Kindern Grenzen setzen: Kann man alles durchgehen lassen?

Strafen? Au ha! Böses Wort heutzutage. “Konsequenzen” ist ok, “Grenzen setzen” ok – aber Strafen? Das klingt nach schwarzer Pädagogik und irgendwie unmodern und undemokratisch. Pfui. Andrerseits denk ich als dreifache Mutter nach leidvollen Erfahrungen: Man kann den kleinen Halunken doch nicht alles durchgehen lassen, oder?

Trotzdem, sicher ist sicher. Lasst uns mal vorab ein paar Dinge festlegen, die als Strafe ein absolutes NO-GO sind. Die kennen wir Eltern eigentlich, die “Schwarze Liste”:  

Da ist erstensHauen, gern auch als “Klaps auf den Po” verharmlost. Ich finde: Körperliche Züchtigung jeder Art geht gar nicht. Es mag sein, dass einem trotzdem mal die Nerven durchgehen, aber man sollte es sich bei diesem Thema nicht leicht verzeihen. Schläge, auch “kleine”, zerstören Kinderseelen und haben nur einen Effekt: nämlich Ohnmachtsgefühle und Gegenaggressionen auszulösen. Kann richtig schlimmen Schaden anrichten. Unbedingt zusammenreißen – oder sich Hilfe holen, wenn man merkt, man schafft es nicht; zum Beispiel, weil man früher selbst so bestraft wurde. Sucht Euch eine Erziehungsberatungsstelle in Eurer Nähe und holt Euch Hilfe.

Zweitens: Schweigen bzw. Liebesentzug. Fällt unter psychische Gewalt und ist somit kein Stück besser als Hauen – meine Meinung. Jemanden mit Nichtachtung zu strafen, weil er einen Fehler begangen hat, geht mitten ins Herz und macht dort viel kaputt.  

Drittens: emotionale Erpressung. (Bitte in die gleiche Schublade stopfen, schließen und nicht wieder öffnen): emotionale Erpressung nach dem Motto “Wenn du das wieder machst, wird die Mama furchtbar traurig, furchtbar, furchtbar traurig.”   

Viertens: der stille Stuhl. Früher stand man in der Ecke und sollte “sich was schämen”; dank der Super Nanny war eine Abwandlung davon auch dieser Tage mal wieder in Mode, aber der stille Stuhl ist ein äußerst umstrittenes Instrument, um verhaltensauffällige Kinder zur Raison zu bringen. Das Hauptproblem daran: Gerade besonders  aufmüpfige Kinder schreien mit ihrem Verhalten nach ganz anderem als nach rigorosen Strafen. Sie schreien nach Halt. Sie mögen Grenzen austesten wollen, ja, aber meist, weil sie sich emotional im freien Fall befinden. 

Sorry, ich bin gleich fertig mit den No-Gos, aber wichtig ist mir noch: Strafen – auch die “guten” – sind bei Babys und Kleinkindern eh fehl am Platze. Denn nach meiner bescheidenen Erfahrung als dreifache Mutter mit schwachen Nerven muss man sich beim Thema Strafen vor allem eines fragen: Warum will ich strafen? Was will ich erreichen? Und das ist bei Babys und Kleinkindern höchstens eine immense Einschüchterung und Verunsicherung. Also nicht machen, bitte! Hier besser auf Liebe, Lob, Herz, Hirn und Humor setzen, um die Kleinen auf die rechte Bahn zu lotsen.

Jetzt zu den Strafen. Puh. Ok, also: Eine Rundumsorglos-Antwort für alle Kinder gibt es natürlich nicht. Zu unterschiedlich sind die Kinder, zu speziell die Situationen. Aber für mich hab ich gelernt: Als Eltern hat man Macht, und man muss sie ausfüllen und nutzen, sonst geht die Sache nach hinten los. Nutzen. Nicht ausnutzen. Nicht missbrauchen – wie zum Beispiel durch körperliche Gewalt. Dann wird Strafe in der Tat ein Werkzeug schwarzer Pädagogik. Schwierig ist auch: die Machtausübung auf den Partner abzuwälzen, weil man selbst lieber der Sugardaddy ist oder sich als Mama richtiges Durchgreifen nicht zutraut. “Warte, bis Papa nach Hause kommt“ oder “Lass das bloß nicht Mama sehen” ist im Grunde eine Bankrott-Erklärung, und jedes Kind spürt das. Zumal die dann herbeigesehnte hyperstrenge Autorität langfristig bei Kindern kein Verständnis, sondern aggressive Gegenwehr auslöst. Gut und verantwortungsbewusst genutzt ist Machtausübung einfach die Übernahme von Verantwortung, in die man als Eltern nun mal gestellt ist. Kinder spüren sofort, wenn ein Machtvakuum da ist – und füllen es notfalls selbst aus.

Und so sind meiner Meinung nach auch Strafen ein möglicher Ansatz (von vielen), um Kinder zu sozialen Wesen zu erziehen. Das geht nicht immer nur mit Loben. Auch ein gutes, verständnisvolles Gespräch hat ab einem gewissen Punkt ausgedient.   Deshalb jetzt mal der Praxis Check für etwas ältere Kinder:

Beispiel 1

Mein Kind haut ein anderes Kind beim Spielen, am besten noch während eines Besuches bei Freunden. Knifflige Königsdisziplin. Im Affekt selbst hauen fällt  – na klar  – aus. Auch hier also wieder wichtig die Frage: Warum denke ich jetzt, dass ich mein Kind bestrafen muss? Antwort wäre wohl: Damit es lernt, dass Gewalt ein unerwünschtes Verhalten ist, oder? Dass die Gruppe, in der ich lebe (Familie, Freunde, Kindergarten, Schule – egal) mich ausschließen wird, wenn ich mich so a-sozial verhalte. Also: raus aus der Gruppe.

Ermahnen ist eh für die Katz – überhaupt hab ich die Erfahrung gemacht: weniger reden, öfter handeln! Vielleicht einmal noch die Chance geben und dann: Feierabend. Weg vom Spielplatz, ab nach Hause, ab aufs Zimmer – was auch immer.  Das ist, zugegeben, eine Mischung aus Folge und Strafe, aber alternativlos, wie ich finde. Hinzu kommt: Es ist auch dann richtig, wenn das Kind einfach müde und überdreht ist; raus aus der Situation muss es jetzt eh.

Tricky hier: Der Gesichtsverlust vor den Freunden. Wenn wir ehrlich sind, spielt das bei der Auswahl der Strafe bzw. des Strafmaßes nicht selten eine Rolle. Immer gut also: Fehlverhalten nicht persönlich nehmen, das kühlt die Nerven und ermöglicht Augenmaß.

Beispiel 2

Mein Kind lässt Sachen mitgehen; mal ein Schleich-Tier aus dem Kindergarten, mal ein Filly-Pferdchen der Freundin beim Playdate oder die zwei Euro aus der Automittelkonsole. Hier ist es schon sinnvoll, sich mal auszumalen, wo das hinführt, wenn es nicht aufhört. Also muss was geschehen. Beim ersten Mal aber würde ich auf Gespräch setzen: vor allem zunächst deutlich erklären, dass nicht alles, was rumliegt, herrenlos ist. Und die „Strafe“? Darüber hinaus eine Entschuldigung beim Beklauten und Zurückzahlen/-geben natürlich. Das ist nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig, zumal, wenn dabei das Sparkonto geplündert werden muss; ist im echten Leben der Großen auch so. Ehrlich gesagt: Um die Strafe dann durchzusetzen, hab ich auch schon mal zu Erpressung gegriffen: “Wenn du das Filly-Pferd nicht zurück gibst, gehen wir nicht ins Kino, basta. Kannst du dir ja überlegen.“ Unfein und auch schwach, aber wie gesagt, irgendwann muss auch die schönste Nein-Doch-Nein-Doch-Diskussion ein Ende haben. Machtausübung, sag ich nur. Die Hauptbotschaft ist hier nach aller Erklärung: Dieses Verhalten wird sanktioniert.

Tricky hier: Die wichtigste Frage ist trotzdem zu klären, nämlich das Warum? Bei älteren Kinder auch: “Gibt es einen sozialen Druck in der Klasse, der dazu führt, dass du meinst, etwas unbedingt haben zu müssen, das du dir sonst nicht leisten kannst?” Auch die Taschengeldhöhe muss vielleicht mal wieder ergebnisoffen diskutiert werden, wenn das Kind wirklich das einzige ist, das in der Klasse pro Woche nur 50 Cent bekommt. Kann sein, dass man sich dann auch mal als Eltern bewegen oder fragen muss: Was läuft grundsätzlich  in unserer Erziehung schief, wenn unser Kind nicht aufhört zu klauen?

Beispiel 3

Ich bin sauer, weil mein Kind mich gerade nervt, zB. „frech“ ist. Dann – Hand aufs Herz – ist eine Strafe im Grunde nicht das richtige Mittel. Wenn ich meinem Kind zeigen will, dass es „in diesem Ton“ bei mir auf Granit beißen wird, dann ist hier eher das angebracht, was Profis eine logische Konsequenz  nennen. Mutter reagiert also so: „Du schreist mich den ganzen Tag an, und behandelst mich, als wäre ich ein Boxsack und fragst mich dann, ob ich Dich zum Ballett fahre, weil es regnet? Lass mich kurz überlegen … nö.“ Das Kind lernt also: „Wie ich in den Wald hineinrufe, so schallt es hinaus“. Oder andersrum: „Wenn ich nett bin, sind andere nett zu mir.“  Wenn es also meine Absicht war, dem Kind zu zeigen: “So nicht, Schätzelein!” – dann wäre das doch ein hübsches Ergebnis. Mission accomplished. Was soll ich da jetzt mit Strafen wie Fernsehverbot kommen?

Tricky dabei ist nur die Entschuldigung. Natürlich soll man sie annehmen – aber mal ehrlich: Kinder sind ja nicht blöd. Sie entschuldigen sich natürlich auch deshalb, weil sie hoffen, dass man dann doch fährt. Mein Tipp: Entschuldigung annehmen, hart bleiben und dann: Neuanfang ohne weiteres Beleidigtsein.

Beispiel 4

Vertrauensmissbrauch. Großes Wort und ein Thema, das auch eher für größere Kinder relevant ist. Konkret geht es um sowas wie: “Wir hatten doch vereinbart, du hörst auf am Computer zu spielen, wenn der Timer klingelt – aber du hast einfach weiter gespielt.” Oder “Wir hatten gesagt, dass du zu Hause bist, BEVOR es dunkel wird, jetzt ist es acht und stockfinster.”  Oder “Die Ansage war doch klar: Fahrradhelm auf, egal ob es cool ist oder nicht.” Hier wäre es jetzt sehr leicht, die Traurig-Karte zu spielen; “Mama ist sooo enttäuscht” usw. Besser zieht nach meiner Erfahrung allerdings die klare Konsequenz/Strafe, die nix mit gespielter Enttäuschung oder Tränendrüse-Drücken zu tun hat: “Du darfst etwas machen, weil ich dir vertraue. Wenn ich dir nicht mehr vertrauen kann, darfst du es (zumindest heute oder morgen oder die nächste Woche) nicht mehr machen.” Ganz einfache unemotionale Gleichung. Ein Warnschuss, dann ist erstmal Schluss. 

Beispiel 5

Achtlos Dreck machen. Spätestens jetzt ist klar, warum ich beim Thema Strafen die Kleinkinder mal außen vor lasse. Die machen Dreck, weil sie alles ausprobieren und vermatschen und verplanschen wollen. Das ist unglaublich nervig, aber trotzdem gut so.

ABER: Wenn das Kind ein gewisses Alter (so ab dem dritten Lebensjahr) überschritten hat, dann heißt es Obacht und wehret den Anfängen! Dann können die sehr wohl kapieren, dass man die Schuhe an der Tür auszieht, BEVOR man den Dreck überall rumträgt. Und dass man, wenn man eine Sauerei gemacht hat, die wieder aufräumen muss. Alles im Rahmen der Möglichkeiten, aber trotzdem. Strafe ist dann die Konsequenz, die alle Hausmänner und -frauen ausbaden müssen: sauber machen, weg machen – und zwar selbst! Bei weiterer Begriffsstutzigkeit kann man als kleine Schikane auch mal den Putzradius ausweiten: wegmachen PLUS Klo putzen. Richtig dosiert, zerstört das keine Kinderseele, sondern nur alte Rollenbilder. Und das ist ok.

Am Ende nochmal kurz Spaß beiseite. Ich behaupte: Kinder, die Zuwendung, gute gemeinsame Zeit mit den Eltern und Zärtlichkeit erfahren, verhalten sich gemeinhin recht kooperativ – Trotzphase und Pubertät mal abgezogen. Es gibt Kinder, die trotzdem mehr Führung brauchen als andere. Das kann sehr viel Kraft kosten. Wenn es Eure Kräfte überfordert, holt Euch Hilfe und Beratung bevor Ihr zum falschen Mitteln greift. Das Rad ist schwer zurückzudrehen. Denn keine Strafe, darf das Vertrauen der Kinder in Eure Loyalität zerstören und in das Wissen, dass sie zu Euch kommen können, wenn sie (auch schwere) Fehler gemacht haben. Wer diese Messlatte immer am Mann hat, wird nicht allzu schief liegen. 

Julia Schmidt-Jortzig