Kolumne – Wieder aus dem Takt geraten, sorgt unumstrittener britischer Regierungswechsel für Erleichterung: Mike Dolan Von Reuters

Von Mike Dolan

LONDON (Reuters) – Nicht zuletzt dank des einzigartigen Beitrags der ehemaligen britischen Premierministerin Liz Truss zur Finanzstabilität vor zwei Jahren stellt Großbritannien unter den großen Volkswirtschaften, die in diesem Jahr vor den Wahlen stehen, eine Art Ausnahme dar: Es gibt kaum oder gar keine haushalts- und finanzpolitischen Kontroversen.

Und vielleicht zügelt die Truss-Affäre auch andere G7-Staaten, denn sie hat deutlich gemacht, was man nicht tun sollte, wenn man an die Macht kommen oder bleiben und die Macht nicht verschrecken will. Sogar die französische extreme Rechte mildert ihren Ton angesichts der bevorstehenden Wahlen am Wochenende – nur für den Fall.

Nach einer Haushaltsfarce Ende 2022 während der kurzen Amtszeit des ehemaligen britischen Premierministers – als britische Staatsanleihen und das Pfund nach hastigen, nicht finanzierten Steuer- und Ausgabenkürzungen beinahe implodierten – wagt keine der großen britischen Parteien nun anzudeuten, dass sie vom finanzpolitischen Kurs abweicht.

Und es stellt das zerknirschte Großbritannien angesichts der zahlreichen Wahlen in diesem Jahr als eine Art Außenseiter unter den vergleichbaren Ländern dar – trotz des wahrscheinlichen ersten Regierungswechsels seit 14 Jahren und der Meinungsumfragen, die auf eine überwältigende Mehrheit von 200 Sitzen für die oppositionelle Labour-Partei am 4. Juli schließen lassen.

Bemerkenswert an diesem bevorstehenden Regierungswechsel ist die Tatsache, dass Labour kaum finanzpolitische Lockangebote macht und sich weitgehend auf die zunehmende Unbeliebtheit der amtierenden Konservativen verlässt. Deren bleibendes Markenzeichen, der Brexit, wird inzwischen sogar von einer Mehrheit der Wähler abgelehnt, die ihn wollten.

Bei den weltweiten Anlegern scheint der Regierungswechsel mit offenen Armen begrüßt zu werden.

Und in einer Welt, die sich der Ungewissheit gegenübersieht, ob Donald Trump im November eine zweite Amtszeit als US-Präsident antritt oder ob in den nächsten zwei Wochen die extreme Rechte und die extreme Linke in Frankreich um die Mehrheit im Parlament kämpfen, erscheint Großbritannien plötzlich wie ein unerwarteter Hort der Stabilität.

Trotz der Aussicht auf eine Rückkehr der Labour-Partei mit der größten Mehrheit seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnete die niederländische Bank ING die Umfrage als „Nicht-Ereignis“ für die Märkte – Sie können sich also ein Bild machen.

Dieses Ergebnis wurde schon lange erwartet, dürfte aber kaum jemanden verärgern und könnte von ausländischen Fonds sogar allgemein begrüßt werden, da es eine Abkehr von den zahlreichen wirtschaftlichen Brüchen, Finanzkrisen, Führungswechseln und internen Regierungsaufständen darstellt.

Nur zehn Tage vor der Wahl liegt der handelsgewichtete Pfund-Index der Bank of England nahe seinem höchsten Stand seit dem Brexit-Referendum im Jahr 2016 – fast 25 Prozent über dem Tiefpunkt des Truss-Haushalts.

Die historische 30-Tage-Volatilität dieses Index beträgt weniger als ein Fünftel der Höchstwerte, die er vor zwei Jahren und während der Pandemie erreichte.

Ein ähnliches Bild bietet sich bei den Bluechip-Aktien, die nur knapp die Rekordhöhen des letzten Monats verfehlen und deren einmonatige Volatilität weniger als die Hälfte ihres 10-Jahres-Durchschnitts beträgt.

Anders verhält es sich bei 10-jährigen Staatsanleihen, die den Kern jeder haushaltspolitischen Sorge bilden.

Doch trotz der Auswirkungen der Inflation nach der Pandemie und der Zinserhöhungen der Bank of England sind die Renditen und die Volatilität auch dort in diesem Jahr zurückgegangen, und die Risikoprämie gegenüber Deutschland ist seit den Höchstständen des Truss-Crashkurses um etwa 100 Basispunkte gesunken.

„GNÄDIG KURZ“

Die lebhaften Weltmärkte könnten etwas mit diesem Bild zu tun haben. Doch die relative Positionierung Großbritanniens bei globalen Fonds hat sich deutlich verbessert, obwohl Labour in den Umfragen immer mehr vorn lag.

So zeigt etwa die im Juni von der Bank of America durchgeführte globale Fondsmanagerumfrage, dass britische Aktien unter den Anlegern netto um 12 Prozent untergewichtet sind – das sind allerdings 0,3 Standardabweichungen über dem langfristigen Durchschnitt der letzten 20 Jahre.

Ebenso glauben nur netto 5 Prozent der Fondsmanager, das Pfund sei noch immer unterbewertet – also nur 0,3 Standardabweichungen unter der langfristigen Durchschnittsbewertung.

Und die Aussicht auf einen Regierungswechsel ist bei vielen ausländischen Investoren bestenfalls optimistisch.

Kim Catechis, Anlagestratege am Franklin Templeton Institute, beschrieb die Stimmung als „vorsichtigen Optimismus“ – nach einem turbulenten Jahrzehnt mit Brexit, Pandemie, steigenden Zinsen, fünf Premierministern und sieben Finanzministern.

Catechis schloss sich der Meinung von ING an und sagte, der „glücklicherweise kurze“ sechswöchige Wahlkampf sei „ungewöhnlich langweilig“ gewesen.

Damit werde den wahren Problemen umgangen, meint er, und möglicherweise würden schwierigere Entscheidungen aufgeschoben, die nötig wären, um die britische Wirtschaft aus dem Netz schwachen Wachstums, geringer Produktivität und großer Ungleichheit zu befreien.

“Beide großen Parteien ignorieren den offensichtlichen Punkt – dass alle Lösungsansätze eine Finanzierung über Schulden oder Steuererhöhungen oder beides erfordern.”

Der Stratege von Franklin Templeton meinte jedoch, dass dies unter den großen Volkswirtschaften kein Einzelfall sei und dass unter den Anlegern eine gewisse positive Einstellung hinsichtlich des wahrscheinlichen Machtwechsels herrsche.

„Die Kapitalmärkte scheinen die Aussicht auf einen Regierungswechsel positiv zu bewerten – in der Erwartung, dass die Politik wachstumsfördernd ausgerichtet sein wird, die Fiskalpolitik jedoch mit Vorsicht erfolgen wird“, sagte er.

“Der Rentenmarkt erkennt an, dass die Labour-Partei bestrebt sein muss, zwei Amtszeiten durchzuhalten, da das Projekt der Partei nicht in vier Jahren umgesetzt werden kann – daher ist eine haushaltspolitische Orthodoxie praktisch garantiert.”

Und dies sowie bessere Beziehungen zur Europäischen Union werden dem Pfund Auftrieb geben. „Ein Regierungswechsel, die Wahrnehmung von weniger Reibungsverlusten im Handel mit der EU und … die Erwartung von Stabilität und einer orthodoxen Politik könnten dem Pfund in diesem Jahr weiteren Auftrieb verleihen“, schloss er.

Den lange ungeliebten britischen Märkten steht möglicherweise eine seltene Phase politischer Ruhe bevor, auch wenn sie dadurch möglicherweise wieder einmal aus dem Takt mit den meisten unruhigen Nachbarmärkten geraten – dieses Mal allerdings aus positiven Gründen.

Die hier geäußerten Meinungen sind die des Autors, eines Kolumnisten für Reuters

(von Mike Dolan X: @reutersMikeD; Bearbeitung von Josie Kao)

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