“Im Niemandsland”: So geht es der deutschen Wirtschaft wirklich

Die Inflation ist weiterhin hoch, die Zinsen steigen, die Exportindustrie ist so pessimistisch wie lange nicht mehr. Deutschland wird wohl in eine Sommer-Rezession abdriften. Warum ist das so?

Im zweiten Quartal ist Deutschland einer Rezession wohl knapp entkommen, doch für den Rest des Jahres wird es immer wahrscheinlicher, dass die Wirtschaftsleistung wieder zurückgeht. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen rechnen im Schnitt damit, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von April bis Juni im Vergleich zum ersten Vierteljahr nur um 0,1 Prozent gewachsen ist. Am kommenden Freitag will das Statistische Bundesamt eine erste Schätzung darüber veröffentlichen, wie sich die Konjunktur im Frühjahr geschlagen hat.

Die Ökonomen-Zunft ist skeptisch. “Das ist nicht der Beginn eines Aufschwungs”, so ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski mit Blick auf das zweite Quartal, “das ist nur eine kurze Entspannung.” Auch andere gehen davon aus, dass die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal in eine Rezession abdriftet. Von einer Rezession wird gesprochen, wenn die Konjunktur in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen schrumpft.

Für dieses Szenario spricht, dass der Ifo-Geschäftsklimaindex im Juli bereits den dritten Monat in Folge gesunken ist. In der monatlichen Umfrage der Wirtschaftsforscher wird die Stimmung in deutschen Chefetagen ermittelt. Das Institut geht davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt im laufenden dritten Quartal sinken wird. “Die wirtschaftliche Schwäche ist sehr ernst zu nehmen. Sie kann zum Problem werden”, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest im Gespräch mit ntv. Das reale – also das um Inflation bereinigte – BIP liege derzeit unter dem Vorkrisenniveau von 2019.

Auch der Internationale Währungsfonds IWF ist pessimistisch und geht davon aus, dass das deutsche BIP dieses Jahr insgesamt um 0,3 Prozent zurückgeht. Damit würde Deutschland besonders schlecht abschneiden – für alle anderen großen Industrienationen rechnet der IWF für 2023 mit einem Plus. Ein Grund dafür ist, dass die Corona-Krise andere Länder tiefer in eine Rezession gedrückt hat als Deutschland. Dementsprechend besser fällt die wirtschaftliche Erholung dort nun aus.

Hohe Zinsen wirken

Es gibt allerdings auch strukturelle Gründe. Einer ist der große Industriesektor in Deutschland, dem immer noch Lieferkettenprobleme zu schaffen machen. Hinzu kommt, dass die Ausfuhren der exportabhängigen deutschen Unternehmen angesichts der mauen globalen Konjunktur schwächeln. Dem Ifo-Institut zufolge ist die Stimmung in der deutschen Exportindustrie so schlecht wie seit mehr als drei Jahren nicht mehr, als die Corona-Pandemie die Weltwirtschaft abwürgte.

Das Ifo-Institut sieht derzeit wenige Lichtblicke in der Industrie. Die Mehrzahl der Branchen geht demnach davon aus, dass die Exporte in den kommenden drei Monaten rückläufig sein werden. Wie im Vormonat erwarten nur die Bekleidungshersteller und die Getränkeindustrie merkliche Zuwächse beim Auslandsgeschäft. “Im Maschinenbau und in der Elektroindustrie trüben sich die Aussichten immer weiter ein”, hieß es. “Auch die Autobauer rechnen mit einer schwachen Entwicklung.” Die Hersteller von Lederwaren sowie Textilen gehen sogar von deutlichen Rückgängen beim Exportgeschäft aus. Die Nachfrage aus dem Ausland entwickelt sich eher schwach”, sagte der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe. “Dies ist auch die Folge der restriktiven Geldpolitik in den USA und Europa, welche nach und nach ihre Wirkung entfaltet.”

Die US-Fed und die EZB haben die Zinsen kräftig nach oben geschraubt, um die Inflation zu bekämpfen. Das treibt die Finanzierungskosten in die Höhe, etwa für den Kauf von Waren “Made in Germany”. Gegenwärtig gebe es kaum Hinweise, dass sich dies kurzfristig ändern könnte, so Wohlrabe mit Blick auf die schwache Nachfrage.

Die Zinswende der Notenbanken ist nicht nur bei den Unternehmen angekommen, sondern auch bei den Verbrauchern und dämpfen den privaten Konsum. Auch die seit Monaten hohe Inflation sorgt für Zurückhaltung – viele Menschen können sich dadurch weniger leisten. Hoffnung macht vor diesem Hintergrund zweierlei: Zum einen steigen die Löhne, zum anderen geht die Inflation zurück. Zur Einordnung: Zu Jahresbeginn lag die Inflationsrate noch bei 8,7 Prozent, was die Kaufkraft drückte. Aktuell liegt die Teuerungsrate mit 6,4 Prozent deutlich niedriger. Die Tarifabschlüsse in einigen Branchen einschließlich steuerfreier Inflationsprämien machten die teils mehr als wett.

Derzeit bewege sich die deutsche Wirtschaft zwar “im konjunkturellen Niemandsland zwischen schwacher Rezession und kraftloser Erholung”, sagte Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin bei der staatlichen Förderbank KfW. Doch für das kommende Jahr sieht es besser aus: Der IWF erwartet, dass die deutsche Wirtschaft dann um 1,3 Prozent wächst.

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