Erfahrungsbericht: Neuer Mensch durch Selfcare? Versuch eins: Meditation

Wenn Hollywood anruft und eine Frau sucht, die durch Selfcare ein neuer Mensch geworden ist – BRIGITTE-Autorin Verena Carl wäre es sicher nicht. Trotzdem hat ihr ausführlicher Selbstversuch etwas in ihrem Leben verändert. Eine Bilanz in vier Akten.

Die Reise begann an einem hamburgfeuchten Abend im Herbst in unserer Lieblingsbar. Obwohl, was heißt schon Lieblingsbar? Ein nettes Café eben, mit ordentlichem Rosé und einem unschlagbaren Standortvorteil, genau in der Mitte zwischen meiner Wohnung gelegen und der von Anne, meiner Freundin, Autorenkollegin, Weggefährtin. So schafften wir es immerhin, uns mal zu verabreden, zwischen Arbeits-Deadlines, Hausaufgabenhilfe, Steuerunterlagen, Auto zur Inspektion anmelden. Endlose To-do-Listen voller Dringlichkeiten, auf denen zuverlässig immer das nach hinten rutschte, das auch noch wichtig war: zur Ruhe kommen. Sich spüren. Bei sich sein.

Kümmern um uns selbst kommt zu kurz

Mit der pragmatischen Lokal-Wahl – Hauptsache nah, Hauptsache unaufwendig – stand unser gemeinsames Problem schon wieder wie der sprichwörtliche Elefant im Raum. Ein Problem, das nicht kleiner wurde, weil wir es mit so vielen Freundinnen, Kolleginnen, Schwestern teilen. Gefordert, häufig über unsere Kräfte hinaus, sind wir alle, Abstriche und Kompromisse machen wir oft zuerst bei uns selbst. Selbst dann, wenn unser Leben mehr oder weniger so ist, wie wir es uns freiwillig eingerichtet haben, und uns Schicksalsschläge erspart bleiben, ist der Berg immer noch hoch genug, den wir täglich erklimmen. Der gestiegene Arbeitsdruck in fast allen Jobs, die höheren Anforderungen an uns als Eltern, oder die Schwierigkeit, alternden Müttern und Vätern zur Seite zu stehen.

Noch immer werden wir als Frauen zu Kümmerinnen erzogen, nur eines bringt man uns eindeutig zu wenig bei: das Kümmern um uns selbst. Und so sucht sich der Druck ungute Ventile. Stress-Essen, Feierabendwein in ungesunden Mengen oder der raue Ton, den wir manchmal unseren Partner:innen, Kindern, Kolleg:innen gegenüber anschlagen. Von Anne, die nicht nur Journalistin ist, sondern auch als Psychologin Coachings entwickelt, hörte ich an jenem Abend zum ersten Mal bewusst diesen Begriff: Selbstfürsorge oder, in der cooleren Hashtag-Variante, Selfcare. Sozusagen eine mentale Schutzimpfung gegen das Durchdrehen, gegen all das, was uns zu viel ist, zu schnell, zu aufreibend.

So entstand die Idee, zunächst für ein Experiment, aus dem schließlich ein gemeinsames Buch wurde (siehe unten). Wie wäre es, überlegten wir, wenn Anne ein Jahr lang jeden Monat eine Technik aussuchen würde, um das Bei-sich-Sein, den Blick für die eigenen Bedürfnisse, die heilsame Distanz zum täglichen Wahnsinn zu üben? Dabei ahnten wir noch nicht einmal, wie dringend wir das brauchen würden bei dem, was uns bevorstand. Denn zufällig fiel unser Ein-Jahres-Selbstversuch genau auf das erste Jahr der Pandemie.

Sollten wir Wut und Unzufriedenheit nicht in einen Antrieb verwandeln, um Veränderung zu fordern?

Anfangs hatte ich noch meine Zweifel. Obwohl ich sonst eher der Typ bin, der voranstürmt und Dinge anpackt. Zum einen ganz praktisch: Wenn ich es kaum schaffte, mich mit einer Freundin auf ein Getränk zu verabreden, wie sollte das erst werden, wenn ich mir noch zusätzlich Zeit freischaufeln sollte, zum Beispiel für Meditationsübungen, Naturerlebnisse, inspirierende Mikro-Abenteuer? Oder aus Achtsamkeitsgründen für ausgedehnte Pausen im Arbeitstag sorgen, Zeit, die ich dann in Nacht- oder Wochenendschichten wieder würde reinholen müssen? Andere Zweifel waren eher theoretischer Natur. Strukturelle Probleme wie die zunehmende Unsicherheit und Aufgabendichte im Arbeitsleben, das unterfinanzierte und unzulängliche Netz von Kinderbetreuung und Altenpflege, lassen sich nicht lösen, wenn wir Belastungen zur Privatsache erklären. Und damit sagen: Selbst schuld, wenn du gestresst bist, kümmere dich halt besser um dich. Sollten wir Wut und Unzufriedenheit nicht in einen Antrieb verwandeln, um Veränderung zu fordern? Der Begriff “Selbstfürsorge” klingt auch ein wenig betulich und biedermeierlich.

Und noch etwas Drittes machte mich skeptisch. Wenn ich es schaffte, künftig einen besseren Blick für meine Bedürfnisse zu haben – würde mich das am Ende in eine jener Frauen verwandeln, die egoman durchs Leben bolzen und mit mildem Lächeln Bitten um Unterstützung und Verbindlichkeit abschmettern: “Du, das tut mir gerade nicht gut …”, oder “Ich sag unsere Verabredung lieber ab, mir ist nicht so nach Gesellschaft …”? Auf diese Nabelschau hatte ich keine Lust, nicht bei anderen, nicht bei mir.

Anne verstand mich, aber als gute Psychologin hatte sie die besseren Argumente auf ihrer Seite. Selfcare, richtig verstanden, ist eben kein Egotrip, sondern ein geschlossener Wärmekreislauf, der auch andere miteinbezieht. Die US-amerikanische Psychologieprofessorin Kristin Neff, eine der bedeutendsten Forscherinnen auf diesem Gebiet, konnte empirisch belegen, dass eine liebevolle Haltung sich selbst gegenüber auch die Sensibilität für andere erhöht, zum Beispiel dem Partner, den Kindern oder dem sozialen Umfeld gegenüber.

Zusätzlicher Stress durch Selfcare?

Umgekehrt ist es nicht nur unangenehm, sondern langfristig sogar gesundheitsschädlich, wenn man seine Grenzen ignoriert und permanent von Stress und Ärger überflutet wird: Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel kann Herz-Kreislauf-Krankheiten verursachen und sorgt für einen Tunnelblick, in dem man das Gegenüber nur noch als Freund oder Feind wahrnehmen kann. Im hormonellen Dauerfeuer kann man sich zwar die Köpfe heiß reden, aber nicht gut Veränderung anschieben – auch dafür braucht es Selbstdistanz, einen kühlen Kopf und ein Gespür für die eigenen Ressourcen.

Meine Angst vor zusätzlichem Stress zerstreute Anne noch schneller. Es geht nicht um die nächste Challenge, nicht um ein weiteres Selbstoptimierungs-Tool, sondern im Gegenteil um ein feines Gespür dafür, was einem hilft und in welcher Dosis. Eine mentale Hausapotheke, aus der man sich nach Bedarf bedient. Denn was für die eine funktioniert, kann für andere völlig wirkungslos sein. So attestieren zum Beispiel einige Studien Tätigkeiten wie Stricken oder Gärtnern eine heilsame, angstlindernde, antidepressive Wirkung – aber mich macht schon das Maschenaufnehmen rasend und triggert mein Grundschul-Handarbeitstrauma. Umgekehrt können eher nüchterne Menschen wohl weniger aus Übungen ziehen wie Traumarbeit und Museumsbesuche, während kreative, abstrakt denkende Menschen hier eine Kraftquelle für sich auftun können.

Was sich bei mir verändert hat, zwei Jahre nach jenem Abend in der günstig gelegenen Nicht-so-richtig-Lieblingsbar und einige Monate nach dem Abschluss dieser Reise zu mir selbst? Sagen wir so: Wenn morgen Hollywood anriefe, um die dramatische Geschichte einer arbeitenden Mutter am Rande des Nervenzusammenbruchs zu verfilmen, die dank Selfcare ein völlig anderer Mensch wird, ich müsste Hollywood enttäuschen.

Selbstfürsorge kommt auf leisen Sohlen, sie ist ein Prozess, eine wachsende innere Haltung, kein Schalter, den man einfach so umlegt. Ich hatte auch davor eine Ahnung, was mir guttut, und auch jetzt gibt es noch immer Tage, da bin ich ungnädig mit mir und anderen oder merke zu spät, dass ich mir zu viel aufbürde. Aber trotzdem hat sich meine Betriebstemperatur verändert, kann ich heute oft besser über den Dingen stehen oder mir selbst mehr Platz einräumen – meinen Essensvorlieben, Zeitoasen für mich im gedrängten Alltag, Platz für Schönheit und Inspiration. Nein: Ich bin nicht immer ganz bei mir. Aber ich mache mich auf den Weg, täglich aufs Neue.

“Ich bin dann mal bei mir: 12 Auszeiten für die Seele” (259 S., 19 Euro, Beltz)

© PR

Erster Versuch: Meditation

Wer sich selbst fürsorglich begegnen will, dem helfen Meditationen, bei denen man mit sich in Kontakt kommt. Etwa die “Liebende-Güte”- oder “Metta”-Meditation aus dem Buddhismus. Es gibt sie in der klassischen Variante (angeleitet zum Mitmachen per Youtube oder Spotify), aber auch in zeitgemäßer Abwandlung unter dem Stichwort “Mindful Self Compassion” (MSC), z. B. unter christinebraehler.com. Meine Aufgabe: Verschiedene Varianten ausprobieren und beobachten, was sich verändert – in meinem Gefühl für mich selbst, aber auch für andere.

Am Anfang meines ersten Selbstversuches stehen Selbstzweifel und ein Frosch im Hals. Schon in Yogakursen habe ich es nie geschafft, beim Stillsitzen meinen Kopf zu leeren und Gedanken einfach vorbeiziehen zu lassen – ob ich wohl für diese Meditationsvariante mehr Talent habe? Der Frosch, weil es schon seltsam ist, ganz allein und bewusst atmend mit einem digitalen Endgerät auf dem Boden zu sitzen und laut Sätze nachzusprechen wie: “Möge ich frei von Ärger, Kummer, Furcht und Angst sein”, “Möge ich lernen, mich selbst mit den Augen des Verstehens und der Liebe zu betrachten.” Und sie dann in der Anredeform zu wiederholen: “Mögest du …”

Erst eine Überwindung, dann ein Gefühl von Befreiung

Dabei soll ich an Menschen denken, die mir nah sind, an solche, denen ich neutral gegenüberstehe, und schließlich solche, die ich gar nicht mag. Wirkt ein wenig wie eine Filmszene aus einer 90er-Jahre-Komödie: Bridget Jones meditiert sich das Singleleben schön. Dabei bin ich seit 17 Jahren verheiratet.

Aber nach viel Räuspern und Husten, am vierten, fünften Übungstag habe ich das Fremdschäm-Gefühl überwunden und nun rührt es mich doch an: Diese Segenssprüche, für mich, für Menschen, die ich liebe, aber auch für die, mit denen ich über Kreuz bin, haben eine suggestive Kraft. Auch weil sie eben nicht im flotten Zielsetzungston gehalten sind (“Ich will in den nächsten drei Monaten um fünfundzwanzig Prozent glücklicher werden!”), sondern mit diesem bescheidenen “möge” beginnen. Darin steckt Demut und die Erkenntnis, dass wir nicht alles in der Hand haben. Dieser Gedanke befreit und nimmt inneren Druck.

Noch etwas anders wird mir in der gebetsmühlenartigen Wiederholung bewusster: Wir alle sind fehlerhaft, trostbedürftig, haben unsere eigenen Kämpfe und handeln selten aus Bosheit. Morgens lächle ich im Spiegel meinem mittelalten Müdgesicht zu und mache mir den ersten Kaffee mit derselben Liebe wie den Kakao für meinen Sohn. Und wenn ich vor Arbeitsbeginn gute Gefühle in Richtung eines Kollegen schicke, mit dem ich Streit habe, dann bin ich später im Videocall schon nicht mehr so auf Krawall gebürstet. Fühlt sich gut an.

Bilder im Kopf

Dennoch bin ich nicht restlos überzeugt. Zum einen aus Ungeduld: Ja, verstanden, nächste Lektion, bitte. Zum anderen, weil mich auch etwas stört an dieser seligen Universal-Liebe. Gilt die auch für Despoten, Terrormilizen & Co.? Also probiere ich als Nächstes Übungen aus, die als Soundfile auf der Seite der Psychologin Christine Brähler stehen. Hier muss ich nichts nachsprechen, stattdessen lädt sie mit freundlicher Stimme ein zu Fantasiereisen. Etwa: Die Begegnung mit einem mitfühlenden Freund (m/w/d), der unendlich verständnisvoll ist, dem ich mich öffnen kann. Innerhalb von drei Tagen begegne ich zuerst einem jungen Mann am Kaminfeuer, dann einer Schamanin in einem Zypressenhain und schließlich noch einem Felsen in einer Berglandschaft, der mich stützt und schützt. Es sind alles Bilder, die mein eigener Kopf heraufbeschwört, vergleichbar einer Art luzidem Träumen.

Metta klassisch war gut, Mindful Self Compassion ist für mich die Kirsche auf der Sahne. Eine Art Wellnessanwendung für die Seele, zu der ich im Laufe der kommenden Monaten immer wieder zurückkehren werde, wenn mir gerade alles zu viel wird. Es hilft, mir selbst eine gute Freundin, Mutter, Gefährtin zu sein – und macht mich umgekehrt ebenfalls zu einer besseren Freundin, Mutter, Partnerin, Kollegin.

Das sagt die Wissenschaft

Zahlreiche Studien, wie sie etwa Christine Brähler zusammengestellt hat, zeigen: Durch Meditation lassen sich Selbstmitgefühl und Achtsamkeit steigern. Das reduziert Ängste und depressive Symptome, macht resilienter gegenüber Stress und trägt zu mehr genereller Lebenszufriedenheit bei. Einen guten Einstieg ins Meditieren bietet auch die App “Balloon” (erhältlich für iPhone und Android).

Fazit

Effektive Schutzimpfung gegen Stress, Sorgenkarussell, Burn-out & Co.

So ist dieses Dossier entstanden – Verena Carl & Anne Otto

Verenas Selbstversuche: Verena Carl und Anne Otto

Die beiden Autorinnen (Verena, links, und Anne) schreiben schon seit Jahren regelmäßig für die BRIGITTE. Aus ihrem einjährigen Selbstversuch ist dieses Dossier entstanden und vor allem ein ganzes Buch: eine Mischung aus unterhaltsamem Erfahrungsbericht und Sachbuch mit jeder Menge Tipps und Anregungen zur Reflexion.

© Silje Paul Photography/PR

Brigitte

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