Malawi will mit Cannabis reich werden. Kann das gut gehen?

Prolog: der traurigste Mann von Malawi

Der traurigste Mann in Malawi arbeitet in einem kleinen Zimmer mit einem zerkratzten Pult, einem zerschlissenen Sessel und schlampig gestrichenen Wänden. Das Büro liegt am Stadtrand der Hauptstadt Lilongwe. Ein Schild bei der Hauptstrasse weist den Weg zu «Magical Cakes» , einem Tortenladen.

Nelson Zakeyu leitet Drug Fight Malawi, eine NGO mit sieben Mitarbeitern, die sich für eine drogenfreie Gesellschaft einsetzt. Seit zwanzig Jahren führt Zakeyu seinen Kampf. Nie lief es schlechter. Zuerst gaben die Geldgeber kein Geld mehr. Dann wurde seine Organisation aus ihrem vorherigen Büro im Stadtzentrum geworfen, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen konnte. Schliesslich wurde auch noch die Website gehackt.

Auf verlorenem Posten: Nelson Zakeyu kämpft seit zwanzig Jahren für eine drogenfreie Gesellschaft.

Auf verlorenem Posten: Nelson Zakeyu kämpft seit zwanzig Jahren für eine drogenfreie Gesellschaft.

Doch das ist es nicht, was Nelson Zakeyu verzweifeln lässt. Das wirklich Schlimme ist, dass sich sein Land gerade in einer Art Rauschzustand befindet. Vor zwei Jahren hat Malawi Cannabis legalisiert. Nicht als Betäubungsmittel, das bleibt illegal. Aber als Industrieprodukt und als Heilmittel. In Malawi reden nun alle davon, was Cannabis alles ermöglichen werde. Dass es Hunderttausenden Bauern ein sicheres Einkommen verschaffen und Malawi, einem der ärmsten Länder der Welt, endlich Wohlstand bringen werde.

Zakeyu glaubt das nicht. Er sagt: «Wegen der Legalisierung glauben die Jungen, ungestraft rauchen zu können.» Er hat eine Studie auf dem Laptop gespeichert, darin steht, 65 Prozent aller Studierenden nähmen Drogen. Zakeyu fürchtet, Malawis Arbeitsmarkt werde bald von einer Kohorte von Drogensüchtigen geflutet.

Ans legale Geschäft glaubt Zakeyu auch nicht: «Schon beim Tabak hatten sie Entwicklung versprochen. Doch die Bauern sind noch immer arm. Profitieren werden wieder nur die Mächtigen.»

Die Vision

Der Mann, der den Kampf für die Legalisierung angeführt hat, wirkt nicht so, als ob er ein ganzes Land ins Drogenelend stürzen würde. Boniface Kadzamira trägt Krawatte, Nadelstreifen und eine kleine Landesflagge am Revers, als er in einen Ledersessel in einer Hotelbar in Lilongwe sinkt. Für Nelson Zakeyu ist er der Mann, «der das Ganze angezettelt hat». Kadzamira sagt, er habe in seinem Leben noch nie gekifft.

Vom Cannabis-Propagierer zum Vorsitzenden der Regulierungsbehörde: Boniface Kadzamira

Vom Cannabis-Propagierer zum Vorsitzenden der Regulierungsbehörde: Boniface Kadzamira

Amos Gumulira / NZZ

Vor zehn Jahren las Kadzamira einen Artikel in einer Zeitung, er hiess: «Die Vorzüge von Hanf». Darin stand, was man aus Hanf herstellen kann: Papier zum Beispiel oder auch Baumaterial, Seile, Säcke, Socken, Seife, Öl und Nahrungsmittel. Kadzamira las auch, Cannabis könne eine heilende Wirkung haben. Er sagt, er sei geschockt gewesen und habe sich gefragt: Wenn Cannabis all das kann, weshalb ist es dann verboten?

Kadzamira, ein Politiker ohne Amt, hatte viel Zeit damals. Also begann er zu lesen, über die Geschichte der Prohibition, darüber, wie die USA Cannabis in den 1930er Jahren verboten hatten, wie sie das Verbot im Zweiten Weltkrieg aufweichten, um Uniformen und Seile aus Hanf zu fertigen. Wie sie das Verbot nach dem Krieg wieder in Kraft setzten – und es sich über die Welt verbreitete. Boniface Kadzamira ist ein freundlicher Mann, doch wenn er über die Prohibition spricht, wird seine Stimme lauter. Er schimpft dann über die «Unwahrheiten aus den USA», und er sagt: «Tabak tötet. Alkohol tötet. Cannabis dagegen heilt Leute, es ernährt und kleidet sie. Aber nur Cannabis ist illegal – so verrückt ist diese Welt.»

Kadzamira sagte sich: Wenn ich ins Parlament gewählt werde, setze ich mich dafür ein, dass Hanf legal wird. Und so sollte es auch kommen.

Afrikanerinnen und Afrikaner kiffen seit vielen Jahrhunderten. Spuren von Cannabis wurden in äthiopischen Pfeifen aus dem 14. Jahrhundert gefunden. Es gibt Studien, die behaupten, der Anteil an Kiffern in der Bevölkerung sei auf keinem Kontinent höher als in Afrika. 800 Tonnen illegal angebautes Cannabis stellten afrikanische Behörden 2019 sicher, nur in Südamerika waren es mehr.

In den letzten Jahren haben afrikanische Regierungen begonnen, Gesetze aus der Kolonialzeit aufzuweichen, die den Anbau von Cannabis verboten. Südafrika zum Beispiel, Simbabwe, Uganda, Ghana, Rwanda. Der Zwergstaat Lesotho war 2017 das erste afrikanische Land, das eine Exportlizenz für Cannabis ausstellte. Die Regierungen wollen teilhaben am globalen Markt für Cannabis-Produkte, der bereits 25 Milliarden Dollar wert sein soll. Jedes Jahr wächst der Kuchen um mehrere Milliarden.

Malawis wirtschaftliches Schicksal ist seit Jahrzehnten an Tabak gebunden. Das Land mit 20 Millionen Einwohnern ist der weltweit fünftgrösste Tabakexporteur – nur die Riesenländer Brasilien, USA, Indien und China exportieren mehr. Doch der Tabakpreis zerfällt, die Ernte ist noch halb so viel wert wie vor zehn Jahren, und das Einkommen von Malawis Bauern schwindet dahin.

Cannabis soll das nun ändern. Es ist Boniface Kadzamiras Traum, den er seinem Land eingepflanzt hat.

Im Mai 2015 erhob sich Kadzamira, inzwischen Abgeordneter der Opposition, von seinem Sessel im Parlament. Er sollte zu einem neuen Tabakgesetz Stellung nehmen. Am Ende seiner Rede sagte er ein paar folgenschwere Worte: «Es ist höchste Zeit, dass Malawi die Legalisierung von Hanf in Betracht zieht. Die vielen Vorzüge von Cannabis sind gut belegt.»

Lautes Buhen, Lachen und Grölen im Saal. Der Moment ist auf Video festgehalten. Die Parlamentarier verhalten sich wie Primarschüler, deren dümmster Klassenkamerad gerade eine besonders absurde Antwort gegeben hat.

Später erhielt Kadzamira einen Anruf von einem Pfarrer aus seinem Wahlkreis: Er schäme sich für ihn, teilte der Geistliche mit. Schlimmer war, dass sich auch Kadzamiras Frau beklagte: Sie werde ausgelacht, weil sie mit dem Verrückten verheiratet sei, der für Cannabis werbe, das Kraut, das die Hirnzellen wegbrenne.

Doch in den nächsten Monaten gelang Kadzamira eine der bemerkenswerteren Kampagnen in der Geschichte der Drogenpolitik. Er trat in Fernseh-Talkshows auf, beantwortete die Fragen von Anrufern und merkte, dass diese die Legalisierung gar nicht so lächerlich fanden wie ihre Volksvertreter. Kadzamira brachte Hanfprodukte ins Parlamentsgebäude und demonstrierte, welche Qualitäten Cannabis hat. Er verteilte Informationsbroschüren. Wenn er im Parlament aufstand, riefen die Politiker im Saal noch immer: «Chamba!» So nennt man Marihuana in Malawi, und im Parlament wusste man, was kommen würde: Kadzamira erinnerte an die Vorzüge von Hanf, immer und immer wieder.

Dann gewann Kadzamira einen mächtigen Verbündeten: den damaligen Präsidenten, Peter Mutharika. Dieser hatte in den USA studiert und gelebt und mitgekriegt, dass Cannabis-Unternehmen in Kalifornien Millionen verdienten. Auf den Präsidenten folgten Minister. Im Juni 2016 johlte das Parlament nicht mehr. Es nahm Kadzamiras Motion zur Legalisierung von Industriehanf an. Aus der Motion wurde ein Gesetzesentwurf, aus dem Entwurf wurde im Februar 2020 ein Gesetz.

Boniface Kadzamira hatte gesiegt. Doch sein Leben nahm noch einmal eine abrupte Wende. Er hatte zwar die Politik von den Vorzügen von Cannabis überzeugt, doch ausgerechnet in seinem Wahlkreis blieben die Skeptiker in der Mehrheit. Kurz nachdem Malawi den Anbau von Cannabis teillegalisiert hatte, erlitt Kadzamira eine krachende Wahlniederlage. In seinem Wahlkreis hiess es: Unser Mann in der Hauptstadt setzt sich lieber für Kiffer ein als für die Armen.

Mehr Dankbarkeit erfuhr Kadzamira von der Regierung. Sie machte ihn zum Vorsitzenden der neu gegründeten Cannabis-Regulierungsbehörde. Er ist nun der oberste Chef des Traums vom grünen Gold – der Idee, dass eines der ärmsten Länder der Welt dank Cannabis endlich reich wird. Indem es Öle exportiert, Seifen und Stoff. Und damit mehr Geld verdient, als mit Tabak je möglich war.

Wo die Hoffnung wächst

Die Hoffnung wächst in einem Dorf namens Mchinji, eineinhalb Autostunden entfernt von der Hauptstadt, an der Grenze zu Sambia. Dort steht zwischen gestutztem Gras ein Gewächshaus aus Bambus. Es ist das erste legale Cannabis-Gewächshaus in Malawi.

Die Fahrt nach Mchinji ist eine Lektion in malawischer Volkswirtschaft: Am Strassenrand stehen Holzverschläge, in denen einst Tabak trocknete. Nun sehen sie aus, als könnten sie jeden Moment auseinanderbrechen. Auf den Feldern experimentieren Bauern mit Soja und Erdnüssen, Pflanzen, von denen sie hofften, sie würden Tabak ersetzen. Nur ab und zu tauchen Tabakblätter auf, früher säumten sie den ganzen Weg.

Im Gewächshaus wuchert ein Dschungel. Dort steht Mathews Osman im cannabisgrünen Poloshirt und ist prächtig gelaunt. 30 auf 12 Meter messe das Gewächshaus, sagt er, 1300 Cannabis-Pflanzen wüchsen hier. Osman zwängt sich durch den Dschungel, er streichelt eine Pflanze, greift nach einer anderen. «Wenn wir ernten, kommen alle Blätter weg», erklärt er. «Wir brauchen nur die Blüten.» Aus den getrockneten Blüten lässt sich CBD-Öl gewinnen; Cannabis-Öl, das nicht berauscht, sondern entspannt. In wenigen Wochen ist Ernte, es ist die erste, und Osman ist ein Lernender. In diesem Moment einer voller Optimismus.

Mathews Osman von der Mchinji-Kooperative sagt: «Wir machen aus der Tabak- eine Cannabis-Industrie.»

Mathews Osman von der Mchinji-Kooperative sagt: «Wir machen aus der Tabak- eine Cannabis-Industrie.»

Amos Gumulira / NZZ

Osman leitet eine Cannabis-Kooperative, sie hat 56 Mitglieder, er rief sie 2020 ins Leben, kurz nach der Legalisierung. Die Mitglieder haben viel Vertrauen in ihren Anführer: 10 000 Dollar kostete allein die Lizenz, um medizinisches Cannabis anzubauen. Jene für Industriehanf kostet 2500 Dollar. Mathews Osmans Bauern haben je rund 800 Dollar investiert; für die Lizenz, für Samen und den Bau des Gewächshauses. 800 Dollar ist mehr als das jährliche Bruttoinlandprodukt pro Kopf in Malawi, und das bedeutet: Die Bauern wetten ihre wirtschaftliche Existenz auf Cannabis. Der mögliche Gewinn: 30 000 Dollar pro Ernte, und Ernten gibt es bis zu vier pro Jahr.

Neben dem Gewächshaus steht ein Häuschen aus Backstein, in dem früher Tabak trocknete. Das Dach fehlt, im Innern wuchert Gras. Bald soll es als Lagerraum für das geerntete Cannabis dienen. Osman sagt: «Wir machen aus der Tabakindustrie eine Cannabis-Industrie.»

Doch wirtschaftliche Spielregeln lassen sich nicht beliebig verändern. Der Traum vom Cannabis-Land ist kompliziert, es genügt nicht, ein paar Samen in den Boden zu pflanzen. Um mit Cannabis Geld zu verdienen, braucht es eine ganze Industrie.

Es gibt zwei offensichtliche Probleme: Malawi hat keinen Heimmarkt für Cannabis; und Malawi hat keine Fabriken, um die Ernte zu verarbeiten.

Erstens, der Heimmarkt. Falls Mathews Osman und seine Kooperative tatsächlich 400 Kilogramm Ernte einfahren, ergäbe das rund 60 Liter CBD-Öl. Würde man die 60 Liter umfüllen in Fläschchen à je 10 Milliliter, ergäbe das 6000 Fläschchen. Diese würden dann für gegen 50 Dollar verkauft. Doch wer soll das bezahlen in einem Land, in dem sich die Hälfte der Bevölkerung mit weniger als zwei Dollar pro Tag durchschlägt?

Zweitens, die Fabriken. Es gibt in Malawi gar keine Maschinen, die 400 Kilogramm getrocknete Hanfblüten zu Öl verarbeiten könnten. Das heisst: Die getrockneten Blüten müssen exportiert werden in Länder, in denen es Maschinen gibt. Und Märkte.

Das heisst auch: Malawis Zukunftsindustrie ist eine Exportindustrie. Sie folgt damit einem alten Modell auf einem Kontinent, dessen Industrialisierung nie richtig in die Gänge kam. Afrika fördert Öl, Gold, Eisenerz, Bauxit, Kobalt, baut Baumwolle, Kakao und Tee an – aber statt diese Güter vor Ort zu verarbeiten, exportiert es sie unraffiniert und mit geringer Marge. Nun wiederholt sich das auch bei Cannabis.

Es gibt noch ein letztes Problem. Malawis lokale Cannabis-Sorte gilt als eine der besten der Welt. Sie heisst Malawi Gold. Doch der THC-Wert von Malawi Gold ist viel zu hoch, als dass die Sorte zu CBD-Öl gepresst werden könnte. Anders gesagt: Malawi Gold eignet sich nicht für die legale Cannabis-Industrie, weil die Rauschwirkung zu stark ist. In Mathews Osmans Gewächshaus wächst deshalb CBD Passion, ein spanisches Importprodukt. Das treibt die Kosten für die Bauern weiter hoch, jeder Setzling kostet 1 Dollar 80.

Doch Zahlen sind kein Rohstoff für Träume. Lieber als über Businesspläne sprechen viele in Malawis Cannabis-Industrie über die Geschichte eines Schwergewichtsboxers, der tief fiel, um sich dank Cannabis wieder aufzurappeln.

Wie Boniface Kadzamira wurde Mathews Osman von einem Artikel inspiriert. Er las ihn 2020, in einem amerikanischen Magazin. Der Artikel handelte von Mike Tyson, einst jüngster Boxweltmeister, in den 1990er Jahren dann wegen Vergewaltigung verurteilt. Später biss Tyson einem Konkurrenten einen Teil des Ohrs ab. Im Artikel stand, Tyson sei bankrottgegangen, dann ins Cannabis-Geschäft eingestiegen. Er habe innert Kürze Millionen verdient.

Einer, der am Boden lag, dank Cannabis aber das Comeback schaffte: Das ist eine Geschichte, die verfängt in Malawi. Osman steht im Gras vor dem Backsteinhaus, in dem nun Cannabis trocknen soll, und fragt: «Was hindert uns daran, auch Multimillionäre zu werden?» In diesem Jahr will er zehn weitere Gewächshäuser aufstellen. Es ist erst der Anfang.

Das Hauptquartier der neuen Industrie

Wenn Mathews Osman Multimillionär werden will, ist er auf eine Firma angewiesen, die United States Cannabis Association (USCA) heisst. Die Firma hat ihren Sitz in einem Quartier aus identischen mintfarbenen Einfamilienhäusern am Stadtrand der Hauptstadt Lilongwe. Lilongwe wirkt an vielen Orten wie eine amerikanische Vorstadt, mit viel Platz und Asphalt, und hier besonders. Bei der USCA arbeiten lauter Malawier. Der Name der Firma klingt zwar wie eine offizielle Behörde der Amerikaner, aber er ist bloss eine Absichtserklärung: Die USA sind das Land, in das die USCA exportieren will.

Vor dem Eingang sitzen Sicherheitsleute in Anzügen, drinnen Frauen in Blazern, sie sprechen leise und förmlich. Der Sprecher heisst Happy, er hat die Biografie von Barack Obama unter den Arm geklemmt, als er ins Büro der Chefin führt.

«Wir müssen schnell wachsen», sagt Wezi Ngalamira, die CEO, so verlange es die neue Industrie. Deshalb hat die USCA seit dem Start im Oktober 2021 über vierzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt, Marketingleute, Agronominnen, Techniker. «Wir haben alle Abteilungen, die eine Firma haben sollte», sagt Ngalamira.

Wezi Ngalamira leitet die Firma United States Cannabis Association, die Verträge mit 80 Kooperativen hat.

Wezi Ngalamira leitet die Firma United States Cannabis Association, die Verträge mit 80 Kooperativen hat.

Vor allem hat die USCA auch Vereinbarungen unterzeichnet mit rund achtzig neu gegründeten Cannabis-Kooperativen, von denen die meisten zwischen fünfzig und hundert Mitglieder haben. Die CEO sagt: «Wir haben Tausende von Jobs geschaffen für die Bauern.»

Das liegt auch an den Spielregeln, die der malawische Staat aufgestellt hat. Die Kooperativen erhalten ihre Lizenz nur, wenn sie eine Vereinbarung mit einem sogenannten «off-taker» vorweisen – einer Firma, die verspricht, ihnen Samen zu liefern und später die Ernte zu kaufen. Die Idee: Die Bauern sollen eine Helferin haben, die garantiert, dass sie ihre Ernte absetzen können.

Die einzige Firma, die sich das bisher im grossen Stil zutraut, ist die USCA. Das heisst auch: Die Kooperativen sind von der USCA abhängig, wenn sie mit Cannabis Geld verdienen wollen. Scheitert die Firma, hat sie Tausenden von Bauern nicht Arbeit gegeben – sondern sie ruiniert. Und damit auch die junge Cannabis-Industrie.

Wezi Ngalamira, die Chefin, macht das nicht nervös. Sie vertraut auf das Potenzial von Cannabis. Um das zu illustrieren, zieht sie ihre Handtasche neben dem Schreibtisch hervor und holt ein Fläschchen CBD-Öl raus. «Cannabis hat eine grosse Rolle in meinem Leben gespielt», sagt sie. Vor fünfzehn Jahren sei sie an Krebs erkrankt. Freunde hätten ihr CBD gegeben, gegen die Schmerzen, die Angst und die Depression. Cannabis wirkte Wunder. Ngalamira besiegte den Krebs. Und Jahre später verschrieb sich Ngalamira, die in England studiert und in verschiedenen Ländern in Projekten zur Armutsbekämpfung gearbeitet hatte, dem Geschäft mit legalem Cannabis.

Die CEO wird wortkarger, wenn es um den Businessplan ihrer Firma geht. Man arbeite an einer Strategie. Das Budget sei nicht öffentlich. Man exportiere Cannabis in die USA, weil dort zwei Investoren sässen. Diese hätten Malawi vor einem Jahr besucht. Grösste Probleme? Die Samen seien zu teuer, die Bauern zu arm.

Es ist schwer, nicht skeptisch zu werden bei der USCA. Der Name ist nicht das einzige Ungewöhnliche. Die Website der Firma zum Beispiel ist inzwischen abgeschaltet. Als sie noch online war, listete sie als Teammitglieder unter anderem die beiden angeblichen amerikanischen Investoren auf. Eine Google-Suche über sie ist wenig ergiebig. Einer hat ein Instagram-Profil. Er beschreibt sich dort als «Kreditdoktor», der Tausenden von Leuten geholfen habe, ihr Haus zu finanzieren. Darunter Familienfotos, Aufnahmen im Fitnessstudio, Motivationssprüche. Und Botschaften wie diese:

«Schlechte Kredite? Wir können helfen!!»

«Maximieren Sie Ihr Kreditrating.»

«Wer ist es leid, mit schlechten Krediten zu leben und kaum über die Runden zu kommen?»

Auf Kontaktversuche reagiert der Kreditdoktor nicht.

Und das ist längst nicht alles.

Die Geprellten

Stuart Neba trägt ein weisses Hemd, es ist makellos sauber, dabei wäre eigentlich Anbauzeit. Er wartet in einem Dorf, das zu klein ist, um auf den meisten Karten verzeichnet zu sein. Es heisst Magunje und liegt vier Fahrstunden nördlich von Lilongwe. Hier liegen die Felder von Nebas Cannabis-Kooperative. Doch auf den Feldern wächst kein Cannabis. Der Kooperative fehlen die Samen.

Die Kooperative von Stuart Neba wartet seit Monaten auf die bezahlten Samen, um pflanzen zu können.

Die Kooperative von Stuart Neba wartet seit Monaten auf die bezahlten Samen, um pflanzen zu können.

Amos Gumulira / NZZ

Wie alle Kooperativen hat auch jene von Neba die Vereinbarung mit der USCA unterzeichnet. Die USCA verlangte von den Kooperativen als Registrierungsgebühr umgerechnet 120 Dollar plus 27 Dollar pro Mitglied für fünf Trainingslektionen. Nebas Kooperative hat der USCA rund 1500 Dollar überwiesen. Nur: Sie hat dafür nichts erhalten, kein Training und keine Samen.

Neba und seine Leute warten seit vier Monaten darauf, pflanzen zu können. Eigentlich beginnt die Anbauzeit im Dezember. Dann setzt der Regen ein. Inzwischen geht die Regenzeit wieder zu Ende.

Stuart Nebas Kooperative ist nicht allein. Nur zwei Kooperativen haben bisher von der USCA Samen erhalten: jene von Mathews Osman in Mchinji und eine zweite, die sich Women of Vision nennt und von einem ehemaligen Parlamentarier geführt wird. Das heisst, mehr als siebzig Kooperativen, die bisher Lizenzen erworben haben, haben der USCA mehr als 100 000 Dollar überwiesen – konservativ geschätzt. Stuart Neba sagt: «Es ist der totale Diebstahl.»

Deshalb hat Neba, der auch Agronomie studiert hat, die Caga (Cannabis Growers Association) gegründet, eine Vereinigung von verhinderten Cannabis-Pflanzern. Es ist eine Selbstverteidigungsorganisation, sie vertritt zwölf Kooperativen. Die Vorsitzende einer anderen Kooperative mit 64 Mitgliedern ist gerade zu Besuch. Sie sagt, sie hätten der USCA rund 4000 Dollar überwiesen. Mehr als die Hälfte davon für Samen, die nie kamen. «Es hiess immer: Nächste Woche. Nächste Woche. Nächste Woche.»

Inzwischen heisst es gar nichts mehr.

Die USCA nimmt zu den Vorwürfen der Bauern nicht Stellung oder reagiert harsch. Die CEO Ngalamira schreibt auf unsere Anfrage: «Die USCA hat ihre eigene, sehr professionelle Art, zu arbeiten. Wir werden Dinge immer auf diese Art tun.»

In einer Tonbandaufnahme, die siebeneinhalb Minuten dauert und uns zugespielt wurde, droht der Anrufer einer Kooperativenvertreterin. Er identifiziert sich als «Herr Chirambo, Leiter Sicherheit und Aufklärung», und kündet an, sie innerhalb von zwei Tagen zu verklagen. Sie sei in einer Whatsapp-Gruppe ausfällig geworden gegen USCA-Mitarbeiter. Man sammle Beweise.

Die Nervosität hat Gründe: Die Firma, an der die Zukunft von Malawis Cannabis-Geschäft und die Existenz von mehreren tausend Kleinbauern hängen, steckt offenbar in finanziellen Schwierigkeiten. Das geht zum Beispiel aus einem Brief hervor, den Ngalamira im November 2021 an mögliche Geschäftspartner in Südafrika verschickte. Im Brief steht, man habe Geldgeber identifiziert, die in Cannabis investieren wollten. Die Investoren wollten aber zuerst sicherstellen, dass Malawi in die USA und nach Europa exportieren könne. Ngalamira schreibt: «Unsere Investoren sind bereit, ihr Engagement zu verstärken, wenn der Marktzugang gewährleistet ist.»

Es ist unklar, was die USCA mit den Zehntausenden von Dollar gemacht hat, die die Bauern überwiesen haben.

Die Regierung, die von den Bauern verlangt hat, dass sie mit der USCA Verträge abschliessen, hält sich derweil raus.

Im Januar wollten Stuart Neba und zwei Dutzend Verbündete dem Landwirtschaftsminister in Lilongwe eine Petition überreichen, um sich gegen die USCA zu wehren. Sie kündigten den Behörden die Zeit und den Startort ihrer Demonstration an. Die kleine Prozession kam nicht bis zum Ministerium. Polizisten fuhren in Toyota-Pick-ups vor, auf denen «Anti Crime Patrol» stand, und nahmen die Demonstranten fest. Das Landwirtschaftsministerium beschied Neba später in einem Brief, es habe nichts mit dem Streit der Bauern mit der USCA zu tun. In einem Nachrichtenbeitrag äussert sich auch die USCA-CEO Ngalamira zur Verhaftung. Sie sagt, sie kenne diese Bauern nicht. Vereinbarungen, Bankbelege, Briefe und weitere Dokumente, in die wir Einsicht hatten, zeigen das Gegenteil.

Wenn man den Landwirtschaftsminister in der Ministerlounge des Parlamentsgebäudes besucht, muss man ihn zuerst unter einem guten Dutzend anderer Minister ausfindig machen. Die Gesundheitsministerin plaudert mit ihrem Staff. Die Arbeitsministerin tippt auf ihrem Handy herum. Der Justizminister und der Minister für Lokalregierung haben die Köpfe zusammengesteckt. Lobin Lowe, Minister für Landwirtschaft und damit zuständig für Cannabis, sitzt in einer Ecke auf einem überdimensionierten Ledersofa und hat die Beine übereinandergeschlagen.

Lowe lässt sich von dem Drama um die USCA nicht aus der Fassung bringen, denn es geht ihn ja offiziell nichts an. Der Minister sagt: «Als das Gesetz verabschiedet wurde, herrschte Euphorie. Bauern gaben andere Produkte auf und setzten auf Cannabis. Dann merkten sie, dass Cannabis ein kompliziertes Geschäft ist.» Kein Heimmarkt, komplizierte Exportbedingungen und vor allem: Man habe zu spät gemerkt, dass die einheimische Sorte sich nicht für legale Zwecke eigne.

Doch die USCA habe versichert, alle Probleme zu lösen. Den Export zu bewerkstelligen. Internationale Standards zu erfüllen. «Sie vermittelte den Eindruck, dass ihr Markt sehr gross sei und sie deshalb gewillt sei, mit den Bauern zusammenzuarbeiten.»

Inzwischen scheint wahrscheinlicher, dass die Firma Probleme nicht gelöst, sondern neue, noch grössere verursacht hat. Glaubt der Minister trotzdem an die Pflanze, von der es hiess, sie könne Malawi aus der Armut befreien? Er fasst sich an den Kopf und sagt: «Ich bete dafür. Der Hype war so gross, nun ist die Enttäuschung umso grösser.»

Utopia

Malawis Traum vom grünen Gold, so scheint es, löst sich gerade in Rauch auf. Doch es gibt einen Ort, an dem die Hoffnung weiterlebt. Er umfasst 31 Hektaren und liegt eine halbe Stunde westlich von Lilongwe. Es ist das Gelände einer Firma, die von vielen in Malawi nur beiläufig erwähnt wird und bei der USCA gar nicht. Die Firma heisst Invegrow, sie wird von der Frau geleitet, die 2012 den Artikel schrieb, der Boniface Kadzamira zum Cannabis-Apostel machte. Tanya Clarke ist 39 und gebürtige Britin. Sie landete 2006 in Malawi, nachdem sie ihr Studium abgeschlossen hatte. Sie verliebte sich in das Land, ein Jahr später gründete sie eine Primarschule. Die Schule gibt es noch, sie hat über 700 Schülerinnen und Schüler und wird inzwischen vom Staat geführt.

Die Firmengründerin von Invegrow Tanya Clarke will mehrere Tonnen Cannabis an einen Schweizer Verarbeiter liefern.

Die Firmengründerin von Invegrow Tanya Clarke will mehrere Tonnen Cannabis an einen Schweizer Verarbeiter liefern.

Amos Gumulira / NZZ

Invegrow hat als einziger Betrieb in Malawi schon CBD-Öl hergestellt: 200 Gramm.

Invegrow hat als einziger Betrieb in Malawi schon CBD-Öl hergestellt: 200 Gramm.

Amos Gumulira / NZZ

2013 lancierte Clarke Invegrow. Sie lobbyierte zusammen mit Kadzamira für die Legalisierung, traf Minister, zeigte Produkte. Als Versuche mit Samen und Pflanzen zugelassen wurden, begann sie zu experimentieren.

Inzwischen hat Invegrow vieles, was der USCA zu fehlen scheint. Einen Businessplan zum Beispiel: Die Firma hat 80 Angestellte, 200 sollen es werden, falls Invegrow so wächst, wie sich Clarke das vorstellt. Die Firma hat Geldgeber – eine Gruppe britischer Privatinvestoren hat 600 000 Dollar ausgegeben, um die Tests zu finanzieren. Die Firma hat auch die Samen – weil Invegrow die Firma ist, die sie eingeführt und getestet hat. Die USCA müsste die Samen eigentlich bei Tanya Clarke einkaufen, weil niemand sonst in Malawi von der Regierung zugelassene Samen hat. Doch Clarke besteht darauf, bezahlt zu werden.

Clarke nimmt in diesem afrikanischen Cannabis-Traum eine merkwürdige Rolle ein. Sie bereitete noch vor Boniface Kadzamira den Boden für die Legalisierung. Nun, da die Saat aufgegangen ist, ist sie plötzlich in der Rolle der Spielverderberin. Sie fühlt sich nicht wohl dabei.

Lieber zeigt Clarke das Invegrow-Gelände. Sie führt durch eine Halle, gross wie ein Fussballfeld, in der noch eingepackte Ölpressen stehen. Sie stellt Mitarbeiter vor mit Hygienehauben auf dem Kopf, die Blüten von langen Hanfstengeln schneiden. Sie zeigt ein Labor, in dem chromglänzende Geräte stehen. Sie führt durch Gewächshäuser, in denen lange Reihen von Hanfpflanzen aussehen, als hätte sie jemand einzeln mit dem Geodreieck ausgerichtet.

Es ist, als wäre hier ein Cannabis-Utopia entstanden, während draussen die Welt verrückt spielte. Doch so einfach ist es nicht. Auch Invegrow navigiert an der Peripherie der Weltwirtschaft, wo der lokale Markt winzig und die Exporthürden hoch sind.

Invegrow hat zwar CBD-Öl, Briketts und Proteinpulver aus Cannabis hergestellt. Aber erst Anfang Jahr hat die Firma erstmals Cannabis exportiert. Es war ein Pilotversuch, 200 Gramm nur, sie gingen an einen CBD-Verarbeiter in der Schweiz. Für Invegrow war es ein grosser Schritt. Nun soll die Firma in den nächsten eineinhalb Jahren mehrere Tonnen in die Schweiz liefern.

Tanya Clarke sagt, das Geschäft brauche Geduld. «Es gibt kein schnelles Geld im Leben. Schon gar nicht im Fall von Cannabis.» Deshalb ist Invegrow vorerst auch keine Vereinbarungen mit Kooperativen eingegangen. «Du brauchst Mittel, um die Bauern bezahlen zu können», sagt Clarke. «Wir wollten keine Versprechen abgeben, die wir nicht einlösen können.»

Rausch und Kater

Die Geschichte der Cannabis-Legalisierung in Malawi ist bis jetzt die Geschichte eines kurzen Rausches und eines Katers, der für viele Bauern lange anhalten könnte. Ein Land hat seine wirtschaftliche Zukunft auf eine Firma verwettet, die an der Grenze zum Betrug operiert. Für ihr Verhalten muss sich die Firma bis jetzt nicht verantworten.

Die USCA ist Teil des politischen Klüngels in Malawi. Die CEO der USCA ist befreundet mit Boniface Kadzamira, dem Cannabis-Pionier und obersten Regulator. Kadzamira arbeitet eng mit dem Landwirtschaftsminister zusammen.

Ist das einfach der übliche Filz in einem kleinen Land oder bereits Korruption? Scheitert Malawis Cannabis-Traum am Mangel an fähigen Leuten, die das Geschäft wirklich verstehen, oder an der Gier einflussreicher Politiker?

Es wäre eine sehr afrikanische Geschichte. In vielen Ländern des Kontinents sind Eliten stärker damit beschäftigt, sich selber den Zugang zu Ressourcetöpfen zu sichern als ihren Wählern den Zugang zu Elektrizität und Wasser.

Klar ist aber: Der Traum vom grünen Gold ist nicht ausgeträumt.

Boniface Kadzamira, der Pionier, sagt am Telefon auf die Frage, ob er wegen der USCA besorgt sei: «Im Moment kann ich weder zustimmen noch verneinen.» Doch er sei zuversichtlich, dass bald neue Firmen auftauchten, die die Bauern unterstützen könnten.

Mathews Osman, der hoffnungsvolle Bauer in Mchinji, hat geerntet. Die USCA hat die getrockneten Blüten nicht wie vereinbart gekauft. Osman sagt, die Mitglieder der Kooperative hätten ihm Vorwürfe gemacht. Doch dann hatte er eine Idee. Die Kooperative pflanzt nun Malawi Gold an, die illegale einheimische Sorte. Osman sagt: «Die Käufer im Ausland verlangen danach. Wir erwarten einen Exportboom.»

Stuart Neba, der geprellte Bauer, fand einen neuen Partner. Eine südafrikanische Firma. Doch auch sie lieferte keine Samen. Auch Nebas Kooperative pflanzt nun Malawi Gold. Es ist ein neuer Akt der Selbstverteidigung.

Und Nelson Zakeyu, der einsame Rufer von Drug Fight Malawi? Vielleicht behält er am Ende doch recht. Nicht damit, dass die Cannabis-Legalisierung Malawi eine Generation Drogensüchtiger bescheren wird. Aber damit, dass mal wieder Malawis Mächtige profitieren. Und die Bauern so arm bleiben wie zuvor.

Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit dem malawischen Journalisten Golden Matonga. Auf der Website der Platform for Investigative Journalism Malawi wurde ein zweiter Artikel veröffentlicht.

Die geernteten Hanfblüten werden – fast wie Tabak – zum Trocknen über einer Leine gehängt.

Die geernteten Hanfblüten werden – fast wie Tabak – zum Trocknen über einer Leine gehängt.

Amos Gumulira / NZZ


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