Patrick Fischer und Murat Yakin im Interview

Patrick Fischer und Murat Yakin stehen für eine Haltung, die bis vor kurzem im Schweizer Sport verpönt war. Die Trainer der bedeutendsten Nationalteams demonstrieren Selbstsicherheit und formulieren hohe Ziele. Im Interview sprechen sie über den Kulturwandel im Schweizer Mannschaftssport.

«Ich vertraue meinem Lebenspfad», sagt Patrick Fischer, der Eishockey-Nationaltrainer (links). Und der Fussball-Nationaltrainer Murat Yakin: «Grundsätzlich darf man sich einfach nicht zu wichtig nehmen.»

Annick Ramp / NZZ

Wer von Ihnen ist selbstbewusster?

Yakin: Das ist eine fiese Frage. Joker.

Fischer: Was ist Selbstbewusstsein? Ich bin mir meiner Schwächen und Stärken bewusst, weiss, was für mich wichtig ist. Das lernt man als Spieler und später definitiv als Trainer. Wir wissen beide, was wir können, aber auch, was wir nicht können.

Wir stellen diese Frage, weil Sie beide eher überraschend Nationaltrainer wurden. Gab es nie Zweifel, ob Sie dieser Aufgabe gewachsen sind?

Yakin: Ich war 15 Jahre Klubtrainer. Tatsächlich kam die Anfrage für mich im vergangenen Sommer ziemlich unerwartet. Als Trainer setzt man sich gelegentlich mit der Frage auseinander: Was wäre, wenn? Aber ganz ehrlich: Mit dem Gedanken, Nationaltrainer zu sein, hatte ich mich nie wirklich anfreunden können. Als Klubtrainer hast du pro Saison 50, 60 Spiele. Du hast eine tägliche Nähe zum Team.

Und jetzt – wie ist es?

Yakin: Für mich war der Übergang von meinem Job im FC Schaffhausen zum Nationalteam übergangslos. Ich war sofort mitten in der WM-Qualifikation. Erst jetzt werde ich sehen, was es tatsächlich bedeutet, Nationaltrainer zu sein, weil ich das Team nicht mehr so oft versammle. Das nächste Spiel kommt erst Ende März.

Auf Anhieb erfolgreich: Nach drei Monaten im Amt führt Murat Yakin die Schweizer Fussballer im vergangenen November dank einem 4:0 gegen Bulgarien an die WM 2022.

Auf Anhieb erfolgreich: Nach drei Monaten im Amt führt Murat Yakin die Schweizer Fussballer im vergangenen November dank einem 4:0 gegen Bulgarien an die WM 2022.

Alessandro Della Valle / Keystone

Und was war mit Zweifeln?

Yakin: Ich hatte keine. Solche Gedanken haben bei mir keinen Platz.

Und Sie, Patrick Fischer?

Fischer: Für mich kam die Benennung weniger überraschend. Bereits als Klubtrainer beim HC Lugano hatte ich einen ersten Kontakt mit Raeto Raffainer, der damals noch Sportdirektor im Eishockeyverband war. Ich signalisierte ihm, dass es für mich ein Traum wäre. Ich liebte es schon als Spieler, für die Schweiz anzutreten. Von Zweifeln würde ich nicht sprechen, jedoch wusste ich natürlich, dass ich unter besonderer Beobachtung stehen würde, weil ich ein sehr junger und wenig erfahrener Coach war.

Ist man als Nationaltrainer tatsächlich exponierter als im Klub?

Yakin: Ich empfinde es als intensiver. Auch als Trainer des FC Basel stand ich im Fokus, aber es war ein anderer Druck. Als Nationaltrainer trägt man die Hoffnungen einer ganzen Nation. Was ich in letzter Zeit erlebte, war überwältigend. Es kam fast explosionsartig über mich.

Fischer: Murat hat recht. Lugano war für mich eine gute Vorbereitung auf die Zeit als Nationaltrainer. Auch dort sind sehr viele Emotionen im Spiel. Läuft es dem Klub nicht, wird man schnell hinterfragt.

Enttäuscht trotz WM-Silber: Patrick Fischer im Frühling 2018, nach der Finalniederlage gegen Schweden.

Enttäuscht trotz WM-Silber: Patrick Fischer im Frühling 2018, nach der Finalniederlage gegen Schweden.

Salvatore Di Nolfi / Keystone

Sie beide verströmen ziemlich viel Unabhängigkeit und nehmen sich gewisse Freiheiten heraus. Wie sehr hilft das?

Fischer: Ich vertraue meinem Lebenspfad, deshalb fürchte ich keine Entlassungen oder abrupten Lebensveränderungen. Das gibt mir eine innere Freiheit. Ich lernte früh als Coach, dass ich mich selber sein muss. Ich treffe meine Entscheidungen und trage danach die Verantwortung dafür. Ob sie populär sind oder nicht, ist nebensächlich. Ich brauche Herausforderungen und nähre so mein neugieriges Wesen. Ich gebe mein Bestes, und wenn das nicht reicht, wartet etwas Neues.

Yakin: Grundsätzlich darf man sich einfach nicht zu wichtig nehmen. Man muss zufrieden sein mit dem, was man tut, vor allem aber auch mit sich selber.

Ist die Exponiertheit, die der Job mit sich bringt, manchmal auch mühsam, vielleicht sogar hemmend?

Yakin: Das ist für mich in der momentanen Euphorie schwer zu beantworten.

Fischer: Genau, fragen Sie ihn in zwölf Jahren wieder.

Yakin: Kritik soll erlaubt sein, solange es nicht nur darum geht, negative Schlagzeilen zu produzieren. Und sogar in solchen Momenten gilt es, Ruhe zu bewahren. Ich bin seit 30 Jahren in diesem Business und weiss, was ich kann. Manchmal muss man einfach Gelassenheit bewahren – was nicht heisst, dass ich mir alles gefallen lasse. Wenn es vom Kritischen ins Negative geht, beginne auch ich mich zu wehren.

Patrick Fischer sagt: «Die Hellebarde ist ein Teil unserer Geschichte. Dürfen wir nicht dazu stehen?»

Patrick Fischer sagt: «Die Hellebarde ist ein Teil unserer Geschichte. Dürfen wir nicht dazu stehen?»

Annick Ramp / NZZ

Sie, Patrick Fischer, gerieten in die Schlagzeilen, weil Sie zögerten, sich gegen Corona impfen zu lassen. Wie geht man damit um, wenn es auf die persönliche Ebene abgleitet?

Fischer: Es gehört dazu. Man ist im Scheinwerferlicht. Daran gewöhnte ich mich bereits als Spieler. Und man sucht das auch. Wie Murat sagt: Solange die Kritik sachlich bleibt, habe ich kein Problem damit. Ich spürte das in den ersten zwei Jahren als Nationaltrainer. Es gab Kritik, die nicht auf unsere Leistungen, sondern auf mich als Person zielte. Da kann ich sofort den Riegel schieben und meinen Mann stehen. Wenn ich keinen Respekt mehr spüre, zeige ich auch keinen Respekt mehr.

Sie, Murat Yakin, suchen diese feine Provokation offensichtlich sogar. Als FCB-Spieler gab es von Ihnen ein Bild, auf dem Sie in der Hängematte und mit Gummibärchen posierten.

Yakin: Etwas Unterhaltung muss sein. Ich bin bereit, auch einmal einen Spass mitzumachen. Wer nichts riskiert, gewinnt auch nichts. An diesen Grundsatz hielt ich mich immer. Ich wechselte als junger Spieler von Concordia Basel aus der zweiten Liga direkt zu den Grasshoppers, die damals im Schweizer Fussball das Mass aller Dinge waren. Ich stritt mit meiner Mutter, die wollte, dass ich mich dem FC Basel in der Nationalliga B anschloss, damit sie ihre Schäfchen in der Nähe behielt. Doch ich wehrte mich und sagte zu ihr: «Ich bin jetzt 17 Jahre alt, ich weiss, was ich will.»

Sie hatten ohnehin schon als Bub viel Verantwortung übernehmen müssen.

Yakin: Ich suchte diese Rolle nicht, und sie war auch nicht immer angenehm. Doch ich denke, sie hilft mir heute. Gerade der soziale Aspekt, die Zusammenarbeit mit verschiedenen Menschen, mit unterschiedlichen Kulturen.

Murat Yakin sagt: «Die Secondos und ihr Einwanderungshintergrund spielen bei uns eine viel grössere Rolle. Es wäre wohl schwierig, uns in einem Symbol zu finden.»

Murat Yakin sagt: «Die Secondos und ihr Einwanderungshintergrund spielen bei uns eine viel grössere Rolle. Es wäre wohl schwierig, uns in einem Symbol zu finden.»

Annick Ramp / NZZ

Das Fussball-Nationalteam ist sehr multikulturell zusammengesetzt. Wie schwierig ist es, auch Mediator zu sein?

Yakin: Ich sehe es als Herausforderung, nicht als Belastung. Man schaut genau, was wir tun. Ich stamme aus einer Grossfamilie. Etwas überspitzt gesagt, taten wir alles, um zu überleben und unseren Platz in der Gesellschaft zu finden. Auf dem Spielfeld ist es ähnlich, man braucht ein gewisses Durchsetzungsvermögen. Wie in der Natur: Wenn du dich nicht wehrst, wirst du gefressen.

Fischer: Mediator ist vielleicht zu stark: Wir haben gemeinsame Ziele, von denen die meisten attraktiv sind. Ganz ehrlich: Es ist nicht wahnsinnig schwierig, die Spieler für solche Ziele zu begeistern. Schwieriger ist es, all die Stars dazu zu bringen, ihre Rollen im Sinn des Teams zu akzeptieren. Man kann individuell noch so gut sein: Wenn du kein guter Teamplayer bist, wirst du nicht für die Nationalmannschaft spielen. Man kann nur als Team gewinnen. Das allen klarzumachen, ist nicht immer einfach.

Im Fussball heisst es immer, mit ihrem Hintergrund spiegle die Nationalmannschaft die Schweiz. Die Eishockey-Nationalmannschaft ist alles andere als multikulturell zusammengesetzt – spiegelt sie die Schweiz nicht?

Fischer: Das ist keine schlechte Frage. Wir haben im Nationalteam weniger Spieler mit Immigrationshintergrund. Ich diskutierte mit Murats Vorgänger Vladimir Petkovic mehrmals darüber, wie er es fertigbringt, die Spieler auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Er sagte mir, in dieser Hinsicht würden ihm die Secondos enorm helfen. Viele Schweizer wachsen behütet und überversichert auf. Das ist schön, aber im Sport hilft das nicht unbedingt. Mein erstes Thema als Nationalcoach war es, den Spielern den Glauben an die eigenen Möglichkeiten zu geben und sie mental zu stärken.

Sie taten das zu Beginn Ihrer Amtszeit mit einer Swissness-Kampagne. Ihre Spieler trugen Shirts, die mit einer Hellebarde verziert waren.

Fischer: Das ist einfach unsere Geschichte. Als ich als junger Spieler nach Nordamerika kam, empfing mich das Klischee der «Swiss Miss», des verwöhnten, verweichlichten Schweizers, der nicht imstande ist, sich gegen Widerstände durchzusetzen. Ich war überrascht, wie wenige auch von unseren Spielern den Hintergrund unseres Landes kannten. Wir haben kein Meer; wir waren entweder Bauern oder Söldner. Wir mussten uns zuerst wieder bewusst werden, dass auch wir den Kampf in unserer DNA tragen. Die Hellebarde war ein spielerisches Symbol dafür.

Sie mussten mehr die eigenen Spieler als Ihre Gegner von den Fähigkeiten der Schweizer überzeugen?

Fischer: Gewissermassen. Wir waren in den Jahren zuvor in einer leicht unterwürfigen Haltung aufs Eis gegangen. Aber wie die Schweizer Fussballer im November in der ersten halben Stunde in Rom den Italienern um die Ohren liefen – das war der Ausdruck reinen Selbstbewusstseins. Das machst du nicht, wenn du an dir zweifelst. Nehmen wir die Skirennfahrerin Lara Gut-Behrami: Sie ist für mich eine wirkliche Championne. Sie hat hohe Erwartungen an sich und ihr Umfeld. Sie kommuniziert immer klar. Sie wurde oft dafür verurteilt. Letztes Jahr hat sie es allen gezeigt.

Lara Gut-Behrami ist aber Einzel- und nicht Teamsportlerin.

Fischer: Es geht um das Selbstbewusstsein und darum, zu den Ansprüchen zu stehen. Als ich sagte: Wir wollen irgendwann Weltmeister werden – da schaute man mich an wie einen Ausserirdischen. Die Hellebarde ist ein Teil unserer Geschichte. Dürfen wir nicht dazu stehen? Die Schweden rennen an Weltmeisterschaften auch ständig mit ihren Wikingermützen herum. Daran stört sich niemand.

Kämen Sie weit, Murat Yakin, wenn Sie Ihre Mannschaft mit Hellebarden und Rütlischwur motivieren würden?

Yakin: Die Secondos und ihr Einwanderungshintergrund spielen bei uns eine viel grössere Rolle. Praktisch jeder Spieler hat seine eigene, besondere Geschichte. Es wäre wohl schwierig, uns in einem Symbol zu finden. Wir haben unseren gemeinsamen Nenner in Erlebnissen und Partien, die wir zusammen erlebt haben. Jedes Erfolgserlebnis macht unsere Schultern ein Stück breiter. Im Prinzip interessiert die Geschichte im Sport niemanden. Es zählt der momentane Erfolg.

Haben Sie das Gefühl, dass der Mindset heute anders ist als Mitte der neunziger Jahre, als Sie in die Nationalmannschaft kamen?

Yakin: Wenn man zu meiner Zeit in die Nationalmannschaft kam, hatte man sich das Leibchen praktisch auf Lebzeiten gesichert. Als ich ins Nationalteam kam, hatten wir noch kaum Spieler im Ausland. Heute sind sie Leistungsträger in europäischen Topklubs. Diese Erfahrung hilft uns. Wir haben einen enormen Konkurrenzkampf. Das haben noch nicht alle begriffen. In meinem ersten Zusammenzug fragte mich ein Spieler: «Ich bin Stammspieler, warum stellst du mich nicht auf?» Ich sagte zu ihm: «Du hast die letzten vier Partien im Klub nicht mehr gespielt. Ich habe heute Alternativen.» Mich interessieren nur Spieler, die in Form sind.

Wenn ein Spieler wie Granit Xhaka vor der EM sagt, er habe Wäsche bis zum Final dabei, zuckt die halbe Schweiz zusammen. Für Sie als Trainer hingegen sind solche Spieler Gold wert, oder?

Yakin: Im Team kommt das enorm gut an. Die Journalisten aber notieren solche Aussagen, dick unterstrichen, und hauen sie dem Spieler bei jeder Gelegenheit um die Ohren. Es ist ein schmaler Grat. Ein Spieler mit der Herkunft und der Art von Granit polarisiert. Aber als ich nach meiner Amtsübernahme erstmals mit ihm telefonierte, sagte er zu mir: «Muri, die Mannschaft ist bereit, einen grossen Titel zu gewinnen.» Ich sagte zu ihm: «Sensationell. Es ist wunderbar, das zu hören. Bisher war ich der Einzige, der so grosse Töne gespuckt hatte.»

Sie, Patrick Fischer, exponierten sich vor einigen Wochen ähnlich, als Sie für das bevorstehende Olympiaturnier die Halbfinalqualifikation als Ziel ausriefen. Was erhielten Sie für Feedbacks?

Fischer: Keine. Diese Viertelfinal-Zielsetzung war während Jahren eine Art Schutzziel. Jeder Sportler, der an einen Anlass reist, will gewinnen. Wenn die Schweizer Fussballer im kommenden Herbst nach Katar fliegen, wollen sie insgeheim Weltmeister werden. Wir wollen Olympiasieger werden. Wenn ich Roman Josi in Nashville anrufe und frage: Kommst du zur WM? Wir wollen Vierte werden – dann steigt er nicht einmal ins Flugzeug. Hierzulande trauen sich viele nicht, zu ihren wahren Träumen zu stehen, weil sie Angst haben, zu versagen und dann schlecht dazustehen. Ich stehe lieber schlecht da für die anderen, aber bin meinen Träumen nachgegangen.

Das ist auch historisch bedingt. Wir sind ein kleines Land mit rund acht Millionen Einwohnern. Da wirkt es doch vermessen, mit dem Anspruch an ein Turnier zu reisen, Weltmeister zu werden.

Fischer: Wir erwarten nicht den Titel. Jedoch sind wir uns unserer Qualität bewusst. Als kleines Land hat die Schweiz vieles richtig gemacht, steht weltweit für ein hohes Qualitätslabel. Wenn Sie der Taxifahrer fragt, woher Sie kommen, sagt er: «My God, Switzerland, that’s where I want to live.» Nennen Sie mir ein zweites Land auf der Welt, das einen so hervorragenden Ruf geniesst.

«Wir sprachen uns 1992 gegen den EWR-Beitritt aus – warum sollen wir nicht selbstbewusster sein, wenn es darum geht, im Sport etwas zu erreichen?» Patrick Fischer im Gespräch in Glattbrugg.

«Wir sprachen uns 1992 gegen den EWR-Beitritt aus – warum sollen wir nicht selbstbewusster sein, wenn es darum geht, im Sport etwas zu erreichen?» Patrick Fischer im Gespräch in Glattbrugg.

Annick Ramp / NZZ

Das sagt aber nichts über die Qualität des Sports aus.

Fischer: Nein, aber es müsste eine Quelle des Selbstbewusstseins sein. In politischen Fragen haben wir das. Wir sprachen uns 1992 gegen den EWR-Beitritt aus – warum sollen wir nicht selbstbewusster sein, wenn es darum geht, im Sport etwas zu erreichen? Es war wohl die grösste Lektion, die ich aus meiner Zeit an einer kanadischen Highschool mitnahm: Man ermutigte mich, die Ziele, die ich ins Auge fasste, zu erreichen.

Und viele Jahre später, mit gut 30 Jahren, sagten Sie, Sie gingen gerne zur NHL-Organisation der Phoenix Coyotes . . .

Fischer: . . . und man schaute mich entgeistert an. Gut, dass wenigstens mein Sohn sagte: «Papi, geh und versuch es.» Lasst uns und unsere Kinder doch träumen.

Wie sehr müssen Sie in Ihren Rollen auch schauspielern, um solche Botschaften weiterzutragen?

Yakin: Schauspielern kann ich vor den Spielern nicht. Die Spieler fühlen es sofort, wenn man ihnen etwas vormacht. Will ich schauspielern, mache ich lieber Werbespots.

«Will ich schauspielern, mache ich lieber Werbespots»: Murat Yakin im Gespräch in Glattbrugg.

«Will ich schauspielern, mache ich lieber Werbespots»: Murat Yakin im Gespräch in Glattbrugg.

Annick Ramp / NZZ

Sie wollen also behaupten, dass Sie privat gleich auftreten wie in Ihren Rollen als Nationaltrainer?

Fischer: Ich für mich würde sagen, ja. Rund ums Team bin ich genau so entspannt wie zu Hause. Geht es jedoch um die Spiele, will ich unbedingt gewinnen. Auch privat an irgendeinem Tennismatch oder einem anderen Wettbewerb will ich gewinnen.

Und Sie, Murat Yakin?

Yakin: Wenn ich Einzelsport mache, gewinne ich immer. Gerade im Tischtennis verliere ich sehr ungern.

Fischer: Mir geht es genauso. Vielleicht sollten wir einmal gegeneinander Tischtennis spielen. Das ist auch der Grund, weshalb man spielt. Man will gewinnen.

Sie beide stehen nun vor einem grossen internationalen Turnier. Sie, Patrick Fischer, vor Olympia, Sie, Murat Yakin, vor der WM. Kann man die kleine Schweiz unendlich gross denken?

Fischer: Ohne Allüren und Komplexe. Wir haben das im Team eingepflanzt. Wir sprechen nicht mehr über unsere Zielsetzungen, wir kennen sie. Die Gegner sind gut, sicher. Aber wir haben das Potenzial zu gewinnen. Die Sterne müssen nicht mehr günstig stehen, damit wir etwa die Kanadier schlagen können – auch wenn das Glück immer mitspielt. Das ist ein Teil des Sports.

Hat Ihr Team, Murat Yakin, auch das Potenzial, Weltmeister zu werden?

Yakin: Das zu sagen, wäre etwas arrogant. Der Weg ist noch recht weit. Doch das Potenzial ist riesig, und so, wie das Team zusammenwächst, ist die Entwicklung gut. Dänemark wurde auch einmal Europameister. Und wenn ich denke, wie Italien im Sommer die EM gewann: Da passte alles zusammen. Die Konkurrenz bei uns im Team wird immer grösser. Ob es reicht, um Weltmeister zu werden? Da muss ich zuerst noch einmal mit Granit Xhaka sprechen.

Fischer: Wir waren weit weg von einer WM-Medaille, als 2013 in Stockholm plötzlich alles stimmte und wir am Ende mit Silber dastanden. Man kommt in einen Groove. Stockholm zeigte uns, dass auch für uns alles möglich ist. Die Fussballer haben das Potenzial, alle zu schlagen. Es ist an der Zeit, dass wir mal einen grossen Titel gewinnen.

Beide Veranstaltungen, die Olympischen Spiele in China und die Fussball-WM in Katar, finden in Ländern statt, die politisch umstritten sind. Wie weit müssen sich Nationaltrainer darüber Gedanken machen?

Fischer: Ich bin der Überzeugung, dass der Sport verbindet. Es ist klar, dass die politische Situation und die Menschenrechtslage in China nicht unseren Werten entsprechen. Doch der Gedanke des Sports ist immer noch schön und gibt uns positive Gefühle. Wir können die olympischen Werte Höchstleistung, Freundschaft und Respekt leben und zeigen, dass wir für eine offene, vielfältige und gerechte Gesellschaft einstehen. Das ist gerade jetzt wichtig, wo die Welt mit der Pandemie ohnehin in einer schwierigen Situation steckt.

Ist das nicht eine einseitige Optik?

Fischer: Mag sein. Aber die Welt braucht Vereinigung, nicht Trennung.

Yakin: Die Spieler und auch wir Trainer sind die falschen Personen, um solche Themen im Detail zu beantworten. Du bist so auf das Spiel fokussiert. Wir setzen uns auf Verbandsebene intensiv und aktiv mit diesem Thema und mit den Menschen vor Ort auseinander und wollen so unseren Beitrag zu möglichen Verbesserungen leisten.

Fischer: Es ist auch nicht unsere Aufgabe. Wir haben ein Team zusammenzustellen und Ergebnisse zu liefern. Ich bin froh, bin ich kein Politiker, der auf diese Fragen Antworten finden muss.

Charismatische Leader

gen. Seit 2015 ist Patrick Fischer (46) der Trainer der Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft, 2018 führte er sie zu WM-Silber. Murat Yakin (47) löste im August Vladimir Petkovic an der Spitze der Fussball-Nationalmannschaft ab und schaffte sogleich die WM-Qualifikation. Beide waren auf den ersten Blick eine überraschende Wahl. Fischer war bei seiner Berufung noch relativ jung und unerfahren gewesen, Yakin arbeitete zuletzt in der Challenge League beim FC Schaffhausen. Doch die beiden gehörten als Spieler zu den charismatischsten Persönlichkeiten ihrer Sportart und spielten lange für die jeweiligen Nationalteams. Yakin brachte es auf 49 Einsätze und nahm 2004 an der EM teil. Fischer spielte 184-mal für die Schweiz, 2002 und 2006 war er im Olympiakader.

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