In Engelberg werden Wohnungen rar

Simon Tanner / NZZ

Dank seiner zentralen Lage und seiner schönen Umgebung ist Engelberg zum Anziehungspunkt für Heimarbeiter aus aller Welt geworden. Dies verändert den Obwaldner Ferienort gerade fundamental.

Im Mountain Coworking Rocks Engelberg laufen an diesem Mittwochmorgen die letzten Vorbereitungen für die grosse Eröffnungsfeier am Abend. Es herrscht Betriebsamkeit, aber keine Hektik. Beeindruckend ist vor allem der Meeting-Raum, der auf Fototapeten den Titlis und das Brunni zeigt, die beiden grossen Skigebiete des Tourismusortes. Kaum zu glauben, dass die Besitzer dieser Räumlichkeiten Engelberg bis vor zwei Jahren gar nicht kannten.

«Wir haben uns in diesen Ort verliebt», sagt Mattijs Sibbing, der uns zusammen mit seiner Frau Ingeborg Sibbing-Veelenturf in den edel ausgestatteten Räumen empfängt. Nach einem Leben als Expats, davon zwölf Jahre in Asien, entschlossen sich die Niederländer, in der Schweiz sesshaft zu werden. Kurz vor dem ersten Lockdown zogen sie im Januar 2020 mit ihren beiden Töchtern nach Erlenbach im Kanton Zürich.

«Damals war es für uns unvorstellbar, dass wir in die Berge ziehen würden», erinnert sich Mattijs Sibbing. «Als uns ein befreundetes niederländisches Paar erzählte, dass es von Küsnacht nach Davos umziehe, haben wir die beiden schräg angeschaut.» Dass die Wahl auf Engelberg gefallen sei, sei wohlüberlegt gewesen: Die Landschaft sei traumhaft, dazu die grosse Palette von Freizeitaktivitäten direkt vor Tür.

Mattijs Sibbing und Ingeborg Sibbing-Veelenturf haben ihren neu eröffneten Coworking-Space ganz im Alpenlook gestaltet.

Zürcher Goldküste zu teuer – in Engelberg passt es

Berge und Outdoor-Aktivitäten gebe es auch in Graubünden oder im Wallis. Für den eher ruhigen Ort in Obwalden spreche die zentrale Lage. «In weniger als zwei Stunden sind wir in Zürich oder Basel. Das Einzige, was wir uns noch wünschen würden, sind häufigere Zugverbindungen», sagt Ingeborg Sibbing.

Bei ihrem Entscheid für Engelberg haben für die Gründer von Mountain Coworking Rocks auch die Immobilienpreise eine entscheidende Rolle gespielt. An der Zürcher Goldküste fanden sie nichts Bezahlbares. In Engelberg hingegen hätte das Budget gereicht, um ein Haus mit genügend Platz für die Familie zu kaufen, sagt Mattijs Sibbing, der in Singapur und in der Schweiz diverse Firmen in den Bereichen Services sowie Digitalisierung gegründet hat.

Direkt gegenüber dem Mountain-Coworking-Space Engelberg liegt die Immobilienagentur von Anian Kohler. Der Unternehmer ist froh, dass dank den Sibbings im ehemaligen Tourismusbüro nach zweieinhalb Jahren Leerstand wieder Leben eingezogen ist. In Kohlers Verkaufsraum verirrt sich an diesem Morgen niemand, und das ist sinnbildlich für den Zustand des Immobilienmarktes im Klosterdorf. «Wir hatten schon früher solche Phasen, aber so ruhig wie momentan war es in Sachen Erst- und Zweitwohnungen hier oben noch nie», erklärt er.

Die mangelnde Attraktivität der Dorfstrasse bereitete den Engelberger Behörden lange Sorgen.

Paradies für Zweitwohnungen

Keiner kennt die Marktlage im Ort mit 4300 Einwohnern besser als der 38-jährige Einheimische. Anian Kohlers Mutter gründete 2003 die lokale Partneragentur der weltweit tätigen Immobilienvermittlung Remax, welche er als Familienbetrieb weiterführt. Seither liefen zahlreiche Verkäufe und Vermietungen über die Theke der Agentur an bester Lage an der Klosterstrasse 6.

Ganz tot ist der Immobilienmarkt jedoch nicht. Davon zeugen die Kräne und Baugespanne im Dorfzentrum und am Südhang, der sich über dem Dorf Richtung des Gebietes Brunni hinaufzieht. Hin und wieder werden Häuser und Wohnungen aus dem Hochpreissegment verkauft. Sie erscheinen immerhin in den Online-Kanälen. So etwa die Falcon Villas, die vom Ersteller als «exklusiver alpiner Luxus in Holz und Stein» angepriesen werden. Doch Luxus hat bekanntlich seinen Preis, und der liegt bei dieser Überbauung zwischen 4 und 6 Millionen Franken.

Dorf im Dornröschenschlaf

Doch warum schiessen die Immobilienpreise gerade in Engelberg gegenwärtig so durch die Decke? Noch vor wenigen Jahren sprach wenig für eine solche Entwicklung. Während vieler Jahre galt der Sommer- und Wintersportort als altbacken und wenig angesagt. Wer Engelberg im Zusammenhang mit Tourismus erwähnte, meinte vor allem die Titlisbahnen. Mit seiner Strategie, immer mehr Gruppen aus Indien und China im Eiltempo auf den Engelberger Hausberg zu transportieren, hatte das Unternehmen scheinbar die unwiderlegbare Erfolgsformel gefunden.

Die Besitzer von Ferienwohnungen haben während der Pandemie festgestellt, dass Engelberg auch unter der Woche seine Reize hat.

Im Schatten des Titlis fiel das Dorf Engelberg immer mehr in einen Dornröschenschlaf. Im Dorfkern machten die Läden dicht oder wichen Angeboten für asiatische Gruppentouristen. Rasch auf den 3200 Meter hohen Titlis fahren und maximal für einen schnellen Imbiss ins Dorf – das genügte den Gästen. Hotels wurden an ausländische Investoren verkauft, zu Wohnungen umgebaut, oder sie schlossen für immer.

Diese Zeiten scheinen weit zurückzuliegen. Obwohl noch nicht Hochsaison ist und die Sonne auf die Piste lockt, herrscht an diesem Februarmorgen auf der Dorfstrasse viel Betrieb. Touristen flanieren, sie sprechen Deutsch und Englisch, man hört viel Französisch. Seit der Pandemie entdecken vermehrt Touristen aus der Romandie das historisch bedeutende Klosterdorf. In den letzten Jahren sind zahlreiche kleine Geschäfte entstanden, darunter eine Kaffeerösterei und verschiedene Boutiquen, die hochwertige Produkte verkaufen. Neues Leben ins Tal gebracht hat auch das mitten während der Pandemie wiedereröffnete Kempinski Palace Hotel. Es verleiht dem Dorf Glanz, der an alte Zeiten erinnert.

Wie Anian Kohler ausführt, erholte sich der Markt bereits 2019, und die Immobilienpreise begannen anzuziehen. «Die Pandemie hat diesen Prozess noch beschleunigt und zur jetzigen Mangellage beigetragen», stellt er fest. Viele Zweitwohnungsbesitzer hätten nicht nur das Wochenende in Engelberg verbracht, sondern auch im Home-Office von hier aus gearbeitet. Doch in diesem Bereich besteht noch Steigerungspotenzial. So zeigte eine vor kurzem bei den Zweitwohnungsbesitzern durchgeführte, nicht repräsentative Umfrage, dass die Ferienwohnungen im Durchschnitt nur während 85 Tagen genutzt werden. Die Betten bleiben also weiterhin meistens kalt.

Niemand kennt den Immobilienmarkt im Klosterdorf besser als Anian Kohler.

Auch das lokale Gewerbe im Dorf hat davon profitiert, dass sich nicht mehr nur Gruppentouristen für Engelberg interessieren. Und selbst die Brunni-Bahnen, die stark auf Familien und Gäste aus der Schweiz setzen, waren trotz den vielen Einschränkungen erfolgreich. Im Corona-Jahr 2020/2021 konnten sie das zweitbeste Ergebnis in der Unternehmensgeschichte schreiben. Kohler freut’s als Verwaltungsrat, konnte sich doch das Unternehmen dank der richtigen strategischen Positionierung sogar in dieser herausfordernden Zeit gut entwickeln.

Rasanter Preisanstieg in Corona-Zeit

Engelberg steht mit der Entwicklung der Immobilienpreise keineswegs allein da. Die Preise für Schweizer Ferienwohnungen in den Bergen sind 2020 so stark gestiegen wie nie mehr seit 2012. Das stellt der «UBS Alpine Property Focus» fest.

Gemäss der Studie mit dem Titel «Die Berge rufen» liegt Engelberg bei den Immobilienpreisen an 15. Stelle von 41 untersuchten Destinationen im Alpenraum. Die Preise in Obwalden sind immer noch vergleichsweise günstig. In St. Moritz (16 900 Franken pro Quadratmeter), Gstaad (16 500 Franken) oder Verbier (14 600 Franken) müssen Ferienwohnungsbesitzer deutlich mehr hinblättern als in Engelberg mit 10 300 Franken pro Quadratmeter. Allerdings ist der Preisanstieg hier mit 10 Prozent innerhalb eines Jahres besonders stark. Im Durchschnitt stiegen die Preise von Ferienwohnungen in den Schweizer Destinationen nur um knapp 4 Prozent.

Leisten können sich solche Preise zunehmend nur noch Gutverdienende, die neu nach Engelberg ziehen. So wie die Sibbings. «Wir sind jetzt keine Expats mehr», sagt Ingeborg Sibbing, die für ein grosses amerikanisches Luxusmode-Unternehmen arbeitet. «Wir sind gekommen, um zu bleiben.» Für Engelberg als Wohnort haben sie sich auch deswegen entschieden, weil das von den Benediktinermönchen der Abtei Engelberg geführte Gymnasium einen hervorragenden Ruf hat.

Gebaut wird in Engelberg trotz Zweitwohnungsinitiative immer noch. Allerdings vor allem im teuren Bereich.

Dass Familie Sibbing kein Einzelfall ist, stellt Anian Kohler im Kindergarten fest, den seine sechsjährige Tochter besucht. Inzwischen gibt es bereits einige neue Kinder aus internationalen Familien, die während der Pandemie zugezogen sind. Doch Engelberg ist schon lange ein touristisch geprägter Ort mit Zweitwohnungsbesitzern aus den verschiedensten Nationen. Einer der bekanntesten Einwohner ist die Fussball-Trainerlegende Ottmar Hitzfeld. Zudem entdeckten vor 25 Jahren Freerider aus Schweden das schneereiche Skigebiet am Titlis und legten damit den Grundstein für eine eigene «Skandinavier-Szene».

Zweitwohnungsinitiative als Schock

Die Corona-Pandemie hat im Dorf Engelberg also für eine deutliche Belebung gesorgt und damit ihren Teil zum Anstieg der Wohnungspreise beigetragen. Doch das Ereignis, das in Engelberg und vielen anderen Schweizer Feriendestinationen fast alles veränderte, liegt nun fast zehn Jahre zurück und lässt sich exakt datieren: Es ist der 11. März 2012. An diesem Sonntag nahmen die Schweizer Stimmbürger die Volksinitiative «Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen!» mit 50,6 Prozent Ja-Stimmen an.

Anian Kohler kann sich noch daran erinnern, was er an diesem Tag gemacht hat. «Ich habe zusammen mit meinem Götti am Engadiner Skimarathon teilgenommen. Wir konnten die Nachricht kaum glauben und schwer einschätzen, was das nun tatsächlich für Engelberg bedeutet.» Doch der Kampf von Umweltschützern gegen die zunehmende Verschandelung der Landschaft traf damals auch in seiner Heimat einen Nerv. In Engelberg, das fast ausschliesslich vom Tourismus lebt und bereits damals 2200 Zweitwohnungen hatte, nehmen 44 Prozent der Stimmenden das Volksbegehren an.

Kutschenfahrten gehören zu den Attraktionen des Tourismusortes.

In der Folge wird in Engelberg gebaut auf Teufel komm raus. Das grosse Geld kommt ins Dorf. Das Klosterdorf, das so gar nichts Mondänes hat, bekommt seinen eigenen Oligarchen: Dmitri Jakubowski. Der russische Multimillionär gründet in Engelberg zwei internationale Firmen und baut. Oder vielmehr, er beginnt zu bauen. An bester Lage mit Panoramasicht soll auf einer Fläche von 6000 Quadratmetern eine Villa mit Wellnessanlage, Coiffeursalon, Heimkino und Tiefgarage für 15 Autos entstehen. Über das Untergeschoss im Rohbau kommt das Gebäude nicht hinaus.

Als er in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, verlässt Jakubowski 2016 den Kanton Obwalden ziemlich unvermittelt. Er lässt einen baulichen Schandfleck zurück, der die Engelberger noch jahrelang an die missglückte Ansiedlung erinnert. Dieser wird erst Jahre später getilgt, als der bereits in Engelberg wohnhafte Reise- und Kreuzfahrtunternehmer Glen Moroney das Grundstück kauft und an der prominenten Lage seinen Familiensitz realisiert.

Kein Wunder, schreiben angesichts solcher und anderer Exzesse Journalisten vom «Häuserkampf im Klosterdorf» und «Bau-Irrsinn mit bizarren Folgen». Doch viele Engelberger regen nicht die Bausünden auf, sondern die Tatsache, dass ihnen die Unterländer verbieten, weiterhin eigenständig über die Bautätigkeit zu beschliessen. Bis das Zweitwohnungsgesetz am 1. Januar 2016 in Kraft tritt, wollen sie Tatsachen schaffen.

Die Zweitwohnungsinitiative konnte nicht verhindern, dass die Landschaft zubetoniert wurde.

Die Folgen prägen das Dorf in den folgenden Jahren. Es kommen immer mehr Zweitwohnungen auf den Markt, die eigentlich niemand haben will. Doch schon bald setzt mit den tiefen Hypothekarzinsen eine Gegenbewegung ein. Die Folgen der Pandemie lassen den Markt endgültig kippen. Die hohe Nachfrage dürfte weiter anhalten, liest sich doch die Analyse aus dem «UBS Alpine Property Focus» für Engelberg wie ein Werbespot: «Die laufenden Wohnkosten sind im Vergleich zu anderen analysierten Destinationen sehr tief. Zudem dürften sich relativ attraktive Renditen durch die Vermarktung einer Ferienwohnung erzielen lassen.»

Einheimische und Arbeitskräfte finden keine Wohnung

Negative Folgen hat der Boom vor allem für eine Bevölkerungsgruppe: die Einheimischen. «Wer kein eigenes Land hat oder im grossen Stil erben kann, für den ist der Traum vom Wohneigentum leider nicht mehr realistisch», bilanziert Anian Kohler.

«Unser Dorf droht auszubluten, wenn es nicht gelingt, Wohnraum für die Menschen zu schaffen, die dauerhaft hier oben leben und arbeiten», sagt Kohler. Tatsächlich arbeiten im Tourismusort fast 80 Prozent aller Erwerbstätigen in der Dienstleistungsbranche. Damit die Qualität der Dienstleistungsbranche und des Gewerbes weiterhin hochgehalten werden kann, braucht es auch qualitativ hochwertigen Wohnraum zu erschwinglichen Preisen.

In Engelberg kann man auch nicht einfach schnell in eine günstigere Nachbargemeinde ziehen. Der Ort liegt am Talende, ist eine Obwaldner Enklave, umgeben von hohen Bergen und nur zugänglich über eine Zufahrt durch den Kanton Nidwalden. Und auch in den nächstgelegenen Gemeinden Wolfenschiessen und Dallenwil, die dank einer S-Bahn im Einzugsgebiet der Stadt Luzern liegen, sind die Immobilienpreise in den letzten Jahren stark gestiegen.

Im Mountain Coworking-Space werden auf Fototapeten die Schönheiten Engelbergs präsentiert.

«Der freie Markt wird das Problem Wohnraum nicht lösen», meint Anian Kohler. So gebe es in Engelberg bis anhin keine einzige Genossenschaft für gemeinnützigen Wohnungsbau. Er bemängelt, dass die Gemeinde bisher nichts unternommen habe, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. «Die Behörden bemühen sich, den Tourismus weiterzuentwickeln. Doch es fehlt am Mut, vorab die Basis für die Entwicklung in der Bereitstellung und Planung des benötigten Wohnraums zu bestimmen.»

Dieser Vorwurf richtet sich an die Politik, und diese wird in Engelberg an vorderster Front durch den Talammann repräsentiert, wie der Gemeindepräsident hier oben heisst. Wir treffen Alex Höchli im Restaurant «Titlis», wenige Meter entfernt von Kohlers Büro. Der Mann von der «CVP Obwalden – Die Mitte», wie sich die Partei hier nennt, weiss, wie seine Dorfbewohner ticken. Bereits sein Vater Alexander Höchli wirkte als Engelberger Gemeinderat und Obwaldner Regierungsrat.

«Ich kann Anians Ungeduld verstehen. Aber was er sagt, stimmt so nicht», sagt Höchli. «Für den Gemeinderat ist es sehr wohl ein wichtiges Anliegen, dass es für die Einheimischen bezahlbaren Wohnraum gibt.» Er schlägt damit ganz andere Töne an als sein Vorgänger Martin Odermatt, der 2011 noch erklärt hatte: «Die Gemeinde ist grundsätzlich nicht verantwortlich für Mietwohnungen.»

Die Dorfstrasse wacht langsam aus dem Dornröschenschlaf auf.

Zurzeit kann die Bevölkerung im Internet über den neuen «Masterplan Engelberg» diskutieren, der die langfristige Entwicklung des Bergdorfs aufzeigt. Unter Ziel 12 heisst es darin: «Die Durchmischung der Bevölkerung wird verbessert. Die Realisierung von preiswertem Wohnraum, insbesondere für Familien und für Angestellte im Tourismus, wird gefördert.»

Wenig Hoffnung auf günstige Wohnungen

Beim Thema günstiger Wohnraum für Einheimische kommen sowohl der Immobilienfachmann wie auch der Talammann unabhängig voneinander auf das Untere Eggli zu sprechen. Je nach Betrachtungsweise handelt es sich um den Hoffnungsträger schlechthin oder den Flop des Jahrhunderts. Das Bauland an bester Hanglage ist seit 1990 im Besitz der Gemeinde und das einzige, über das sie verfügen kann. Vererbt wurde das Grundstück mit der Auflage, dass sie das Land nur zu Bauzwecken für Einheimische zum Eigengebrauch und zu günstigen Konditionen verwenden darf.

32 Jahre später sind die Bagger immer noch nicht aufgefahren. Kohler spricht von «einer heissen Kartoffel, die hin und her geschoben wird». Priorität hatten bisher immer die Projekte für den Tourismus. «Nach der Annahme der Zweitwohnungsinitiative gab es einen grossen Bauboom, von dem das einheimische Gewerbe stark profitieren konnte», so begründet Talammann Höchli einen Teil der Verzögerungen. Nun solle es aber endlich vorwärtsgehen, sagt er. Die Gemeinde ist intern an der Erarbeitung der Pläne, die noch dieses Jahr veröffentlicht werden sollen.

Hohe Berge und immer höhere Häuser bestimmen das Bild von Engelberg.

Und auch einen Plan, wie ein Grossteil der Wohnungen preisgünstig angeboten werden soll, hat die Gemeinde Engelberg. Im unteren Teil des Hanges sollen erschwingliche Wohnungen in Mehrfamilienhäusern für Einheimische entstehen. Querfinanziert werden sollen diese Wohnungen durch die im oberen Teil des Grundstücks realisierten Häuser.

Gemäss Kohler erhöht die Topografie allerdings die Baukosten, was die Tragbarkeit der Parzellen auch im mittleren bis oberen Segment infrage stellt. «In Kombination mit den geltenden Regeln der Zweitwohnungsbeschränkung wird dieses attraktive Land nur für wenige zahlbar sein.» Andere Engelberger behaupten, der Plan der Gemeinde werde nur deswegen nicht aufgehen, weil gemäss dem Erbvertrag alle Wohneinheiten zu günstigen Konditionen verkauft werden müssten.

Etwas Abhilfe in Sachen Wohnungsnot könnte die Institution schaffen, die ab 1120 massgeblich die Entwicklung des Hochtals mitgeprägt hat: die Benediktinerabtei. Der Zürcher Adlige und Stifter Konrad von Sellenbüren stattete das Kloster mit vielen Ländereien aus – die Engelberger Klostergemeinschaft besass Ländereien in Nidwalden, im Knonauer Amt und am Bieler-, am Zürich- und am Vierwaldstättersee. Das Kloster versorgte diese Regionen mit geistiger Nahrung, indem es Priestermönche als Pfarrer einsetzte. Diese Regionen ihrerseits waren für das leibliche Wohl von Kloster und Tal besorgt, indem sie zehntenpflichtig waren und die Zehnten in Form von Lebensmitteln abgalten. Auch heute gehören viel Wald, Berge und einige Bauparzellen in Engelberg der Klostergemeinschaft mit ihren derzeit 18 Mönchen.

Der Siedlungsraum ist durch die Berge eng begrenzt. Nicht umsonst heisst der Talabschluss «Ende der Welt».

«Die Klostergemeinschaft ist sich ihrer Verantwortung bewusst», erklärt Daniel Amstutz, der Geschäftsführer des Klosters Engelberg. Viel Boden habe man bis in die 1970er Jahre verkauft, was aus heutiger Sicht nicht immer ein Vorteil war. «Es geht nicht um ein Investment. Wie mit allen anderen Gütern will das Kloster auch mit dem Boden nachhaltig umgehen», sagt Amstutz. So verkauft die Benediktinerabtei seit 2012 keine Parzellen mehr, sondern gibt sie nur im Baurecht ab. In drei bis vier Jahren könnten im Gebiet Obere Erlen bis zu 70 Wohneinheiten zu erschwinglichen Preisen entstehen.

Doch das ist nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Viele Engelbergerinnen und Engelberger werden in den kommenden Jahren wohl das Dorf verlassen müssen. Alex Höchli macht dafür nicht zuletzt die Zweitwohnungsinitiative verantwortlich: «Das Volksbegehren war ja gut gemeint, doch die Auswirkungen werden nicht zuletzt auf dem Rücken der Einheimischen ausgetragen.»

In diesem Punkt ist Anian Kohler mit dem Talammann einig: «Die Initiative hat ihr Ziel komplett verfehlt. Sowohl für die Einheimischen wie auch für die Feriengäste sind die Wohnungen sehr viel teurer geworden, und die Zersiedelung der Landschaft wurde nicht gestoppt.» Es scheint, als habe der Immobilienboom in Engelberg und vielen anderen Alpendörfern erst so richtig begonnen.

Schnee ist einer der Motoren des Tourismus im Klosterdorf.

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