Kleidung recyclen: Wir produzieren zu viel Mode!

Es gibt so viele Klamotten auf der Erde, dass wir damit die ganze Weltbevölkerung einkleiden könnten – und zwar 30 Jahre lang. Warum verwenden wir nicht einfach das, was schon da ist, statt ständig neu zu produzieren?

Biobaumwolle? Erzähl mir was Neues. Secondhand? Kennen wir schon lange. Sustainable, grün – Schlagwörter wie diese werden von Circular Fashion, Leasingmodellen oder Repairservices abgelöst. Auf einmal scheint die Modebranche ihren Sinn für Kreislauffähigkeit entdeckt zu haben. Ein lange überfälliger Schritt, denn kaum eine andere Branche ist in den letzten zwei Jahrzehnten so explodiert wie die Bekleidungsindustrie. Als zweitgrößte Konsumgüterbranche Deutschlands beschert sie nicht nur im Sekundentakt neue Looks, sondern gigantische CO2-Emissionen, verschmutztes Grundwasser, ertraglose Böden und einen immensen, teils gefährlichen Chemikalieneinsatz. Kurz: Die Erde erstickt in Textilbergen.

Kreislauffähige Mode als Lösung

Kreislauffähige Mode soll dem entgegenwirken. Sie könnte zum Beispiel wieder zu Fasern verarbeitet werden, aus denen ein neues Kleid entsteht. Sie könnte vermietet, geleast, weiterverkauft werden – und wenn der Kreislauf nicht mehr möglich ist: kompostiert. Eine schöne Vorstellung, findet Christina Wille, die in Berlin mittlerweile drei Fair-Fashion-Läden und den erfolgreichen Onlineshop “Loveco” führt. Denn: “Allein fair und nachhaltig zu produzieren, reicht nicht mehr aus.” Öko-fair hergestellte Mode ändert zwar etwas an den Arbeits- und Umweltbedingungen entlang der textilen Wertschöpfungskette. Der Überproduktion und dem enormen Konsum von Kleidung kann sie jedoch wenig entgegensetzen. Die Realität sieht leider so aus: “Unter drei Prozent der Produkte, die ich anbiete, sind kreislauffähig, also zum Beispiel aus recyceltem Material hergestellt oder selbst recycelbar”, schätzt die Unternehmerin. Ist die von vielen ersehnte Kreislaufwirtschaft in der Mode also überhaupt möglich?

Werbekampagnen großer Labels versprechen das längst. Wenn Levi’s von der Kunst der Wiederverwendung und selbst H&M von “Recycling, Vermietung, Wiederverkauf und Reparatur von Kleidungsstücken” schwärmen, bekommt man als Konsument:in das Gefühl, dass sich endlich etwas im großen Stil bewegt. “Recycling ist ein Trendthema”, sagt Johanna Doerpinghaus vom führenden Forschungs- und Beratungsinstitut für Klima, Umwelt und Entwicklung Adelphi. Johanna und ihre Kollegin Jana Hack sind Analystinnen im Bereich Kreislaufwirtschaft. Es sei zwar gut, dass das Thema durch große Firmen an öffentlicher Wahrnehmung gewinne, doch nur eine Recycling-Kollektion herauszubringen, reiche nicht aus.

Es gibt in der Mode gar keine klare Definition von Recycling

Schauen wir uns das Thema Recycling also mal genauer an. Für die einen ist es der heilige Gral, für die anderen die Verschiebung eines Problems. Recyceltes Polyester etwa ist am Ende immer noch Plastik und landet nicht unbedingt immer wieder im Kreislauf, sondern auch auf der nächsten Deponie. Unternehmerin Christina Wille bereitet noch etwas ganz anderes Kopfzerbrechen: “Es gibt gar keine klare Definition davon, was überhaupt ein recyceltes Produkt ist.” Stimmt leider. Steht am Produkt in Riesenlettern “aus recyceltem Ozeanplastik”, hat man gleich das Gefühl, mit einem einzigen Kauf die Weltmeere gesäubert zu haben. Aber wie viel Prozent davon überhaupt recycelt ist und wie viel von diesem Plastik wirklich aus dem Meer kommt, das fragt sich an der Kasse kaum jemand.

Zumindest den Ansatz einer Definition liefert das Siegel Global Recycled Standard, kurz: GRS. Wer es einsetzt, garantiert, dass sein Produkt zu mindestens 50 Prozent aus Recyclingmaterial besteht. Und die anderen 50 Prozent? Tja, die können aus Neurohstoffen sein – wirklich kreislauffähig ist ein GRS-Produkt also auch nicht. Noch dazu ist das Siegel nicht sehr verbreitet.

Auch diese Knochenbrecherzahl lässt den Traum vom angepriesenen Recyclingtrend in der Textilbranche zerplatzen: Laut der Ellen MacArthur Foundation werden weniger als drei Prozent aller Materialien in der Bekleidungsindustrie überhaupt aus recycelten Rohstoffen gefertigt. Der Rest ist: Neugarn.

Führen die Firmen uns an der Nase herum?

Gerade Trendthemen wie Ocean Plastic, also Plastik, das aus dem Meer gefischt wird, um danach zu unserem neuen Lieblingspullover zu werden, grenzen schon an Verbrauchertäuschung. Die Realität ist: Derzeit gibt es überhaupt nur ein einziges verfügbares Garn auf dem Markt, das aus Meeresplastik gemacht wird: Seaqual. Und selbst das besteht nur zu zehn Prozent aus “Upcycled-Marine-Plastic”. Die restlichen 90 Prozent werden aus alten PET-Flaschen gewonnen – die dann CO2-teuer ans andere Ende der Welt verfrachtet, dort zu Garn verarbeitet und als fertiges “Ach so grünes”-Kleid wieder zurück in den Laden ums Eck geschifft werden.

“Auf einmal sind alle grün, aber um wirklich nachhaltig zu werden, müssen wir ganzheitlicher agieren”, findet Christina, die in ihren Läden nach Lösungen sucht, die über den Verkauf hinausgehen. Damit Kund:innen von “Loveco” Produkte nicht entsorgen, wenn sie einmal kaputtgehen, versucht das Berliner Team vieles zu reparieren. Ganz einfach bei der Schneiderei um die Ecke. So können Kund:innen das Stück behalten, anstatt ein neues zu kaufen. Für sie als Ladenbesitzerin ein großer Aufwand, der aber dankend angenommen wird. Entstandene Kosten bei schlechter Qualität oder Produktionsfehlern versucht Christina auch an die Marken weiterzureichen.

“Reparaturservices widersprechen eigentlich dem Fast-Fashion-Gedanken. Umso interessanter ist es, dass auch große Player schon darauf setzen”, so Johanna von Adelphi. Marken wie Patagonia geben sogar eine lebenslange Garantie, ersetzen Reißverschlüsse und stopfen Jacken, bis es nicht mehr geht. So werden Kleidungsstücke wirklich länger im Kreislauf gehalten. Ein solcher Service ist für ein Label natürlich erst mal eine große Investition, lohnt sich aber langfristig, weil die Kundenbindung und -zufriedenheit gerade bei hochpreisigen Marken extrem wichtig ist.

Re-Commerce ist eine extra Schleife

Nur – auch auf die Gefahr hin, total frustrierend zu klingen – auch diese Stücke landen wohl oder übel, wenn sie nicht recycelbar sind, im Müll. “Wir dürfen uns da nichts vormachen, das sind alles lineare Systeme”, gibt Doris Schoger zu bedenken. Mit “ReboundStuff” betreibt sie einen Onlineshop für Secondhandprodukte und weiß: Re-Commerce ist vielmehr eine extra Schleife, die man dreht, aber kein wirklicher Kreislauf. Dadurch verhindere man zwar, dass Produkte frühzeitig auf dem Müll landen und senke auch die Nachfrage nach Neuem. Eine kreislauffähige Modeindustrie etabliere man so aber nicht. Dies kann nur durch geschlossene Materialkreisläufe funktionieren, die garantieren, dass Produkte bereits aus recycelten Materialen gefertigt werden und auch später vollständig recycelbar sind.

Ladenbesitzerin Christina weiß zum Beispiel gar nicht, was passieren würde, wenn eine Kundin ein kreislauffähiges Teil zu ihr zurückbrächte. Weder Hersteller noch Recyclingfirmen bieten dafür ein gemeingültiges System an. Bleed, ein Label aus Bayern, das auch in Christinas Läden hängt, ist einer der wenigen Hersteller, der Rücknahmen anbietet – egal, ob das Teil nicht mehr passt, kaputt ist oder aus einem anderen Grund nicht mehr getragen werden kann. Die zurückgenommenen Produkte könnten dann theoretisch komplett recycelt und somit wiederverwendet werden. Doch auch hier muss man Abstriche machen: Die regenfesten Jacken des Labels bestehen zwar zu 100 Prozent aus Recyclingmaterial und könnten wieder in die Einzelbestandteile zerlegt werden. “Doch trotz der Möglichkeit der Rücknahme haben wir im Moment noch nicht genug Rückläufer”, erzählt Michael Spitzbarth, Gründer und CEO der Marke. Über die letzten Jahre wurden weniger als zehn Jacken zurückgegeben. Dafür lohne es sich nicht, ein aufwendiges Rücknahmesystem zu etablieren.

Große Unternehmen wie H&M, Globetrotter oder Ikea haben es da leichter: Sie bieten zusammen mit Recyclern oder Non-Profit-Organisationen Rücknahmen an. Alttextilien werden dann als Secondhandmode weiterverkauft, aufbereitet und etwa als Putzlappen verwendet oder für die Herstellung von neuem Textilgarn genutzt. Der Anteil ist jedoch auch hier verschwindend gering.

Gerade deswegen ist mehr Zusammenarbeit aller Beteiligten unerlässlich, wie auch Adelphi bestätigt. Es bedarf etwa alternativer Sammelkonzepte, damit überhaupt die Möglichkeit eines Kreislaufs flächendeckend geboten werden kann. So könnten sich Unternehmen zusammentun, um bestimmte Mengen zu erreichen, die garantieren, dass wirklich Kleidung gesammelt wird, die recycelbar ist und nicht nur als Putzlappen oder Isolationsmaterial endet. Der Dialog zwischen den Unternehmen lässt jedoch zu wünschen übrig.

Was würde denn jetzt aber konkret helfen?

Eine gesetzlich geregelte, erweiterte Produzentenverantwortung zum Beispiel. Damit wären Textilfirmen verpflichtet, sich um ihre Produkte auch nach deren Verkauf zu kümmern. In Frankreich gibt es ein solches Gesetz bereits seit 2007. Kann ein Unternehmen kein eigenes Sammel- oder Recyclingprogamm auf die Beine stellen, ist es gezwungen, pro auf den Markt gebrachtes Kleidungsstück einen bestimmten Betrag an ReFashion zu zahlen – ein gemeinnütziges Unternehmen, das von den französischen Behörden mit der Sammlung, Sortierung und Verwertung von Textilien beauftragt wurde.

Zwei Kleider weniger kaufen – das gleicht alle Inlandsflüge aus

Aber was ist eigentlich mit uns Kund:innen? Wie signalisieren wir, dass wir mehr Kreislauf wollen? Wir kommen nicht drum herum: Wir sollten Fast Fashion meiden – und ja, auch deren Recyclingkollektion. Es macht wirklich einen Unterschied: “Würden nur zwei Textilien pro Person und Jahr weniger gekauft, hätten wir dieselbe CO2-Reduktion, als wenn wir die kompletten innerdeutschen Flüge streichen würden”, sagt Viola Wohlgemuth von Greenpeace. Das ist doch mal eine Ansage! Und: bei Marken nachhaken, welche Teile wirklich rückführbar sind, ob Reparaturen und Rücknahmen existieren. Christina Wille zum Beispiel hat viele Kund:innen, die gezielt nach Labels fragen, die kreislauffähig produzieren. Vor allem Jeanshersteller haben hier schon ordentlich getüftelt. Mittlerweile werden viele Denim-Hosen sogar aus 100 Prozent recycelter Baumwolle hergestellt. Aus alter Jeans wird neue Jeans – hier scheinen sich wirklich Kreisläufe zu schließen. “Die Nachfrage der Kund:innen ist ganz klar da”, bestätigt der schwedische Denim-Hersteller Nudie Jeans. In den Läden werden alte Jeans im Tausch gegen Shoppinggutscheine zurückgenommen und ein Teil der Baumwolle für die sogenannte “Rebirth”-Kollektion wiederverwertet, in der immerhin 20 Prozent recycelte Baumwolle stecken. Andere Stücke werden zu Secondhandmodellen umgearbeitet oder dienen als Material für hauseigene Reparaturen. Ein Konzept, das aufgeht – aber auch sehr zeit- und kostenintensiv ist.

Es ist eigentlich egal, mit wem man spricht, immer wird deutlich, dass zwar viel passiert – aber eben zu wenig. “Jetzt braucht es Zeit, um herauszufinden, welche Ideen die besten sind, um wirklich kreislauffähig zu werden”, sagt Jana von Adelphi und wirkt kein bisschen resigniert. Sie sieht die Entwicklungen positiv, honoriert, dass Marken wie H&M auch in die Recyclingforschung investieren. Zudem gibt es politische Bewegung. Ab 2025 darf etwa EU-weit Kleidung nur noch getrennt gesammelt werden, um wirklich hochwertige Wiederverwendung zu erleichtern. Auch in Deutschland gilt dann eine Getrenntsammelpflicht – heißt: ade alter Kleidercontainer, hallo neue Sammelstation. Wie diese aussehen wird? Noch ungewiss.

T-Shirts digital tracken

Unternehmerin Christina erhofft sich deutlich mehr. Vor allem von der Politik, denn die ist noch überaus zurückhaltend. Die erwähnte erweiterte Produzentenverantwortung könnte zum Beispiel ein Weg sein, die Textilmüllberge zu reduzieren. Auch das Mitte 2021 beschlossene Lieferkettengesetz trägt in Teilen zu Kreisläufen bei: Ab 2023 müssen große Firmen die Produktionsweisen ihrer Zulieferer auf menschen- und umweltrechtliche Standards prüfen. “Um einen Kreislauf wirklich zu schließen, musst du wissen, wo welche Materialien an welchem Teil der Kette sind”, so Analystin Johanna. Die Entstehung eines Garns etwa von Anfang bis Ende. Oder wenn digitale Materialdatenbanken mit bestimmten Fasern verknüpft werden und man am Ende sehen kann, ob der Ausgangsstoff noch T-Shirt oder schon Putzlappen ist. Wenn es nach Christina Wille ginge, würden Konsument:innen mehr fordern, die Politik mehr regeln, Produzent:innen mehr Verantwortung übernehmen – und der Einzelhandel? “Wir sollten all das noch stärker bei den Marken, die wir in unseren Läden anbieten wollen, einfordern”, sagt sie. Der Zeitpunkt dafür sei genau jetzt.

Wer hier schreibt:

Jana Braumüller Autorin des Buchs “Fashion Changers –Wie wir mit fairer Mode die Welt verändern können”

Umdenkmoment:

Als sie realisierte, dass für ihre Kleidung Menschen weltweit ausgebeutet werden, konnte sie nicht mehr zur nächsten 29-Euro-Jeans greifen.

Hoffnung während der Recherche:

Dass die Analystinnen Johanna Doerpinghaus und Jana Hack täglich in ihrem Job sehen, wie verhalten der Fortschritt der Textilbranche ist, und doch positiv in die Zukunft blicken!

In BE GREEN, dem Nachhaltigkeitsmagazin von BRIGITTE, lest ihr Tipps, Tricks und spannende Geschichten rings um ein schönes grüneres Leben

Brigitte

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