Dr. Arvid Neumann’s book, “The Fitness Lie,” critiques the conventional fitness industry, emphasizing that leisure sports can harm our bodies through repetitive and unbalanced movements detrimental to fascia health. He argues that pursuing health doesn’t require gym workouts and warns against unrealistic body ideals, such as the “six-pack.” Instead, he advocates for diverse movements and holistic approaches to fitness, highlighting the importance of daily activities and the role of fascia in overall well-being and movement quality, even in sedentary office jobs.
Der Sportexperte Dr. med. Arvid Neumann zeigt in seinem Buch ‘Die Fitnesslüge’, dass Freizeitsport auch negative Auswirkungen auf unseren Körper haben kann. Er warnt davor, dass monotone Bewegungen und einseitige Belastungen schädlich für unser Fasziengewebe sind.
Die Fitnesslüge: Sind Fitnessstudios schuld?
Lieber Dr. Neumann, viele Menschen werden sich jetzt wieder in Fitnessstudios anmelden, um ihre guten Vorsätze umzusetzen. In Ihrem Buch ‘Die Fitnesslüge’ kritisieren Sie die Versprechungen der Fitnessindustrie. Was sollten die Menschen wissen, bevor sie einen Vertrag im Fitnessstudio unterschreiben?
Dr. Arvid Neumann: Es ist wichtig zu verstehen, dass die Gleichsetzung von Sport bzw. Fitnesstraining mit Gesundheit ein Irrtum ist. Niemand muss sich im Fitnessstudio quälen, um gesund zu bleiben oder zu werden. Es gibt viele bessere Alternativen. Klären Sie zunächst, warum Sie ins Fitnessstudio gehen möchten. Geht es um Gesundheit oder darum, Schönheitsideale zu erreichen? Monotone Bewegungen sind nicht gesund und belasten die Faszien. Zwar kann man mit Geräten einen Sixpack erreichen, doch das ist leider nicht gesund. Vielfältige Bewegungen sind das Beste für unseren Körper. Zudem ist entscheidend, wie wir uns im Alltag bewegen. Ich finde es wichtig, Freude an der Bewegung zu empfinden. Zwang und der Gedanke ‘Du musst ins Fitnessstudio’ führen oft zu mehr Druck, Schuldgefühlen und Anspannung – das braucht niemand.
Körperideale: Das eigentliche Problem
Sie warnen vor falschen Körperidealen wie dem Waschbrettbauch. Welche Probleme bringt ein Sixpack mit sich?
Neumann: Ein weicher und somit flexibler Bauch, der einen maximalen Abstand zwischen Brustkorb und Becken bietet und somit ‘lang’ ist – nicht dick! – ist funktional überlegen im Vergleich zu einem festen, komprimierten und angespannten Bauch. Probieren Sie es selbst aus: In welcher Situation können Sie freier und tiefer atmen, wenn Sie Ihren Bauch entspannen oder anspannen? Wann können Sie Ihren Arm weiter über den Kopf heben? Beide Varianten – ein flacher Bauch und ‘lang’ sein – sind durchaus möglich. Zudem kann man dabei sogar die Ansätze eines ‘Waschbrettzeichens’ erkennen. Ernährung spielt hier eine wichtige Rolle, doch das Sixpack-Äußere hat keinen funktionalen Mehrwert!
Ausdauer- und Kraftsport – oder nur eines von beidem?
Viele Menschen haben gelernt: Ich werde gesund und fit durch eine Kombination aus Ausdauer- und Krafttraining. Braucht es hier ein Umdenken?
Neumann: So wie die Medizin lokal und symptomatisch fokussiert ist (bei Knieschmerzen wird das Knie als einziges Problem betrachtet), gibt es auch einen vermeintlich idealen Trainingsplan für jedes sportliche Ziel. Hier entsteht ständiger Druck. Viele Menschen sind überfordert. Für das Herz sollte man Ausdauer trainieren, für die Muskeln Krafttraining machen, für die Faszien dehnen und rollen, gegen Osteoporose das, gegen Arthrose jenes. Dabei sollten auch Balanceübungen nicht fehlen, und es gibt sogar Sportübungen gegen Demenz. Für jedes ‘Problem’ gibt es wissenschaftliche Beweise, und die Menschen werden hastig von einem zum anderen getrieben.
Es gibt jedoch Alternativen, die ich als gesünder erachte. Ähnlich wie im medizinischen Bereich ist ein Umdenken im (Fitness-)Sport notwendig. Es geht um den ganzen Menschen, um die Einheit von Körper, Seele und Geist. Dabei spielen Form und Funktion, also Körperstruktur und Bewegung, eine entscheidende Rolle. Hierbei kann das enorme Potenzial der Faszien helfen, jedoch nicht durch neue Faszienfitnessübungen. Faszien und Menschen trainieren rund um die Uhr. Es geht um die richtigen Bewegungen im Alltag. Sie werden nicht gesund und fit, wenn Sie 30 Minuten Sport treiben. Die Faszienorthopädie berücksichtigt dies und möchte die aktuelle Medizin in gewisser Weise erweitern und verbessern.
Verknüpfung von Fitness und Faszien: Was steckt dahinter?
In Ihrem Buch steht, dass die Faszien ‘der Schlüssel zu körperlichem und mentalem Wohlbefinden’ sowie zu Beweglichkeit sind. Wie hängen Faszien und Fitness zusammen?
Neumann: Stellen Sie sich vor, Sie wären natürlich stark, flexibel, vital und fit. Dann würde der Zwang, Kraft-, Beweglichkeits- oder Fitnessübungen machen zu müssen, entfallen. Dieses Potenzial liegt in gesunden Faszien. Sie sind das Organ, das unserem Körper Form verleiht, sie sind der Architekt unserer Körperstruktur und bestimmen, ob wir mühelos aufrecht stehen können oder ob wir gegen bekannte Haltungsfehler ‘kämpfen’ müssen. Dieser Kampf ist nicht zu gewinnen, denn die Schwerkraft gewinnt immer, was sich in der Beziehung zwischen Alter und Gehhilfen zeigt.
Wenn ich jedoch im Gleichgewicht bin (was bedeutet: von der Seite betrachtet verläuft die Linie von Ohren, Schultern, Becken, Knien und Knöcheln vertikal und damit rechtwinklig zum Boden; der gesamte Körper ist aufrecht und balanciert), kann ich die Schwerkraft als Freund nutzen. Die Faszien sind zudem das Bewegungsorgan, sie entscheiden über die Qualität der Bewegung: anmutig, elegant, geschmeidig oder kantig, steif und ungleichmäßig. Die Faszien bilden ein dreidimensionales Netzwerk, das den Körper umhüllt. Sie verbinden alles mit allem und sind eng mit dem Nervensystem verbunden, auch mit dem autonomen Nervensystem, das sympathische und parasympathische Bereiche umfasst. Eine verspannte Person hat auch kein entspanntes Fasziennetzwerk.
Fitness im Büro
Wie sieht die richtige Art der Bewegung in diesem Zusammenhang aus, beispielsweise wenn man einen Bürojob hat?
Neumann: Für mich geht es bei der Bewegungsqualität um jede kleine Bewegung und auch um die Haltung: Hände schütteln, am PC sitzen, an einem höhenverstellbaren Schreibtisch stehen, zum Kopierer gehen, einen Stift aufheben, die Kaffeetasse aus dem Schrank holen etc. – unzählige Bewegungen, die auch in einem Bürojob stattfinden. Richtiges Bewegen nutzt immer den gesamten Körper, funktioniert nur im ‘Loslassen’, kennt den Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung und profitiert von der Schwerkraft sowie der elastischen Rückstellkraft der Faszien.
Das kann man lernen; es ist weniger Training als vielmehr Bewegungserziehung. Die andere Seite der Medaille ist