Solaranlagen in den Alpen – Photovoltaik-Boom im Wallis – News

Klotzen statt kleckern: Im Wallis ist eine regelrechte Solar-Euphorie ausgebrochen. Jüngstes Beispiel ist das Projekt «Vispertal Solar»: 800’000 Solarmodule sollen hoch über dem Matter- und Saastal dereinst an verschiedenen Stellen 1.45 Terawattstunden Strom produzieren, die Hälfte davon im Winter. Kostenpunkt: 1.45 Milliarden Franken.

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In den Walliser Alpen sollen schon bald Solarpanels auf Alpwiesen Strom produzieren.


ZVG/Gondosolar

Seit der «Walliser Bote» das Projekt publik gemacht hat, steht Initiant Martin Bodenmann unter Strom. Er ist der Bruder von Peter Bodenmann, des Ex-SP-Präsidenten und Solar-Promoters beim weiteren Mega-Projekt Grengiols Solar. «Die Region könnte profitieren», betont Martin Bodenmann. «Dank des Solarstroms wird die Industrie im Wallis umweltfreundlicher. Dadurch können längerfristig Arbeitsplätze gesichert werden.»

Bodenmann rechnet zudem damit, dass die Gemeinden und die Bodeneigentümer dank Abgaben entschädigt werden. Herausragend wäre bei Vispertal Solar nicht nur die produzierte Strommenge, sondern insbesondere die Speichermöglichkeiten der alpinen Photovoltaik-Anlage.

Solarkraftwerk benötigt Stausee

Zum Vorhaben gehört ein Ausgleichsbecken mit einer 60 Meter hohen Staumauer. Der Stausee oberhalb Stalden VS soll mit einem Stollensystem mit dem Kraftwerk Mattmark verbunden werden. Es würde so ein Pumpspeicherwerk mit regulierbarem Strom entstehen, eine grosse Batterie sozusagen.

Der grosse Haken: Im Gegensatz zu den anderen alpinen Solarprojekten sind die Photovoltaik-Panels gemäss den Plänen auch vom Tal aus sichtbar. Und: Die hochfliegenden Pläne von Bodenmann gehen noch weiter – und stehen und fallen mit dem Chemie- und Pharmaunternehmen Lonza.

Denn der Grossteil des produzierten Stroms soll direkt zum Pharma-Giganten nach Visp fliessen. Der Strom soll nämlich nicht nur dank des Ausgleichsbeckens beim Kraftwerk Mattmark «zwischengespeichert» werden. Als zweiten Speicher möchten die Initianten bei der Lonza einen sogenannten Hochtemperaturspeicher bauen. In diesem Speicher würde beispielsweise Quarzsand auf 1200 Grad erhitzt. Die Industrie könnte die Wärme dann bei Bedarf verwenden.

Text der die Postergrafik beschreibt

Martin Bodenmann rechnet vor: «Rund 20 Prozent des Stroms könnten wir an einem schönen Tag direkt in der Region verbrauchen. 40 Prozent würden wir in der Industrie als Wärme zwischenspeichern. Den restlichen Strom würden wir für die Pumpen beim Kraftwerk Mattmark brauchen.»

Notgesetz löst Goldgräberstimmung aus

Es herrscht eine Goldgräberstimmung im Wallis, die «NZZ» schreibt von einem «Solar-Fieber». Befeuert wird dieses durch das dringliche Bundesgesetz, welches das Parlament in der Herbstsession im Eiltempo geschnürt hat. Dieses erlaubt Solar-Freiflächenanlagen in den Alpen ab einer Mindestproduktion von 20 GWh grundsätzlich.

Ebenso locken üppige Fördergelder Investoren an. Denn das Ziel ist klar: Bis 2025 sollen in den Schweizer Bergen mit Solarenergie 2000 Gigawattstunden Strom produziert werden, das ist knapp so viel Energie wie Grande Dixence produziert, das derzeit grösste Wasserkraftwerk der Schweiz.

Begehrter Winterstrom

Es geht Schlag auf Schlag: Am weitesten fortgeschritten ist die Planung bei Gondosolar. Das Solarkraftwerk hat mit dem Stromkonzern Alpiq einen potenten Partner im Rücken. Das Projekt hat sich innert weniger Monaten von einer Utopie zum viel beachteten Pilotprojekt für alpine Photovoltaik-Anlagen gemausert.

Oberhalb von Gondo VS soll eine Solaranlage auf einer Fläche von 14 Fussballfeldern Strom für 5200 Haushalte liefern. Eine Machbarkeitsstudie existiert, noch diesen Herbst soll die alpine Solaranlage in den kantonalen Richtplan aufgenommen werden, im Tal rechnet man für 2023 mit der Baubewilligung.

«Wenn es keine Einsprachen gibt, ist eine Teil-Inbetriebnahme 2025 möglich», sagt Projektleiter Beat Imboden zu SRF. Im Januar – also vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges – lag eine Machbarkeitsstudie vor. So oder so dauert es also noch Jahre, bis die erste Freiflächen-Solaranlage der Schweiz den begehrten Winterstrom liefert.

Die Bedeutung der alpinen Solarkraftwerke wie Gondosolar ist gross. Im nebligen Unterland produzieren Photovoltaik-Anlagen 75 Prozent der Energie im Sommer und nur 25 Prozent im Winter. Solaranlagen in den Alpen hingegen liefern 50 Prozent des Stroms im Winter. Dann also, wenn die Schweiz mehr verbraucht und derzeit noch auf Import-Strom angewiesen ist.

Grengiols Solar: Luftschloss oder epochales Projekt?

Viel Winterstrom erhofft man sich auch von der dritten alpinen Solaranlage, die im Wallis entstehen soll: Grengiols Solar. Peter Bodenmann, Promotor des Projektes, will hoch über dem Saflischtal eine Fläche von 700 Fussballfeldern mit Solarpanels bedecken. Die Anlage würde rund drei Prozent des Schweizer Stromverbrauchs decken. Kritiker halten die Zahlen für übertrieben, das Projekt für ein Luftschloss.

Viele Fragen sind noch offen. Wie wird das Material auf die Alp geschafft? Ist der Baugrund überhaupt geeignet? Wie kann die Anlage ans Netz angeschlossen werden? Viele Fragen sind noch ungeklärt, eine Machbarkeitsstudie soll noch dieses Jahr mehr Klarheit schaffen.

Der Knackpunkt: Auch bei Grengiols Solar würde ein bislang unbebautes Gebiet in den Alpen verschandelt. Was sagt der Gemeindepräsident von Grengiols dazu? «Erneuerbare Energien sind für mich Naturschutz», meint Armin Zeiter. Denn durch die Anlage könne man viele schmutzige Energiequellen ausschalten, was der Natur helfe.

Naturschutz-Organisationen sind sich uneins

Raimund Rodewald, oberster Landschaftsschützer der Schweiz, ist trotzdem bestürzt über den per Notgesetz befeuerten Boom der alpinen Freiflächen-Solaranlagen. «Die gesamten Alpen werden zu einer Bauzone, zu einem Notstromaggregat für das Unterland. Ich bin sprachlos». 30 Jahre Landschafts- und Alpenschutz seien innerhalb weniger Wochen ausgehebelt worden.

Die gesamten Alpen werden zu einer Bauzone, zu einem Notstromaggregat für das Unterland.

Differenzierter zeigt sich WWF Schweiz. Bei Freiflächen in den Bergen unterstütze man zwar Projekte, die naturverträglich seien. «Energiewende: Wildnisverträglich»: Die Umweltorganisation Mountain Wilderness hingegen protestierte diesen Sommer vor Ort gegen das Projekt Gondosolar.

Protest gegen Gondosolar

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Aktivistinnen und Aktivisten von Mountain Wilderness protestieren am 13. Ausgust 2022 gegen die geplante Solaranlage ob Gondo VS.


Keystone/Gabriel Monet

Ziel von Initiant Peter Bodenmann, Bruder von Vispertal-Solar-Promotor Martin Bodenmann, ist, noch dieses Jahr eine Machbarkeitsstudie vorzulegen. In den Tamedia-Zeitungen sprach er von einem Baubeginn 2023, obschon noch kein Bauprojekt vorliegt. Angesicht der drohenden Einsprachen ist dies unrealistisch.

Ein Problem mehr für Bodenmann

Für Peter Bodenmann gibt es ein weiteres Problem. Denn nun äussert sich Moritz Clausen, Geschäftsführer des Landschaftsparks Binntal, gegenüber SRF erstmals kritisch zum Solarprojekt in Grengiols. Die Mega-Solaranlage würde teils im Binntal entstehen, sagt er und ist skeptisch: «Das Solarkraftwerk ist schwierig mit den Zielen unseres Parks vereinbar.»

Wie viele Solarpanels ertragen die Schweizer Berge? Diese Frage dürfte in den nächsten Jahren nicht nur im Saflischtal viel zu reden geben.

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Christoph Bucher, Solar-Professor BFH.


SRF

Seit Jahren beschäftigt sich Christoph Bucher mit Solarenergie. Er ist Professor für Photovoltaik-Systeme an der Berner Fachhochschule BFH.

SRF News: Christoph Bucher, was ist aus technischer Sicht der Vorteil von Solaranlagen in den Bergen?
Sie produzieren im Winter viel mehr Strom als Photovoltaik-Anlagen (PV) im Mittelland. Weiter stehen sie nicht in Konkurrenz zu den Anlagen im Mittelland. Es sind andere Produkte, andere Fachkräfte, die für den Bau nötig sind. Mit den PV-Anlagen in den Bergen kann man den Ausbau der Solarenergie in der Schweiz stark beschleunigen.

Was sind die Nachteile?
Einerseits muss man naturbelassenes Land in den Bergen bebauen. Andererseits braucht es Seilbahnen oder gar Strassen für den Bau der Anlagen.

Sind auf dem Weltmarkt überhaupt genügend Solarpanels verfügbar, um die Grossanlagen in den Bergen zu bauen?
Gondosolar benötigt 4500 Solarpanels. Eine grosse chinesische Fabrik produziert diese innert acht Stunden. Das sind «Peanuts» im Vergleich zur Weltproduktion. So oder so boomt die Produktion von Solarpanels – auch in Europa. In zwei bis drei Jahren sind Lieferfristen kein Thema mehr.

In der ganzen Schweiz liegt auf tausenden Dächern von Häusern und Fabriken viel Potenzial für Solarenergie brach. Wie läuft der Ausbau?
Wir sind besser unterwegs als früher. Es wird heute so viel Solarstrom auf Dächern gebaut, wie nie zuvor. Die Beschleunigung ist rasant, aber es reicht nicht. Es sind gerade einmal fünf bis zehn Prozent des Potenzials ausgeschöpft. Theoretisch liegt auf den Dächern ein Potenzial, das gross genug ist, um den kompletten Strombedarf der Schweiz zu decken. In der Praxis geht das aber nicht, denn wir haben ein Problem im Winter. Und genau hier können die Solaranlagen in den Bergen helfen.

Warum geht es nicht schneller vorwärts beim Bau von Solaranlagen?
Im Moment ist es ein Unvermögen der Schweiz, einen derart raschen Wandel herbeizuführen. Es ist ein riesiger Kraftakt. Vor ein paar Jahren kümmerten sich Idealisten um die Solarindustrie. Heute soll sie plötzlich ein Rückgrat der Schweizer Stromversorgung sein. Das ist eine grosse Herausforderung. Die Schweiz hat den Solarausbau verschlafen und so zehn bis 20 Jahre verloren, um eine Solarindustrie aufzubauen.

Das Interview führte Christian Liechti.

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