“Sie sind viel zu klar für ein Burnout”, sagte der Psychologe, zu dem mich meine Hausärztin überwiesen hatte. Okay, das war es also nicht. Aber was dann? Ich war immer müde, ohne Appetit, und leistungsmäßig ging es irgendwie auch nicht voran bei meinem Training für den Halbmarathon. Nicht mal auf Alkohol hatte ich Lust. Irgendwas stimmte nicht. Aber was?
Das volle Kinderwunsch-Programm ohne Erfolg
Als nächstes überwies mich die Hausärztin zum Kardiologen. Der fand nichts. Die Hausärztin diagnostizierte, vielleicht, verfrühte Wechseljahre – ich war 44, ich hatte Schmierblutungen. Vielleicht auch diverse Mangelerscheinungen. Jedes Blutbild gab Raum für weitere “Könnte-sein”-Überlegungen.
Es war meine Osteopathin Beate, die sich mein drittes Blutbild genauer ansah: “Dein Östradiolwert ist dreimal so hoch wie normal. Ich würd’ ja lachen, wenn du schwanger wärst.” Ich lachte nicht mit, aber ich war auch nicht mehr verletzt, wie ich es noch vor Kurzem gewesen wäre. Denn ich hatte endlich akzeptiert, dass wir keine Kinder bekommen würden.
Woran es lag, hatte uns nie jemand sagen können. Eigentlich war “alles gut” bei mir und “alles gut” bei meinem Mann. Eine relativ geringe Spermienzahl, okay, das ist aber bei ungefähr der Hälfte aller europäischen Männer so. Mit ein bisschen medizinischer Hilfe sollte das klappen, hatten die Ärzte uns Mut gemacht. Wir landeten beim vollem Kinderwunsch-Programm, zogen es über Jahre durch. Es klappte nicht.
In meiner Gebärmutter war, einfach so, ein Baby gewachsen
Irgendwann beschlossen wir: Jetzt ist Schluss. Schluss mit dem bangen Warten jeden Monat, aber auch Schluss mit der Heimlichtuerei und den Lügen wie: “Och, wir machen lieber noch Karriere, Kinder kommen später dran.” Endlich konnten wir den befreienden Satz sagen: “Wir hätten gern Kinder gehabt, aber es hat leider nicht geklappt.” Endlich konnten wir die nächsten Jahre planen. Wir würden jetzt eben ein Double-income-no-kids-Paar sein. Dass der Druck endlich weg war, tat unserer Beziehung gut. Verdammt gut.
Warum musste dann jetzt so was Furchtbares passieren? Warum musste ich jetzt krank werden, wo die Zukunft endlich wieder entspannt vor uns lag? Beates Satz mit der Schwangerschaft hatte ich natürlich überhaupt nicht beachtet. Stattdessen googelte ich eine lange Nacht lang “erhöhter Östradiolwert”. Die einzig mögliche Antwort schien: Ich hatte Gebärmutterkrebs.
Meine Frauenärztin machte einen Ultraschall auf der Suche nach dem Tumor in meiner Gebärmutter. Aber das, was wir da beide auf dem Bildschirm sahen, war kein Tumor. “Gott, sind Sie schon weit”, sagte die Ärztin. Das, was war wir sahen, war meine Tochter Liv. In meiner Gebärmutter war, einfach so, ein Baby gewachsen. “Hab ich’s mir doch gedacht”, sagte die Ärztin.
Glückliche Zufälle
Mit 44 war ich schwanger geworden – und jetzt schon in der 16. Woche. Mein erstes Trimester war vorbei, mit allen Risiken (Fehlgeburt) und nicht gemachten Checks (Nackenfalte). Ich dachte nur: Dieser Wurm hat es bis hierher geschafft, den hält jetzt nichts mehr auf. Ich verzichtete auf alle noch möglichen Tests. Ich wollte dieses Baby, egal wie es sein würde.
Der erste Satz, den mein Mann sagte, war: “Gottseidank haben wir die Loftwohnung nicht gekauft.” Ich interpretierte das als Schock. “Wie kann man so lange nicht merken, dass man schwanger ist?”, war die Frage, die ich von da an am häufigsten hörte. Nun, offenbar kann man unerfüllte Wünsche so tief in sich vergraben, dass der gesunde Menschenverstand sie nicht mehr zu fassen kriegt. Sonst wäre ich vielleicht bei meiner neuen BH-Größe stutzig geworden. So aber dachte ich: Jedes Modell hat halt eine andere Größe. Ist bei Jeans ja nicht anders.
“Ich finde es toll, dass es jetzt doch noch auf natürlichem Weg geklappt hat. Man muss sich eben einfach entspannen”, sagten die Leute zu uns. Sie meinten es nicht böse, aber ich verabscheute diesen Satz. Ein Laborkind wäre euch dann doch unheimlich gewesen, oder was? Und nein, Entspannung ist nicht der Weg zum Ziel. Diese Annahme ist beleidigend. An alle Kinderwollenden, die das hier lesen: Ich hatte verdammtes Glück, und ich habe gelernt, dass das Leben nicht fair ist. Glückliche Zufälle werden genauso willkürlich verteilt wie Schicksalsschläge. Nichts anderes.
Hallo, Teilzeit!
Unser verdammtes Glück ist jetzt zwei Jahre alt. Liv hat unser Leben auf den Kopf gestellt, und ich bin jeden Tag dankbar dafür (okay, nicht unbedingt immer nachts um zwei in den Zahnungsphasen). Und ja, ich vermisse mein altes Leben trotzdem. Ich würde gerne wieder öfter segeln gehen, mehr Einfluss im Job haben (Hallo, Teilzeit!), ich hätte gern mehr Zeit für interessante Vorträge, Konzerte und Filme. Und ich vermisse meine aktiven, interessanten, inspirierenden (gewollt und ungewollt) kinderlosen Freundinnen, die sich leider zurückgezogen haben. Ich kann es ihnen aber nicht verübeln. Und das alles wird komplett unwichtig, wenn ich morgens um sechs von patschenden Händen und einem feuchten, fröhlich plappernden Mini-Mund geweckt werde. Dann kann das Leben einfach nicht schöner sein.
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