Katja Lewina: “Ruft eure Ex-Partner:innen an!”

Die Autorin Katja Lewina hat ihre Ex-Freunde getroffen, um herauszufinden, was sie in Beziehungen falsch gemacht hatte und hat dabei sehr viel über sich und die Liebe gelernt.

Barbara.de: Liebe Katja, kürzlich ist dein neues Buch „Ex“ erschienen. Dafür hast du dich mit einigen deiner Ex-Freunde getroffen, um mit ihnen über eure gescheiterte Beziehung zu sprechen. Wie bist du auf diese Idee gekommen?

Katja Lewina: Ich hatte gerade Liebeskummer – mal wieder, mit Mitte 30 – und dachte eigentlich, dass ich das mit der Liebe und den Beziehungen in diesem fortgeschrittenen Alter irgendwie besser hinbekommen sollte als mein 16-jähriges Ich. Aber weit gefehlt. Und im Zustand dieser Enttäuschung hatte ich Kontakt mit einem meiner Ex. Als wir über uns damals gesprochen haben, haben wir festgestellt, dass wir zwei komplett unterschiedliche Versionen ein und derselben Geschichte haben. Das war eine Beziehung, bei der ich nicht verstanden habe, warum sie eigentlich schiefgegangen ist. Durch dieses Gespräch merkte ich: Wow, vielleicht gibt es ja tatsächlich noch etwas anderes, neben meiner Sicht der Dinge. Vielleicht lohnt es sich auch an anderen Stellen nochmal genauer hinzugucken. Was entgeht mir, wenn ich nicht mit meinen anderen Exfreunden über die Enden unserer Beziehungen spreche und was kann ich für meine Zukunft noch lernen? Und damit fing alles an.

In vielen Fällen geht man nicht ganz unbeschadet aus einer Beziehung. Freundschaftlich verbunden zu bleiben, schaffen die wenigsten. Ist es dir schwergefallen, Kontakt zu deinen Exfreunden aufzunehmen?

Stimmt, das ist eher die Ausnahme. Vor allem in jungen Jahren ist es mir überhaupt nicht gelungen, irgendwie freundlich auseinander zu gehen. Es war immer eine Vollkatastrophe. Daher war ich wirklich aufgeregt vor diesen Treffen und noch mehr vor der Kontaktaufnahme, weil das auch ein bisschen creepy ist, so nach 15, 20 Jahren jemanden im Internet zu stalken und zu schreiben. Das kommt aus dem Nichts und ich hatte schon Angst, dass das nicht nur auf Zuneigung stößt.

Wie war dann die Resonanz?

Es gab schon das Überraschungsmoment bei einigen, die sich gefragt haben, warum ich jetzt mit ihnen darüber sprechen will. Gefreut haben die sich dann am Ende trotzdem. Aber es gab auch eine Person, die sich mit Händen und Füßen gewehrt hat. Und das war dann auch in Ordnung.

Was glaubst du war der Grund dafür?

Vielleicht ist noch nicht genug Zeit vergangen. Auch wenn ich das für sehr heilsam und sinnvoll halte, auch ohne viele Jahre vergehen zu lassen, an den gemeinsamen Themen dranzubleiben und sich die Dinge anzuschauen, brauchen manche Menschen einen größeren emotionalen Abstand, um sich darauf einlassen zu können. Vielleicht waren die Verletzungen einfach noch zu frisch. 

Was hast du dir von den Gesprächen erhofft?

Mir ging es vor allen Dingen erstmal um mich selbst. Ich wollte etwas über mich selbst lernen und vielleicht als kollateral Produkt, dass die andere Person auch mal bei sich guckt. Ich wollte meine Beziehungen verbessern, meine Beziehungsfähigkeit. Aber was ich bekommen habe, war noch viel, viel mehr. Denn in fast allen Fällen haben wir es geschafft, uns auf eine sehr schöne Weise wieder anzunähern, im Sinne von: „Hey, du hast mich ein Stück von meinem Leben begleitet. Und das hat einen Grund. Wir können einander dankbar sein.“ Mit vielen von diesen Menschen bin ich auch jetzt noch in Kontakt und wir teilen Dinge und sind froh darüber, uns wieder in unseren Leben zu haben. Das ist eigentlich ein sehr viel größeres Geschenk, als ich mir vorstellen konnte.

Gab es auch das Gegenteil? Männer, bei denen du sagst, war gut, gesprochen zu haben, aber brauch ich auch nicht noch mal?

Eine Situation gab es, und ich habe damit ehrlich gesagt nicht gerechnet. Vielleicht auch, weil die Treffen davor so versöhnlich waren. Und dann dieser Dämpfer! Aber es war auch in Ordnung zu merken: Ich muss nicht von allen gemocht werden. Ich muss nicht alle mögen. Und hinter manche Menschen kann man auch einfach einen Punkt machen.

Bei einer Trennung sucht man oft nach dem Punkt, wo es schief gelaufen ist und viele schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Ging es in den Gesprächen viel um die Frage, wer denn nun verantwortlich für die Trennung ist?

Erstaunlich wenig. Es standen schon Vorwürfe im Raum, aber es gab nie so ein „Du bist schuld gewesen“. Vielleicht habe ich auch einfach ein gutes Händchen mit den Männern gehabt, dass ich mir nicht vollkommen unreflektierte Typen rausgesucht habe. Grundstätzlich finde ich die Idee von Schuld hinterfragenswert, natürlich mit Ausnahme von Missbrauch oder Gewalt. Am Ende sind es immer zwei erwachsene Menschen, die sich die Beziehung suchen und in der Beziehung bleiben. Wir müssen nirgendwo bleiben, wo wir uns schlecht behandelt fühlen.

Deine Ex-Männer sind sehr unterschiedlich. Da gab es einen Künstler, einen Politiker und einen Punk, aber so richtig geklappt hat es mit keinem. Konntest du Muster aufdecken, an denen du immer wieder gescheitert bist?

Auch wenn die Männer sehr unterschiedlich sind, meine Muster blieben die gleichen. Ich habe einen ausgeprägten Hang zum Mismatch, habe immer schon gerne eine Wahl getroffen, bei der mir von vornherein eigentlich klar war, dass das nichts werden kann. Das liegt vermutlich daran, dass meine Idee von Beziehung so geprägt ist, dass sie nicht stetig, glücklich oder entspannt sein kann. Und ansonsten habe ich 1.000 Sachen über mich selbst gelernt – wie ich mich verhalte, wie ich Konflikten aus dem Weg gehe, wie ich versuche, Verletzungen zu vermeiden. Ich glaube, die meisten von uns haben solche Beziehungsmuster, die ganz unterschiedlich ausgeprägt sein können und die ihren Ursprung in unserer Kindheit haben, im Verhältnis unserer Eltern zu uns, aber auch dem Verhältnis unserer Eltern oder nahen Bezugspersonen untereinander. Wir sind komplett geprägt von unseren ersten Beziehungserfahrungen und es bedarf wahnsinnig viel Arbeit und Bewusstsein, um da Licht reinzubringen und dem auch nicht mehr so ausgeliefert zu sein.

Gehst du jetzt anders mit dir um? Also wenn du dann merkst, okay, hier klopft wieder so ein Muster an, bist du da jetzt sensibler?

Wenn ich mich jetzt mit mir vor einem Jahr vergleiche, dann ist das ein unglaublich großer Unterschied und ich habe mich ja damals schon für reflektiert, offen und mitteilsam gehalten. Aber das war totaler Bullshit. Es ist tatsächlich bei den meisten von uns noch sehr, sehr viel Platz nach oben. Und diese Reise hört auch nicht auf. Ich bin mir sicher, ich werde mich auch noch weiterentwickeln.

Wurden da auch alte Wunden wieder aufgerissen?

Es gab diese Begegnungen, wo auch Verletzungen noch mal eine Rolle gespielt haben. Ist es nicht interessant, wie so ein alter, verwunden geglaubter Schmerz wieder präsent und real werden kann? Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Leute einander teilweise über Jahrzehnte hinweg nicht verzeihen können. Sie haben ihren Schmerz noch immer nicht losgelassen. Es war extrem heilsam, da zusammen mit der anderen Person rein zu spüren und all diese Gefühle anzunehmen, bei sich selbst, aber auch bei dem anderen.

Konntest du das dann hinterher für dich abschließen?

Ich glaube, so funktioniert es nicht, dass man einmal mit jemandem spricht, der einem mal wehgetan hat, und dann ist es vorbei. Woran wir leiden, ist oft eine Kumulation von Verletzungen, an die wir auch in späteren Beziehungen erinnert werden. Ich merke, dass ich in diesem Prozess schon wesentlich weitergekommen bin und Frieden mit dem machen konnte, was hinter mir liegt. Aber da ist sicherlich trotzdem noch Luft nach oben.

Du selbst musstest von deinen Exfreunden auch viel einstecken. Hat dich das sehr getroffen?

Gott ja, ich war schon sehr hart konfrontiert mit mir selbst und den Fehlern, die ich begangen habe, weil das auch nicht in mein Selbstbild gepasst hat. Wir finden ja unglaublich viele Entschuldigungen für alles, was wir tun. Und diese ganzen Erklärungen mal beiseite zu nehmen und anzunehmen, dass ich mit meinem Verhalten Menschen verletzt habe – das passte nicht zu dem, wie ich mich selbst betrachtete, nämlich eigentlich als liebevollen, freundlichen und auch liebenswerten Menschen. Es ist gut, so ein Korrektiv von außen zu bekommen. Eigentlich bekommen wir das ja die ganze Zeit, nur meistens stellen wir uns gegen so eine Art von Kritik. Dabei liegt die Wahrheit meist irgendwo dazwischen. Aber alleine das Annehmen der Tatsache, dass die andere Person auch ihre Wahrheit hat und oben drauf ein Recht darauf, genauso wie ich ein Recht darauf habe – das schließt ganz viele Wunden.

Die Gespräche sind ja offensichtlich auch sehr versöhnlich gewesen.

Bei Liebeskummer wird einem immer geraten, die andere Person rigoros aus dem Leben zu schmeißen, damit man bloß nicht an sie erinnert wird, damit bloß keine Gefühle hochkommen. Das halte ich für fatal. Denn weil dich jemand verletzt oder enttäuscht hat oder einfach nicht mit dir zusammen sein möchte, heißt das nicht, dass das ein schlechter Mensch ist oder dass es sich nicht lohnen würde, versöhnlich auseinanderzugehen. Da sind zwei Menschen zusammen ein Stück ihres Weges gegangen und waren füreinander da. Wenn einer von beiden eine Klärung braucht, dann finde ich es selbstverständlich, einander diesen Gefallen zu tun.

Konntest du eine Quintessenz rausfiltern, warum Beziehungen kaputt gehen?

Zum einen beginnt es oft schon mit der Wahl unserer Partner:in, der:die von vornherein nicht passt. Wir spüren schon, wo die Probleme liegen werden und das es eventuell nicht ganz so hinhaut, wie wir es uns wünschen. Und zum anderen verharren wir in unbewussten Mustern, mit denen wir Beziehungen sabotieren. Es gibt Menschen, die zetteln Streit an, es gibt Menschen, die kapseln sich ab, weil sie Angst vor Intimität haben. Also all diese Dinge, derer wir uns nicht gewahr sind, die es uns schwer machen, wirkliche Intimität mit jemand anderen aufzubauen.

Die einen kommen gar nicht erst in eine Beziehung, andere gehen nicht, obwohl sie wissen, dass sie ihnen nicht guttut. Warum machen wir das?

Weil wir mit bestimmten Themen noch nicht fertig sind. Ich zum Beispiel hing einige Male in super anstrengenden Beziehungen fest, weil für mich Liebe lange Unsicherheit bedeutete. Das ist die Art von Beziehung, die ich aus meiner Kindheit kenne. Aber: Es ist vorbei, wenn es vorbei ist. Man kann niemanden dazu zwingen, eine unbefriedigende Situation zu verlassen. Und sich selbst auch nicht. Irgendwann kommt hoffentlich dieser Punkt. Voraussetzung ist nur, dass man sich damit beschäftigt, was eine:n so umtreibt, sonst kann man lange warten.

Du lebst in einer offenen Ehe. Wie war dieses Projekt für deinen Ehemann? Du hast dich auch nochmal neu in einen deiner Ex verliebt…

Ich habe mit meinem Mann wirklich sehr großes Glück, dass er mich in allem, wo ich Bock drauf habe, unterstützt. Was allerdings schwierig geworden ist, ist die Tatsache, dass ein Exfreund von mir einen sehr großen Platz in meinem und damit auch in unserem Leben eingenommen hat, wodurch sich die Beziehung zwischen meinem Mann und mir auch verändert hat.

Da seid ihr noch in der Findungsphase?

Genau. Das müssen wir tatsächlich anerkennen, dass Beziehungen einem ewigen Wandel unterlegen sind. Gerade jetzt gucken wir, wie es für alle funktionieren kann.

Was mich beeindruckt hat: Du bist super offen in allem. Wenn du berichtest, wie du mit wem Sex hattest, machst du dir Gedanken darüber, wer das lesen könnte? Deine älteste Tochter ist 14, liest sie deine Bücher?

Ja, sie liebt sie, auch wenn es manchmal vielleicht merkwürdig ist, all diese Dinge über die eigene Mutter zu lesen. Wir reden aber auch sonst sehr offen über diese Themen, insofern ist nur weniges wirklich shocking. Die Girls in ihrem Alter haben alle “Sie hat Bock“ gelesen, das ist schon cool. Auch was die Öffentlichkeit angeht, bin ich super entspannt, aber ich kenne Scham sehr gut, was andere Menschen aus meinem engsten Umfeld betrifft. „Oh Gott, wird mein Schwiegervater jetzt lesen, wie ich Blut von irgendeinem Schwanz lecke?“. Da weiß ich nicht, ob das zu viel ist. Aber ich hoffe einfach, dass die Menschen erwachsen genug sind, selber zu entscheiden, was sie lesen wollen und was nicht.

Am Ende deines Buchs empfiehlst du uns allen, den Hörer in die Hand zu nehmen und unsere Exfreunde anzurufen.

Wenn ihr irgendwas mit der Liebe zu klären habt und nicht wisst, warum es bei euch nicht so funktioniert, wie ihr gerne wollt, dann ja: Ruft eure Ex-Partner:innen an.

Katja Lewina wurde 1984 in Moskau geboren, studierte Slawistik sowie Literatur- und Religionswissenschaften. Sie arbeitete als freie Lektorin und im Künstler:innenmanagement. Heute ist sie freie Autorin für namhafte Medien. Bei DuMont erschienen die SPIEGEL-Bestseller ›Sie hat Bock‹ (2020) und ›Bock. Männer und Sex‹ (2021).

© PR

Katja Lewina trifft in “Ex” die zehn wichtigsten Männer ihres Lebens, wühlt mit ihnen in alten Erinnerungen und entdeckt psychologische Muster, die viel mit ihr selbst, aber auch mit unserer Gesellschaft zu tun haben. So beleuchtet sie die endende und neu entstehende Liebe in Zeiten des Patriarchats und der scheinbar unbegrenzten Wahlmöglichkeiten und gibt Antworten auf die Frage, was in der Liebe alles schiefgehen kann.

“Ex” ist im Dumont Verlag erschienen und kostet 22 Euro.

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