eine Velotour auf den Spuren der Trappisten

In zwei Sachen ist Belgien weit oben in der Weltrangliste: beim Bier und beim Velofahren. In dem Land gibt es 380 Brauereien, davon 7 in Klöstern, sogenannte «Trappistenbrauereien». Eine Rundreise auf zwei Rädern.

Radfahrerglück: Parallel zu den meisten Hauptstrassen verlaufen in Belgien asphaltierte Radpisten.

Dres Balmer

Etwa um die Mittagszeit überquert der Eisenbahnzug langsam die Grenze von Luxemburg nach Belgien, hält in der Stadt Arlon an, und hier steigen fünf Velofahrer aus. Sie sind die Einzigen. Der mächtige, schäbige Bahnhof ist menschenleer, die Zeiger der grossen Uhr sind bei 17 Uhr 10 stehen geblieben. In Wallonien weht ein kühler Wind, aus dem weissen Himmel nieselt es. Zum Glück ist Belgiens Süden hügelig, so wird der Körper beim Pedalen warm. Nach kurzer Zeit stellt sich unter den Belgien-Anfängern Freude ein, denn parallel zu den meisten Hauptstrassen verlaufen asphaltierte Radpisten. Dort, wo die Topografie eng wird, sind auf der Strasse Velokorridore aufgepinselt, zudem sind die belgischen Autofahrer höflicher als die in der Schweiz.

Stundenlang radeln die Velofahrer durch Wälder, über Wiesen, auf denen graue Kühe weiden, selten nur sehen sie eine Scheune oder ein Haus. Ohne den Gesang der Vögel wäre es eine traurige Szenerie. Auf den Trottoirs der wenigen Dörfer mit den abgeschossenen Fassaden ist kein Mensch zu sehen. Die Radler möchten eine heisse Schokolade trinken, doch alle Cafés sind geschlossen, und ausser Schokolade hat man keinen Grund, hier anzuhalten. Wallonien wirkt wie der abgehalfterte Teil des Landes, der Wohlstand ist weiter nördlich, in Flandern, zu finden. Kuppe um Kuppe, Tal um Tal geht die Tour nach Westen ins Land, die Richtung stimmt. Der Himmel hellt auf, es wird wärmer. Auf einer langen Abfahrt rollt es auf guter Strasse hinunter in das Tal des Flusses La Marche. Dort befindet sich die Abtei Orval, die erste Trappistenbrauerei auf dieser Reise.

Orval wird 1070 vom Zisterzienserorden gegründet, später von den Trappisten übernommen. Es ist das älteste Kloster auf dieser Reise. Der Ort bietet einen Intensivkurs zu den Themen Trappisten und europäische Geschichte. Er beginnt mit der Markgräfin Mathilde von Tuszien, die 1046 bis 1115 gelebt hat. Sie hat viel Macht und Reichtum in Italien, reist als Diplomatin in ganz Europa herum und ist 1076 Gast im Kloster Orval. Als sie dort am Bach sitzt, fällt ihr der goldene Ehering tief ins trübe Wasser, und das grämt sie sehr. Der Kummer währt aber nicht lange, denn da kommt eine Forelle angeschwommen und bringt Mathilde den Ring zurück. Dieses Wunder macht sie so glücklich, dass sie verkündet, von nun an heisse der Ort Orval, goldenes Tal. Dankbar spendet sie dem Kloster viel Geld, Orval wird eine der reichsten Abteien des Heiligen Römischen Reiches, und der Name ist geblieben. Die Forelle mit dem Ehering prangt bis heute auf dem Wappen und auch auf der Bieretikette.

Orval wird 1070 vom Zisterzienserorden gegründet, später von den Trappisten übernommen. Es ist das älteste Kloster auf der Veloreise.

Orval wird 1070 vom Zisterzienserorden gegründet, später von den Trappisten übernommen. Es ist das älteste Kloster auf der Veloreise.

Dado Daniela / Getty

Orval ist ein beliebtes Ausflugsziel ...

Orval ist ein beliebtes Ausflugsziel …

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... auch weil man im Restaurant Käse und Bier verkosten kann.

… auch weil man im Restaurant Käse und Bier verkosten kann.

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Orval wird 1070 vom Zisterzienserorden gegründet, später von den Trappisten übernommen. Es ist das älteste Kloster auf dieser Reise. Im Restaurant kann man Käse und Bier verkosten.

Dado Daniela / Getty Imago

Rummel, Hügel und Flüsse

Orvals Blüte dauert bis zur Französischen Revolution, während deren das Kloster schwer beschädigt wird. Ab 1926 werden ein neues Kloster, eine Brauerei und eine Käserei gebaut, die Überreste der alten Bausubstanz restauriert und für Besucher begehbar gemacht. Hier wird klar, wie die Trappisten ihr spirituelles und irdisches Leben organisieren und trennen. Sie beten, und sie arbeiten. Der Verkauf ihrer Erzeugnisse finanziert ihre materiellen Bedürfnisse sowie Sozialwerke. Gäste sind willkommen in den Läden und Restaurants, zum Kloster haben sie keinen Zugang. Der Rummel in Orval ist gross, und das hat zwei Gründe. Die Ruinen bedienen gängigen touristischen Geschmack, im guten Restaurant kann man danach Käse und Bier verkosten.

In zwei Sachen ist Belgien weit oben in der Weltrangliste: im Bierbrauen und beim Velofahren. Die fünf Velofahrer trinken gerne Bier, und sie haben schon lange beraten, wie sie auf dem Velo die Braukunst entdecken könnten. Im Land gibt es 380 Brauereien, da wird einem sturm im Kopf. Doch da kommen bei der Auswahl die Trappisten zu Hilfe. Rings um das Königreich und bei den Nachbarn im Norden haben sie acht Abteien samt Brauerei; in Orval, Chimay, Westmalle und Berkel-Enschot ist auch eine Käserei dabei.

1

Florenville (B): Abbaye d’Orval

2

Chimay (B): Abbaye Notre-Dame de Scourmont

3

Westvleteren (B): Sint-Sixtusabdij

4

Westmalle (B): Abdij Onze-Lieve-Frou van het Hilig Hart

5

Zundert (NL): Abdij Maria Toevlucht

6

Berkel-Enschot (NL): Abdij Koningshoeven

7

Achel (B): Sint-Benedictusabdij

8

Rochefort (B): Abbaye Notre-Dame de St-Rémy

Es ging durch Wälder und über Weiten, jetzt, hinter der Stadt Bouillon, führt die Strasse in das Flusstal der Semois. Wieder nieselt es, die Luft ist wärmer. Nebel über der Landschaft dämpft wie Watte die Geräusche. Da ist in der Landschaft etwas Geheimnisvolles, lange sagt niemand ein Wort. Die Semois fliesst fast flach, doch die Strasse kurvt um Felsen herum, immer auf und ab. In Monthermé fliesst die kleine Semois in die mächtige Maas. Dicht am Maas-Kanal verläuft eine asphaltierte Velopiste, so luxuriös, dass sie Hunderte Damen und Herren auf Velos anzieht. Alle grüssen, alle teilen die Freude am gemeinsamen Tun. Das ist gelebte Velokultur. Die Gruppe wird in ein paar Tagen weiter im Norden an die Maas zurückkehren und freut sich jetzt schon darauf.

Strenge, Friedhof und Kronkork

In der Abtei von Chimay bekommen die Belgien-Anfänger ihre zweite Trappisten-Lektion. Die Anlage wird im Jahr 1923 gebaut, ist also die jüngste der acht. Die Besucher sind überrascht von der Nüchternheit der Bauten, der Kälte der Fassaden, dem Millimeterschnitt des Rasens und der Büsche im Park. Der Friedhof, die Gräber in Reih und Glied, erinnert an einen Soldatenfriedhof. Heute steht die Kirche für Besucher offen. Die Velofahrer gehen hinein und können nicht glauben, dass dies eine katholische Kirche ist, denn sie ist noch nüchterner als eine zwinglianische oder eine calvinistische. Nirgends gibt es ein Bild oder eine Kerze, jede Zierde, die frommen Gedanken dienlich wäre, fehlt.

Im Sommer des Jahres 1850 liess sich eine kleine Gruppe Mönche auf dem Hochplateau von Scourmont bei Chimay nieder.

Im Sommer des Jahres 1850 liess sich eine kleine Gruppe Mönche auf dem Hochplateau von Scourmont bei Chimay nieder.

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Es entstand ein Kloster und rundherum ein Bauerngut, eine Brauerei und eine Käserei.

Es entstand ein Kloster und rundherum ein Bauerngut, eine Brauerei und eine Käserei.

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Seit 1860 verbindet sich mit der Abtei Scourmont in der Nähe der Stadt Chimay ein von den Mönchen gebrautes Trappistenbier sowie die Käsemarke Abbaye de Chimay.

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Diese Schmucklosigkeit weist hin auf die Entwicklungen bei den christlichen Orden. Den Anfang macht im 6. Jahrhundert der Benediktinerorden, aus dem sich im Jahr 1098 die Zisterzienser abspalten. Fast achthundert Jahre später finden immer mehr Mönche, selbst die zisterziensischen Regeln seien zu wenig hart, und sie gründen 1892 den Orden namens Zisterzienser der strengeren Observanz, die als Trappisten und Trappistinnen in den Sprachgebrauch Eingang finden. Die Bezeichnung geht zurück auf das Kloster La Trappe in der Normandie, das 1790 während der Französischen Revolution geschlossen wird. Die Zisterzienser fliehen in die Region dieser Rundreise, wo sie überleben, und zwar erfolgreich. Heute betreibt der Trappistenorden auf der ganzen Welt rund 150 Männer- und Frauenklöster ohne Brauereien. Er übernimmt schon vor 1892 das Biergeschäft in den acht Abteien, zuerst in Westvleteren, Westmalle, dann Achel, Rochefort und Berkel-Enschot, nach dem Jahr 1900 in Zundert, Chimay und schliesslich Orval. Vier weitere Klosterbrauereien gibt es in Österreich, Italien, Grossbritannien und den USA.

Das Land wird flacher, die Bierradler rollen über die Städte Charleroi, Mons/Bergen, Tournai/Doornik, sind schon im flämischen Kortrijk/Courtrai. Auf dem Weg zur Nordseeküste entdecken sie den überraschendsten Betrieb, die Sint-Sixtusabdij in Westvleteren. Manche Kenner sagen, von hier stamme das beste Bier der Welt. Doch es ist gar nicht leicht, über eine kleine Strasse das abgelegene Kloster zu finden. An Wochenenden stehen hier Schlangen von Autos, in denen die Liebhaber ihrem Olymp des Biers entgegenzuckeln. Doch die Verkaufsmengen pro Person sind streng eingeschränkt, und das Unternehmen hat keinen Versandhandel. Hier betreiben die Trappisten eine besondere Form der Schlichtheit. Ihre Biere sind von so hoher Qualität, dass sie die Preise und die Produktion verdoppeln könnten. Genau das tun sie aber nicht. Sie bleiben Jahr um Jahr bei derselben Menge, organisieren eine gerechte Verteilung an die Kundschaft und verhindern Schwarzhandel. Der Gipfel der Bescheidenheit besteht darin, dass die Westvleteren-Flaschen nicht einmal Etiketten haben. Die unterschiedlichen drei Biere erkennt man an der Farbe der Kronkorken.

Le Charme, La Trappe und Les Terrils

Die höchste Konzentration an Trappistenbrauereien befindet sich im dichtbesiedelten Gebiet östlich von Antwerpen auf beiden Seiten der niederländisch-belgischen Grenze. Die vier Betriebe sind von einer industriellen Anonymität, die den Charme von Hochsicherheitsgefängnissen verbreitet. Die Radler besuchen sie im Uhrzeigersinn. Das Schönste an Westmalle ist die riesige Bierkneipe auf der anderen Seite der Hauptstrasse. Der Name der Abtei in Zundert verspricht zwar der Heiligen Jungfrau Zuflucht, doch für Velofahrer gibt es hier kein Bier. Die Abdij Koningshoeven präsentiert stolz die Bezeichnung La Trappe und verweist so auf den Ursprung dieser ganzen Biergeschichte. Zudem hat sie weitaus den schönsten Biergarten, den die Velogruppe auf der ganzen Reise entdeckt. Hier schäumt nicht nur das Bier, sondern auch laute Lebensfreude. Die vierte, die Sint-Benedictusabdij in Achel dagegen, lässt die Besucher kalt, und Achel-Bier gibt es erst im nächsten Dorf.

Von da an ändert die Reise wieder ihren Charakter, denn es geht zurück an die Kanäle, zuerst an die Zuid-Willemsvaart. Diese führt nach Maastricht und an die Maas. Die erneute Vorfreude der Radler wird reich belohnt, sie rollen am Wasser nach Liège. Weiter südwestlich bringt die Maas-Piste sie in eine unheimliche Gegend. Auf beiden Seiten des Flusses erheben sich finstere Kohleschutthügel mit gigantischen Bergbaumaschinen, die seit fünfzig Jahren vor sich hin rosten. Auf diesen Abraumhalden häufen sich die Reste dessen, was während achthundert Jahren aus zwölftausend Kohleschächten ans Tageslicht befördert wurde. Diese Hügel heissen auf Französisch «Terrils», sind eine von Menschen geschaffene kleine Bergkette und das Grabmal des wallonischen Bergbaus.

Zum Teil ist es nicht leicht, die Trappistenklöster zu finden.

Zum Teil ist es nicht leicht, die Trappistenklöster zu finden.

Dres Balmer

Das Rochefort-Bier gibt es nicht in der Abtei, sondern im nahen Dorf.

Das Rochefort-Bier gibt es nicht in der Abtei, sondern im nahen Dorf.

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Zum Teil ist es gar nicht leicht, die Trappistenklöster zu finden, und auch Bier gibt es nicht überall. In der Abtei von Rochefort zum Beispiel ist das Restaurant geschlossen. Das Bier wartet im nahen Dorf.

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In Andenne verlassen die Velofahrer die Maas, biegen links nach Süden ab, kehren zurück in die Hügel der Ardennen. Um Viertel vor vier erreichen sie in Rochefort die letzte Abtei, Notre-Dame de St-Rémy. Als sie ankommen, läuten die drei grossen Glocken im frei stehenden Turm. «Hört, hört, das ist ja wie bei der Tour de France», ruft einer der Fahrer. Da merken sie, dass die Glocken nicht die Helden der Landstrasse begrüssen, sondern zur öffentlichen Abendmesse einladen. Sie treten in die Kirche und stellen erleichtert fest, dass hier wenigstens ein paar Kerzen brennen und es nach Weihrauch duftet. Leider ist die klostereigene Kneipe seit Jahren geschlossen, doch das Rochefort-Bier wartet geduldig im nahen Dorf.

Auf der letzten Etappe von Rochefort nach Arlon, neunzig hügelige Kilometer, ist das Wetter scheusslich. Um die Mittagszeit sollten die fünf in Arlon sein, also brechen sie um sieben Uhr auf. Bloss zwei Radler fürchten den starken Regen, bleiben im Bett und nehmen später den Zug. Die verbliebenen drei Mutigen kämpfen sich durch.

Als sie, etwa um die Mittagszeit, den Bahnhof von Arlon erreichen, ist es auf der grossen Uhr immer noch 17 Uhr 10.

Gut zu wissen

Steckbrief: Die Rundreise beginnt im Südosten, in Arlon, führt hügelig durch die Ardennen zur Nordseeküste, folgt dieser ein Stück weit. Durch das flache Flandern geht es von West nach Ost, meist auf Velorouten und Treidelwegen bis Antwerpen. Weiter östlich führt ein Stück in die Niederlande, dann, wieder in Belgien, an der Zuid-Willemsvaart, geht es zum niederländischen Maastricht, an der Maas über Liège nach Andenne, schliesslich über Walloniens Kuppen zurück nach Süden zum Startort Arlon.

Distanz: 1121 Kilometer.

Höhendifferenz: 4650 Meter.

Belgische Radrouten: Mehr zum Réseau Autonome des Voies Lentes (RAVeL): http://www.velo-ravel.net.

Dokumentation: ADFC-Tourenkarten «Belgien Flandern» und «Belgien Wallonie», 1:150 000 mit GPS-Tracks Download, von BikeMedia 2021, je Blatt 17 Franken 90.

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