Erster Wolf im Baselbiet gesichtet


Die neusten Entwicklungen

Mit der zunehmenden Wolfspopulation in der Schweiz kommt es vermehrt zu Rissen an Nutztieren und auch heikle Begegnungen zwischen Wölfen und Menschen nehmen zu.

Ein Wolf im Tierpark Goldau.

Alexandra Wey / Keystone

Neuste Entwicklung

  • Bündner Wildhüter haben in der Nacht auf Donnerstag in der oberen Surselva einen Einzelwolf erlegt. Wie das Amt für Jagd und Fischerei am Freitag (21. 1.) mitteilte, hatten sich die problematischen Begegnungen des Wolfs mit Menschen in den vergangenen Wochen gehäuft. Mehrere Versuche, das Tier mit einem Telemetrie-Sender zu versehen und mit Gummischrot zu vergrämen, seien erfolglos geblieben. Am vergangenen Sonntagmorgen um 6 Uhr 15 sei der Wolf einer Person gefolgt und habe sich ihr über längere Zeit auf bis zu 2 Meter Distanz genähert. Die Behörden hätten die Gewöhnung dieses Wolfs an den Menschen und die mögliche Gefährdung als alarmierend eingeschätzt. Der Kanton habe deshalb entschieden, den Abschuss des Problemtiers unter Anwendung der polizeilichen Generalklausel vorzunehmen. Diese Klausel erlaubt im Prinzip staatliches Handeln ohne konkrete Gesetzesgrundlage. Der Kanton hat somit den Bund nicht erst um Erlaubnis gefragt. Der Wolf wurde in der Nacht auf den 20. Januar in unmittelbarer Siedlungsnähe erlegt.
  • Im Val d’Anniviers begegnete am Montag eine Spaziergängerin einem Wolf, der keine Scheu vor ihr zeigte. Die Wildhüter wollen nun regelmässig Rundgänge durchführen, um das Verhalten des Tieres zu überwachen, wie die Walliser Kantonsbehörden am Donnerstag (20. 1.) mitteilten. 
  • Im Wallis sind im Jahr 2021 bisher 336 Nutztiere durch Wolfsangriffe getötet worden. Das teilte der Kanton am Mittwoch (22. 12.) in einem Communiqué mit. Durch das Monitoring Dienststelle für Jagd, Fischerei und Wildtiere und der Dienststelle für Landwirtschaft sein 22 verschiedene Wölfe, darunter 13 neue Individuen, genetisch identifiziert worden. Insgesamt wurde die Präsenz von vier Wolfsrudel mit Reproduktion nachgewiesen.
  • In der Nacht auf den 8. Dezember haben die Bündner Wildhüter den dritten Jungwolf des Beverinrudels erlegt. Der Abschuss erfolgte kurz nach 3 Uhr morgens auf dem Gebiet der Gemeinde Muntogna da Schons. Wie vorgesehen wurde das Jungtier in Siedlungsnähe geschossen, um so beim ganzen Rudel eine Vergrämungswirkung zu bewirken. Der Abschuss dreier Jungtiere war vom Bundesamt für Umwelt bewilligt worden. Nicht bewilligt hatten die Bundesbehörden den Abschuss des Leitwolfes. Der erlegte Jungwolf soll am Institut für Fisch- und Wildtiergesundheit der Universität Bern untersucht werden.
  • Im Baselbiet hat ein Wolf sieben Geissen gerissen. Das geht aus einer DNA-Analyse hervor, wie das Amt für Wald beider Basel am Dienstag (7. 12.) mitteilte. Die Geissen waren Ende November in Lauwil gerissen worden, vier Tage, bevor im Kanton Basel-Landschaft ein Wolf gesichtet wurde. «Da Wölfe in kurzer Zeit weite Distanzen zurücklegen können, ist zurzeit unklar, ob sich der Wolf nach wie vor im Baselbiet aufhält oder bereits weitergezogen ist», so das Amt für Wald in seiner Mitteilung. Erstmals ist im Kanton Basel-Landschaft am 22. November ein Wolf gesichtet worden.
  • Im Kanton Appenzell Ausserrhoden ist es am Montag (1. 11.) zu einem Wolfsriss gekommen. Wie der Kanton mitteilte, ist im Gebiet des Urnäscher Gamstobel ein Schaf tot aufgefunden worden. Das gerissene Schaf auf der Weide war nicht durch Herdenschutzmassnahmen geschützt. Die DNA-Analysen zur Bestimmung des Wolfes steht noch aus. Im Ostschweizer Alpgebiet war es im Sommer bereits zu mehreren Wolfsrissen an Schafen und Ziegen gekommen.
  • Der Wolf ist zurück im Kanton Jura. Rund 130 Jahre nach seinem Verschwinden habe sich das Tier wieder in den jurassischen Wäldern blicken lassen, heisst es in einer Mitteilung vom Mittwoch (27. 10.). Der Wolf wurde in der Region Clos du Doubs gesichtet. Es wird vermutet, dass er von der zunehmenden Anzahl Hirsche in der Gegend angelockt worden ist. 

Derzeit leben in der Schweiz laut dem Bundesamt für Umwelt rund 150 Wölfe. Die Zahl der Rudel betrug Anfang des vergangenen Jahres noch 12, inzwischen dürfen es 16 bis 17 sein.

16 bis 17 Wolfsrudel in der Schweiz

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Mürtschen-Schilt-Rudel

Gemäss der für das Wildtier-Management zuständigen Kora-Stiftung wurden 2020 insgesamt noch 105 Wölfe nachgewiesen. 2021 ist die Zahl der Wölfe auf 148 weiter stark gestiegen.

Entwicklung des Wolfbestandes in der Schweiz

Anzahl Tiere (inkl. Welpen und Tote)

Entwicklung der Wolfsrudel in der Schweiz

Anzahl beobachteter Rudel

Derzeit gibt es in der Schweiz und in den angrenzenden Gebieten 16 Wolfsrudel. Im Sommer 2021 wurden sechs neue Rudel nachgewiesen. Die neuen Rudel befinden sich in den Gebieten San Bernardino (GR), Kärpf (GL), Onsernone (TI), Augstbord (VS), Val d’Hérens (VS) und Risoux (VD). Mindestens sechs Rudel leben im Kanton Graubünden.

Wölfe haben 2021 in mehreren Kantonen auffällig viele Nutztiere gerissen. Mit einer grösseren Zahl von Rissen sind laut dem Kanton Graubünden die Tiere des Beverin-Rudels aufgefallen. Dabei wurde auch eine grössere Zahl von Nutztieren angegriffen, die gemäss dem Wolfkonzept Schweiz gut geschützt waren. Schlagzeilen machten zudem die vermehrten Angriffe auf Grossvieh. So wurden im Juli 2021 im Streifgebiet des Beverin-Rudels zwei Esel in einem umzäunten Bereich mit zum Teil schweren Verletzungen vorgefunden. Zuvor waren am Schamserberg ein Esel und ein Kalb gerissen worden.

Vermehrte Wolfsrisse wurden 2021 in Graubünden auch im Bündner Oberland, im Prättigau und im Misox festgestellt. Als besonders auffällig erwies sich ein Einzelwolf im Prättigau, der innerhalb kurzer Zeit zahlreiche Schafe in einem geschützten Bereich riss. Beinahe 700 Schafe wurden in der Folge von der Alp abgezogen.

Auch im Oberwallis haben Wölfe in den vergangenen Monaten Dutzende von Schafen gerissen. Mehr als 140 Schafe sind im Wallis in diesem Jahr laut kantonalem Wolfsmonitoring bereits von Wölfen getötet worden, die Hälfte davon im obersten Teil des Rhonetals, im Goms.

Wie das Verhalten von Wölfen gegenüber Menschen einzuordnen ist, hat der Bund im Konzept Wolf Schweiz definiert. Dabei unterscheidet er vier Verhaltenskategorien: von «unbedenklich» über «auffällig» und «unerwünscht» bis hin zu «problematisch (mit Potenzial zur Gefährdung von Menschen)». Letzteres ist ein Grund für Eingriffe in den Wolfsbestand.

Bei drei Begegnungen am Piz Beverin sahen die Bündner Behörden die Bedingungen für ein «problematisches Verhalten gegenüber Menschen» erfüllt. So waren in einem Fall Ende August Jungwölfe einer Wandergruppe gefolgt und liessen sich erst durch lautes Rufen vertreiben. Rund zwei Wochen zuvor wurden eine Hirtin und ihr Hirtenhund aus nur zehn Metern Distanz von einem Wolf überrascht und angeknurrt. Wenige Tage später kam es zu einer weiteren Begegnung mit drei Wölfen, wobei sich einer davon dem Hirtenhund näherte. In beiden Fällen entfernten sich die Tiere, als die Hirtin laut auf sich aufmerksam machte.

Auch der Bund sah die Bedingungen für ein problematisches Verhalten erfüllt. Er erlaubte dem Kanton Graubünden den Abschuss von drei Jungtieren aus dem Beverinrudel.

Bericht: Was tun, wenn der Wolf plötzlich vor einem steht?

Adrian Arquint, der Leiter des Bündner Amtes für Jagd und Fischerei, weist darauf hin, dass Wölfe, die in freier Wildbahn aufwüchsen, nicht grundsätzlich gefährlich seien. Sie mieden auch meist den Kontakt zu Menschen. Gefährlich könne es werden, wenn sich Wölfe an den Menschen gewöhnten oder wenn sie sogar gefüttert würden. Der Kanton hat für Begegnungen mit Wölfen die wichtigsten Verhaltensregeln hier zusammengefasst. Die wichtigste Regel sei, ruhig zu bleiben und den Wolf mit bestimmter Stimme auf sich aufmerksam zu machen. Bemerke ein Wolf Menschen, ziehe er sich in aller Regel zurück oder fliehe. Hunde müssten an der Leine gehalten werden, denn Wölfe erachteten sie als Eindringlinge oder Beutetiere.

Gegen Wölfe und Wolfsrudel, die sich im Vergleich zu anderen problematisch verhalten und trotz Herdenschutz grosse Schäden verursachen oder Menschen gefährden, sind Abschüsse möglich. Die Behörden sprechen dabei von Bestandesregulation. Ziel der Massnahme ist einerseits, das Wachstum der Rudel in Grenzen zu halten. Anderseits sollen die Tiere durch einen Abschuss auch vergrämt und so wieder scheu werden.

Um der schwierigen Situation in den Gebieten mit stark wachsendem Wolfbestand gerecht zu werden, hat der Bundesrat am 30. Juni 2021 die Jagdverordnung per 15. Juli 2021 angepasst. Er ging damit nach dem Nein bei der Volksabstimmung zum Eidgenössischen Jagdgesetz einen Schritt auf die Bergkantone zu. In der neuen Regelung wurde die Schwelle für den Abschuss von Wölfen deutlich gesenkt. Gleichzeitig wurden die Voraussetzungen verbessert, um den Herdenschutz zu stärken. Ein guter Herdenschutz könne Wolfsrisse minimieren, hält das Bundesamt für Umwelt fest. Ganz verhindert werden könnten die Angriffe von Wölfen aber nie. Die Tiere könnten lernen, den Herdenschutz zu umgehen und sich auf Risse von Nutztieren zu spezialisieren.

Bei den gelockerten Abschussregeln dürfen als Schadenfälle nur jene gerissenen Nutztiere angerechnet werden, die durch Herdenschutzhunde oder Elektrozäune geschützt waren.

Im Rahmen einer den Bestand verkleinernden Regulierung darf nur eine Anzahl von Wölfen erlegt werden, die unter der Hälfte der im betreffenden Jahr geborenen Jungtiere liegt.

Derzeit gelten folgende Regeln:

  • Ein Einzelwolf darf zum Abschuss freigegeben werden, wenn er zehn geschützte Schafe oder Ziegen innerhalb von vier Monaten tötet. Bei geschützten Rindern, Pferden, Lamas und Alpakas liegt die Schwelle bei zwei Rissen.
  • Wolfsrudel dürfen nach zehn Rissen an geschützten Schafen oder Ziegen innerhalb von vier Monaten reguliert werden. Gleiches gilt nach zwei gerissenen Rindern, Pferden, Lamas und Alpakas (falls Herdenschutzmassnahmen getroffen worden sind).
  • Damit ein Wolfsrudel überhaupt reguliert werden darf, muss es sich im Jahr der Regulierung erfolgreich fortgepflanzt haben.
  • In Gebieten, wo bisher keine Nutztiere durch Wölfe getötet worden sind, kann ein Abschuss ab fünfzehn Rissen innerhalb eines Monats bewilligt werden, wobei hier auch nichtgeschützte Tiere zählen.

Damit die Wölfe vermehrt auch das Fürchten wieder lernen, empfiehlt das Bafu, dass die Tiere wenn möglich aus einer Gruppe von mehreren Wölfen und in der Nähe von Nutztierherden oder Siedlungen erlegt werden.

Die Naturschutzorganisationen der Schweiz befürworten Abschüsse von «besonders schadenstiftenden Wölfen» und «Eingriffe in Wolfsrudel mit problematischem Verhalten». Das teilten Birdlife Schweiz, Pro Natura, WWF Schweiz und die Gruppe Wolf Schweiz Mitte Oktober in einer gemeinsamen Medienmitteilung mit. Voraussetzung sei, dass solche Eingriffe innerhalb des geltenden rechtlichen Rahmens stattfinden würden. Zwar hatten die Naturschutzorganisationen notwendige Eingriffe in Wolfsbestände bereits in der Vergangenheit nicht kategorisch abgelehnt, es war jedoch das erste Mal, dass sie gemeinsam derart klar dazu Stellung nahmen.

Gleichzeitig betonten die Organisationen, dass das Existenzrecht regionaler Wolfsbestände als einheimische Tierart in der Schweiz nicht verhandelbar sei: «Eine erneute Ausrottung ist kein Thema.» Es brauche gesunde und langfristig überlebensfähige Wolfsbestände im ganzen Alpenraum. Jede Tierart schaffe Mehrwerte im Ökosystem. So helfe der Wolf bei der Regulierung des Rothirsches und trage so zum Erhalt von Berg- und Schutzwald bei.

Die Umweltverbände plädieren deshalb dafür, dass alle beteiligten Akteure in Richtung Koexistenz zusammenarbeiten. Grundlage dafür seien unter anderem der Herdenschutz, eine gute Entlöhnung von genügend Alppersonal und die finanzielle Unterstützung der Nutztierhaltenden mit wissenschaftlicher Begleitung und Beratung. Die bisherigen Massnahmen gingen zwar in die richtige Richtung, genügten für eine gesicherte Koexistenz aber noch nicht. Das Ziel müsse sein, ein Lernumfeld zu schaffen, in dem die Beteiligten ihr Wissen einbringen würden. Die Erfahrungen des Alpsommers 2021 sollen gemeinsam ausgewertet werden.

Nach den ersten grösseren Schäden an Nutztieren durch den Wolf ab 1995 sammelten Nutztierhalter und Behörden Erfahrungen mit unterschiedlichen Herdenschutzmassnahmen. Als besonders wirksam gelten inzwischen Herdenschutzhunde und elektrische Zäune, häufig auch in Kombination mit einer Behirtung. Wirksame Herdenschutzmassnahmen sind allerdings arbeits- und zeitintensiv und benötigen je nach Herdengrösse mehrere Arbeitskräfte und Hunde. Das Bundesamt für Umwelt unterstützt den Kauf eines offiziell anerkannten Herdenschutzhundes mit einer einmaligen Starthilfe pro Hund und einer jährlichen Unterhaltszahlung pro Hund.

Bei gut bewachten Herden hat der Wolf eher selten die Chance, ein Nutztier zu erwischen, beispielsweise in unübersichtlichem Gelände, bei schlechtem Wetter, Nebel oder sonst schlechter Sicht. «Ein guter Herdenschutz kann Wolfsrisse minimieren, aber nie ganz verhindern», schreibt das Bundesamt für Umwelt. Wölfe könnten teilweise lernen, den Herdenschutz zu umgehen und sich auf Risse von Nutztieren zu spezialisieren.

Die Bündner Regierung weist darauf hin, dass im Herdenschutz grosse Anstrengungen unternommen würden. Die Herdenschutzmassnahmen, die auch von der landwirtschaftlichen Ausbildungsstätte Plantahof unterstützt würden, hätten sich als notwendig erwiesen. Trotz dem grossen Aufwand seien in dieser Saison bereits mehr als hundert Schafe und eine Ziege von Einzeltieren oder Wolfsrudeln gerissen worden. Diese Schadenzahlen entsprechen ungefähr jenen des Vorjahres.

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