Müttermeinung: “Mein Kind muss gar nichts – außer spielen!”

Die erste schockierende Nachricht verkünde ich gleich mal lieber zu Beginn: Meine Kinder sind total durchschnittlich. Die können nichts besonders gut, sie sind kein bisschen hochbegabt, manchmal sind sie sogar richtig spät dran mit allem. Eine Tatsache, die ich ziemlich normal finde – allerdings geht das nicht jedem so. 

Klassische Musik schon vor der Geburt

Es fing praktisch schon vor der Geburt an. Manche Paare aus meinem Umfeld spielten ihrem Nachwuchs bereits im dritten Monat der Schwangerschaft klassische Musik vor, damit er sich richtig entwickelte. Auch Jazz solle gut für die Entwicklung des Gehirns sein, sagte man mir. Ich fand das damals schon bekloppt – war aber unsicher, weil ich ja neu in dem Job war. Sollte ich vielleicht auch mal darüber nachdenken, mein Baby etwas mehr zu fördern?

Und natürlich machte ich so einiges mit: Jede Mutter möchte schließlich das Beste für ihr Kind. PEKIP (etwa 99,9 Prozent aller Mütter wissen, wovon ich reden, nehme ich an?! Sonst hier klicken) musste sein, auch wenn es mir fast körperliches Unbehagen verursacht,  in der Gruppe laut zu singen und 60 Minuten lang zu beobachten, wie sich meine Tochter mit dem schmierigen Inhalt einer Riesendose Nivea auf einer Plastikfolie vergnügte. Der Kaffee danach mit den größtenteils angenehmen Müttern war eine echte Erholung von diesem Unsinn. Babyschwimmen? Ich war dabei. Ich habe meiner vier Monate alten Tochter vorgelesen, weil ich sicher war, das könne nie schaden. Zwergenorchester? War leider schon ausgebucht und so sauteuer, dass ich mich daran erinnerte, wie ich vor meinem Leben als Mutter gewesen war: einigermaßen vernünftig. Schließlich hatte das Kind mit unseren Erbanlagen selbst bei frühester musikalischer Förderung eh keine Chance ein Star in diesem Bereich zu werden. Wobei ich davon nichts verteufeln möchte, ich bezweifle einfach nur, dass es etwas bringt. Wie ich darauf komme? Ich habe zwei Kinder.

Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht

Bei meinem zweiten Kind blieb so einiges auf der Strecke, PEKIP zum Beispiel. Ich konnte mich einfach nicht noch mal dazu überwinden. Was Babyschwimmen ist, weiß dieses Mädchen nur aus der Ferne – es musste schon mit wenigen Wochen im Maxicosi am Beckenrand schlafen während wir mit seiner großen Schwester schwammen. Und, oh Wunder, dieses Kind konnte nichts schlechter oder später! Seitdem glaube ich nur an einen Satz: Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Den sagte eine meiner Freundinnen, als ich ihr davon erzählte, dass ich mich manchmal schlecht fühle, weil meine Kinder nicht im Babychor, Zwergenmalkurs oder Leistungsturnen für Zweijährige sind.

Spielen ist das Beste für die Entwicklung

Mal abgesehen davon mache ich ja auch gar nicht NICHTS. Meine Kinder dürfen, sollen, ja, sie MÜSSEN sogar spielen. 1. Weil sie das meistens sehr gerne tun, 2. Weil sie mir dann nicht auf die Nerven gehen. Und 3. Weil sie dabei wahnsinnig viel lernen. Das ist eine faule Ausrede? Von wegen. Für alle, die mir nicht glauben, empfehle ich das Buch “Rettet das Spiel! Weil Leben mehr als Funktionieren ist” vom Neurobiologen Gerald Hüther und Philosoph Christoph Quarch. Da steht alles drin. Zum Beispiel, dass jegliches Spiel schlau macht und uns aufs Leben vorbereitet, weil wir im Spiel Lösungen finden müssen. Durchs Spiel werden Belohnungszentren im Gehirn aktiviert, es bringt uns dazu, Gefühle rauszulassen und zeigt uns, was wir schaffen können. Es gibt uns Energie, es macht uns selbstsicher,  klüger und vor allem glücklicher. Was ich jetzt auch nicht ganz unwichtig finde.

Lesen ist ja auch Förderung, oder?

Was übrigens auch glücklich macht: Lesen. Deswegen lese ich meinen Kindern vor. Schließlich können sie das noch nicht alleine. Allerdings ganz ohne Hintergedanken und bloß, weil wir es alle gerne mögen. Ob meine Sprösslinge deswegen später besonders schlau sind? Mir egal. Sie sollen es mögen, so wie ich es tue. Und trotzdem ist es auch Förderung, oder?

Hin und wieder packt mich dann doch das schlechte Gewissen  und ich denke, ich muss irgendwas tun, damit meine Kinder nicht so unmusikalische Kulturbanausen werden wie ich. Vor ein paar Wochen versuchte ich deswegen, meine Tochter deswegen dazu zu überreden, in den Chor einzutreten. Sie singt nämlich dauernd und sehr schön. Als ich meinte, das wäre doch sicher etwas für sie, antwortete die Sechsjährige nur sehr bestimmt: “Ich will da nicht hin, Mama!”   Stattdessen wollte sie spielen. Und da fällt mir ein: Das kann sie wirklich überdurchschnittlich gut.