Vater der Masoala-Halle legt sich mit der Mafia an

Ein Krimi aus den Tropen.

Die Rosenholzfäller auf der Masoala-Halbinsel verdienen nur wenige Dollar, das grosse Geld machen Holzbarone und die Mafia.

Toby Smith / Getty

Martin Bauert ist unscheinbar. Das ist sein Glück. Die Kriminellen unterschätzen den drahtigen Mann mit Schnauz und Schweizer Akzent. Und so gelingt es ihm, aufzudecken, dass die amerikanische Traditionsfirma Gibson in Madagaskar illegal geschlagene Tropenhölzer kauft, um daraus Griffbretter für Gitarren zu fertigen.

Der Fall sorgt 2010 weltweit für Schlagzeilen und beeinflusst die Rechtsprechung in den USA, Australien und der EU. Nun, zwölf Jahre später, hat er Konsequenzen für die Schweiz: Seit dem 1. Januar ist es hierzulande verboten, illegal geschlagenes Holz und daraus gefertigte Produkte in den Handel zu bringen. Ein Happy End ist das trotzdem nicht.

«Heute werden schon Babys abgehackt», sagt Bauert. Er meint damit Bäume mit Stämmen, dünn wie Strassenlaternen. Bauert ist Botaniker, eigentlich spezialisiert auf Kräuter und Sträucher, die frostigen Temperaturen trotzen. Doch seit zwanzig Jahren bestimmen die Tropen seine Arbeit. Bauert ist der Kurator und somit der Vater des Masoala-Regenwalds im Zoo Zürich. Dieser ist der Zwilling des Regenwalds auf der Masoala-Halbinsel in Madagaskar.

An einem Mittwochmorgen im November steht Bauert im Zoo Zürich neben einem schlichten Bäumchen. Zwischen wuchtigen Palmen und herumhüpfenden Lemuren dürfte es dem Auge der meisten Zoobesucher entgehen. Im Innern des Bäumchens versteckt sich sein wahrer Wert: Rosenholz, der Superheld unter den Hölzern. Es ist blutrot, doppelt so schwer wie Eiche und so hart, dass Schädlinge wie Pilze und Insekten chancenlos sind. Das macht das Holz begehrt. Laut der Umweltorganisation Forest Trends sind die Preise für Rosenholz innert zehn Jahren um mehr als das Hundertfache gestiegen.

Bauert ist eben erst aus den Ferien zurückgekehrt. Auf Teneriffa hat er mit seiner Frau am Vulkan Teide eine Woche lang Vegetationsstufen durchwandert. Unter seinem Pulli blitzt an diesem Novembermorgen ein geblümtes Hemd hervor, einen Regenschirm mit Urwald-Motiv hat er zuvor an der Garderobe aufgehängt.

Martin Bauert.

Bauert entdeckte früh sein Interesse für Pflanzen. Während die Schulkollegen ins Fussballtraining fuhren, grub er den englischen Rasen im Garten der Eltern um und pflanzte Kartoffeln, Kohlrabi und Salat.

Wenn Bauert über Madagaskar spricht, dann kommt er ins Schwärmen: «Die Insel ist ein Fliegenschiss auf der Weltkarte und einer der artenreichsten Orte der Welt.» Ein Ort, den es zu schützen gilt. Und trotzdem sagt er: «Ich bin den Rosenholzschlächtern nicht böse.»

Mit Beilen und Macheten fällen Männer in Madagaskar Rosenholzbäume und schleppen sie barfuss Dutzende Kilometer durch den Regenwald. Am Ende bekommen die Männer ein paar Euro. «Für sie ist das ein Viertel eines Jahreseinkommens», sagt Bauert, «dafür würde wahrscheinlich auch so manch ein Zürcher am Zürichberg Bäume fällen und runter an den See schleifen.» Das Hauptproblem sind für Bauert die korrupte Regierung und die Mafia. Sie machen das grosse Geld – auf Kosten künftiger Generationen.

So gelangen die Bäume zu den Häfen


Fast ein Drittel des weltweit verwendeten Holzes wird laut Interpol illegal geschlagen. Das Geschäft ist hochprofitabel: Pro Jahr werden bis zu 150 Milliarden Dollar umgesetzt. Die Profiteure sind lokale Holzbarone und die Mafia. Die Abnehmer sitzen vor allem in China. Dort werden aus Rosenholz protzige Möbel für eine wachsende Mittelschicht gefertigt. Über Umwege gelangen tropische Hölzer jedoch auch in die Schweiz. Die weniger edlen Hölzer stehen zwar nicht als Stühle und Tische in den Stuben, aber gelangen zu Zellstoff verarbeitet in Windeln, Taschentücher, WC-Papier und Holzkohle in die Regale der Grossverteiler. Das dürfte auch durch das neue Gesetz nicht einfach zu verhindern sein, denn die Händler schaffen es häufig geschickt, die Herkunft der Waren zu verschleiern.

Aus dem Botaniker wird ein Spion

Der Regenwald-Krimi beginnt für Martin Bauert 2009. Er ist durch den Bau des Masoala-Regenwalds in Zürich in Madagaskar als Naturschützer bekannt. Und so wird ihm eine Mail zugespielt mit delikatem Anhang: Es sind Fotos eines Lieferscheins und einer Rechnung für Ebenholz. Abnehmer ist der Gitarrenhersteller Gibson, Händler die deutsche Firma Theodor Nagel Hamburg. Bauert ist sofort klar: Diese Sendung ist illegal. Denn aus Madagaskar dürfen Eben- und Rosenhölzer nur in Form von fertig hergestellten Produkten exportiert werden. Das Holz, das Gibson in den USA in Gitarren einbauen will, ist alles andere als fertig.

Gemeinsam mit dem damaligen Zoodirektor Alex Rübel entscheidet Bauert, die Geschichte publik zu machen, denn der Vorfall betrifft auch den Zoo: Ausgerechnet dort, wo der Zoo Zürich am meisten für den Naturschutz leistet, wird illegal abgeholzt. Seit 2003 steuert der Zoo Zürich jährlich einen Viertel der Betriebskosten des Masoala-Nationalparks bei und zahlt in den Nachhaltigkeitsfonds des Parks ein.

Auf der Homepage des Zoos veröffentlicht Bauert eine Medienmitteilung. Die Reaktion aus Deutschland folgt prompt. Theodor Nagel droht mit einer Verleumdungsklage. Der deutsche Holzhändler behauptet, er habe eine gültige Konzession. Bauert verspricht ihm, die Medienmitteilung von der Homepage zu nehmen, sollte das stimmen, und lädt den deutschen Holzhändler nach Zürich ein.

Dieser reist tatsächlich an. Und er legt Bauert eine Konzession auf den Sitzungstisch. Bauert rechnet heimlich nach. Er merkt: Etwas ist faul. Die Hölzer für Gibson können unmöglich von dem Stück Land auf der Konzession stammen. Das Stück Land ist viel zu klein, die Konzession zu alt.

Bauert bietet dem Holzhändler an, gemeinsam nach Madagaskar zu reisen, um die Konzession zu kontrollieren. Der Holzhändler stimmt zu. Danach hört Bauert nie mehr etwas von ihm. E-Mails. Anrufe. Alles versandet unbeantwortet. Bauert entscheidet, auf eigene Faust nach Madagaskar zu reisen.

An der Küste der Masoala-Halbinsel werden die Baumstämme verarbeitet und nach China verschifft.

An der Küste der Masoala-Halbinsel werden die Baumstämme verarbeitet und nach China verschifft.

Toby Smith / Getty

Bauert täuscht die Holzfäller

Gemeinsam mit dem Schweizer Botschafter in Madagaskar und einer Fernsehjournalistin fährt Martin Bauert wenige Monate später an einem Morgen in einem Schlauchboot über den Indischen Ozean zur Masoala-Halbinsel. Schon von weitem sehen sie, dass sich am Strand Berge von Rosenholzstämmen türmen. Bauert erinnert seine Mitreisenden daran, sich ahnungslos zu stellen. Er weiss: Drei Wochen zuvor ist ein britisches Filmteam verhaftet worden, weil es über den illegalen Holzschlag auf Masoala berichten wollte. Die Regierung unterstützt die Holzbarone, um die eigene Kasse zu füllen.

Jedem, der fragt, sollen die Schweizer erzählen, sie seien nach Madagaskar gereist, um Samen zu sammeln für eine Baumschule im Zoo Zürich. Es ist immerhin die halbe Wahrheit. Denn Samen sammeln will Bauert auch – vor allem aber will er die Konzession von Theodor Nagel überprüfen.


An Land setzt sich Bauert auf einen der Baumstämme und packt sein Frühstücksbrot aus. Er hofft, so die Aufmerksamkeit der Holzfäller auf sich zu ziehen, und das tut er tatsächlich. Sie legen ihre Arbeit nieder und fragen, wer er sei. Bauert erzählt die Geschichte von der Baumschule.

Die Holzfäller glauben die Geschichte, halten ihn für harmlos und erzählen selbst von ihrer Arbeit. Von den Rosenhölzern, die sie gefällt haben und die sie in der Nacht auf Booten auf den Ozean hinausfahren und dort auf mächtige Frachter laden. Einer der Vorarbeiter haut mit einem Beil eine Kerbe in einen der Stämme, um dem für einen Banausen gehaltenen Bauert die blutrote Farbe zu zeigen. Dann posieren sie gemeinsam vor den Baumstämmen für Erinnerungsfotos – so glauben die Holzfäller. Für Beweismittel, weiss Bauert.

Rosenholz ist so schwer, dass es in Wasser sinkt. Um es auf Flossen flussabwärts transportieren zu können, werden pro Rosenholzstamm mehr als sechs weitere Bäume gefällt.

Rosenholz ist so schwer, dass es in Wasser sinkt. Um es auf Flossen flussabwärts transportieren zu können, werden pro Rosenholzstamm mehr als sechs weitere Bäume gefällt.

Toby Smith / Getty

Zurück in der Schweiz, schreibt Bauert einen Bericht. Sein Verdacht hat sich erhärtet. Das Holz für die Lieferung an Gibson aus dem vergangenen Jahr stammt unmöglich von dort. Auf dem von Theodor Nagel angegebenen Stück Land fand er Stümpfe von Bäumen, die so verwittert waren, dass sie vor zehn Jahren geschlagen worden sein müssen.

Wenige Tage nach Veröffentlichung seines Berichts klingelt bei Bauert das Telefon. Am anderen Ende ein Ermittler der amerikanischen Behörden. Er bittet Bauert, in die USA zu reisen und vor Gericht gegen Gibson auszusagen. Bauert sagt zu. In den USA merkt er, in welch politisch brisante Geschichte er verwickelt ist.

Unter Barack Obama tritt 2008 in den USA die Verschärfung der Lacey Act in Kraft: Aus dem Gesetz, das ursprünglich den illegalen Handel mit Wildtieren verboten hat, wird ein Gesetz, das auch den Handel mit illegal geerntetem Holz rechtswidrig macht. Unter diesen Voraussetzungen droht Gibson in den USA eine saftige Strafe. Zum Vergleich: In der Schweiz wäre der Import der Rosenhölzer zum damaligen Zeitpunkt noch legal.

Das Traditionsunternehmen Gibson gerät immer mehr unter Druck und verbündet sich mit der Tea Party. Gemeinsam wollen sie die verschärfte Lacey Act und mit ihr Präsident Obama zu Fall bringen. Die Politiker werfen Obama vor, mit der verschärften Lacey Act die Seele der amerikanischen Musikszene zu zerstören. Gibson ist die Gitarre der Stars: Bob Dylan spielt auf einer, Eric Clapton, Elvis und Jimi Hendrix. Bob Marley nahm seine rote Gibson-Gitarre sogar mit ins Grab. Die Tea Party argumentiert, Gibson habe nicht ahnen können, dass das Holz illegal geschlagen worden sei. Bauert weiss: Das ist gelogen.

Im Innern des Baumstamms verbirgt sich der wahre Wert: dunkelrot gefärbtes Rosenholz.

Im Innern des Baumstamms verbirgt sich der wahre Wert: dunkelrot gefärbtes Rosenholz.

Toby Smith / Reportage Archive

Bei Gitarrenbauern ist Rosenholz beliebt, weil es so hart ist, dass Parasiten chancenlos sind.

Bei Gitarrenbauern ist Rosenholz beliebt, weil es so hart ist, dass Parasiten chancenlos sind.

Future / Getty

Bild links: Im Innern des Baumstamms verbirgt sich der wahre Wert: dunkelrot gefärbtes Rosenholz. Bild rechts: Bei Gitarrenbauern ist Rosenholz beliebt, weil es so hart ist, dass Parasiten chancenlos sind.

Toby Smith / Reportage ArchiveFuture / Getty

Er hat Mails zugespielt bekommen, die beweisen, dass der CEO von Gibson wusste, was er kauft. «Holz aus dem Graubereich», steht in einer Mail. Bauert spielt seine Unterlagen der «Washington Post» zu. Die Zeitung veröffentlicht einen Artikel, der die Wende bringt.

Der Tea Party wird die Geschichte zu heiss. Sie steigt aus. Gibson gesteht und zahlt eine Geldstrafe von 300 000 Dollar und spendet 50 000 Dollar an die US-Naturschutzbehörde. Die Lacey Act bleibt erhalten. Australien und die EU passen ihre Gesetze an das der USA an. Neu ist es auch dort strafbar, illegal geschlagenes Holz einzuführen. Die Schweiz zieht 2022 nach – auf Begehren der SVP.

Eigentlich will die SVP nur Handelshemmnisse zwischen der Schweiz und der EU abbauen. Die Partei verlangt «gleich lange Spiesse für Holzexporteure». Und sie bekommt sie. National- und Ständerat stimmen einer Gesetzesänderung zu. Und so ist es seit dem 1. Januar 2022 verboten, in der Schweiz illegal geschlagenes Holz einzuführen. Wer gegen die neue Verordnung verstösst, kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren belegt werden.

Im Masoala-Nationalpark wird kaum mehr illegal geschlagen

Bauert ist an diesem Morgen im Herbst 2022 die Treppe zur Aussichtsplattform des Masoala-Regenwalds im Zoo hochgestiegen. «Hier möchte ich meinen Bürotisch haben», sagt er. Hier sieht Bauert Flughunde schlafen, Papageien krächzen und Baumkronen blühen. So grün wie in Zürich sind die Regenwälder in Madagaskar längst nicht mehr überall: Madagaskar hat in den letzten siebzig Jahren 90 Prozent seiner Bäume verloren. Besonders stark ist die Entwaldung im Süden und Westen der Insel. Masoala ist das letzte grosse zusammenhängende Waldgebiet.

Regen fällt im Süden Madagaskars kaum noch, und auch in den Regenwäldern gehen die Niederschläge zurück – weil Bäume fehlen, die Wasser aus dem Boden zurück in die Luft transportieren könnten. Das hat Konsequenzen für die Bevölkerung: Mehr als eine Million Menschen hungern wegen der anhaltenden Dürre im Süden. Abgeholzt wird trotzdem immer noch – besonders dort, wo sich niemand um den Schutz der Wälder kümmert. Im Masoala-Nationalpark wird heute kaum mehr illegal geschlagen, weil es dort kaum mehr Rosenholz hat.

Wer heute die Website von Theodor Nagel Hamburg aufruft, erhält den Hinweis, dass die Domain zu kaufen sei. 2011 hat der Holzhändler Insolvenz angemeldet.

Gibson gibt es noch immer. Doch CEO ist heute ein anderer.

Bauert hat inzwischen eine neue Funktion im Zoo Zürich. Er ist Leiter Naturschutz. Nächstes Jahr wird der Zoo direkt neben der Masoala-Halle ein 1600 Quadratmeter grosses Naturschutzzentrum eröffnen. Mit einer 360-Grad-Leinwand. Filme sollen das Naturschutz-Engagement des Zoos Zürich veranschaulichen.

Und im nächsten Frühling reist Bauert wieder nach Madagaskar. Obwohl erst vor wenigen Monaten ein Umweltschützer auf der Insel erstochen und aufgeschlitzt wurde, ist Bauert unbesorgt. Er sagt: «Das ist untypisch. Die Madagassen sind eigentlich ein friedliches Volk.» Solch brutale Morde an Umweltschützern seien selten. Viel häufiger verschwänden die Umweltschützer einfach – so wie die Rosenhölzer aus dem Urwald.

Mitarbeit: Roland Shaw (Karte), Martin Berz (Bildredaktion)

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