostlosen Saal in London, wie er die taumelnde Bank retten will. Hinter ihm erscheinen bunte Folien mit vielen Zahlen, Pfeilen und Balken. Milliardenbeträge, die fehlen und zurückgewonnen werden sollen. Mit einer neuen Credit Suisse.

Wenn die Folien hinter Körner wechseln, presst der 60-Jährige seine Lippen zusammen. Und dann sagt er einen Satz, der bei Begriffen wie Restrukturierung und Kostenreduktion immer fallen muss – aber selten in dieser Deutlichkeit formuliert wird:

«Diese Strategie bedeutet weniger Kolleginnen und Kollegen.»

Ulrich Körner.

Ulrich Körner.

Ulrich Körner wird seinem Spitznamen gerecht: Ueli the Knife. Der gebürtige Deutsche mit dem Schweizer Pass gilt als Mann, der emotionslos aufräumt – und das Messer auch dort ansetzt, wo es weh tut. Kurzfristig streicht er 2700 Vollzeitstellen. Bis in drei Jahren sollen es 9000 sein. Der CEO präsentiert diese Zahlen mit derselben Nüchternheit wie den Rest seiner radikalen Strategie: Kleinere Investmentbank. Neues Aktienkapital. Und noch mehr sparen.

Körners Kurswechsel ist der vierte Umbau der Bank innert sieben Jahren. Das verdeutlicht die Orientierungslosigkeit der Credit Suisse. Wer so viele Strategien braucht, hat offensichtlich ein Strategieproblem. Diese permanente Neuausrichtung bleibt nicht ohne Konsequenzen: Der Aktienkurs der Firma zeigt seit Jahren kontinuierlich nach unten.

2009, nachdem die Bank die Finanzkrise einigermassen schadlos überstanden hatte, kostete eine CS-Aktie 55 Franken. Nach Ulrich Körners Präsentation am Donnerstag lag sie bei unter 4 Franken. Der CEO und der CS-Präsident Axel Lehmann – beide erst seit wenigen Monaten im Amt – blicken zurück auf 13 Jahre voller Skandale, Milliardenpleiten und Personalaffären.

Und damit auf 13 Jahre Vertrauensverlust.

Körners und Lehmanns Vorgänger zeigten sich nach jedem Fehlschlag zwar einsichtig. Sie legten eine neue Strategie vor, mit der alles anders, alles besser werden sollte. Bis zum nächsten Skandal. Wie in einem Videospiel, bei dem man ständig am gleichen Level scheitert und wieder von vorne beginnen muss.

Was ist passiert? Warum wurde in eineinhalb Jahrzehnten aus der einstigen Musterschülerin eine Skandalbank, aus ihrer Aktie ein Wertpapier von wenig Wert?

Wir haben den Niedergang der Credit Suisse nachgezeichnet. Vom Aktien-Höchststand nach der Finanzkrise bis zum absoluten Tiefpunkt im September 2022. Der stetig fallende Kurs der CS zeigt, wie schlechtes Management, fehlende Risikokultur und falsche Entscheide den Wert eines Grossunternehmens mit 50 000 Angestellten langsam zersetzen.

Investmentbank, der unzähmbare Drache

Es ist noch nicht so lange her, da galt die Credit Suisse als Vorzeigebank. Oder wie der «Economist» schrieb: als Institution, die die Finanzkrise am besten bewältigen konnte. Es ist September 2008. In den USA fallen die grossen Namen wie die Dominosteine: Lehman Brothers, Bear Stearns.

Auch die UBS trifft die Finanzkrise mit voller Wucht. Sie hat sich in den USA mit komplizierten Hypothekenpapieren verzockt. Der Bund rettet sie mit einem Milliardenkredit.

Ganz anders die Credit Suisse: Sie hat die schlimmsten Fehler am US-Hypothekenmarkt verhindert und kann sich trotz grossen Verlusten aus eigener Kraft retten. Die Aktionäre fassen neues Vertrauen, der Kurs schnellt wieder nach oben – bis zu einem Höchststand von 55 Franken im Herbst 2009. Eine Schweizer Fachpublikation titelt: «CS – vom hässlichen Entlein zum stolzen Schwan».

Zum Teil kursieren gar Gerüchte, die Credit Suisse könnte die grosse Konkurrentin am Zürcher Paradeplatz schlucken, die UBS.

All dies wäre nicht möglich gewesen ohne die Investmentbank der Credit Suisse: Sie gehört nach der Finanzkrise in fast allen Disziplinen zu den Top-5-Banken weltweit. Und sie profitiert vom wieder aufkeimenden Handelsfieber an den Börsen.

Doch dieser Erfolg hat einen Preis. Die Investmentbank ist ein Biest. Sie ist ein Drache, den die Credit Suisse nie zähmen kann. Mal beschert er ihr phantastische Gewinne, dann wiederum reisst er die CS tief in die roten Zahlen. Zwar gibt es neben dem Investment Banking noch andere lukrative Sparten: Das Schweizer Geschäft liefert solide Ergebnisse, die Vermögensverwaltung gilt sogar als Hoffnungsträgerin.

Aber nirgends lassen sich schneller hohe Gewinne erwirtschaften als mit dem Investment Banking. Und nirgends grössere Verluste.

Dennoch weckt das unkalkulierbare Geschäft Begehrlichkeiten. In den 1970er Jahren kauft sich die Credit Suisse bei einer der führenden New Yorker Finanzboutiquen ein: bei der First Boston. Sie wird zum Herzen der CS-Investmentbank. Dennoch gelingt es der Zürcher Führungsspitze nie, die Leute in New York unter Kontrolle zu bringen. Die Finanzwelt in den USA dreht sich viel zu schnell. Bis die Bankchefs in Zürich einen Entscheid fällen, sind die New Yorker schon drei Schritte weiter. Manchmal geht das gut. Manchmal aber auch nicht.

Zürich und New York sind auf verhängnisvolle Art voneinander abhängig. Ein Auseinandergehen wäre enorm teuer. Ein Zusammenbleiben ist unberechenbar. Das Verhältnis zwischen der Credit Suisse und ihrer Investmentbank erfüllt alle Kriterien einer toxischen Beziehung.

Brady Dougan, der Drachenreiter

Während andere Finanzinstitutionen ihre Investmentbanken nach der Finanzkrise zurückbinden, geht die Credit Suisse einen anderen Weg. Beflügelt von den guten Zahlen, baut sie das Geschäft aus – ganz im Sinn von Brady Dougan. Der Amerikaner irischer Abstammung ist langjähriger Investmentbanker und ab 2007 CEO der CS.

Brady Dougan.

Brady Dougan.

Sein Trumpf: die Spitzengewinne der CS-Investmentbank, die er seit 2004 führte. Dougan markiert eine Zeitenwende: Nie zuvor stand ein Amerikaner an der Spitze der CS. Viele rechnen damit, dass er sein Amt wieder abgibt, sobald er die Bank aus den Turbulenzen der Finanzkrise gesteuert hat.

Geblieben ist Dougan acht Jahre. In dieser Zeit hält er eisern am Investment Banking fest, allen Höhen und Tiefen zum Trotz. Ein Fehler, der die Führungsriege der Bank bis heute beschäftigt.

2009 beschert dieser Geschäftsbereich der CS grosse Gewinne. Im Februar 2010 wirkt die Credit Suisse so stark wie vor der Finanzkrise. Und ist genauso spendabel: Insgesamt zahlt die Bank 6,85 Milliarden Franken an Boni für das Geschäftsjahr 2009 aus. Durchschnittliche Bonussumme pro Mitarbeiter: 144 000 Franken.

Wer am meisten profitiert, ist Brady Dougan. Der spröde wirkende Manager, der privat einen Toyota Prius fährt und auch an rauschenden Champagnerpartys nur Cola Zero trinkt, lässt sich für das Geschäftsjahr 2009 neben einem Lohn von 19 Millionen Franken einen Bonus von 71 Millionen Franken ausbezahlen. Obwohl er das Geld nicht für ein Jetset-Leben braucht, verlangt er es angeblich als Anerkennung für seine Arbeit.

In einem NZZ-Interview rechtfertigt sich Dougan, die Boni seien ein wichtiger Anreiz für die Belegschaft gewesen, den Turnaround nach der Finanzkrise zu schaffen. «Damit konnten wir unsere Mitarbeiter halten und sogar dazu motivieren, diese guten Resultate zu erbringen.»

In der Schweiz kommt das gar nicht gut an. Der Volkszorn trifft die Credit Suisse hart. Gewöhnliche Bankangestellte äussern sich in den Medien besorgt: Sie wüssten gar nicht mehr, wie sie sich gegenüber aufgebrachten Kunden rechtfertigen sollten.

Der Ruf der CS leidet. Zwar erregen auch andere Lohnexzesse die Gemüter – etwa die vorgesehene Abgangsentschädigung des Novartis-CEO Daniel Vasella von über 72 Millionen Franken im Jahr 2013. Die Credit Suisse aber, die Schweizer Traditionsbank mit ihrer stolzen Geschichte, trifft die Kritik frontal.

Die CS sei ein Selbstbedienungsladen, heisst es, und ihre Manager seien gierige Abzocker, die nicht für das Wohl des Unternehmens arbeiteten, sondern nur für die eigene Tasche. Der Vergütungsbericht der Bank ist seither immer länger und komplizierter geworden. Den Verdacht aber, die Manager hätten die Credit Suisse gekapert und missbrauchten sie als Geldautomaten, wird die Bank auf ihrem Weg nach unten bis heute nicht mehr los.

Die Folge: ein grosser Vertrauensverlust. Institutionelle Anleger wie Pensionskassen zeigen sich verärgert, Kleinaktionäre äussern sich kritisch. Während der Generalversammlung im Mai 2010 sagt einer von ihnen an die Adresse des CEO: «Kaufen Sie sich nicht eine Jacht oder ein Ferienhaus, Herr Dougan, kaufen Sie sich ein besseres Gewissen.»

Die Mehrheit der Aktionäre segnet die Milliardenboni für das Spitzenpersonal dennoch ab. Beflügelt von den hohen Gewinnen, baut der CEO Dougan das Investment Banking weiter aus.

Ein weiterer Fehler, wie sich wenig später herausstellen wird. Es ist Juli 2011, die Euro-Krise und der starke Franken setzen der Credit Suisse zu. Doch vor allem etwas schmerzt: die eingebrochenen Erträge aus dem Investment Banking. Der Gewinn des Unternehmens schmilzt um 71 Prozent. Der Drache bockt. Die CS-Führung beschliesst, in der Sparte 2 Milliarden Franken einzusparen – und 2000 Stellen zu streichen.

Eine neue Strategie muss her. Jetzt strebt man eine weltweit führende Rolle in der Vermögensverwaltung an. Vor allem die Reichsten der Reichen aus Schwellenländern wie Brasilien, Russland oder China sollen dem Finanzhaus am Paradeplatz ihr Geld anvertrauen.

Es ist der Moment, an dem der Aktienkurs seinen langen Weg in den Keller antritt.

Die Steuerschmach

Gerade in der Vermögensverwaltung droht Ungemach – zwar nicht in den Schwellenländern, aber in den USA. Die CS soll reichen Amerikanern geholfen haben, Steuern zu hinterziehen. Es ist Herbst 2013, und Spekulationen über Milliardenbussen machen die Runde.

Die Konkurrentin UBS hat sich mit ähnlichen Klagen konfrontiert gesehen, mithilfe des Bundes konnte sie rasch einen Deal abschliessen. Doch als die Amerikaner die Credit Suisse angreifen, gibt es keine Unterstützung aus Bern.

Am Ende zahlt die Bank eine Busse, die fast drei Mal so hoch ist wie jene der UBS. Die CS-Verantwortlichen schätzen die Lage bis zuletzt falsch ein: Nur knapp 900 Millionen Franken legt die CS für die Beilegung des Rechtsstreits auf die Seite. Am Ende wird sie 2,6 Milliarden Franken in die Kassen der US-Behörden überweisen.

Die CS-Führung muss sogar vor dem US-Senat erscheinen – und sich öffentlich entschuldigen.

Am 26. Februar 2014 kommt es zu einem denkwürdigen Bild. Vier Männer in Anzug und Krawatte stehen hinter einem langen Tisch und heben ihre rechte Hand. Vier Schweizer Banker mit zerknirschtem Gesicht, die zugeben, US-Bürgern beim Steuerbetrug geholfen zu haben. Ein Symbol für das Bekenntnis der Credit Suisse, wissentlich und willentlich kriminelle Machenschaften zugelassen zu haben.

Urs Rohner, der Zauderer

Urs Rohner.

Urs Rohner.

Die Schweiz will wissen: Wer übernimmt die Verantwortung für das US-Debakel? Die Frage geht an den Verwaltungsratspräsidenten Urs Rohner, ab 2011 im Amt.

Rohner ist ein Schnelldenker. Dennoch wird ihm ein Radiointerview zum Verhängnis, das er unmittelbar nach dem teuren Steuerdeal gibt. Auf die Frage, ob er, der Präsident, und der CEO Dougan noch eine weisse Weste hätten, sagt er: «Persönlich haben wir sicher eine weisse Weste. Eine andere Frage ist die der Bank.»

Eine interessante Sichtweise. Die Bank hat Fehler gemacht. Die CS-Führung nicht. Als ob das zwei verschiedene Dinge wären.

Ob die Chefetage denn keine Verantwortung tragen müsse?

Rohner: «Wir übernehmen Verantwortung – indem wir die Bank durch diese schwierige Zeit geführt haben und sie auch in die Zukunft führen.»

Die Schmach hat weder für Urs Rohner noch für Brady Dougan Folgen – noch für sonst jemanden der CS-Führung. Es zeigt sich ein Muster, das sich bei der Bank mehrfach wiederholt: Die bestbezahlten und höchsten Verantwortungsträger übernehmen für Affären und Skandale kaum Verantwortung. Isolierte Einzelfälle, so heisst es jeweils.

Dass die Führung der Bank sehr wohl verantwortlich ist, wenn sich solche «Einzelfälle» häufen, blendet Rohner aus.

Je länger die Amtszeit des Zürchers dauert, desto mehr zweifeln Beobachter, ob der Jurist der Sache gewachsen ist. Dem ehemaligen Spitzen-Hürdenläufer und früheren Vorstandschef der deutschen Mediengruppe ProSiebenSat1 wird immer wieder vorgeworfen, kein Banker zu sein. Ihm mangle es an Erfahrung und Fachwissen für dieses Amt – gerade im Investment Banking.

Dass Rohner und Dougan trotz dem US-Steuerskandal ihre Ämter behalten dürfen, dass sie sich sogar als Teil der Lösung verstehen, als Führungspersonen, die die Bank in eine rosigere Zukunft führen sollen, sorgt erneut für Zorn und Empörung. Mehrere Parteien in Bern fordern den Rücktritt der CS-Spitze. Und die «Financial Times» schreibt, Dougan behandle die Rekordstrafe wie eine Parkbusse.

Im Nachhinein, sagt Rohner in einem späteren Interview selbstkritisch, im Nachhinein betrachtet hätte er den Posten des CEO früher neu besetzen sollen. Die Aussage ist typisch für Rohner, den Zauderer: Er analysiert richtig. Nur leider viel zu spät. Und das Vorgefallene hat meist nichts mit ihm zu tun.

Rohner wird nun immer öfter vorgeworfen, Dougan nicht in die Schranken zu weisen. Als Investmentbanker macht sich der amerikanische CEO vor allem für seinen Bereich stark. Die Vermögensverwaltung und das beschaulichere Schweizer Geschäft interessieren ihn nicht sonderlich.

Das rächt sich jetzt, denn: Die Aufsichtsbehörden, gebrannt von der Finanzkrise, führen immer schärfere Sicherheitsregeln ein. Und diese fressen sich in die Profite der Investmentbanken. Andere Finanzinstitute haben darauf reagiert. Die CS unter Dougan und Rohner zögert. Die Folge: Die zu grosse Investmentbank drückt immer stärker auf ihren Aktienkurs.

Tidjane Thiam, der gefallene Superstar

Tidjane Thiam.

Tidjane Thiam.

2015 kommt es doch noch zum Führungswechsel. Dougan tritt als CEO ab – auf eigenen Wunsch, heisst es, und nicht wegen des US-Steuerstreits. Auf ihn folgt Tidjane Thiam: Der Versicherungsmanager aus London gilt als Superstar und soll die schwächelnde Bank wieder auf Kurs bringen.

Rohner ist stolz auf diesen Transfer. Man habe nur einmal im Leben eines VR-Präsidenten die Chance, seinen Lieblings-CEO zu holen, schwärmt er in einem Interview.

Die Hoffnungen in Tidjane Thiam sind nicht nur bei Rohner gross. Der ivoirisch-französische Manager hat keine Nähe zum Investment Banking. Beobachter hoffen, dass er diese Sparte endlich in die Schranken weisen kann.

Thiam kündigt eine ambitionierte Strategie an. Und ja, der neue CEO wagt den Kampf mit dem Drachen: Er teilt das Investment Banking in ein Beratungs- und ein Handelsgeschäft auf, um die Sparte besser im Griff zu haben. Insgesamt will er die Investmentbank zurückstutzen – und stattdessen auf die globale Vermögensverwaltung setzen. Es ist genau das, was die UBS seit 2011 vorgemacht hat. Die CS soll zudem ihre Kosten stark senken und in Asien wachsen. Und das Schweizer Geschäft soll an die Börse.

Jeder Strategiewechsel kostet viel Geld. So auch dieser: Für den Umbau muss die Bank 6 Milliarden Franken an neuem Kapital auftreiben.

Es passiert, was bei Restrukturierungen meistens passiert – und was sich gerade bei der CS mehrfach wiederholen wird: Die Bank ist mit sich selber beschäftigt und schreibt tiefrote Zahlen. 2015 sind es 2,9 Milliarden Franken Verlust, 2016 nochmals 2,7 Milliarden. Die «Strategic Resolution Unit», die bankinterne Deponie für unliebsame und abzuwrackende Geschäfte, häuft enorme Verluste an.

Die Märkte sind nicht überzeugt: Die Aktie fällt von 25 Franken (Sommer 2015) auf bis zu 10 Franken (Sommer 2016). Präsident Rohner muss Thiam den Rücken stärken, etwa in der «Handelszeitung»: «Wir haben immer gesagt, dass besonders 2016, aber auch 2017 Aufbaujahre sind und dass danach die Früchte geerntet werden können.»

Auch diese Aussage steht sinnbildlich für die jüngere CS-Geschichte: zu viele Aufbau- und Übergangsjahre, zu wenige Erntejahre.

Und doch keimt ab 2017 wieder etwas Optimismus auf: Versteckt unter Milliardenbussen und Problemen, entwickle sich eine neue CS, lautet der Tenor der Experten. Eine widerstandsfähigere, profitablere und hoffentlich skandalfreie CS.

Doch schon bald torpediert der nächste Skandal das Vertrauen in die Traditionsbank.

Spygate oder: der Bruch

Tidjane Thiam, dem Eitelkeit und Kontrollsucht nachgesagt werden, führt die Credit Suisse mit einer kleinen Gruppe von engen Verbündeten, die er aus früheren Zeiten kennt und nach Zürich mitgebracht hat. Ein Klima des Misstrauens macht sich breit. Als der neue Shootingstar der Bank – der Wealth-Management-Chef Iqbal Khan – seinen Wechsel zur UBS bekanntgibt, lässt ihn die CS von Privatdetektiven beschatten.

Am 17. September 2019 bemerkt Khan, dass er in Zürich von einem Fahrzeug verfolgt wird. Er versucht erst, das Auto abzuschütteln. Kurz darauf stellt er den Verfolger in der Nähe der Schweizerischen Nationalbank. Es kommt zum Eklat.

Der Auftrag soll von Thiams Adjutanten ausgegangen sein, der CEO selbst nichts davon gewusst haben. Der Adjutant wird aus der Bank geworfen. Aber was ist mit Thiam, der doch am Ursprung dieser Kultur des Misstrauens steht? Rohner zögert. Thiam bleibt.

Erneut wird Verwaltungsratspräsident Rohner von den Ereignissen überholt. Die NZZ dokumentiert wenig später einen zweiten Beschattungsfall: Ein früheres Mitglied des Topmanagements ist ebenfalls bespitzelt worden. Zwei Jahre später wird die Finanzmarktaufsicht publik machen, dass die CS von 2016 bis 2019 nicht weniger als sieben Observationen angeordnet hat.

Doch schon zwei Bespitzelungsfälle innerhalb der CS sind einer zu viel für Tidjane Thiam: Er muss die Bank Anfang 2020 verlassen. Für Urs Rohner hat der Skandal keine weiteren Konsequenzen: Er kann sich als Bankpräsident weiter halten.

Thomas Gottstein, der hemdsärmlige Schweizer

Thomas Gottstein.

Thomas Gottstein.

Nach der Ära Thiam versucht es die CS nun mit einem Schweizer Bankchef, der für Ruhe sorgen soll. Einer, der hiesige Werte vertritt: arbeitsam, nüchtern, unaufgeregt. Es ist die Stunde von Thomas Gottstein. Der 58-Jährige ist zwar selbst Investmentbanker und ein früherer Top-Golfer, gilt aber als umgänglich und bodenständig.

In der Sendung «Donnschtig-Jass» tritt Gottstein locker und im Karo-Hemd gekleidet auf, misst sich im Minigolf und plaudert mit dem Moderator Rainer Maria Salzgeber über seine Lieblingsmusik (Prince).

Viel Zeit hat der Neue nicht. Kurz nach seinem Amtsantritt im Februar 2020 verschwindet die Welt im Lockdown – und die Finanzmärkte gehen auf Talfahrt. Auch die CS-Aktie leidet. Zeitweise fällt sie sogar auf ein Rekordtief von unter 7 Franken. Doch die Panik an den Märkten legt sich, und es geht rasch wieder aufwärts.

Im Sommer muss Gottstein nun zeigen, wie er die Bank zurück auf Erfolgskurs führen will. Er macht es mit der nächsten Strategie. Und der nächsten Restrukturierung der Investmentbank. Der von Thiam aufgeteilte Geschäftsbereich wird wieder zusammengelegt.

Gegen Jahresende tauchen dann neue alte Probleme am Horizont auf. Die Credit Suisse muss wieder für Sünden aus der Finanzkrise bezahlen: 600 Millionen Dollar, weil sie mit Hypotheken gesicherte Ramschpapiere vertrieb.

Jetzt wird’s richtig schlimm

Die richtig schweren Schläge treffen die Bank im März 2021. Die Finanzfirma Greensill Capital, die sogenannte Lieferketten-Finanzierung anbietet, geht pleite. CS-Kunden haben rund 10 Milliarden Franken in Greensill-Produkte investiert – in Produkte, die die Credit Suisse über Jahre als innovative und sichere Anlagen in den höchsten Tönen gelobt hatte.

Im Mai 2017 durfte der Gründer der Greensill-Firma seine Dienste in einem CS-Kunden-Heft im besten Licht bewerben. Im Interview frohlockte er: In der Lieferketten-Finanzierung gebe es noch enormes Potenzial für weitere Innovation.

Nach dem Zusammenbruch 2021 zeigt sich bald, welcher Art diese «Innovation» war: Greensill hat viel riskantere Kredite verteilt und an CS-Kunden weitergereicht, als diesen bekannt war. Zwar übt sich die Credit Suisse in Schadensbegrenzung und versucht, so viel Geld wie möglich zu retten. Doch die Wut der Kunden ist gross. Sie könnten einen Viertel ihrer Investitionen verloren haben.

Die Verantwortlichen der Credit Suisse haben entweder nicht gewusst, was in den Greensill-Paketen steckte, oder sie haben es bewusst nicht wissen wollen. Klar ist: Die Kontrollsysteme der Bank haben versagt. Es gab genug Warnsignale zu Greensill.

Der zweite Hammer folgt für die Credit Suisse kurz danach. Der unzähmbare Drache zeigt sich jetzt von seiner hässlichen Seite – und zwar mit Archegos Capital Management. Die Finanzgesellschaft aus New York hat sich von den führenden Investmentbanken der Welt Milliardenkredite geben lassen, um mit riesigen Wetten die Aktienkurse von Firmen nach 0ben zu drücken. Das funktioniert zunächst gut – bis die Kurse zu fallen beginnen und Archegos einstürzt wie ein Kartenhaus.

Bei den betroffenen Investmentbanken herrscht Alarmstufe Rot. Sie verkaufen rasch die Überbleibsel aus dem Konstrukt. Die US-Banken retten sich am besten aus der Affäre, die UBS kostet der Archegos-Skandal etwa 800 Millionen Franken.

Und die CS? Sie bleibt auf einem gigantischen Verlust von mehr als 5 Milliarden Franken sitzen – weil sie viel zu spät reagiert.

Der Abgang eines Glücklosen

Ende April 2021 verlässt Urs Rohner die Credit Suisse – nach einer Dekade an der Spitze. Er geht jedoch nicht wegen der Milliardenpleiten, sondern weil seine Amtszeit gemäss Statuten ausläuft.

In Erinnerung bleiben dennoch die «Einzelfälle» Archegos und Greensill – und die schiere Masse an weiteren unglücklichen Begebenheiten, die sich während Rohners Zeit ereignet haben. Entsprechend ungnädig blicken die Finanzmedien zurück auf das Wirken des Zürchers. Am härtesten ist das Urteil, Rohner sei in der Welt der Hochfinanz ein Leichtgewicht gewesen.

Während der ordentlichen Generalversammlung 2021, die gleichzeitig Rohners Abschiedsanlass ist, geht der scheidende Präsident erst am Schluss auf das Debakel rund um Archegos und Greensill ein. Er dankt ab mit einer Prise Selbstkritik: «Wir haben unsere Kundinnen und Kunden, aber auch unsere Aktionärinnen und Aktionäre enttäuscht. Und dies leider nicht zum ersten Mal. Dafür entschuldige ich mich.»

António Horta-Osório, der Ritter mit dem Firmenjet

António Horta-Osório.

António Horta-Osório.

Rohners Nachfolger heisst António Horta-Osório. Oder besser gesagt: Sir António Horta-Osório. Für seine Verdienste bei seinem früheren Arbeitgeber, der britischen Bank Lloyds, schlug ihn Königin Elizabeth im Juni 2021 zum Ritter.

Horta-Osório geht rasch ans Werk und lässt – natürlich – eine neue Strategie erarbeiten. Im November 2021 wird sie vorgestellt: Erneut soll die Investmentbank beschnitten werden; die für Archegos verantwortliche Einheit wird abgebaut. Dafür erhält die Vermögensverwaltung mehr Kapital. Thiams Asien-Einheit hingegen wird schon wieder aufgelöst.

Im Interview mit der NZZ betont der Wahllondoner Horta-Osório: «Jeder Banker muss im Herzen ein Risikomanager sein.» Das bedeutet: Jeder Banker muss Verantwortung tragen.

Aber schon bald machen Gerüchte über Unstimmigkeiten zwischen dem Präsidenten Horta-Osório und dem CEO Thomas Gottstein die Runde. Einigen geht die neue Strategie zu wenig weit – oder in die falsche Richtung. Dabei klingt vieles gut. Man hat das Gefühl, als ob die CS-Führung die Zeichen der Zeit nun wirklich erkannt hätte.

Wenige Wochen nach dem Neuaufbruch folgt jedoch die nächste Ernüchterung: Sir António Horta-Osório soll sich bei einer Reise von London nach Zürich ziemlich unritterlich verhalten haben. Der CS-Präsident hat wissentlich die damaligen Quarantäne-Bestimmungen gebrochen.

Anderen hätte man einen solchen Fauxpas wohl durchgehen lassen. Aber Horta-Osório hat sich in der Bank mit seinen Ansagen und seiner überheblichen Art Feinde gemacht. Hinweise aus dem Inneren der CS, dass Horta-Osório den Firmenjet der Bank gern auch für private Reisen auf die Iberische Halbinsel oder auf die Malediven nutze, dringen rasch nach aussen.

Kurz vor Silvester 2021 wird enthüllt, dass der Tennisfan Horta-Osório bereits einmal die Quarantäne-Regeln gebrochen hat: um sich in London den Wimbledon-Final anzusehen.

Das war zu viel: Der Portugiese muss im Januar 2022 zurücktreten – nach nicht einmal einem Jahr im Amt. Und die CS hat sich einmal mehr geräuschvoll im Kreis gedreht. Sie braucht einen anderen an der Spitze. Einen, der im Herzen wirklich ein Risikomanager ist.

Einen wie Axel Lehmann. Der langjährige Zurich- und UBS-Manager ist zwar erst seit einigen Monaten im Verwaltungsrat der CS. Doch der Schweizer ist bekannt für seinen seriösen und nüchternen Auftritt, was nach den jüngsten Turbulenzen das Richtige zu sein scheint.

Der Tiefpunkt

Zeit für weitere Pirouetten bleibt der CS nicht. Es wird langsam ungemütlich. Die Bank schliesst 2021 wegen Archegos mit einem grossen Verlust ab. Zusätzlich kämpft sie mit den Finanzmärkten, die 2022 abrupt ins Minus kippen. Putins Angriffskrieg in der Ukraine drückt auf die Stimmung, die Energiepreise gehen durch die Decke. Es sind schlechte Zeiten für alle Schweizer Banken. Doch rote Zahlen schreibt weiterhin nur die Credit Suisse.

Die Bank verliert zahlreiche Kaderleute und wird auf Social Media zum Gespött. Finanz-Twitterer nennen sie nun «Debit Suisse»: Die CS habe ihren Kredit, also ihre Glaubwürdigkeit, aufgebraucht.

Kleine und grosse Skandale folgen Schlag auf Schlag – und gehen aufgrund ihrer Häufung fast unter: Bussen von einer halben Milliarde Franken wegen Krediten an korrupte Mächtige in Moçambique. Eine scharfe Rüge der Finanzmarktaufsicht wegen der Beschattungsfälle. Kredite für Jachten und Privatjets an reiche Russen. «Suisse Secrets», geleakte Daten zu früheren CS-Kunden mit zweifelhaftem Ruf. Eine Verurteilung in Bellinzona, weil die bulgarische Kokain-Mafia ihr Geld einst via CS waschen konnte. Ein epischer Rechtsstreit mit dem ehemaligen georgischen Ministerpräsidenten Bidsina Iwanischwili, dem die Bank 600 Millionen Franken zahlen muss.

Und vor allem: schlechte Zahlen, Quartal für Quartal.

Nach all diesen Schlägen ist auch der CEO Thomas Gottstein angezählt. Ein unbeschwerter Auftritt beim «Donnschtig-Jass» wäre jetzt undenkbar. Auch seine Schweizer Werte haben sich abgenutzt. Nach einem sehr schlechten zweiten Quartal verlässt er im Juli 2022 die Credit Suisse per sofort – die Bank, für die er jahrzehntelang gearbeitet hat.

Ulrich Körner, der Drachenbändiger?

Nun liegen die Nerven blank. Gerüchte über Massenentlassungen machen die Runde und treiben den Aktienkurs weiter nach unten. Es ist Juli 2022, es ist Zeit für Ueli the Knife. Zeit also für einen groben Besen.

Mit Ulrich Körner übernimmt ein knallharter Bankmanager die Geschicke der Bank. Im Umgang soll er schroff sein. Die «Bilanz» schreibt, in der Branche kursiere das Bonmot, der 60-Jährige kenne eigentlich nur drei Gemütslagen: schlecht gelaunt, sehr schlecht gelaunt, extrem schlecht gelaunt.

Vielleicht gerade deshalb trauen ihm viele zu, den Drachen endlich zu bändigen. Denn das hat Körner schon einmal gemacht: als Chief Operating Officer der UBS. Ab 2009 half er mit, die UBS-Investmentbank massiv zu verkleinern und auf die Vermögensverwaltung zu setzen. Mit Erfolg, wie sich in der Zwischenzeit herausgestellt hat. Die UBS hat soeben in einem widrigen Marktumfeld ein weiteres starkes Quartal hingelegt.

Dennoch macht sich seit Körners Amtsantritt im Sommer 2022 Unsicherheit breit. Aktionäre fürchten eine nächste Kapitalerhöhung, die den Wert ihrer CS-Anteile vermindern würde. Der Kurs taucht immer weiter ab.

Ende September folgt der vorläufige Tiefpunkt: Ein australischer Journalist setzt einen unüberlegten Tweet in die Welt. Er schreibt, dass eine wichtige Investmentbank «am Abgrund» stehe. Online-Kommentatoren spekulieren, es könne sich dabei nur um die CS handeln. Die Aktie fällt kurzfristig auf 3.52 Franken. Der tiefste Wert seit der Firmengründung.

Mit Spannung erwartet man am 27. Oktober die Verkündung der neuen Strategie. Körner steht im fensterlosen Raum in London und presst am Ende seiner Präsentation die Lippen zusammen. Er ist seinem Ruf als kompromissloser Sanierer bisher gerecht geworden. Und er hat den Kampf mit dem Drachen angenommen – er will ihn vierteilen.

Ein Stück Investmentbank soll bei der CS bleiben, ein zweites Stück wird verkauft. Das dritte Stück soll unter dem alten Namen «CS First Boston» ausgegliedert werden. Und das vierte Stück wird auf eine neueröffnete bankinterne Altlasten-Deponie übergeführt und eingestampft. Nun lautet der Name der Müllhalde Non-Core Unit.

Aber besänftigt das auch die Anleger? Kurzfristig zumindest nicht. Am Ende des Tages liegt der Aktienkurs bei 3.88 Franken. Das entspricht einem Einbruch von fast 20 Prozent. Dass die Bank zusammen mit der Strategie miserable Quartalszahlen und einen Abschreiber von 4 Milliarden Franken präsentiert, dürfte das Wertpapier der Credit Suisse nicht attraktiver gemacht haben.

Wie konnte das passieren, Credit Suisse?

Brady Dougans Bonus, Urs Rohners Zögern, Tidjane Thiams Misstrauenskultur, Horta-Osórios Corona-Flüge: Auf ihre Art trugen die CS-Spitzenkräfte zum Niedergang der Bank in den vergangenen 13 Jahren bei.

Und so sind die Gründe für die gefährliche Lage der Credit Suisse vielfältig: Da ist fehlendes Risikobewusstsein, fehlendes Problembewusstsein, jahrelang. Da sind wirkungslose, aber teure Sanierungen sowie Top-Manager, die zwar sehr hohe Löhne und Boni erhalten, aber keinen Mehrwert für die Aktionäre schaffen – im Gegenteil, wie der Absturz der CS-Aktie zeigt. Da sind Warnsignale, die konstant ignoriert werden. Steuerstreit, Archegos, Greensill: Hätte die CS-Spitze rechtzeitig auf diese Alarmzeichen reagiert, wäre der Schaden kleiner ausgefallen.

Und da ist dieser unbändige Drache, der seit der Finanzkrise die Credit Suisse fest in seinen Klauen hat. Trotz sporadischen Milliardengewinnen hat die Investmentbank den CS-Aktionären über die Jahre gesehen kaum etwas eingebracht.

Körners Pläne waren da nur logisch. Sie haben den Drachen geschwächt. Ob der CEO das Biest damit langfristig zähmen kann, hängt davon ab, wie hartnäckig er seine Strategie verfolgt. Und ob Ueli the Knife tatsächlich über eine scharfe Klinge verfügt.

Mitarbeit: Chanchal Biswas.

Der lange Weg nach unten

Aktienkurs der Credit Suisse Group AG, Wochenschlusskurse in Franken

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Archegos / Greensill (2021)

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