Vor ein paar Monaten lag ich halb nackt auf dem Rücken in einer Hütte am Strand von Montanita, einem Badeort in Ecuador, und weinte. Tränen liefen über mein Gesicht, während eine Gruppe von Menschen betroffen um mich herumstand. Sie waren wie ich Teilnehmer eines Massage-Workshops. Heute war ich das Versuchskaninchen.
Die anderen hatten meinen Rücken behandelt, meine Beine gewalkt, die Arme massiert. Es war schön, und ich fühlte mich entspannt. Jetzt war die Vorderseite dran. Julie, unsere Lehrerin, nahm ein paar Tropfen duftendes Öl, verrieb es in ihren Handflächen, bis es Körpertemperatur erreicht hatte, und massierte es sanft in meinen Bauch. Ich hielt die Luft an. Alle Muskeln verkrampften sich. Mein Bauch wurde hart wie Beton. Ich spürte, wie Panik in mir aufstieg. Julie spürte es auch und nahm erschrocken die Hände von meinem Körper. “Was ist los?”, flüsterte sie.
Ein schlechtes “Bauchgefühl”
“Ich weiß es nicht”, antwortete ich. Aber das war gelogen. Ich wusste ganz genau, was los war. Ich konnte es nicht ertragen, dass jemand meinen Bauch berührte. Ich hatte das Gefühl, dass dort alle meine Ängste konzentriert waren. Ich wollte nichts mit meinem Bauch zu tun haben. Es ist nicht so, dass ich ihn hasste, wie es – je nach Umfrage – angeblich jede zweite oder dritte Frau tut. Nein, ich hatte mich entschieden, meinen Bauch schlicht zu ignorieren. Er gehörte nicht zu mir. Ich berührte ihn so gut wie nie, mein Mann durfte ihn nicht berühren und irgendwelche wildfremden Leute aus der Massagegruppe erst recht nicht.
Das ging mir durch den Kopf, während ich auf der Liege lag und die Tränen auf meinen Wangen spürte. In diesem Moment beschloss ich, dass damit jetzt Schluss ist. Schluss mit der Ablehnung meines eigenen Bauchs. Mit der Angst, die dort gefangen ist. Ich war bereit, mich der Auseinandersetzung mit diesem ungeliebten Körperteil zu stellen.
Der Schreckreflex
Ich gab Julie ein Zeichen, weiterzumachen, und spürte, wie mein Bauch auf ihre Berührungen reagierte und sich zusammenzog. Heute weiß ich, dass dies der Schreckreflex war. Im Bauchraum befinden sich zwar die wichtigsten Organe des Menschen (Nieren, Leber, Milz, Darm, Blase) und die große Bauchschlagader. Aber gleichzeitig ist es die am wenigsten geschützte Stelle des Körpers. Überall sonst gibt es Knochen und Knorpel. Hier gibt es nur Fett und Muskeln. Und die werden bei Berührung blitzschnell zu einem harten Panzer.
Es kostete mich viel Überwindung, Julies Berührungen zuzulassen. Gut gelungen ist es mir damals noch nicht. Doch als ich am Abend vor dem Spiegel stand, spürte ich zum ersten Mal einen Hauch von Sympathie für meine Körpermitte. Ich spannte die Muskeln an und fühlte ihre Härte, ich ließ sie locker und spürte die Weichheit des Gewebes. Komisch, aber vertraut. Und ganz ehrlich: Trotz zweier Kinder, ein paar Dehnungsstreifen und eines kleinen Rettungsrings – so übel sah er bei näherer Betrachtung gar nicht aus.
Ich wusste nicht, dass sich im Bauchraum 100 Millionen von Gehirnzellen befinden, die offenkundig nicht nur das komplexe Geschehen im Darm steuern, sondern auch unsere Gefühle.
Zurück zu Hause habe ich mich intensiver mit dem Thema befasst. Ich wusste nicht, dass sich im Bauchraum 100 Millionen von Gehirnzellen befinden, die offenkundig nicht nur das komplexe Geschehen im Darm steuern, sondern auch unsere Gefühle. Ärger schlägt auf den Magen, Verliebtsein erzeugt Schmetterlinge, die Erinnerung an Ängste und Gewalterfahrung wird hier gespeichert. Kein Wunder, dass mein Bauch und ich ein paar Probleme miteinander haben. Ich hatte keine besonders schöne Kindheit, wurde misshandelt, musste mich gegen sexuelle Übergriffe wehren. Wenn all diese Erfahrungen in dieser Zone gespeichert werden, hat sie einiges zu tragen.
Minderwertigkeitskomplexe als Lusthemmer
Meine Hamburger Freundin Jana Welch ist Sexologin. Mit ihr zu reden ist immer angenehm und lustig, weil sie nie ein Blatt vor den Mund nimmt. “Hmm”, sagte sie, “wenn du deinen Bauch nicht magst, kann das ein echter Lusthemmer sein. Dann spannst du ihn ständig an beim Sex. Und unter Anspannung kannst du kaum Lust empfinden.” Jana sagt, sie habe viele Klientinnen, die ihren Bauch nicht mögen. Vor allem nach Schwangerschaften und in den Wechseljahren werde der Bauch für viele Frauen zur Problemzone, denn die Hormonumstellung geht oft mit mehr Fettpolstern einher. “Du schaust in den Spiegel”, sagt Jana, “und siehst den Abschied Deiner Jugend.”
Die tröstende Botschaft unserer Unterhaltung jedoch war: Man kann sich mit seinem Bauch versöhnen. Die Technik nennt sich Selbstaffirmation. “Stell dich einmal täglich nackt vor den Spiegel und streichle fünf Minuten lang deinen Bauch. Schau nicht den Bauch an, konzentriere dich auf deine Hand. Und dann sag dir selbst: Mein Bauch ist schön, und ich mag mich so, wie ich bin.” Klingt albern, ist aber angeblich sehr wirkungsvoll. Und wenn alles nichts hilft? “Dann ist die letzte Möglichkeit der Weg zum Schönheitschirurgen”, sagt Jana. “Das ist zwar eine radikale Lösung, aber ich verurteile sie nicht. Manchen Frauen verhilft eine OP zu neuem Selbstbewusstsein und damit auch zu freiem, selbstbestimmtem Sex.”
So eng, dass ich ihn täglich streicheln und mit ihm reden möchte, sind mein Bauch und ich noch nicht. Aber ich lerne gerade, ihn zu mögen. Ich bin Yoga-Lehrerin und habe eine Reihe von Übungen entwickelt, die mir meinen Bauch näherbringen. Durch die Nase einatmen und den Bauch mit Luft füllen, bis er seine maximale Größe erreicht, ist eine davon. Beim aktiven Ausatmen zieht sich der Bauch zusammen und wird ganz flach. Das ist ein gutes Gefühl: Ich kann selbst steuern, wie mein Bauch aussieht. Ich spüre ihn dabei intensiv, und das Atmen löst die Spannungen in der Bauchdecke.
Beim Yoga dem eigenen Körper ganz nahe kommen
Überhaupt ist Yoga hervorragend dafür geeignet, seinen Körper kennen- und lieben zu lernen. Bei fast allen Übungen ist der Bauch angespannt und flach. Die Schultern sind nach hinten gerichtet, der Brustraum geöffnet. Das sieht nicht nur stark und selbstbewusst aus, das macht auch stark und selbstbewusst. Umso leichter fällt es loszulassen, dem Bauch den Raum zu geben, den er braucht, und trotzdem die Situation zu genießen.
Neulich war ich wieder bei der Massage. Nicht am Strand, sondern in einer hübschen Praxis in München. Ich lag auf dem Rücken und hatte die Augen geschlossen. Ich fühlte die Hände der Masseurin an meinen Füßen. Sie wanderten aufwärts, bis zur Hüfte und dann zur Mitte. Richtung Bauch. Ich konzentrierte mich auf meine Atmung. Ein und aus. Ein und aus. Ich versuchte nichts zu denken, nur zu fühlen. Und dann spürte ich ihre Hand auf meinem Bauch. Meine Muskeln zuckten. Ich atmete ruhig weiter und schließlich entspannte sich meine Bauchdecke ein wenig. Ich konnte die Berührung ertragen. Immerhin.
Mein Bauch und ich sind auf einem guten Weg. Wenn es so weitergeht, könnte daraus eine schöne, neue Freundschaft werden.
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