Russlands Krieg soll scharf verurteilt werden


Die neusten Entwicklungen

Die führenden Wirtschaftsmächte treffen sich auf Bali zu einem Krisengipfel. Im Fokus stehen umstrittene Themen wie Ukraine-Krieg, Klimawandel und Nahrungsmittelkrise. Überraschend einhellig ist die Verurteilung Russlands.

Die neusten Entwicklungen

  • Uno-Generalsekretär António Guterres hat die grossen Wirtschaftsnationen aufgefordert, die Führung im Kampf gegen die Klimakrise zu übernehmen. Die Industrieländer müssten bei der Verringerung der Emissionen vorangehen, sagte Guterres am Dienstag.
  • Der russische Aussenminister Lawrow hat sich beim Treffen in Bali scharfe Kritik anhören müssen. Er nahm zwar nicht am offiziellen Mittagessen der Staats- und Regierungschefs teil, hielt dann aber bei der zweiten Arbeitssitzung des Gipfels eine Rede. Nach Informationen russischer Staatsmedien verlässt der Minister Bali bereits am Abend noch vor Ende des Gipfels. Der 72-Jährige hatte am Morgen auch die Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Selenski gehört, der Russland erneut zum Abzug seiner Truppen aus dem Land aufforderte.
  • Entwicklungsorganisationen haben sich enttäuscht über ausbleibende Zusagen der grossen Wirtschaftsnationen im Kampf gegen den Hunger gezeigt. Nachdem Einzelheiten des Entwurfs der Abschlusserklärung des G-20-Gipfels in Nusa Dua auf der indonesischen Insel Bali am Dienstag bekannt wurden, bemängelten Aktivisten vor allem, dass keine neuen Hilfsgelder zugesagt worden seien.
  • Fifa-Präsident Gianni Infantino hat für die Zeit der Fussball-WM in Katar eine einmonatige Feuerpause im Krieg zwischen Russland und der Ukraine vorgeschlagen. Bei seinem Auftritt am Dienstag (15. 11.) regte Infantino an, dass von Beginn der Weltmeisterschaft am Sonntag bis zum Finale am 18. Dezember die Waffen schweigen. «Wir sind nicht naiv und denken, dass der Fussball die Probleme der Welt lösen kann», sagte der Chef des Fussball-Weltverbandes. Die WM könne aber «Anlass für eine positive Geste oder ein Zeichen» sein. Infantino nahm auf Einladung des Gastgeberlands Indonesien an einem Mittagessen der G-20-Länder teil.
  • Die G-20-Staaten setzen sich für die Fortsetzung des Abkommens über den Export von ukrainischem Getreide ein. Im Entwurf für die Abschlusserklärung des Gipfels wird die unter Vermittlung der Türkei und der Uno mit Russland geschlossene Vereinbarung ausdrücklich begrüsst. Das Abkommen läuft Ende der Woche aus. Über eine Verlängerung wird verhandelt. 

Die wichtigsten Fragen zum G-20-Gipfel

Die Sorge über eine Spaltung der Welt beherrscht den Gipfel der 19 führenden Industrie- und Schwellenländer sowie der Europäischen Union (G-20). Bei allen wichtigen Themen gehen die Meinungen weit auseinander. Worüber wird diskutiert?

Wie kommt es zur überraschend scharfen Verurteilung Russlands?

Der Elefant im Raum ist der russische Angriff auf die Ukraine. Dabei ist das Wort «Krieg» auf der Tagesordnung des G-20-Gipfels auf der indonesischen Insel Bali offiziell nicht zu finden. Das für die meisten Teilnehmer trotzdem wichtigste Gesprächsthema versteckt sich hinter dem Titel «Ernährungs- und Energiesicherheit».

Russlands Krieg gegen die Ukraine soll in der Schlusserklärung des Gipfels überraschend scharf – und einhellig verurteilt werden. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur setzte der Westen diese Position gegen den Widerstand Moskaus durch.

EU-Rats-Präsident Charles Michel sagte am Dienstag an einer Pressekonferenz, die Einigung sei ein Erfolg für die EU. Der Gipfel sei einer der schwierigsten in der Geschichte der G-20. Offenbar stellte sich eine so klare Mehrheit der Chefunterhändler hinter den Entwurf zur Schlusserklärung, dass keine Abstimmung erforderlich wurde.

EU-Rats-Präsident Charles Michel hat viel zur überraschenden Schlusserklärung beigetragen.

How Hwee Young / EPA

Konkret wird im Entwurf aus einer Resolution der Vereinten Nationen zitiert, mit der Russland aufgefordert wird, die Kriegshandlungen einzustellen und seine Truppen aus der Ukraine sofort abzuziehen. «Die meisten Mitglieder verurteilten den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste», heisst es in dem Entwurf. Wer die meisten G-20-Mitglieder sind, wurde nicht aufgelistet.

Auf Russlands Position geht die Schlusserklärung mit einem einzigen Satz ein: «Es gab andere Auffassungen und unterschiedliche Bewertungen der Lage.» Russland akzeptierte demnach auch, dass der russische Angriff klar als Krieg bezeichnet wird – und nicht – wie von Putin vorgegeben – als «militärische Spezialoperation».

Dass sogar Russland dem Textentwurf zustimmen soll, gilt als Indiz dafür, dass Moskau beim Thema Ukraine in der G-20 nicht mehr auf die volle Unterstützung des mächtigen Partners China zählen kann. Noch am Freitag hatten Diplomaten berichtet, dass Peking in den Vorgesprächen zum Gipfel felsenfest an der Seite Moskaus stehe und eine Einigung auf eine gemeinsame Erklärung damit erschwere.

Offenbar ist China von dieser Position abgerückt. Als eine mögliche Erklärung gilt, dass die führende asiatische Macht wegen ihrer Exportabhängigkeit stark an einer positiven weltwirtschaftlichen Entwicklung interessiert ist und auch kein Interesse daran haben dürfte, dass schlechte Beziehungen zu den USA und der EU die eigene Entwicklung hemmen.

Einen Hinweis auf Zugeständnisse Russlands hatte zuvor bereits Russlands Aussenminister Lawrow gegeben. Der Vertreter Putins beim Gipfel sagte in einem Video seines Ministeriums, man werde die Abschlusserklärung annehmen.

Lawrow muss sich harte Kritik anhören, akzeptiert aber die Schlusserklärung.

Lawrow muss sich harte Kritik anhören, akzeptiert aber die Schlusserklärung.

Kevin Lamarque / AP

Was sagt der Gipfel zu den Atomwaffen?

Einen Erfolg bei den Verhandlungen über die Abschlusserklärung konnten die westlichen Industrienationen auch beim Thema Atomwaffen verbuchen. So stimmte Russland laut Angaben von Diplomaten zu, dass nicht nur der Einsatz von Atomwaffen, sondern auch die Drohung damit als unzulässig bezeichnet wird.

Sorgen über einen russischen Atomwaffeneinsatz hatte zuletzt unter anderem die völkerrechtswidrige Annexion von vier besetzten ukrainischen Gebieten geschürt. Putin kündigte danach an, man werde sie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen.

Zudem sorgte Moskau mit Behauptungen für Unruhe, dass die Ukraine plane, zur Diskreditierung Russlands eine radioaktive Bombe zu zünden. Weil es dafür keinerlei Beweise gibt, wurde befürchtet, dass eigentlich Russland einen solchen Schritt in Erwägung ziehen könnte, um danach die Ukraine für die Tat verantwortlich zu machen.

Auch soll Putins Chefunterhändlerin zugestimmt haben, dass der Einsatz von Atomwaffen in der Abschlusserklärung als unzulässig bezeichnet werden soll.

Sind alle Staats- und Regierungschefs dabei?

Nein. Der russische Präsident Wladimir Putin hat knapp eine Woche vor Beginn des Gipfels abgesagt. Es ist ihm offenbar klar, dass er am Pranger stehen würde. Der russische Präsident hat seinen Aussenminister Sergei Lawrow geschickt, der bereits am Sonntag auf Bali eintraf.

Lawrow sorgte am Montag für einige Verwirrung. Erst berichteten Nachrichtenagenturen, der russische Aussenminister sei wegen Herzproblemen in ein Spital eingeliefert worden. Lawrow dementierte dies und veröffentlichte als Beweis ein Video, das ihn wohlauf auf der Ferieninsel Bali zeigt – beim Lesen auf einer Terrasse mit Palmen und Meer im Hintergrund. Bemerkenswert ist, dass er sich nicht ganz standesgemäss in kurzer Hose zeigt. Noch auffälliger sind das deutlich zu sehende iPhone und die Apple Watch, eindeutig westliche Konsumgüter. Das blaue T-Shirt des Aussenministers trägt die Aufschrift «Basquiat», eine Reminiszenz an den 1988 gestorbenen amerikanischen Maler und Zeichner Jean-Michel Basquiat. Basquiats galt als queer – während die russische Führung regelmässig gegen Homosexuelle hetzt.

Lawrows Foto, das vom Aussenministerium veröffentlicht wurde.

Lawrows Foto, das vom Aussenministerium veröffentlicht wurde.

Maria Zakharova / Reuters

Was sagt Selenski?

Die Ukraine gehört nicht zu den G-20. Der Gastgeber hat die Möglichkeit, Gastländer einzuladen. Die Wahl des indonesischen Präsidenten Joko Widodo fiel unter anderem auf die Ukraine. Präsident Selenski hat sich am Dienstag per Video dem Gipfel zugeschaltet. Der russische Aussenminister Lawrow blieb im Raum, während Selensi sprach.

Selenski hat einen Plan für ein mögliches Ende des russischen Krieges aufgezeigt. Nötig seien dafür ein Abzug der russischen Truppen und eine Wiederherstellung der territorialen Unversehrtheit der Ukraine, sagte er. «Ich möchte, dass dieser aggressive russische Krieg gerecht endet und auf Grundlage der Charta der Vereinten Nationen und des internationalen Rechts», erklärte Selenski. Für die Ukraine seien nach dem Krieg «effektive Sicherheitsgarantien» notwendig. Zur Schaffung einer Nachkriegs-Sicherheitsarchitektur schlug er eine internationale Konferenz vor, bei der ein Kiewer Abkommen geschlossen werden könne. Selenski forderte auch eine Verlängerung des unter Vermittlung der Türkei und der Uno geschlossenen Abkommens über den Export von ukrainischem Getreide. Seit dem Ende der russischen Blockade im Schwarzen Meer habe das Land mehr als zehn Millionen Tonnen Lebensmittel ausgeführt, sagte er. Das Abkommen läuft am 19. November aus. Über eine Verlängerung wird verhandelt. Nach Darstellung Selenskis könnten in diesem Jahr 45 Millionen Tonnen aus der Ukraine für die Ernährungssicherheit in der Welt bereitgestellt werden.

Erneut kritisierte Selenski die gezielte Zerstörung der Energieinfrastruktur der Ukraine. Russland versuche, «Kälte als Waffe gegen Millionen von Menschen» einzusetzen. Er warf Moskau vor, mehr als 430 Kinder in dem Krieg getötet und 11 000 Kinder nach Russland verschleppt zu haben. Selenski beklagte in seiner Rede zudem die schweren Folgen des Krieges für die Umwelt in der Ukraine. Unter anderem seien Millionen Hektaren Wald verbrannt durch den Beschuss; im Donbass seien Kohlegruben geflutet und im Land Millionen von Hektaren Boden durch schädliche Substanzen verseucht worden. Im Schwarzen Meer seien zudem mindestens 50 000 Delfine im Zuge des Kriegs getötet worden.

Warum setzt sich der Westen überhaupt mit Vertretern Russlands an einen Tisch?

Er will demonstrieren, dass er die verbale Auseinandersetzung mit Russland nicht scheut. Man werde es nicht zulassen, dass das G-20-Mitglied Russland das wichtige Forum für globale Fragen und Probleme zerstöre, lautet die Devise.

Was ist dem Gastgeber wichtig?

Zu Beginn des G-20-Gipfels der führenden Industrie- und Schwellenländer warnte der indonesische Präsident Joko Widodo als Gastgeber vor einer neuen Spaltung der Welt. «Wir dürfen nicht zulassen, dass wir in einen neuen kalten Krieg geraten.» Er appellierte an die Teilnehmer: «Wir sollten die Welt nicht in zwei Teile trennen.»

Mit Blick auf Russlands Krieg gegen die Ukraine fügte Widodo hinzu: «Wir müssen den Krieg beenden. Wenn der Krieg nicht zu Ende geht, wird es schwierig, unserer Verantwortung für künftige Generationen gerecht zu werden.»

Wie weiter mit der Energiesicherheit?

Keine grossen Erfolge konnte der Westen hingegen in Fragen der Energiesicherheit erzielen, die vor allem in Europa durch die drastisch gesunkenen Lieferungen von Öl und Gas aus Russland gefährdet ist.

In dem Entwurf für die Abschlusserklärung betonen die G-20-Mitglieder lediglich, dass dringend etwas getan werden müsse, um mehr Stabilität auf dem Energiemarkt zu erreichen. Die Energiewende solle sauber und nachhaltig gestaltet werden.

Wer gehört zur «Gruppe der 20»?

Zur G-20 zählen die Europäische Union und 19 führende Wirtschaftsmächte aller Kontinente: Argentinien, Australien, Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Russland, Saudiarabien, Südafrika, Südkorea, Türkei und die USA. Zusammen repräsentieren sie knapp zwei Drittel der Weltbevölkerung, stehen für vier Fünftel der weltweiten Wirtschaftskraft und betreiben drei Viertel des Welthandels.

Warum gibt es die Gipfel?

Die G-20 wurde 1999 zur internationalen Abstimmung in Finanz- und Wirtschaftsfragen gegründet. Zunächst trafen sich nur die Finanzminister und Notenbankchefs. 2008 wurden die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs ins Leben gerufen, um die damalige Finanzkrise in den Griff zu bekommen. Inzwischen beschäftigt sich die G-20 auch mit vielen anderen globalen Themen von der Terrorbekämpfung über den Klimaschutz bis zur Pandemiebekämpfung. Und nun auch mit einem Krieg.

Warum findet der Krisengipfel ausgerechnet in einem Ferienparadies statt?

Über den Tagungsort entscheidet stets der Gastgeber. Logistische Fragen spielen bei der Wahl des Veranstaltungsorts eine Rolle: Gibt es genug Hotelzimmer? Ist ein grösserer Flughafen in der Nähe? Kann das Veranstaltungsgelände gut abgeschirmt werden? Für die indonesische Regierung, die wohl noch nie so viel Politprominenz zu Gast hatte, dürfte es aber auch darum gehen, sich von der besten Seite zu präsentieren. Sie nutzt den luxuriösen Ferienort Nusa Dua im Süden der «Insel der Götter» schon lange als Konferenzort.

Mit Informationen der Agenturen DPA und Reuters.

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