Porsche-Chef Blume im Interview: “Im Krieg wird nicht nach Russland geliefert”

Porsche zieht sich aus Russland komplett zurück und hält ukrainischen Zulieferern die Treue. Das gelte auf unbestimmte Zeit, sagt Unternehmenschef Oliver Blume. Im Interview spricht er über höhere Preise, Klimaneutralität und den Sound von E-Autos.

Capital: Der Krieg in der Ukraine hat die Lieferketten deutscher Autobauer zusätzlich belastet, es kam zu Produktionsstopps. Wie ist die Lage heute?

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Oliver Blume: Die Lieferketten haben sich mittlerweile stabilisiert – aber das Gefühl ist unverändert: Wir sind voller Sorge um die Menschen im Kriegsgebiet. Ich bin noch immer fassungslos über die Bilder, die ich in unserem Jahrhundert in Europa nicht mehr für möglich gehalten hätte. Wir haben großartige Partner in der Ukraine. Den Schwerpunkt bilden Zulieferer, die uns mit Kabelsträngen versorgen. Intern haben wir vom ersten Tag an ein straffes Krisenmanagement aufgesetzt, in dem wir alle Aspekte des Unternehmens steuern. Gleichzeitig unterstützen wir zum Beispiel die UN-Flüchtlingshilfe finanziell oder bieten Sprachkurse für Geflüchtete an.

Haben Sie die Lieferketten verändert oder erweitert?

Wir versorgen uns zusätzlich mit Teilen aus anderen Ländern, um flexibel zu bleiben.

Geht das auf Kosten der Standorte in der Ukraine?

Alles, was wir aus der Ukraine bekommen können, werden wir von dort beziehen. Wir stehen zu unseren Partnern, mit denen wir seit vielen Jahren vertrauensvoll zusammenarbeiten. Wir sehen dies als eine Verpflichtung.

Wie andere Unternehmen haben auch die Autohersteller ihr Geschäft mit Russland auf Eis gelegt, Importe gestoppt, Fabriken geschlossen. Die Frage ist: für wie lange? Was sind die Szenarien?

Das ist schwer vorherzusagen. Wir hoffen weiter auf einen zeitnahen Waffenstillstand und eine diplomatische Lösung. Solange es das nicht gibt, werden wir Russland nicht mit Fahrzeugen beliefern. Das gilt auf unbestimmte Zeit.

Solange wird kein Porsche mehr russischen Boden erreichen?

Ja, wir haben die Auslieferungen gestoppt.

Wie wichtig war der russische Markt für Porsche?

Wir haben dort viele treue Kunden und Porsche-Fans. In Bezug auf unser weltweites Absatzvolumen hat Russland eine untergeordnete Bedeutung.

Über allem steht eine Erkenntnis: Mit Putins Russland kann man keine Geschäfte mehr machen – manche Unternehmen ziehen sich deshalb komplett zurück. Muss man sich auf einen neuen Eisernen Vorhang einstellen?

Wir haben eine klare Regelung: Solange Krieg herrscht, wird nicht geliefert. Danach werden wir bewerten, wie wir zukünftig mit Russland verfahren.

Nun müssen Sie sicherlich mit steigenden Kosten in der Produktion kämpfen. Können Sie die an Ihre gut betuchten Kunden weitergeben? Tesla hat bereits die Preise erhöht.

Wir schauen uns sehr genau an, wo es gerechtfertigt ist, gestiegene Preise für Rohstoffe oder Materialien in die Fahrzeuge einzupreisen. Das ist allerdings ein kontinuierlicher Prozess in der Bilanz zwischen eigenen Effizienzsteigerungen und Preisweitergabe.

Die Stimmung an den Märkten ist nervös. Wie wirken sich dieses Geschehen und dieser Konflikt auf Ihren Börsengang aus?

Unser Mutterkonzern Volkswagen prüft die Möglichkeit einer Börsennotierung der Porsche AG. Dieser Prüfvorgang unterstreicht unsere sehr erfolgreiche Entwicklung. Porsche ist eine starke Marke mit robustem Geschäftsmodell, zukunftsweisender Strategie und weltweiter Fangemeinde. Die Volkswagen AG hat angekündigt, im Spätsommer über den Zwischenstand der Prüfungen zu informieren.

Der Krieg stellt unsere Energieversorgung vom Kopf auf die Füße. Machen Sie sich Sorgen?

Es gibt eine klare Richtung, die Wirtschaftsminister Robert Habeck mit der Bundesregierung vorgegeben hat. Diese unterstütze ich. Wir müssen uns schnell unabhängiger machen von russischem Gas. Das gilt für die gesamte Industrie. Porsche arbeitet an den großen Standorten Zuffenhausen, Leipzig und Weissach bereits bilanziell CO₂-neutral mit erneuerbarem Strom. Dort, wo wir Gas nutzen, kommt dieses allerdings nicht aus Russland, sondern vor allem aus Skandinavien. Trotzdem ist es unser Anspruch, den Verbrauch bei Porsche weiter zu reduzieren, um damit das übergeordnete Ziel zu unterstützen.

Wie sehr verändert der Krieg den Umbau der Wirtschaft zur Klimaneutralität: Erschwert er diese Transformation, weil wir wohl wieder mehr Kohle verfeuern müssen – oder ist er ein Weckruf, sich von fossilen Brennstoffen unabhängiger zu machen?

Wir halten an unseren Nachhaltigkeitszielen fest. Wir haben die Ambition, im Jahr 2030 mehr als 80 Prozent unserer Fahrzeuge mit vollelektrischem Antrieb auszuliefern. Zudem wollen wir 2030 über die Wertschöpfungskette hinweg bilanziell CO₂-neutral sein. Unterstützend investieren wir in regenerative Energiequellen wie Wind- und Solaranlagen, aber auch in synthetische Kraftstoffe. Diese können aus Windkraft, Wasser und der Luft entzogenem CO₂ erzeugt werden. Der Klimawandel bleibt die wichtigste Herausforderung unserer Generation. Das wird bei Porsche durch einen Krieg nicht infrage gestellt.

Ich würde das Thema CO₂-Neutralität gern noch mal vertiefen. Gab es bei diesem großen Strategieschwenk weg vom Verbrenner einen Moment, in dem es klick gemacht hat: Alles ändert sich?

Es gab nicht diesen einen Moment. Das war auch bei mir ein Prozess, ein stetiger Lernprozess. Ich habe viele Gespräche geführt, insbesondere auch mit jüngeren Menschen. Und ich denke immer in Chancen. Da bin ich Unternehmer. Es braucht den Mut, entschlossen das Richtige zu tun. Bei uns war das zum Beispiel der Moment, in dem wir sagten: Wir ziehen das jetzt mit dem ersten rein elektrischen Porsche durch. Ich erinnere mich gut an eine meiner ersten Aufsichtsratssitzungen, in der ich das Projekt vorgestellt habe. Es ging um Milliardeninvestitionen, die dann konsequent umzusetzen sind.

Da gab es bestimmt nicht nur Beifall, sondern auch Kopfschütteln.

Nicht alle haben sofort gesagt: Ich bin sicher, dass das ein Erfolg wird. Uns ist es aber gelungen, Zuversicht zu vermitteln, die Herkunft der Marke, die große Porsche-Tradition mit der Zukunft zu verbinden. Ich habe stets betont: Porsche ist immer Porsche geblieben, weil Porsche sich stets weiterentwickelt hat.

Vier von fünf Autos sollen 2030 elektrisch sein. Hätten Sie vor fünf Jahren gedacht, dass Sie solche Sätze einmal in Ihre Strategiepapiere schreiben würden?

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Oliver Blume steht seit 2015 an der Spitze von Porsche.

(Foto: picture alliance/dpa)

So eindeutig waren diese Zahlen vor fünf Jahren nachvollziehbarerweise wohl für keinen. Das Entscheidende bei einer Transformation ist die Vision. Als wir 2015 im Porsche-Vorstand als neu gebildetes Team zusammenkamen, haben wir über unsere Prioritäten gesprochen. Was macht Porsche in Zukunft relevant? Uns war schnell klar: Nachhaltigkeit sollte in der Strategie als wesentliche Säule verankert werden. Die Dimension und Dynamik waren zum Start noch nicht im Detail definiert. Aber uns war eines wichtig: Es sollte keine Mode sein, sondern eine gesamthaft getragene Verantwortung. Und zwar mit klaren, messbaren Fakten.

Aber ein E-Auto ist doch Blasphemie für Porsche-Fahrer, oder?

Keineswegs. Porsche-Sportwagen und Elektroantriebe – das passt perfekt zusammen. Ich habe das schon in einer frühen Phase der Taycan-Entwicklung gespürt; diese Beschleunigung, das ist wie ein Sprung vom Zehn-Meter-Turm. Das Schöne ist, unsere Kundinnen und Kunden spiegeln uns zurück: Der Taycan ist ein echt cooles Auto, typisch Porsche. Auch die Resonanz auf unsere innovative Technik ist hervorragend. Und die Zahlen geben uns recht. Wir haben im vergangenen Jahr doppelt so viele Taycan verkauft wie 2020 – und da lagen wir mit gut 20.000 Autos auch schon auf einem hohen Niveau.

Waren Sie immer überzeugt: Das wird funktionieren?

Wir waren von Anfang an mit Herzblut dabei. Unser Pioniergeist wurde belohnt. Der Schlüssel für diesen Erfolg: Für den vollelektrischen Porsche war der Maßstab Porsche selbst. 100 Prozent elektrisch und 100 Prozent Porsche.

Was genau ist da wichtig? Dass es im Taycan röhrt und vibriert, als säße man in einem Verbrenner?

Es geht um die Eigenschaften, die Porsche verkörpert: das Design, die hohe Qualität und die Performance. Bei E-Autos kommt hinzu, dass sie schnell laden müssen und die Batterie eine lange Lebensdauer hat. Und wenn Sie den Sound ansprechen: Es ist wichtig für uns, dass ein Porsche authentisch ist. Wir greifen den Klang direkt von der E-Maschine ab. Dieser authentische E-Sound ist auch aus dem Motorsport bekannt.

Die Angst war immer, dass Elektromobilität austauschbar wird, weil alle E-Autos gummibandartig beschleunigen.

Auch in der Elektromobilität gibt es viele Möglichkeiten, sich zu unterscheiden. Dass Fahrzeuge mit Elektromotoren schnell beschleunigen können, ist natürlich ein Vorteil, den viele nutzen. Dann kommt die Differenzierung: Wie dynamisch kann ich ein Fahrzeug tatsächlich fahren? Wie kann ich es um eine Kurve bewegen? Zudem ist die Reproduzierbarkeit der Leistung für uns ein wichtiges Thema. Der Taycan tritt auch beim zehnten oder zwanzigsten Sprint noch genauso sportlich an wie beim ersten. All das gibt uns die Glaubwürdigkeit – und die Berechtigung, die wir als Sportwagenmarke brauchen.

Bleibt der 911er, die Ikone von Porsche. Wird das die letzte Bastion des Verbrenners?

Der 911 ist weltweit nach wie vor hoch beliebt. Wir hatten 2020 so viele Auftragseingänge wie nie zuvor. Wir werden den Verbrennungsmotor des 911 weiterentwickeln und ihn so lange fahren, wie unsere Kunden das wünschen und wie politische Vorgaben in den Ländern es zulassen.

Wie passt das zu Ihrem Bekenntnis zur Elektromobilität?

Das passt sehr gut. Es geht insgesamt um Nachhaltigkeit. Wir machen uns parallel Gedanken, wie Verbrennungsmotoren CO₂-reduziert fahren können. Der 911 wird sehr sportlich hybridisiert – so, wie Sie es aus dem Porsche-Motorsport kennen. Mit dem 919 Hybrid haben wir drei Mal hintereinander Le Mans gewonnen. Ergänzend investieren wir beim Kraftstoff in synthetische Kraftstoffe, die E-Fuels.

Die nicht unumstritten sind …

E-Fuels sind sinnvoll, wenn sie in Regionen auf der Welt produziert werden, wo nachhaltige Energie unbegrenzt vorhanden ist. Wir sind an einer Pilotanlage in Chile beteiligt, wo es kontinuierlich starken Wind gibt. Dort spielt die Frage des höheren Energiebedarfs bei der Herstellung dieser Kraftstoffe keine Rolle. Die Anlage soll in diesem Jahr in Betrieb gehen. Wir planen den Einsatz von E-Fuels zum Beispiel im Motorsport, in Porsche-Experience-Centern oder bei der Erstbefüllung in unseren Fabriken. Bei einer Fertigung im industriellen Maßstab gehen wir davon aus, dass man perspektivisch auf Preise von unter zwei Dollar pro Liter kommen könnte.

Was ist Ihr Ziel bei E-Fuels?

Sie ergänzend zur E-Mobilität einzusetzen, zum Beispiel für die historische Flotte. Weltweit gibt es heute mehr als 1,3 Milliarden Verbrennerfahrzeuge – Tendenz steigend. Viele davon werden auch in 30 Jahren noch auf dem Markt sein. Jedes Prozent als Beimischung im Kraftstoff senkt sofort den CO₂-Ausstoß. Das könnte regulatorisch unkompliziert umgesetzt werden.

Die Sorge der Kritiker ist, dass die Investitionen in E-Mobilität weniger beherzt ausfallen.

Für Porsche stimmt das nicht. Elektromobilität wird den Markt dominieren, davon bin ich überzeugt. Unsere Strategie ist schlüssig und stringent. Wir setzen voll auf Elektromobilität und haben die Ambition, dass wir 2030 mehr als 80 Prozent unserer Fahrzeuge mit vollelektrischem Antrieb ausliefern. Elektromobilität und E-Fuels stehen nicht im Konflikt zueinander, sondern sind eine sinnvolle Ergänzung.

2020 und 2021 waren ein Wendepunkt im Markt für E-Autos. Haben die Autobauer den Widerstand aufgegeben – oder ist es inzwischen auch Überzeugung?

Alle haben verstanden, welches Potenzial in der Technologie liegt. Das war ein Prozess. Für Porsche kann ich sagen, dass wir sehr früh auf Elektromobilität gesetzt haben. Ich erinnere noch sehr genau, dass es damals viele Skeptiker gab – nicht wenige haben uns belächelt. Viele von ihnen unterstützen mittlerweile ganz selbstverständlich die Elektromobilität. Bei neuen Technologien muss man den richtigen Zeitpunkt erwischen. Zu früh ist nicht gut, zu spät auch nicht. Wir waren rechtzeitig auf den Punkt präsent.

Was war der Treiber: die Regulierung mit CO₂-Grenzwerten? Der Dieselskandal? Die Subventionen? Oder Tesla und Elon Musk?

Als wir die notwendigen Entscheidungen getroffen haben, hat Tesla noch keine große Rolle gespielt. Unser wichtigster Ansporn war die Frage: Was müssen wir machen, damit Porsche auch in Zukunft Champions League spielt? Und die Antwort war, um im Fußballbild zu bleiben: Wir müssen in der Lage sein, das Spielsystem zu verändern. Die deutsche Nationalmannschaft von 1974 wäre 1990 nicht Weltmeister geworden und die von 1990 hätte es 2014 nicht geschafft. Auch Porsche muss stets in der Lage sein, sich anders aufzustellen, dem Markt einen Schritt voraus sein.

Wie haben Sie diese Transformation Ihren stolzen Ingenieuren beigebracht?

Kommunikation ist hierfür elementar. Es geht vor allem um Wertschätzung, Motivation und Teamgeist. Der Anspruch ist, immer um die beste Lösung zu ringen. Am Ende ist wichtig, dass die besten Argumente zählen. Und dass das Unternehmen danach mit gleicher Geschwindigkeit in die gleiche Richtung geht. Wenn es gelingt, diese Transparenz zu haben, dann bekommen Sie die Mannschaft nachhaltig hinter sich.

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Klimaneutralität bis 2030 – was ist da wichtig? Denn ein Großteil der Emissionen entsteht ja bei der Nutzung.

Wir streben an, 2030 über die Wertschöpfungskette bilanziell CO₂-neutral zu sein. Das beginnt bei der Energie, die sie für die Produktion einsetzen – und bei den Materialien. Es geht um recycelbare Materialien oder die Energie für Rohstoffe wie Aluminium, Stahl oder die Batterien. Unsere Produktionswerke in Zuffenhausen und in Leipzig sowie unser Entwicklungszentrum Weissach sind bilanziell CO₂-neutral. Und wir haben einen klaren Fahrplan für die nächsten Jahre.

Müssen Sie auch über Zertifikate kompensieren?

Ja. Die Kompensation wollen wir aber so gering wie möglich halten.

Wird auch im Zeitalter der E-Mobilität der deutsche Standort wichtig bleiben?

Klares Ja! Wir produzieren das erste rein elektrische Fahrzeug bewusst in Stuttgart-Zuffenhausen. Um zu zeigen, dass Investitionen in einem Hochlohnland wie Baden-Württemberg möglich sind. Den kommenden rein elektrischen Macan werden wir in Leipzig produzieren. In diesen Standort investieren wir rund 600 Millionen Euro. Porsche steht fest zum Standort Deutschland.

Über allem steht die Frage: Bleibt die Autoindustrie nach dieser Transformation eine deutsche Schlüsselindustrie?

Ein eindeutiges Ja. Wenn wir weiterhin Pioniergeist beweisen. Diese Motivation für Innovationen, die uns in den vergangenen Jahrzehnten das Ansehen als führende Industrienation eingebracht hat. Es wird gelingen, wenn wir in der Lage sind, eine hohe Geschwindigkeit zu fahren; wenn wir uns nicht überregulieren, uns auf die wesentlichen Dinge konzentrieren; wenn wir schnelle Entscheidungen treffen und diese auch umsetzen. Wir haben hoch qualifizierte Menschen in Deutschland. Deshalb bin ich zuversichtlich.

Mit Oliver Blume sprach Horst von Buttlar.

Das Interview erschien zuerst bei “Capital”.

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