Heilen mit der Kraft der Suggestion

Heilen mit der Kraft der Suggestion: «Richten Sie jetzt Ihre Aufmerksamkeit auf eine Körperstelle, die schmerzfrei ist!»

Manche Ärzte setzen heute Hypnose ein. Sie wollen damit ängstliche Patienten beruhigen. Andere sollen lernen, mit ihren Beschwerden besser zu leben. Dass das kein Hokuspokus ist, hat der Autor an einem Ausbildungsseminar am eigenen Leib erfahren.

«Es gibt Dinge, die du weisst, ohne zu wissen, dass du sie weisst.»
(Milton H. Erickson, Mitbegründer der medizinischen Hypnosetherapie)

Ich sitze auf einem Stuhl, die Hände ruhen auf den Oberschenkeln. Meine Augen sind geschlossen, und ich lausche der Frauenstimme, die mich an diesem Märztag in Balsthal im Kanton Solothurn in die Trance begleitet. Die Stimme sagt: «Richte nun deine Aufmerksamkeit nach innen, indem du einige Momente lang das Kommen und Gehen deines Atems beobachtest.» Nach einer kurzen Pause: «Und nun setze das, was ich dir sage, in innere Bilder um, womit du deinen Körper angenehm beeinflussen wirst.»

Der liebliche Singsang der Frau beginnt mich einzulullen. Ihre Worte fühlen sich an wie ein Pullover, dessen Wärme mich beruhigt und entspannt. Meine Augenlider sind schwer, der Körper dagegen wird mit jedem Atemzug leichter. «Du befindest dich nun an einem Sandstrand am Meer und gehst am Meer entlang», sagt die Stimme. «Und du schaust über die Weite des Meeres bis zum Horizont, der dein Blickfeld auf natürliche Weise begrenzt . . .»

Vor meinem geistigen Auge läuft jetzt ein Film ab: Ich stehe am Meer und sehe den wolkenlosen Himmel über mir. Dann schlendere ich über den Sandstrand. Es ist warm und schön und friedlich. Ich habe keinen Grund, von hier wegzugehen.

«Du spürst den Sand unter den Füssen und die Wärme des Sandes», sagt die Stimme, die jetzt von weiter her zu kommen scheint.

«Bei jedem Schritt fühlst du den weichen, trockenen Sand unter den Füssen.» – «Und während du weitergehst, siehst du das Muster der Wellen, die am Strand auslaufen, und hörst auf deren Rauschen. – Tauche in diese Erfahrung mehr und mehr ein . . .»

Selbsthypnose als Burnout-Prophylaxe

Die sogenannte Meer-Trance ist eine der ersten Übungen, die ich im Dachstock des Hotels Balsthal in Balsthal lerne. Ich nehme an einem viertägigen Grundkurs für medizinische Hypnose teil.

Das Seminar ist von der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Hypnose organisiert. Knapp dreissig Ärzte und Zahnärzte sind angereist, drei Viertel von ihnen sind Frauen. Das gleiche Geschlechterverhältnis zeigt sich bei der Kursleitung: Eine Allgemeinärztin, eine Zahnärztin, eine Anästhesistin und ein Psychiater weihen uns in die Geheimnisse der medizinischen Hypnose ein.

In der Vorstellungsrunde sagen die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sie wollten das Gelernte später bei ihren Patienten anwenden. Einige erhoffen sich auch einen Nutzen für sich selbst. «Selbsthypnose als Burnout-Prophylaxe», nennt es eine Kursleiterin.

Viele Patienten litten heute mehr unter Stress als an organischen Krankheiten: Diese Erfahrung machen die meisten der anwesenden Ärztinnen und Ärzte in ihrem Berufsalltag. «Ein Grossteil der Probleme ist psychosozialer Natur», sagt eine Hausärztin. Das gelte selbst für Notfallpatienten, bestätigt eine Frau, die seit Jahren als Notfallärztin im Spital arbeitet.

Bei all diesen Patienten erleben viele Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer die Möglichkeiten der konventionellen Medizin als beschränkt und frustrierend. «Unsere Medikamente wirken oft schlecht.» – «Ich will den Kranken mehr geben als Pillen.» – «Ich brauche eine neue Möglichkeit für meine Patienten.»

Solche Aussagen höre ich in den vier Tagen in Balsthal immer wieder. Jemand spricht von einer kränkelnden Gesellschaft. Viele Menschen seien heute verunsichert und hätten Angst, auch wegen des Kriegs in der Ukraine und der Corona-Pandemie.

Es gibt aber auch selbstkritische Stimmen, die einen Teil der Misere bei sich verorten. So sagt eine erfahrene Anästhesistin: «Wir könnten viele Medikamente sparen, wenn wir uns mehr um die Patienten kümmern würden.» Hypnosetherapie als Mittel für eine bessere Beziehung zum Patienten. Auch darum geht es in Balsthal.

Ein natürlicher Zustand namens Trance

Wie Meditation oder autogenes Training ist auch Hypnose eine mentale Technik, mit der ich beim Patienten oder bei mir selbst einen veränderten Bewusstseinszustand auslösen kann. Dieser Zustand heisst Trance. «Das ist etwas völlig Natürliches», sagt Ute Stein, Kursleiterin und Zahnärztin aus Berlin. «Es ist eine Art Filterfunktion fürs Gehirn.» Schon Kinder können in Trance gehen, wenn sie etwa in einer langweiligen Schulstunde mit ihren Gedanken abschweifen. Auch ein spannender Film kann uns in diesen Zustand versetzen.

Als ich das höre, realisiere ich zum ersten Mal, dass ich selbst schon seit Jahren Selbsthypnose betreibe: beim freien Saxofonspiel. Dabei tauche ich oft so tief in meine Welt ab, dass ich die Zeit komplett vergesse und auch nicht höre, wenn meine Frau an die Zimmertür klopft. Steht sie dann plötzlich vor mir, bekomme ich einen Riesenschreck.

Wie erholsam das geistige Ausklinken sein kann, weiss auch der Abenteurer und Psychiater Bertrand Piccard. Auf seinen Alleinflügen mit «Solar Impulse» hielt er sich jeweils mit kurzen Trancen mental frisch. So habe er verhindert, dass er in schwierigen Phasen des Flugs eingeschlafen sei, sagt er in einem Video. Er habe die Selbsthypnose aber auch eingesetzt, um rasch in Tiefschlaf zu fallen.

Wie ich in Balsthal lerne, führen viele Wege in die Trance. Dabei wird, bewusst oder unbewusst, die Aufmerksamkeit von aussen in den Körper gelenkt. Das gelingt sehr gut über unsere Sinne. Statt abstrakte Inhalte im Gehirn zu wälzen, richte ich meine Aufmerksamkeit auf das, was ich gerade sehe, höre, schmecke, rieche oder spüre.

Diese Technik wendet auch meine Kollegin an, die mich in Balsthal durch die Meer-Trance begleitet. «Und während du weiter am Strand entlanggehst und das Schlendern geniesst, empfindest du die Wärme der Sonne auf deinem Gesicht, auf den Schultern und auf deinen Armen», sagt sie in leicht schleppendem Tonfall. «Und du spürst den Wind, der vom Meer herkommt. – Du spürst den Wind in den Haaren und auf der Stirn. – Du bemerkst, wie der Wind sanft über die Arme, die Schultern und den ganzen Körper streift . . .»

Suggestionen, die als wahr erlebt werden

Das Beispiel zeigt, wie Hypnotiseure mit Suggestionen arbeiten. Das sind Botschaften, die beim Gegenüber eine Wirkung entfalten sollen. «Es ist Denken in Bildern», sagt der Kursleiter Ulrich Geissendörfer, der als Psychiater arbeitet. Das Besondere dabei: «Die Bilder werden in der Trance als real erlebt – auch die damit verbundenen Gefühle und körperlichen Reaktionen.»

Wie Imagination und Realität sich vermischen können, erlebe ich in einer Trance-Übung, bei der sich meine ausgestreckten Hände wie in Zeitlupe einander annähern.

Vorausgegangen war die Suggestion: «Deine Hände bewegen sich aufeinander zu, bis sie einen Ball umschliessen.» Mir ist in der Trance bewusst, dass ich die Bewegung der Hände stoppen könnte. Doch es würde einen mentalen Kraftakt erfordern. Einfacher ist es, die Suggestion wirken zu lassen. Als hätte es nichts mit mir zu tun, nehme ich die gespenstisch anmutende Bewegung meiner Hände wahr.

Suggestionen sind auch in der Werbung ein beliebtes Mittel, um beim Publikum Botschaften zu platzieren. So wie sie nicht bei allen Menschen gleich gut funktionieren, kann auch niemand gegen seinen Willen hypnotisiert werden.

«Dafür muss man bereit sein und allfällige innere Widerstände beiseitelegen», sagt die Allgemeinärztin und Kursleiterin Eva-Maria Albermann. Wobei ein erfahrener Hypnotiseur die Widerstände bei seinem Klienten spürt und sie mit einer passenden Suggestion ansprechen kann: «Es kann sein, dass jetzt noch Gedanken auftauchen, die eine tiefe Entspannung verhindern.» – «Diese Gedanken können sich auch wieder auflösen, so wie Wolken, die von der Sonne aufgelöst werden . . .»

Wie mir gelingt es offenbar den meisten Menschen, in Trance zu gehen. Dabei verlangsamen sich Atmung und Herzschlag, und die Mimik wirkt wie eingefroren. Besonders eindrücklich ist es, wenn in der Trance ein Arm starr wird oder zu schweben scheint.

Ich bin offenbar einfach mit Suggestionen zu beeinflussen. So gehen wir in einer Gruppen-Trance in unsere Kindheit zurück. Ich sehe mich als etwa siebenjährigen Bub. Barfuss, mit kurzen Hosen. Ich spiele im Garten vor unserem Haus. Mein Bruder ist auch da. Und Nachbarskinder.

Dann höre ich plötzlich die Stimme unserer Hypnotiseurin: «Vielleicht taucht da, wo du bist, ein Kinderzimmer auf . . .» – «Kinderzimmer?», hallt es in meinem Kopf.

Im Gegensatz zu anderen im Kurs kann ich den Hinweis von aussen nicht ignorieren. Sofort laufe ich in Gedanken los. Vom Garten über den Sitzplatz ins Haus, dann den Gang entlang zu meinem Zimmer. Ich öffne die Tür und sehe das Bett an der Wand, den Schreibtisch gegenüber. Durchs Fenster erblicke ich unser Auto, einen schlammgrünen Toyota.

Etwa zehn Prozent der Menschen gelten als hoch suggestibel. Sogenannte Show-Hypnotiseure suchen sie gezielt aus dem Publikum aus, um sie dann auf der Bühne auf Knopfdruck in Trance zu versetzen. Eine hohe Suggestibilität erkennen geübte Hypnotiseure an der Art und Weise, wie die Leute auf ihre Show reagieren und «mitgehen». Die willigen Opfer werden dann zur Unterhaltung des Publikums aufgefordert, die unglaublichsten Dinge zu tun. Etwa als grunzendes Schwein über die Bühne zu rennen oder starr wie ein Brett zu verharren.

Es sind solche verstörenden Bilder, die viele Leute im Kopf haben, die der Hypnose kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Viele befürchten, im Trance-Zustand manipuliert zu werden. Es ist zudem unbestritten, dass eine zu reinen Show-Zwecken durchgeführte Hypnose gefährlich sein kann. Etwa dann, wenn eine traumatisierte Person in der Trance ihr Trauma ohne Betreuung nochmals durchlebt. Wegen dieser Gefahr der Retraumatisierung lehnen seriöse Hypnotherapeuten die Show-Hypnose ab. In einigen Ländern ist sie sogar verboten.

Hypnotisieren mit Magnet

Als Heilmethode ist die Hypnose sehr alt. In der griechischen Mythologie verkörpert Hypnos – als Sohn der Nacht und Zwillingsbruder des Todes – den Schlaf. Wurde die Methode lange Zeit als kultischer und religiöser Ritus praktiziert, machte der Wiener Arzt Franz Anton Mesmer im 18. Jahrhundert daraus eine hippe Behandlung gegen alle Arten von Beschwerden. Sein «animalischer Magnetismus» war eine Art Hypnosetherapie, bei der der Therapeut mit einem Magneten die kranke Körperstelle von aussen zu beeinflussen versuchte.

Schon damals kam eine vom französischen König eingesetzte Kommission zum Schluss, dass der «Mesmerismus» nicht wegen des behaupteten Magnetismus wirke. Der Nutzen beruhe auf psychologischen Mechanismen wie der Erregung von Einbildungskraft und Nachahmung.

Der medizinische Ritterschlag kam 1892. Damals empfahl die britische Ärztegesellschaft ihren Mitgliedern, die Hypnose für therapeutische Zwecke einzusetzen. Damit könnten zum Beispiel Schmerzen und Schlafstörungen wirksam behandelt werden. Heute ist die medizinische Hypnosetherapie weltweit anerkannt und ihre Wirksamkeit bei vielen Beschwerden belegt.

Auch in der Schweiz bieten etliche Praxen und Spitäler Hypnose an. Am Universitätsspital in Lausanne haben Ärzte in einer klinischen Studie den Nutzen bei Patienten mit schweren Verbrennungen dokumentiert. Demnach klagten die mit Hypnose Behandelten beim gefürchteten, weil sehr schmerzhaften Verbandwechsel über weniger Beschwerden und Angst als Patienten ohne Hypnose. Sie hatten auch eine bessere Wundheilung und brauchten weniger der teuren Opiatschmerzmittel.

Auch wenn die medizinische Hypnose immer die Kraft der gedanklichen Fokussierung nutzt, können die Ziele der Therapie sehr unterschiedlich sein. So setzen Zahnärzte die Hypnose bei Kindern und Erwachsenen ein, die auf dem Zahnarztstuhl vor lauter Angst den Mund kaum aufbringen. Hier soll die Hypnose den Patienten entspannen und beruhigen.

Tiefe Entspannung verspüre auch ich in meiner Meer-Trance. «Der Spaziergang am Meer tut dir gut, und du fühlst dich sehr entspannt im ganzen Körper», sagt die Stimme aus dem Off. «Du bist jetzt völlig gelöst und entspannt in Armen und Beinen, und du fühlst ein grenzenloses Aufgehobensein. – Dabei fliesst deine Atmung völlig ruhig, vollkommen entspannt und ruhig, so ruhig wie die Wellen des Meeres in ihrem gleichförmigen Rhythmus . . .»

Operieren unter Hypnose

Eine solche Entspannungs-Trance kann mit einer hypnotischen Anästhesie kombiniert werden, wie die Berliner Zahnärztin Stein in Balsthal vorführt. Sie nimmt dazu die Hand einer Kursteilnehmerin und macht sie mit Suggestionen unempfindlich. Gleichzeitig lagert sie die Hand für ein paar Minuten hoch, so dass weniger Blut und damit Wärme in die Haut der Hand fliesst. Die so anästhesierte Hand berührt danach eine andere Körperstelle. So soll die Unempfindlichkeit übertragen werden. Mit dieser Art der Anästhesie führe sie bei Patienten Zahnextraktionen durch, sagt Stein.

Dass Imagination ein sehr wirksames Schmerzmittel ist, hat vor einigen Monaten auch ein Experiment in der Sendung «Puls» des Schweizer Fernsehens illustriert. Während der in Hypnose geschulte Patient in tiefer Trance lag, führte der Chirurg bei ihm ohne Betäubung eine Operation am Unterarm durch. Nicht nur klagte der Patient über keinerlei Schmerzen. Am Monitor konnte man auch sehen, dass bei ihm während des ganzen Eingriffs Atmung, Blutdruck und Puls konstant blieben. Bei einem bewusst wahrgenommenen Schmerz würden diese Messgrössen unweigerlich in die Höhe schnellen.

Um die Schmerzwahrnehmung auszuschalten, hatte sich der Patient vor der Operation gedanklich an seinen Lieblingsort am Zugersee begeben. Diese Trance hatte er zuvor mit einem Hypnosetherapeuten immer wieder eingeübt. So gelang es ihm, sich im entscheidenden Moment trotz Fernsehkamera in die eigene Welt zurückzuziehen, wo ihn offenbar keine Schmerzen erreichen konnten.

Eine solche Trance-Tiefe und geistige Entkopplung dürfte in meinem Kurs in Balsthal niemand erreicht haben. Aber auch wir lernen, uns gedanklich an einen Ort zurückzuziehen, wo wir uns sicher und wohl fühlen. Mein Lieblingsort – oder «safe place», wie diese häufige Trance-Übung heisst – liegt in der Toskana. Auf Knopfdruck stehe ich auf der Terrasse vor dem Landhaus, das wir im letzten Sommer gemietet haben. Mein Blick reicht bis zur Insel Elba. Wenn ich mich anstrenge, kann ich das Meer riechen und die Zikaden in den Bäumen zirpen hören.

Die Hypnose kann aber mehr als nur entspannen und einzelne Körperteile vorübergehend schmerzlos machen. Die Technik wird auch eingesetzt, um Patienten dabei zu helfen, mit ihren körperlichen und seelischen Problemen besser umzugehen. Wer zum Beispiel seine Symptome für eine Strafe für begangene Fehler hält, kann lernen, dass dafür auch andere Ursachen infrage kommen. Und dass Beschwerden wieder verschwinden können.

Viele Menschen sind im Wachzustand sehr gut darin, die sie belastenden Themen zu verdrängen. Das kann so lange gut gehen, bis der psychische Stress so gross wird, dass er sich über körperliche Symptome Gehör verschafft. Bei solchen Patienten besteht die Hoffnung, dass sich unter Hypnose eine Tür zu tieferen Schichten ihrer Persönlichkeit öffnen lässt, die im Wachzustand verschlossen ist.

Dahinter steckt die Beobachtung, dass wir in Trance – wie auch im Schlaf – einen anderen Zugang zu den unbewussten Anteilen unseres Gedächtnisses haben. Das zeigt sich etwa daran, dass wir in diesen Bewusstseinszuständen manchmal von aufblitzenden Bildern und Gedanken überrascht werden.

Eine solche Erfahrung mache auch ich in Balsthal, als ich in einer Trance-Übung gefragt werde, wen oder was ich jetzt gerade am liebsten um mich herum hätte. Mir kommt spontan eine Person in den Sinn, an die ich im Wachzustand wahrscheinlich nicht gedacht hätte. Eine Kursleiterin sagt dazu: «In der Trance lernen wir gelegentlich etwas über die Weisheit unseres Unbewussten.»

In der Trance kann aber auch Unangenehmes oder Beängstigendes auftauchen. «In einem solchen Fall kann ein geschulter Hypnosetherapeut Techniken einsetzen, um den problematischen Inhalt für den Patienten in einen Tresor einzuschliessen», erklären unsere Kursleiter. Möglich sei auch, dem Patienten in der Trance eine helfende Person zur Seite zu stellen. «Wer könnte Ihnen jetzt helfen?», kann die Therapeutin zum Beispiel fragen. Nennt der Patient eine Person, kann diese den Patienten an einen sicheren Ort bringen.

Kontrolle über den eigenen Körper

Bei chronischen Schmerzen sollen Imagination und das «Befragen» des Unbewussten dem Patienten helfen, die omnipräsenten Schmerzen als weniger bedrohlich wahrzunehmen. «Dazu kann die Aufmerksamkeit in der Trance auf gesunde Körperteile ohne Schmerzen gerichtet werden», erklärt die Kursleiterin und Anästhesistin Ursula Speck. Sie bietet am Kantonsspital St. Gallen eine Sprechstunde für Patienten mit chronischen Schmerzen an. Gibt es beim Patienten solche schmerzlosen Körperstellen, könnte eine nächste hilfreiche Suggestion so klingen: «Möglicherweise lässt sich das Gebiet ausdehnen, vielleicht sogar auf die schmerzhafte Stelle.»

Eine solche Therapie kann aber nur funktionieren, wenn sich der Patient auf die Hypnose einlässt und aktiv mitarbeitet. «Das ist leider nicht immer der Fall», sagt Speck. «Es gibt Patienten, die erwarten, dass ich als Ärztin das Problem für sie löse.» Diese Personen kommen mit der Erwartung, rasch schmerzfrei zu werden. Das sei leider in vielen Fällen unrealistisch, erklärt Speck. Vielversprechender sei bei chronischen Schmerzen eine Therapie der kleinen Schritte. Sie stelle ihren Patienten deshalb oft Fragen wie: «Was wäre für Sie oder Ihr Umfeld ein erstes Zeichen der Besserung?» Oder: «Was möchten Sie trotz Ihren Schmerzen wieder tun können?»

Laut Speck soll die Hypnosetherapie dem Patienten helfen, seine eigenen Ressourcen zu erkennen und diese im Alltag zu nutzen. «Der Kranke erhält so mehr Selbstkontrolle und kann sich besser steuern», sagt die Ärztin. Dieser Ansatz lässt sich bei allen chronischen Beschwerden anwenden. Denn selbst wenn eine Krankheit eine biologisch-organische Ursache hat, werden die erlebten Symptome von psychischen und sozialen Faktoren verstärkt oder gemildert. Genau da setzt die Hypnosetherapie an.

Aber eigentlich beginnt die Behandlung schon vor der Hypnose. Denn immer geht es auch um eine hilfreiche Kommunikation mit dem Patienten. Der gedankliche Austausch soll als wertschätzend, vertrauensbildend und heilsam erlebt werden. «Achtung, Herr Meier, jetzt tut’s dann grad weh!» ist nicht die beste Art, bei einem ängstlichen Patienten auf dem Notfall eine Spritze zur Betäubung der Haut anzukündigen. «Beruhigender wirken Sätze mit neutraler Formulierung oder positiven Suggestionen», sagt die Anästhesistin Speck und macht ein Beispiel: «Herr Meier, ich mache nun bei Ihnen die Haut unempfindlich. Das spüren Sie. Danach ist das Legen der Infusion angenehmer.»

Weil die schönste Trance nicht ewig dauern kann, geht auch mein eingebildeter Meer-Besuch in Balsthal einmal zu Ende. Meine hypnotisierende Kollegin versucht mit einer letzten Suggestion, das Gefühl der Entspannung bei mir zu verankern: «In Zukunft wirst du öfter diese Entspannung spüren und wissen, dass dieses Gefühl ganz von allein auftreten wird, wenn du es brauchst», sagt sie. Und dann: «Ich werde nun von drei auf eins zählen, und bei eins wirst du die Augen öffnen, tief durchatmen und wieder ganz im Hier und Jetzt sein. – Drei, zwei und eins!»

Ich öffne die Augen. Strecke die Arme aus und bewege die Hände und Finger. Dann stehe ich auf und mache ein paar Schritte. Ich fühle mich wach und geistig erfrischt. In den vier Tagen in Balsthal habe ich am eigenen Körper erlebt, wie sich eine Trance anfühlt. Und ich habe gelernt, wie man diesen Zustand zur Entspannung und zur Linderung von körperlichen und seelischen Leiden einsetzen kann.

Die wichtigste Erkenntnis ist für mich aber eine andere: Die medizinische Hypnosetherapie ist Ausdruck einer ärztlichen Haltung. Sie beeinflusst, wie Medizinerinnen und Mediziner mit ihren Patienten umgehen, mit ihnen sprechen und sie auf ihrem Weg zu Gesundheit und Wohlbefinden begleiten. Diese Haltung hat mich beeindruckt. Als Patient möchte ich so behandelt werden.

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