Nach 18 spannenden Vorrundenpartien vor rekordträchtiger Kulisse im Pierre Mauroy Stadion von Lille wechselt das olympische Basketballturnier in die Hauptstadt, wo ab Dienstag in der großen Paris Bercy Arena die Medaillen vergeben werden. Die drei Favoriten USA, Kanada und Deutschland blieben unbesiegt. Frankreich, Serbien und Australien wurden jeweils Zweiter in ihren Gruppen; Brasilien und Griechenland qualifizierten sich als bilanzbeste Drittplatzierte ebenfalls für die K.-o.-Runden. Spanien, Japan, Puerto Rico und Süd-Sudan hingegen scheiterten in der Gruppenphase. Deutschlands Nationalmannschaft, der amtierende Weltmeister, rollte nicht nur zu einem makellosen 3:0 Start, sondern bestätigte nach zunehmend dominanten Vorstellungen gegen Japan, Brasilien und Frankreich auch sein Standing als eines der absoluten Top-Teams. Jetzt wartet Griechenland im Viertelfinale.
“Größte Gefahr für USA”
“Die erste Halbzeit, die meine Mannschaft heute gespielt hat, war einfach überragend. Das kann man gar nicht richtig beschreiben. Ich bin mehr als zufrieden. Mit den anderen Teams habe ich mich noch nicht beschäftigt, aber wir werden auch im Viertelfinale gut vorbereitet sein.” Deutschlands Chefcoach Gordon Herbert war bester Laune nach dem dritten Sieg im dritten Spiel – und 18. aus den letzten 20 bei einem internationalen Turnier.
Eine 85:71-Demontage der Gastgeber am letzten Gruppenspieltag hat Deutschland endgültig in den Kreis der Top-Medaillenanwärter bugsiert. Die Art und Weise, wie der amtierende Olympia-Zweite deklassiert wurde, ließ aufhorchen. “Deutschland und Kanada, offensichtlich. Der Augentest zeigt eindrucksvoll, dass diese beiden Teams die größte Gefahr fürs Team USA darstellen”, sagte NBC-Co-Kommentator und dreifach-NBA-Champion Dwyane Wade am Samstag.
“Ich versuche lieber, einen Löwen zu zähmen, als einer Katze das Brüllen beizubringen.” Mit diesem Zitat, in Anlehnung an das Aggressivitätslevel seiner Truppe, sorgte Herbert in dieser Woche für den Audio-Clip des Turniers bisher. “Unser Vertrauenslevel ist immens”, sagte Moritz Wagner nach dem Sieg gegen Frankreich. “Wir wollen immer der Aggressor sein, wissen genau, wer wir sind und wen wir neben uns haben. Wir haben keine Angst, wir greifen an, sind die aggressivere Mannschaft an beiden Enden. Wir sind nicht hier, um zu verlieren.”
Franz Wagner stopfte nicht einen, sondern gleich zwei Monsterdunks über die Franzosen hinweg, während ein lächelnder Dennis Schröder einen Jumpshot nach dem anderen durch die Maschen drückte. Am Ende hatten Deutschlands beste Akteure jeweils 26 Punkte erzielt – die fünfthöchsten Scoring-Games in der Geschichte des DBB bei Olympischen Spielen (Detlef Schrempf hält den Rekord mit 36 Zählern, und die Plätze zwei bis vier gleich dazu).
“Wenn wir so auftreten, können wir jeden schlagen. Aber wir dürfen nicht abheben, es sind noch acht sehr gute Teams im Turnier. Jetzt ist es ‘do or die’, man kann keine Fehler mehr ausgleichen”, warnt Daniel Theis nicht nur vor dem Auftritt gegen die Griechen am Dienstag (ab 11 Uhr). Die kommen vor allem über die übernatürlichen Kräfte ihres absoluten Megastars Giannis Antetokounmpo. Die athletische Abrissbirne zählt nicht nur in der NBA zur absoluten Elite, sondern ist auch bei diesen Olympischen Spielen nicht zu bremsen.
Mit 81 Punkten insgesamt und 27,0 pro Partie führt der “Greek Freak” die Scorerliste mit weitem Abstand an. Knapp 70 Prozent aus dem Feld (68,9% FG) und fast zehn Freiwurfversuche pro Spiel illustrieren deutlich: Hält Antetokounmpo den Ball einmal in seinen riesigen Händen, ist es fast immer zu spät. Zum Glück für Deutschland lässt der Rest der Teams zu wünschen übrig. Nur ein anderer Akteur (Vasilis Toliopoulos) punktet zweistellig, “Hellas” stellt sowohl nach Offensiv-Rating als auch nach Dreier-Quote das schwächste aller Viertelfinal-Teams.
Solange Deutschland im Angriff also Normalform erreicht und hinten entweder Antetokounmpo oder seine Mitspieler neutralisiert, dürfte es keine Probleme haben. Beim bisher letzten Aufeinandertreffen zwischen beiden Teams warf Deutschland die Hellenen im Viertelfinale der EuroBasket 2022 raus – der Anfang eines unvergleichlichen Laufs für den DBB.
Grabenkämpfe bei den Gastgebern
Wie der deutsche erlebt auch der kanadische Basketball seine beste Phase aller Zeiten. Im Vorjahr gewannen die Nordamerikaner mit Bronze ihre erste WM-Medaille überhaupt. Sie nehmen zum ersten Mal seit Sydney 2000 (Platz sieben) wieder an Olympischen Spielen teil. Ihre einzige Medaille bei Olympia gewannen die Kanadier 1936, als sie den USA im Finale, im Freien, in einem verheerenden Regensturm, mit 19:8 unterlagen.
In der “Group of Death” blieb die Truppe von Brooklyn-Nets-Headcoach Jordi Fernandez ungeschlagen und gab sich gegen Griechenland, Australien und Spanien keine Blöße. Angeführt von All-NBA-Guard Shai Gilgeous-Alexander (19,0 PPG), der bereits in Manila zu den besten Akteuren zählte, Topscorer RJ Barrett (21,0 PPG) und Dillon Brooks (14,3 PPG bei 60,0 Prozent Dreierquote) fliegt das mit NBA-Kalibern gespickte Team bisher durchs Turnier, dank einer perfekten Mischung aus Offense, Defense und Spieltempo. Dabei ist sogar noch Luft nach oben – vor allem bei Jamal Murray, der seiner Form weit hinterher läuft (nur 5,7 PPG bei 10 Prozent von der Dreierlinie).
Dass ausgerechnet die Hausherren zum Stolperstein in Richtung Edelmetall werden könnten, scheint wenig realistisch. Der dreifache Silbermedaillengewinner (1948, 2000, 2021) hat zwar den Heimvorteil und Victor Wembanyama, der sein Team bei den Punkten (17,0 PPG), Rebounds (10,7 RPG), Assists (3,0) und in der Verteidigung (4,7 Steals plus Blocks pro Spiel) anführt. Dafür stimmt sonst kaum etwas bei der “Equipe Tricolore”, die nicht nur die drittwenigsten Punkte aller Viertelfinalisten erzielt hat, sondern auch beim Spieltempo weit abgeschlagen ist.
Veteran Evan Fournier kritisierte Nationaltrainer Vincent Collet und dessen Spielstil nach der deutlichen Niederlage am dritten Spieltag scharf – ein weiteres Anzeichen, dass die Nerven blank liegen. “Uns fehlen die Grundlagen. Ich glaube unser Spielstil ist nicht mehr zeitgemäß, und dafür zahlen wir den Preis. Heutzutage ist Angriff die beste Verteidigung. Das hier ist nicht mehr der Basketball der 1990er oder 2000er, wo du im Halbfeld verteidigen kannst. Deine Offensive ist entscheidend, Balance, dein Transition-Game. Vor allem gegen ein so starkes Team wie Deutschland.”
Kanada hatte “Les Bleus” bereits während der Vorbereitung deutlich geschlagen (85:73). Seither zeigt die Formkurve beider Teams noch klarer in unterschiedliche Richtungen. Auch wenn der Coach der Franzosen sagt: “Sie haben mehr zu verlieren als wir in dieser Position. Es steht 0:0 am Dienstag.” Frankreich wirkt klar zwischen den Generationen gefangen und zu wenig gefestigt, um eine der an beiden Enden gefährlichsten Mannschaften dieses Turniers über 40 Minuten zu bedrängen. “Wir haben gegen viele gute Teams gespielt und sie alle geschlagen”, zeigt sich Gilgeous-Alexander selbstbewusst. “Wir können ein paar Dinge besser machen, aber das war schon okay so. Wir wollen kein einziges Spiel verlieren. Das ist das Ziel.”
USA: Unschlagbar und immer besser
Brasilien qualifizierte sich aus Gruppe B trotz Niederlagen gegen den DBB und Frankreich als bestes drittplatziertes Team, weil Bruno Caboclo mit 33 Punkten und 17 Rebounds den überdeutlichen Sieg im entscheidenden Spiel gegen Japan sicherstellte. Die Südamerikaner haben nur einen NBA-Spieler im Kader (Gui Santos von den Golden State Warriors), aber sechs Akteure, die mindestens acht Punkte pro Partie erzielen. Sie dominieren am offensiven Brett und sind das bisher beste Dreier-Team im Wettbewerb – mit elf Treffern pro Partie, bei knisternder Trefferquote von 45,3 Prozent. Diese beiden Elemente zählen zu den wenigen Schwachstellen der USA, die Gegner theoretisch ausnutzen können.
Der erste Vorstoß der Brasilianer in ein olympisches Halbfinale seit 1968 und die erste Medaille seit Bronze 1964 dürfte dennoch nur ein Träumchen bleiben. Nicht nur, weil sie ihren Viertelfinalgegner bei Olympia noch nie besiegt haben (0:9), sondern weil diese US-Amerikaner bisher absolut unschlagbar wirken. Nach perfekter 5:0 Bilanz in der Vorbereitung pflügten die Favoriten auch durch die Gruppe C und gehen als Nummer eins der Setzliste in die K.-o.-Runden.
Zu groß ist die individuelle Qualität im Kader, zu überwältigend der Basketball, den die NBA-Stars aufs Parkett zaubern können, zu vielschichtig das Lineup-Roulette, das Head Coach Steve Kerr spielen kann. Kevin Durant (23 Punkte) brillierte in Spiel eins gegen Serbien, Bam Adebayo (18 Punkte, 7 Rebounds, 2 Blocks) überragte beim Erfolg gegen den Süd-Sudan, und Anthony Edwards lief beim Blowout-Sieg gegen Puerto Rico heiß (26 Punkte in 17 Minuten). Zusammengefügt werden sämtliche Formationen von einem zeitlos dominanten LeBron James, der drittbester Scorer (14.3 PPG), drittbester Rebounder (6,7 RPG) und bester Vorlagengeber ist (7,3 APG) seines Teams ist.
“Sie sind sehr physisch, haben eine Menge guter Schützen, sind das beste Team beim Offensiv-Rebound, und spielen hart. Wir müssen gut vorbereitet sein”, warnt Kerr vor dem Aufeinandertreffen am Dienstag. Trotz fünf Spielern im Kader, die mindestens 40 Prozent ihrer Dreier treffen, stellen die Brasilianer den drittschwächsten Angriff laut Offensiv-Rating und dazu die schlechteste Abwehr aller verbleibenden Teams. Die USA hingegen sind mit zunehmender Turnierdauer immer besser in Schwung gekommen – und dabei ist Steph Curry noch nicht einmal warmgelaufen (7,3 PPG bei 26,3 Prozent Dreierquote). Klare Sache also für die Top-Favoriten.
FIBA-Bogdanovic läuft heiß
Im Halbfinale wartet dann der Sieger der Partie Serbien gegen Australien. Beide Gegner haben bereits gegen die USA gespielt: Australien beim Test in Abu Dhabi, Serbien sowohl dort, als auch am ersten Spieltag in Gruppe C. Diese Teams kennen sich also. Die “Boomers” gewannen zudem am 16. Juli gegen das Team von Svetislav Pesic, 84:73, und demonstrierten schon damals ihre präferierte Sorte Basketball: aggressiv in der Defensive und am Brett, ultraschnell im Umschalten von Abwehr auf Angriff, und viel Balance im Angriff.
Gleich fünf NBA-Spieler punkten zweistellig, angeführt von Big Man Jock Landale (17,7 Punkte und 9,7 Rebounds pro Partie), All-Rounder Josh Giddey (15,0 Punkte, 8,7 Rebounds und 6,7 Assists pro Spiel) und “FIBA-Patty” Mills. Der Veteran brillierte bereits beim Testspielsieg mit 28 Punkten und hat seine starke Form seither gehalten (13,3 Punkte, 41,2 Prozent Dreier). Um die dritte Halbfinalteilnahme in Folge zu klären, muss das Team von Coach Brian Goorjian den Vizeweltmeister ausschalten. Serbien holte zwei Arbeitssiege gegen Puerto Rico und Süd-Sudan, ohne bisher zu brillieren, erreichte aber dennoch mühelos das Viertelfinale – zum fünften Mal in Folge.
Im Gegensatz zum Duell in Abu Dhabi kann Pesic diesmal auf sein volles Spielerkontingent und seine besten Lineups zugreifen. Und das heißt nicht nur, dass der dreifache NBA-MVP Nikola Jokic mehr Minuten gehen und wie gewohnt im Interieur dominieren wird (18,7 Punkte, 11,0 Rebounds und 7,0 Assists im Schnitt bei 75,0 Prozent Zweiern), sondern dass auch einer der gefährlichsten Scorer und Schützen im internationalen Basketball wieder dabei ist.
Bogdan Bogdanovic zählt sowohl bei den Punkten (19,0 PPG) als auch bei den Dreiern (52,9 Prozent) zu den besten Spielern in diesem Turnier und avancierte zuletzt zum besten Scorer in der Geschichte des serbischen Basketballverbandes. Beim Sieg am letzten Spieltag nahmen “Bogi” (30 Punkte, 8 Assists, 2 Steals, 2 Blocks) und der “Joker” (22 Punkte, 13 Rebounds, 4 Assists) den Süd-Sudan in bester One-Two-Punch Manier auseinander.
Serbien verteilte als Team 31 Vorlagen – der höchste Wert bisher bei diesen Olympischen Spielen. Und obwohl sie zu Beginn des Turniers kein Scheunentor von Downtown trafen und eigentlich lieber über die Defensive kommen wollen, erzielen sie die zweitmeisten Punkte und stellen den dritteffizientesten Angriff aller Viertelfinalisten. Das gibt Pesics Team den theoretischen Vorteil gegenüber den Aussies – und dann am Donnerstag die Chance auf Wiedergutmachung gegen LeBron, Curry, Durant & Co ….