Leihmutterschaft in der Ukraine: Eine Branche im Schatten

In der Ukraine boomt seit einigen Jahren das Geschäft mit Leihmüttern. Der Krieg stellt Agenturen und Eltern nun vor ungeahnte Herausforderungen.

Zu Beginn der Aufnahme ertönt ein Gongschlag, gleich darauf setzt dramatische Streichmusik ein. Die Kamera filmt durch die Frontscheibe eines Wagens, sie zeigt eine rasante Fahrt durch die Strassen einer fremden Stadt. Häuser und Autos ziehen vorbei, hin und wieder weicht der Fahrer einer Strassenblockade aus.

Vorne im Auto sitzen zwei Männer, die sich leise unterhalten, übertönt von der sich immer weiter steigernden Musik. Sie tragen Uniformen, zwischen ihren Sitzen liegen Gewehre. Als sie aus dem Auto steigen, bewaffnen sie sich und gehen schnellen Schrittes durch die Türen eines Spitals. Kurz darauf kommen sie wieder hinaus, bepackt mit haufenweise Tüten und Tragetaschen. Erst als die Kamera näher an eine der Taschen heranzoomt, wird klar, welch wertvolle Fracht hier transportiert wird: Darin liegt, dick eingemummelt und friedlich schlafend, ein neugeborenes Baby.

Szene aus dem Video: Ein bewaffneter Mann evakuiert das Baby einer Leihmutter.

Szene aus dem Video: Ein bewaffneter Mann evakuiert das Baby einer Leihmutter.

Eine Frau steigt mit in das Auto ein und nimmt das Kind auf den Schoss. In unverändert hohem Tempo geht die Fahrt weiter, bis alle Passagiere am Zielort aussteigen. Die Kamera folgt der Gruppe die Treppe hinunter, hinein in einen Luftschutzkeller. Die Geigenklänge werden heller.

Am Eingang steht ein Kinderwagen, dahinter stapeln sich Lebensmittel auf einer Küchenablage. Erst als die Kamera um die Ecke biegt, offenbart sich das Herzstück des Kellers: Ein grosser Raum, voll mit Betten, Körben und Wiegen. Und Babys, haufenweise Babys. Ihr Weinen und Quengeln füllt den Raum und vermischt sich mit den Stimmen der Frauen, die ihre Bettchen schaukeln und versuchen, sie zu beruhigen.

Mit Videos sollen die Eltern beruhigt werden

Ihr seid in Sicherheit, möchten die Frauen den Babys mitteilen. Und ihren Eltern. Dazu wurde das Video mit dem Titel «Work of Biotexcom in the conditions of war» Anfang März aufgenommen und auf Youtube hochgeladen. Denn die Eltern sitzen zu Hause, Hunderte Kilometer entfernt. Sie wissen nicht, wann sie ihre Kinder das erste Mal in den Armen halten werden.


Biotexcom ist eine Leihmutteragentur, nach eigenen Angaben die grösste der Ukraine. Hunderte von Frauen bringen in den hauseigenen Spitälern jährlich Kinder zur Welt, mit denen sie genetisch nicht verwandt sind. Deren biologische Eltern, die Kunden, bezahlen dafür viel Geld. Normalerweise holen sie ihre Kinder direkt nach der Geburt zu sich nach Hause. Doch Ende Februar brach in der Ukraine der Krieg aus. Seitdem ist für Eltern, Leihmütter und die Mitarbeiter von Biotexcom nichts mehr, wie es einmal war.

Der Krieg zeigt die Schattenseiten der Leihmutterschaft

Die Männer aus dem Video sind Teil des Freiwilligen-Bataillons Karpatska Sich, vermutlich benannt nach einer gleichnamigen paramilitärischen Organisation aus den späten dreissiger Jahren. Biotexcom hat sie beauftragt, für die Sicherheit der Babys zu sorgen. Der Krieg wirft ein Schlaglicht auf eine Branche, die sich jahrzehntelang im Schatten hielt. Für die Eltern ist er eine dramatische Wende kurz vor dem Ziel eines beschwerlichen Weges.

Ein Weg, der sie nun in einen Luftschutzkeller in einem Vorort von Kiew führt. Begonnen hat er aber schon lange vorher und an ganz anderer Stelle. Und zwar bei dem Versuch, auf natürliche Weise ein Kind zu zeugen.


Maria Holumbowska sitzt in ihrem Büro in einem Vorort von Kiew. Als sie dem Videocall beitritt, sieht sie erschöpft aus. Als Sprecherin der deutschen Abteilung von Biotexcom hat sie in den vergangenen Tagen und Wochen zahlreiche Interviews gegeben. Zwischendurch war sie krank, hatte keine Stimme mehr. Doch nun möchte sie weitermachen und den Nebel der vergangenen Wochen etwas lichten.

Meist sind die medizinischen Gründe ausschlaggebend

Die meisten Kunden, die sich an Biotexcom wendeten, hätten viele Jahre voller Rückschläge hinter sich, erklärt sie. Oft sei es so, dass medizinische Gründe eine Schwangerschaft unmöglich machten. Das können Fehlbildungen der Gebärmutter sein, aber auch Autoimmunerkrankungen oder die Einnahme bestimmter Medikamente. In solchen Fällen ist Leihmutterschaft für Paare, die sich biologischen Nachwuchs wünschen, das letzte Mittel. Immer öfter fahren sie dafür auch in die Ukraine.


Oft kann es jedoch einige Zeit dauern, bis für ein Paar mit Kinderwunsch eine Leihmutter gefunden ist. Die Wartelisten sind lang, bis zu einem Jahr müssten die Paare sich teilweise gedulden, erzählt Maria Holumbowska. Doch die Nachfrage ist gross, und sie nimmt weiter zu.

Ausserhalb der Ukraine gibt es weltweit nämlich kaum Möglichkeiten, eine Leihmutterschaft durchzuführen. In vielen Ländern ist diese Praxis ganz verboten, in andern nur mit grossen Einschränkungen erlaubt. Und dort, wo Leihmutterschaft nicht gesetzlich geregelt ist, fehlen die medizinischen Möglichkeiten und somit auch die Anbieter.

Viele Staaten haben die Praxis eingeschränkt

Vor allem kommerzielle Leihmutterschaft, bei der die Frauen für die Schwangerschaft bezahlt werden, ist nur in wenigen Staaten möglich. Und wenn doch, dann oft nicht für Ausländer.

Rechtliche Situation zur Leihmutterschaft

Das war noch bis vor gar nicht allzu langer Zeit anders. Vor allem in den Jahren 2012 bis 2015 hätten viele Regierungen ihre Gesetzgebung verschärft, erklärt Veronika Siegl. Die Anthropologin hat das Thema Leihmutterschaft für ihre Dissertation an der Uni Bern untersucht. Dabei stellte sie fest, dass durch diverse Skandale und eine verstärkte Berichterstattung in den Medien vielerorts Regierungen auf das Thema aufmerksam wurden.

In Thailand beispielsweise sorgte 2014 der Fall von «Baby Gammy» für Entrüstung. Das Kind kam mit Trisomie 21 zur Welt und wurde deswegen von seinen australischen Eltern bei der Leihmutter zurückgelassen. Thailand führte daraufhin restriktivere Gesetze ein, Länder wie Nepal, Kambodscha, Indien und Mexiko zogen nach.


Während andere Länder die Leihmutterschaft einschränken, boomt in der Ukraine das Geschäft. Das Land kann auf eine langjährige Erfahrung zurückblicken: Bereits 1991 fand hier die erste Leihmutter-Geburt im postsowjetischen Raum statt. Offiziell legalisiert und als Methode der Fruchtbarkeitsbehandlung anerkannt wurde das Verfahren im Jahr 2002.

Die Nachfrage wächst stetig

Das internationale Interesse war aber zunächst gering. «Als ich 2014 hier angefangen habe», erzählt Maria Holumbowska, «haben wir pro Jahr eine Handvoll Paare betreut.» Seitdem sei Biotexcom stark gewachsen. Genaue Angaben dazu macht sie nicht. In ihrer Abteilung, die Kunden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz betreut, habe es im vergangenen Jahr aber bereits 212 Geburten gegeben.

Wie viele Kinder in der Ukraine jährlich durch eine Leihmutter geboren werden, ist ungewiss. Zwar gibt es offizielle Statistiken, diese sind aber wenig aussagekräftig, weil die Kliniken nicht verpflichtet sind, Informationen weiterzugeben. Der ukrainische Anwalt Sergei Antonov, Präsident einer Organisation, die Leihmütter-Agenturen vertritt, geht von 2000 bis 2500 Geburten aus – die Hälfte davon durch Biotexcom.

Der Boom hat mehrere Ursachen

Laut Veronika Siegl gibt es mehrere Gründe für den schnellen Erfolg von Biotexcom. Sie nennt zum einen die rechtliche Lage: Die Ukraine hat eines der liberalsten Leihmutterschaftsgesetze der Welt. Nach dem Familiengesetzbuch ist die Leihmutter explizit nicht die Mutter des von ihr ausgetragenen Kindes, als Eltern gelten die Zellspender des Embryos. Das macht behördliche Vorgänge wesentlich unkomplizierter als in anderen Ländern.

Zwar gibt es einige Vorschriften, die die Eltern betreffen. So kommen als Kunden nur heterosexuelle, verheiratete Paare infrage, die nachweisen müssen, dass sie auf natürlichem Weg kein Kind zeugen können. Doch wie Siegl in ihrer Forschung feststellte, werden diese Vorschriften kaum kontrolliert. «Da werden in den Kliniken einige Augen zugedrückt», sagt sie.

Ein weiterer Grund für den Erfolg, so Siegl, sei sicherlich die geografische Nähe zu den europäischen Kunden sowie die Möglichkeit zur visafreien Einreise. Dass die Ukraine von vielen als «europäisch» und wirtschaftlich entwickelt wahrgenommen werde, helfe zudem, moralische Bedenken zu beseitigen. Aber auch ökonomische Faktoren seien ausschlaggebend, vor allem die offensive Werbestrategie der Agenturen und unvergleichlich tiefe Preise.

Die Ukraine gehört zu den günstigeren Anbietern für Leihmutterschaften

Geschätzter Betrag in Dollar

(in Tausend)

All-inclusive-Pakete kosten bei Biotexcom zwischen 40 000 und 60 000 Euro. Der Preis wird vor allem dadurch bestimmt, wie viele Versuche für eine künstliche Befruchtung dem Paar zur Verfügung stehen. In den USA beginnen gleichartige Programme bei 100 000 Euro.

Biotexcom setzt nur an mancher Stelle auf Transparenz

Um im Vergleich zu anderen Staaten nicht wie ein unseriöser Billiganbieter zu wirken, setzt Biotexcom auf offensive Kommunikation. Mit zahlreichen Videos, Blogbeiträgen und sogar einer 3-D-Tour durch die Räumlichkeiten der Klinik möchte das Unternehmen zeigen, dass es auf hohe Standards setzt und sich gut um Leihmütter und Kinder kümmert.

Diese Strategie und eine erfolgreiche Lobbyarbeit sind wohl auch der Grund, weshalb die Gesetze in der Ukraine bisher nicht verschärft worden sind. In der ukrainischen Gesellschaft, erklärt Veronika Siegl, wird Leihmutterschaft durchaus kritisch beäugt. Erste Gesetzesentwürfe zu strengeren Regeln seien diskutiert worden, doch letzten Endes sei das Thema wieder von der Agenda verschwunden. Durch den Krieg dürfte es vollends in den Hintergrund geraten.

Wie viel Geld die Agenturen am Ende verdienen, lässt sich nicht genau sagen. Der Hamburger Anwalt Marko Oldenburger, der deutsche Paare bei der Leihmutterschaft berät, geht davon aus, dass pro Schwangerschaft bis zu 20 000 Euro als Gewinn verbleiben. Das Marktforschungsinstitut Global Market Insights schätzte den Markt für Leihmutterschaft im Jahr 2020 auf rund vier Milliarden Dollar. Bis zu ein Viertel davon soll auf Biotexcom entfallen.

Wie hoch Umsatz und Gewinn der Firma tatsächlich sind, ist unklar. Die Firma will dazu auf Nachfrage keine Angaben machen. Im Juli 2018 erhob der ukrainische Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko schwere Vorwürfe gegen das Unternehmen, unter anderem wegen Dokumentenfälschung und Steuerhinterziehung. Biotexcom hatte damals nur 200 000 Dollar an Eigenkapital ausgewiesen, obwohl das Unternehmen in den vergangenen drei Jahren mindestens 30 Millionen Euro verdient haben sollte, so der Staatsanwalt. Biotexcom hat seinen Sitz nicht in der Ukraine, sondern auf den Seychellen. Zu einem Verfahren kam es nie.

Die Frauen verdienen ein Vielfaches ihres Lohns

Auch für die Leihmütter lohnt sich die Arbeit finanziell: Pro Schwangerschaft erhalten sie 20 000 Euro. Das ist laut den Berechnungen von Veronika Siegl in der Regel mindestens das Sechsfache ihres regulären Jahresgehalts, in manchen Fällen hätten Frauen sogar das zwölffache verdient. Das durchschnittliche Monatsgehalt einer ukrainischen Frau beträgt etwa 350 Euro.


In Berichten und Interviews machen die meisten Leihmütter auch kein Geheimnis aus ihrer Motivation: Geld. Die Ukraine gehört zu den ärmsten Ländern Europas. Viele der Frauen, die an einem solchen Programm teilnehmen, sind alleinerziehende Mütter und haben wenig Möglichkeiten, zu arbeiten.

Wegen der prekären finanziellen Lage der Frauen wird Leihmutterschaft oft als Ausbeutung kritisiert. Für Siegl sind die ökonomischen Verhältnisse aber nicht ausschlaggebend. Viel wichtiger sei die rechtliche Lage der Leihmütter. Die ukrainische Gesetzgebung mache nämlich keinerlei Vorschriften bezüglich der Beziehung zwischen den Frauen, ihren Agenturen und den Eltern mit Kinderwunsch.

Die rechtliche Absicherung ist unklar

Dadurch würden die Leihmütter sich oft in Arbeitsverhältnissen wiederfinden, die Siegl als Knebelverträge bezeichnet. «Sie können nicht mitdiskutieren, sondern müssen sich an die Wünsche der Eltern anpassen.» Zudem herrsche meist ein strenges Sanktionsregime, und die Frauen müssten mit Gehaltsabzügen rechnen, wenn es in der Schwangerschaft Schwierigkeiten gebe. «Wenn etwas schief läuft, werden grosse Lücken in den Verträgen sichtbar.»

Biotexcom betont, die Sicherheit und die Gesundheit der Leihmütter hätten oberste Priorität. Unabhängig überprüfen lässt sich das kaum. Marko Oldenburger bezeichnet die Verträge zwischen Leihmüttern und Agenturen als «Blackbox»: «In zehn Jahren habe ich nie einen solchen Vertrag zu Gesicht bekommen.» Kontakte zwischen Leihmüttern und Eltern sind nicht vorgesehen. Nur wenige Frauen trauen sich, sich an die Medien zu wenden, und wenn, dann mit erschreckenden Berichten. So gab eine Leihmutter gegenüber dem «Spiegel» an, ein Drittel weniger Gehalt erhalten zu haben, weil sie ein Kind mit Behinderung zur Welt brachte.


Trotz dieser Kritik und diverser Skandale ist Leihmutterschaft weiterhin gefragt, vor allem in westlichen Ländern. Laut Maria Holumbowska kommt ein Grossteil der Kunden von Biotexcom aus dem deutsch- oder englischsprachigen Raum und aus Ländern wie Spanien, Italien oder Argentinien. Zudem ist die Nachfrage unter chinesischen Kunden in den letzten Jahren stark gestiegen.

Schweizer Kunden fahren überwiegend in die USA

Auch aus der Schweiz hatte Holumbowska in den vergangenen Jahren immer wieder Kunden. Gemäss einem Gutachten der Universität Bern ist die Ukraine bei Leihmutterschaften das zweitwichtigste Zielland der Schweizerinnen und Schweizer – allerdings mit grossem Abstand zu den USA.

Für die Schweiz ist die Ukraine das zweitwichtigste Land für Leihmutterschaften

Für die Schweiz ist die Ukraine das zweitwichtigste Land für Leihmutterschaften

Die Zahl der Kinder, die durch Leihmutterschaft geboren werden, ist hierzulande zwar tief, steigt aber stetig an. In den Jahren 2016 bis 2019 wurden den Behörden 144 Kinder gemeldet, die auf diese Weise zur Welt kamen. 29 von ihnen wurden in der Ukraine geboren. Im Jahr 2021 hat die Schweizer Botschaft in Kiew laut eigenen Angaben zehn Fälle behandelt.


Die Anerkennung der Elternschaft läuft unkompliziert:

Die rechtliche Anerkennung des Kindes durch die Wunscheltern

Was einigermassen einfach klingt, hat vor allem in der jetzigen Situation einen Haken: All diese Regelungen gelten nur, wenn das Kind in der Ukraine zur Welt kommt. In den meisten anderen Staaten wird eine Frau durch die Geburt eines Kindes automatisch zu dessen Mutter und kann nicht auf die Mutterschaft verzichten. Viele Agenturen raten den Leihmüttern deshalb von der Ausreise ab, weil sie durch die Geburt in einem EU-Land Mutter eines Kindes wären, das sie nie haben wollten.

Im Krieg sind juristische Lösungen gefordert

Marko Oldenburger sieht das gelassener. Er geht davon aus, dass den Frauen auch bei einer Geburt in Deutschland oder einem anderen EU-Land wenige Probleme entstehen dürften. In der EU und der Schweiz werden die Leihmütter ohnehin auf der Geburtsurkunde aufgeführt, weshalb ein Adoptionsverfahren eingeleitet werden muss – unabhängig davon, wo das Kind zur Welt kommt. Einige seiner Mandanten hätten ihre Leihmütter derzeit sogar bei sich zu Hause aufgenommen.

Auch bei Biotexcom seien einige Leihmütter nach Kriegsausbruch ins Ausland geflüchtet, erzählt Maria Holumbowska, vor allem Frauen in einem frühen Stadium der Schwangerschaft. Zu ihnen halte sie Kontakt, um sie zur Geburt zurück in die Ukraine zu bringen oder auf juristischem Wege eine andere Lösung zu finden. Denn in der Ukraine müssten die Frauen unter Umständen mitten ins Kriegsgebiet, die meisten Reproduktionskliniken befinden sich in Kiew und Charkiw.


Ein Grossteil der Leihmütter sei aber ohnehin noch in der Ukraine, sagt Holumbowska. «Die Frauen haben hier Häuser, sie haben Familie, sie können nicht einfach das Land verlassen.» Sie sagt, ihre Agentur kümmere sich darum, den Frauen medizinische und psychologische Betreuung zur Seite zu stellen. In einem Bericht der Deutschen Welle zeichnet eine Leihmutter allerdings ein anderes Bild: Sie habe ihr Baby im Bunker zur Welt gebracht, wo es kaum Nahrung und Medikamente gegeben habe. Als nach drei Tagen Mitarbeiter der Agentur vorbeigekommen seien, hätten sie lediglich das Kind abgeholt und seien verschwunden. Sie selbst sei auf die Strasse gesetzt worden.

Eltern versuchen, ihre Kinder aus der Ukraine zu holen

600 der bei Biotexcom angestellten Leihmütter waren zu Beginn des Krieges schwanger, mehr als 50 Babys sind seitdem zur Welt gekommen. Die Agentur hat mittlerweile einen zweiten Bunker eingerichtet, in der zentralukrainischen Stadt Kropiwnizkij. In den Bunkern werden die Babys rund um die Uhr von Nannys betreut – doch die seien mittlerweile am Anschlag, gesteht Holumbowska. «Sie schlafen wenig und arbeiten fast rund um die Uhr. Und sie sind getrennt von der Aussenwelt und ihren Familien.»

Holumbowska ist derzeit vor allem damit beschäftigt, die Eltern der Babys ins Land zu bringen. Schliesslich wollen die zu ihren Kindern, und die Luftschutzkeller haben nicht endlos Kapazitäten. Die meisten Eltern fahren mit dem Zug oder dem Auto nach Polen und schlagen sich von dort aus durch. Das klappt überraschend gut: Zwar mussten bei Kriegsausbruch ziemlich viele Neugeborene in den Luftschutzkellern untergebracht werden, mittlerweile wurden die meisten aber abgeholt. Auch Marko Oldenburger berichtet, dass einige seiner Mandanten ihr Kind in Kiew abgeholt hätten. Meist sei die Anreise privat organisiert worden, in enger Zusammenarbeit mit den Agenturen.

Anfang April befanden sich laut Biotexcom 10 Babys in dem Keller aus dem Video. 13 weitere Kinder warteten in Kropiwnizkij auf ihre Eltern. Wenn diese nach langer Reise ihr Neugeborenes endlich in den Armen halten, sind sie aber noch lange nicht am Ziel. Der Gang zur Botschaft steht noch an, wo die Reisedokumente für das Neugeborene beantragt werden müssen.

Die deutsche Botschaft in Kiew ist zurzeit nicht besetzt, stattdessen ist das Personal nach Rawa-Ruska an der polnischen Grenze gezogen. Dort müssen die Eltern nun hin, um die Reisedokumente für ihr Kind zu beantragen. Was normalerweise Routine ist, kann sich dieser Tage lange hinziehen – Maria Holumbowska berichtet von Paaren, die fast zwei Wochen auf einen Termin warten mussten. Marko Oldenburger hilft einigen Paaren zurzeit dabei, die Dokumente nachträglich in Deutschland zu beantragen.

Wenn auch diese letzte Etappe geschafft ist, können die frischgebackenen Eltern endlich nach Hause, wo sie ihr Leben als Familie beginnen. Die Leihmütter bleiben unterdessen in der Ukraine zurück, mit 20 000 Euro in der Tasche. Doch was sie sich davon jetzt kaufen sollen, das wissen sie nicht.

Text: Nelly Keusch. Daten: Manuela Paganini. Karte: Roland Shaw.
Illustration, Grafik: Anja Lemcke.

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