Parteitag in Magdeburg: AfD will EU von innen heraus abwickeln

Mit der EU kann die AfD nichts anfangen, hält sie für gescheitert – an der Wahl zum Europaparlament wird sie dennoch teilnehmen. Dafür will sie beim Parteitag an diesem und am nächsten Wochenende die geeigneten Kandidaten finden. Gar nicht so eine leichte Aufgabe.

Wenn sich die AfD von diesem Freitag an in Magdeburg trifft, wird das ein ungewöhnlicher Parteitag. Offiziell geht es um Satzungsfragen und die Kandidaten für die Europawahl im kommenden Jahr. Doch es dürfte auch ein Moment des Durchatmens sein, denn hinter der Partei liegen beispiellose Monate. Da sind die Umfragen, in denen die AfD bei rund 20 Prozent auf Platz zwei hinter der Union steht – und vor der Kanzlerpartei SPD. Da ist die gewonnene Landratswahl im thüringischen Sonneberg, ebenso eine erfolgreiche Bürgermeisterwahl in Sachsen-Anhalt, in Raguhn-Jeßnitz.

All das waren Premieren für die Rechtsaußen-Partei und so soll es nach dem Wunsch von Alice Weidel und Tino Chrupalla weitergehen. Dabei zielen die beiden Partei- und Fraktionschefs ganz weit nach oben: In ihrem Leitantrag zum Parteiprogramm für die Europawahl heißt es, die Partei strebe die “geordnete Auflösung” der EU an. Wobei, als dieser Passus bekannt wurde, musste erstmal zurückgerudert werden. Die Partei, die ihre Konkurrenz gern als Deppen darstellt, teilte mit, dass es sich bei der Formulierung um ein Versehen gehandelt habe. Aus Fristgründen habe man das nicht mehr ändern können.

Im Interview mit dem “Stern” sagte Alice Weidel vor einigen Wochen, sie spreche lieber von einem “Rückbau” der EU. Das klingt weniger nach Abrissbirne und mehr nach Ordnung. Dennoch bleibt ein gewisses Durcheinander, denn im neuen Programm soll auch nichts von “Rückbau” stehen. Stattdessen beantragt die Bundesprogrammkommission, den Satz ganz zu streichen. Tatsächlich soll im Programm stehen, dass ein “Bund europäischer Nationen” angestrebt wird, eine “europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft”.

Kandidatensuche an zwei Wochenenden

Die Kandidaten, die die EU von innen heraus bekämpfen sollen, müssen erst noch gefunden werden. Die sollen an diesem Wochenende gewählt werden. Aus dem Vollen schöpfen kann die Partei weniger als ihre Konkurreten. Es sagen zwar viele, dass sie beim nächsten Mal AfD wählen würden, die Mitgliederzahl ist aber nicht nach oben geschossen. Die liegt bei rund 30.000. Zum Vergleich: Bei den Grünen sind es 125.000, bei SPD und CDU knapp 400.000. Kurioserweise will die AfD, anders als ursprünglich geplant, erst die Kandidaten wählen und dann über den Leitantrag zum Programm debattieren und abstimmen. Weil solche Prozesse bei der AfD in der Regel sehr lange dauern, hat sie gleich zwei Wochenenden dafür angesetzt.

Im Europaparlament saßen nach der Wahl 2019 anfangs noch elf AfD-Abgeordnete in der Fraktion “Identität und Demokratie” (ID). Mittlerweile sind es nur noch neun. Bei der ID gab es weitere Abgänge. Von einst 73 Abgeordneten aus ganz Europa sind noch 62 übrig. Wobei die AfD offiziell noch gar nicht zur ID gehört – über einen Beitritt soll am Wochenende ebenfalls entschieden werden.

Der Bundesvorstand ist dafür, weil die Partei so mehr Geld von der EU bekommen würde und sich besser mit Gleichgesinnten in Europa vernetzen könnte. Der Widerspruch geht ins Grundsätzliche: Die AfD drohe zu einem “nationalen Verband einer EU-Partei” werde und bei Themen wie “Euro-Exit” oder Krieg in der Ukraine nicht mehr unabhängig entscheiden könne, heißt es in einem Antrag, der sich gegen den Beitritt ausspricht. “EU-Parteien dienen dem gleichen Zweck wie die Währungsunion: Sie sind Mittel, um den Zentralstaat EU zu verwirklichen”, heißt es weiter. Die Programmatik einer EU-Partei müsse den Werten der EU entsprechen und eine EU-Partei unterliege dem EU-Parteienrecht und damit der Kontrolle von EU-Behörden. Also alles, was die AfD nicht will.

Einer der beiden Abgänge bei der AfD im Europaparlament war Jörg Meuthen, der einstige Parteichef, der Anfang 2022 feststellte, dass ihm die AfD doch zu rechts geworden war. Sein Abgang war die endgültige Niederlage im Richtungsstreit der Partei. Die AfD seien immer zwei Parteien in einer gewesen, sagte Meuthen damals im ZDF. Zum einen die Bürgerlich-Liberal-Konservativen, denen er sich zählte und die Völkisch-Nationalen.

Gegen Höcke wird gerade wieder ermittelt

Deren Aushängeschild ist der thüringische Landesvorsitzende Björn Höcke, dessen gesamter Landesverband der Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft, ebenso wie die Jugendorganisation Junge Alternative (JA). Gegen Höcke wird gerade wieder ermittelt, weil er vor zwei Jahren eine Wahlkampfrede mit der SA-Parole “Alles für Deutschland” beendet haben soll. Längst gilt er in der AfD als graue Eminenz, gegen den es keine Mehrheiten gibt. Es ist typisch für die junge Geschichte der AfD, dass Richtungsstreitigkeiten zwischen den National-Konservativen und den Rechtsextremen stets zugunsten der Letzteren ausgehen – und dass der Partei das nicht schadet.

Die Europawahl wird erst im Juni 2024 stattfinden, dennoch kommt ihr große Bedeutung zu. Keine der größeren Parteien lehnt die EU so sehr ab wie die AfD – bei ihrer Gründung vor zehn Jahren spielte die Ablehnung der Eurorettung und der Griechenland-Hilfen in der Finanzkrise die entscheidende Rolle. 2015 war es die Aufnahme von Flüchtlingen. Die Europawahl wird dabei ein interessanter Test, denn es ist das erste Mal seit dem derzeitigen Umfrage-Höhenflug, dass deutschlandweit gewählt wird.

Ob die Partei die starken Werte halten kann, ist aber offen. Die AfD profitiert von aktuellen Krisen, von der Inflation, den Flüchtlingen aus der Ukraine und der Unzufriedenheit mit der Ampel. Sollte die Regierungskoalition wieder Tritt fassen und sich die Lage insgesamt aufhellen, könnte viel Luft aus der derzeitigen Zustimmung entweichen. Dennoch stehen die Chancen gut, mehr als die elf Prozent zu holen, auf die die AfD vor vier Jahren in Deutschland kam.

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