Eine Klimawahl am anderen Ende der Welt

«Planet A» – Der andere Blick auf die Klimadebatte

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Auf der anderen Seite der Welt tut sich gerade einiges, das der internationalen Klimapolitik in den kommenden Monaten einen neuen Schub geben könnte.

Die Rede ist natürlich von Australien.

Dort wurde Mitte Mai gewählt – und der Klimawandel hatte viel damit zu tun, warum die konservative Regierungskoalition unter Scott Morrison von der Liberal Party von den Wählern abgewatscht wurde. Und damit, dass neben der sozialdemokratischen Labor Party als Wahlsieger, nach fast zehn Jahren in der Opposition, auch eine Reihe von neuen unabhängigen und grünen Politikern ins Parlament gewählt worden sind.

«Planet A» hat sich auf eine politische Reise begeben.

Thema der Woche:

Der Klimawandel als Königsmacher

«Der Markt entscheidet – und das ist genau das, was am Samstag geschehen ist, mit einer lauten Wahl für das Handeln gegen den Klimawandel, für Integrität und Gleichstellung.»

So formuliert es Zoe Daniel letzte Woche, wenige Tage nachdem am 21. Mai in down under gewählt wurde und die konservative Koalition um Scott Morrison eine herbe Niederlage erlitten hat. Die ehemalige Journalistin steht für einen der politischen Überraschungserfolge, welche die Wahl hervorgebracht hat.

Denn diese Wahl, da sind sich Analytiker, Aktivisten und langjährige politische Beobachter einig, hat nicht nur die Zwei-Parteien Landschaft Australiens erschüttert. Sie wird auch als eine der ersten Klimawahlen weltweit gehandelt.

«Ein Thema beschäftigt das ganze Land: Es ist Zeit, etwas gegen den Klimawandel zu tun», sagt etwa Bill Hare. Der australische Klimawissenschafter ist seit Jahrzehnten an den internationalen Klimaverhandlungen beteiligt und Gründer des Think-Tanks Climate Analytics.

Das hat verschiedene Gründe.

Immer wieder wird in Gesprächen hervorgehoben, dass noch nie da gewesene Überschwemmungen und wütende Brände in den vergangenen zwei Jahren nicht nur Schlagzeilen gemacht haben, sondern vielen Bewohnern die Kosten des Klimawandels vor Augen geführt haben – und die Tatsache, dass führende Politiker, allen voran Scott Morrison, keinen Plan hatten, wie damit umzugehen sei.

«Wie viel besser würde es uns als Nation gehen, wenn wir uns vor einem Jahrzehnt zusammengerissen und den Umstieg auf saubere Energie vorangetrieben hätten», beklagte etwa die neue Abgeordnete Zoe Daniel letzte Woche. Sie beschreibt damit auch einen Stimmungswechsel bei vielen Wählern.

Denn die Untätigkeit der Regierung und die verpassten Chancen, die eine erfolgreiche Energiewende mit sich bringen könnte, haben zu Frustration über das politische Regime geführt, sagt Erwin Jackson im Gespräch. Er ist der politische Direktor eines Investoren-Verbands, der sogenannten Investor Group on Climate Change in Australien. Während die konservative Regierung den Klimawandel kleinredete, wuchs das Engagement bei Unternehmen, Investoren und Bürgerinnen.

Das erklärt auch den Erfolg der sogenannten «Teal-Unabhängigen» – die eigentlichen Gewinner der diesjährigen Wahl.

Die meisten davon sind Frauen wie Zoe Daniel. Sie haben die konservativen Amtsinhaber in den besseren Gegenden Sydneys und Melbournes entthront. Sie sind fiskalisch konservativ und marktwirtschaftlich orientiert, aber nicht mehr bereit, den Klimaschutz schleifen zu lassen. Wie ihre Wähler: «Grundsätzlich wohlsituierte bequeme Menschen, die sozial-progressiv sind und zunehmend ein Klimabewusstsein entwickelt haben», fasst es Dean Bialek zusammen. Der Australier hat jahrelang für pazifische Inselstaaten bei internationalen Klimaverhandlungen verhandelt. Heute arbeitet er für CWP Global,ein Unternehmen für erneuerbare Energien, das in Australien in einige Grossprojekte involviert ist.

Nach den Buschbränden haben schwere Überschwemmungen Australien heimgesucht, extreme Wetterereignisse, die vom Klimawandel verstärkt werden.

Nach den Buschbränden haben schwere Überschwemmungen Australien heimgesucht, extreme Wetterereignisse, die vom Klimawandel verstärkt werden.

Dan Peled / Getty Images

Australien macht Klimapolitik

Seit über einem Jahrzehnt prägen die sogenannten «Klimakriege» die politische Landschaft Australiens. Mehrere Premierminister sind in dieser Zeit über ihre Versuche gestürzt, die Klimapolitik voranzubringen. Dieses Mal war es umgekehrt: Die konservative Koalition um Scott Morrison wurde auch dafür bestraft, bei der Klimapolitik versagt zu haben.

Der politische Machtwechsel ging schnell.

Anthony Albanese wurde schon letzte Woche als neuer Premierminister vereidigt. Kurz darauf machte er sich auf nach Tokio, zu einem Treffen der Quad-Länder, zu denen die USA, Indien und Japan gehören. Dort wiederholte er den Plan für ein neues Klimaziel für Australien. Die Treibhausgasemissionen sollen bis 2030 nun um 43 Prozent unter das Niveau von 2005 fallen. Das ist sehr viel mehr als das bisherige Ziel von 26–28 Prozent, an dem Scott Morrison trotz internationalem Druck festgehalten hatte – und damit den Ruf Australiens als klimapolitischer Aussenseiter verstärkte.

Seit Jahren gilt Australien als Nachzügler unter den grossen Industriestaaten. Das Land gehört mit einem Prozent der globalen CO2-Emissionen zwar nicht zu den zehn grössten Verschmutzern der Welt. Die Emissionen pro Kopf liegen aber weit über denen der EU. Analytiker des Climate Action Tracker beschrieben das Klimaziel der nun abgewählten Regierung als «hochgradig ungenügend».

«Australien war jahrelang einer der Bremser in der globalen Klimapolitik», sagt Richie Merzian, ein ehemaliger Klima-Diplomat für Australien, der heute bei dem unabhängigen Australia Institute arbeitet. Das änderte sich auch nicht, als sich Scott Morrison kurz vor der COP26-Klimakonferenz im November in Glasgow doch noch dazu durchrang, ein Netto-Null-Ziel für 2050 zu verkünden. Zu schwer wog die Aussicht auf eine internationale Blamage, sagen Beobachter. Gleichzeitig aber fehlten konkrete Schritte, um das Ziel umzusetzen. Auch schlug Scott Morrison eine Verschärfung des 2030-Ziels aus, auf das sich Regierungen nach den zweiwöchigen Verhandlungen eigentlich geeinigt hatten.

Das soll sich nun ändern.

Albanese hat auch eine neue Zusammenarbeit mit den pazifischen Inselstaaten versprochen, die in den vergangenen Jahren von den Konservativen stark vernachlässigt worden waren. Dabei wird es vor allem um den Klimaschutz gehen müssen. Die Inselstaaten warnen seit Jahren lautstark davor, dass ihre Heimat von den Auswirkungen des Klimawandels, dem steigenden Meeresspiegel etwa, zerstört werden wird. Es wird gemunkelt, dass sich die Regierung in Canberra sogar dafür bewerben möchte, eine der kommenden Klimakonferenzen zusammen mit den pazifischen Inselstaaten auszutragen, um dem neuen Image auch Taten folgen zu lassen.

Experten wie Bill Hare sagen, das nun verkündete neue Emissionsziel sei zwar eine Verbesserung, es reiche aber nicht aus, um Australiens Klimapolitik mit dem 1,5-Grad Ziel des Pariser Klimaabkommens in Einklang zu bringen. Dafür sei eine Minderung der Emissionen von 60 Prozent oder mehr notwendig. Ein solches Ziel hatten die Teal-Independents in ihrem Wahlprogramm; die Grünen, die auch Stimmen gewonnen haben, forderten dagegen eine Minderung um 75 Prozent bis 2030, die Klimaneutralität schon ab 2035 sowie ein Ende neuer Kohleprojekte und Gasfelder.

Eine Reihe weiterer politischer Schritte soll die Energiewende vorantreiben und das angekündigte Klimaziel umsetzen. Dazu gehört unter anderem das Vorhaben, den Anteil erneuerbarer Energien im australischen Strommarkt bis 2030 auf 82 Prozent zu erhöhen und die Klimaauflagen im Industriesektor zu verschärfen. Bisher hätten die meisten Industrieunternehmen keine wirklichen Anstrengungen unternehmen müssen, ihre Emissionen zu senken, sagen Experten.

«Gemeinsam können wir die Klimakriege in Australien beenden und die Möglichkeiten nutzen, eine Supermacht der erneuerbaren Energien zu werden», sagte Albanese in seiner Siegesrede. Diesen Dienstag wurde sein Kabinett verkündet. Chris Bowen, der neue Minister für Energie und Klimaschutz, schrieb auf Twitter, dass die neue Regierung dem Land eine Klimapolitik geben wolle, «auf die wir stolz sein können». Die Klimakrise stelle eine wirtschaftliche Chance für Australien dar.

Kohle scheffeln

Dass die Energiewende auch Jobs und Geld bringen kann – das ist nicht nur nach den Wahlen die Botschaft der Labor-Partei. Sie hat auch den Wahlkampf geprägt, sagen Beobachter. Denn die Energiewende ist eine politische Gratwanderung für Albanese und Labor.

Australien ist einer der weltweit grössten Exporteure von Kohle und Erdgas. Fossile Energien machen einen Anteil von knapp einem Viertel der Exporte aus. Die Branche bietet heute noch viele Arbeitsplätze und sorgt für Wählerstimmen, welche die Labor-Partei nicht vergraulen möchte.

Doch Dean Bialek sagt, das grosse Problem der vergangenen Jahre sei die Annahme gewesen, dass Australiens Wohlstand und Reichtum auf den fossilen Energien fusse. Jetzt gehe es darum zu zeigen, welche Branchen diese Geldbringer künftig ersetzen und neue Exportschlager werden können.

Denn der Markt für fossile Energieexporte wird schwinden, wenn die grossen Absatzmärkte zunehmend auf erneuerbare und andere klimafreundliche Technologien umschwenken. Davor warnen nicht nur Befürworter einer forschen Energiewende, das schrieb auch die Australische Zentralbank im Herbst. So gehen drei Viertel der fossilen Exporte an Südkorea, Japan und China – alle drei asiatischen Wirtschaftsmächte streben Klimaneutralität bis zur Jahrhundertmitte bzw. bis 2060 im Falle Chinas an.

Labor spricht derweil nicht von einem Kohleausstieg per se, sondern von der Notwendigkeit eines «fairen Wandels» hin zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft. «Die Labor Party sagt nicht, lass uns fossile Energien stoppen. Sie vermeidet die Konfrontation und setzt stattdessen auf den Aufbau neuer Industrien», sagt etwa Richie Merzian vom Australia Institute.

Der Klimawissenschafter Bill Hare geht deswegen nicht davon aus, dass Labor der exportierenden Kohle- oder Gasindustrie grosse Probleme bereiten werde. Auch wenn der politische und marktwirtschaftliche Druck in Australien wohl ganz von selbst über die Jahre steigen wird.

Denn im Strommarkt konkurriert die Kohle mit den erneuerbaren Energien. Und allen befragten Experten ist klar, dass die erneuerbaren Energien wettbewerbsfähiger sind. In der politischen Debatte gehe es vor allem noch um die Frage, wann, finanziell gesehen, der richtige Zeitpunkt sei, um bei der Kohle auszusteigen, sagt etwa Dean Bialek vom Energienunternehmen CWP Global.

Dabei hilft es, dass sich industriepolitische Interessen verschieben. Neue Grossprojekte für die Produktion von grünem Wasserstoff und Solar- und Windkraft, wie etwa das Projekt Asian Renewable Energy Hub, oder grünem Stahl sind in Arbeit. Die Sorge vor finanziellen Verlusten durch fossile Investitionen wächst, Investoren erhöhen zunehmend den Druck auf die Regierung und Unternehmen, den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu verwalten. Auch die grossen Industrieverbände sind die Klimakriege leid.

Das zeichnete sich schon im Vorlauf zur Cop-26-Klimakonferenz in Glasgow ab. Während die konservative Koalition noch intern mit einem Netto-Null-Ziel haderte, drangen die zwei grossen Wirtschaftsverbände Australiens – der Business Council of Australia und die Australia Industry Group – darauf. «Das war bemerkenswert», erinnert sich Dean Bialek.

Zwei Schritte nach vorne, einer zurück?

Wird Australien in der Klimapolitik aufholen? Rhetorisch ist das schon heute der Fall. Es stellt sich aber, wie so oft, die Frage nach der konsequenten Umsetzung. Aus den Gesprächen wird jedenfalls deutlich: Labors Klimapläne bedeuten nicht den drastischen Bruch mit der Klimapolitik der Vergangenheit, den Aktivisten sehen wollen.

«Es ist kein phantastisches Bündel von Massnahmen, stellt aber sicherlich eine grosse Verbesserung gegenüber der jüngsten Vergangenheit dar – auch wenn das nicht schwer ist», kommentiert etwa der Klimawissenschafter Bill Hare. Er weist darauf hin, dass die Emissionen im Transportbereich, im Gebäudesektor, in der Landwirtschaft und der Industrie weiter steigen. Bisher habe es keine Auflagen gegeben, die klimapolitisch gegriffen hätten.

Australiens Emissionen fallen nicht. Das zeigt sich, wenn die Klimabilanz ohne CO2-Entnahme, etwa durch Wälder, dargestellt wird.

Australiens Emissionen fallen nicht. Das zeigt sich, wenn die Klimabilanz ohne CO2-Entnahme, etwa durch Wälder, dargestellt wird.

Gleichzeitig wird erwartet, dass der politische Druck auf Labor in den kommenden Jahren steigen wird. Die Partei hat mit 77 Sitzen im Unterhaus eine Mehrheit errungen, wie am Dienstag bekanntwurde. Das bedeutet aber nicht, dass Labor ganz alleine wird regieren können. Einerseits hat Albanese schon angekündigt, dass er mit dem Parlament, das durch die grünen und unabhängigen Abgeordneten sehr viel klimabewusster geworden ist, zusammenarbeiten möchte. Gleichzeitig hängt Labor auch von den Stimmen der Grünen im oberen Haus des Parlaments, dem Senat ab, um Gesetze durchzubringen.

Die Klimapolitik wird somit zu einem politischen Balanceakt. Die Frage dabei ist, wie sich das konkret in den politischen Handlungen ausdrücken wird. Der australische Klimawissenschafter Glen Peters fasst es so zusammen: «Abwarten und Tee trinken. Die Zeit wird zeigen, wieweit Labor in der Klimapolitik von den Grünen und den Unabhängigen gedrängt werden kann und was das für die nächsten Wahlen bedeuten wird . . .»

Agenda: Was noch wichtig ist

In Brüssel wird über Energieembargos verhandelt, um Russland den Geldhahn abzudrehen.

In Brüssel wird über Energieembargos verhandelt, um Russland den Geldhahn abzudrehen.

imago

Regierungschefs untereinander: EU-Regierungschefs haben sich nach zähen Verhandlungen diese Woche doch für einen Erdölimport-Stopp – mit einigen Ausnahmen – entschieden. Regierungschefs bestätigten gleichzeitig, dass der Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigt werden soll.

Kein Geld für fossile Brennstoffe: Schon am Freitag hatten sich die Umwelt- und Energieminister der G-7-Staaten zum Ziel einer «überwiegend dekarbonisierten Stromversorgung bis 2035» bekannt. Ein Kohleausstieg soll zwar kommen, aber auf eine harte Deadline konnten sich die Regierungen weiterhin nicht verständigen.

. . . aber mehr LNG erwünscht: Die Erdgasindustrie musste dennoch nicht klagen. In der Abschlusserklärung wurde gleichzeitig die wichtige Rolle von verstärkten Flüssiggas-Lieferungen (LNG) betont, um «potenzielle Versorgungsunterbrechungen bei Pipeline-Gas, insbesondere für die europäischen Märkte, abzumildern».

Auch unterzeichneten Vertreter Deutschlands und der USA noch eine Erklärung zu einer neuen Klima- und Energiepartnerschaft.

Solare Kosten: «Planet A»-Leser werden es wissen, Brüssel setzt besonders auf die Solarenergie, um den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen. Analytiker von Wood Mackenzie warnen nun davor, dass steigende Kosten für Rohstoffe diese Aussichten bremsen könnten. Schon heute seien die Preise für solare Anlagen gestiegen.

Solarenergie für China: China plant derweil den Bau von 108 Gigawatt Solarleistung, mehr als doppelt so viel Kapazität wie im vergangenen Jahr.

Zum Abschied:

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