VfB-Erfolg, Mega-Deal, Investor: Wehrle: “Ich sehe eine falsche Angst bei den Fans”

Der VfB Stuttgart ist die große Überraschung der Bundesliga-Hinrunde. Nach 16 Spieltagen steht der Beinahe-Absteiger der vergangenen Saison auf Rang drei und schnuppert an der Champions League. Dennoch bleibt Klubchef Alexander Wehrle vor der Wiederaufnahme des Spielbetriebs gegen Borussia Mönchengladbach (17.30 Uhr bei DAZN und im Liveticker bei ntv.de) zurückhaltend bei der Formulierung des Saisonziels. Auch die mittelfristige Vision für die Schwaben ist gemessen am aktuellen Erfolg eher niedrigschwellig angesetzt. Einen Push in der Entwicklung könnte der angestrebte 40-Millionen-Euro-Deal mit Porsche bringen, ebenso wie der Einstieg eines Investors in die DFL. Warum der VfB Stuttgart nach seinem Nein bei der ersten Abstimmung umgeschwenkt ist und warum eine große Sorge der Fans unberechtigt ist, erklärt Wehrle im Interview mit ntv.de.

ntv.de: Der VfB Stuttgart startet mit einer großen Hypothek ins neue Fußball-Jahr. Mit Topstürmer Serhou Guirassy, mit Silas und Hiroki Ito fehlen drei Spieler wegen ihrer Teilnahme am Afrika- beziehungsweise Asien-Cup. Spüren Sie dennoch Vorfreunde, Herr Wehrle?

Alexander Wehrle: Die Vorfreude ist natürlich groß. Wir haben noch 18 Spiele vor uns und uns eine sehr gute Ausgangsposition erarbeitet. Unser Ziel war und ist es, eine sorgenfreie Saison spielen, das bedeutet für mich möglichst frühzeitig 40 Punkte zu erreichen. Dazu fehlen uns bekanntlich noch sechs Zähler.

40 Punkte, das bedeutet gemeinhin, dass der Klassenerhalt geschafft ist. Ist dieses Ziel nach der bisherigen Saison tatsächlich noch zu vertreten? Immerhin steht der VfB auf Rang drei …

Wir sind bis jetzt sehr gut damit gefahren, nicht zu weit nach vorne zu schauen, sondern uns jeweils auf die nächste Aufgabe zu fokussieren. Wenn wir 40 Punkte erreicht haben, dann werden wir uns vielleicht mit neuen Zielen beschäftigten. Wir haben dann hoffentlich noch einige Spiele vor uns und holen den 40. Punkt nicht erst am 32. Spieltag…

… aber diese Sorge haben Sie nicht ernsthaft?

Nein, aber man weiß nie, wie man aus der Winterpause startet. Und wir haben eine veränderte Kadersituation durch unsere vier Teilnehmer am Afrika- und Asien-Cup. Das ist eine Herausforderung, aber zugleich auch eine Chance für all diejenigen im Team, die zuletzt nicht immer zum Zuge kamen und auch für unsere Talente. Wir haben ein souveränes Testspiel gegen Greuther Fürth gehabt und sehr gut trainiert. Ich sehe keine Anzeichen, dass es nicht so positiv weitergehen soll. Aber wie gesagt, nach der Pause weiß man eben nie, wie man zurückkommt, alles wird neu bewertet.

Viele Spieler haben sich beim VfB in den Vordergrund gespielt, Guirassy etwa. Fürchten Sie, dass der VfB im Sommer den Preis für den Erfolg zahlen muss und Leistungsträger verliert? Oder kann der VfB robust dagegenhalten?

Bei einem Transfer gehören immer drei Parteien dazu. Der interessierte Klub, der Spieler und wir als Verein. Wenn alle Beteiligten zu dem Schluss kommen, dass ein Transfer Sinn ergibt, dann machen wir das. Aber wir wollen eine Mannschaft aufbauen, dafür brauchen wir ein stabiles Gerüst. Ich bin überzeugt, dass das Gros unseres Teams auch in der neuen Saison den roten Brustring auf dem Trikot tragen wird.

Sie haben einen Block deutscher Spieler, die eine wichtige Rolle einnehmen. Mit Blick auf die Heim-EM im Sommer wurden sogar zuletzt bis zu sechs Stuttgarter – Alexander Nübel, Waldemar Anton, Maxi Mittelstädt, Angelo Stiller, Chris Führich und Deniz Undav – gehandelt. Gibt es einen VfB-Block im DFB-Team?

Wenn alle die Heim-EM spielen könnten, würde es mich sehr für sie freuen und den gesamten VfB sehr stolz machen. Es wäre auch eine Auszeichnung unserer Arbeit. Die genannten Spieler sind wichtige Faktoren für unseren Erfolg.

Einen gewichtigen Anteil am Erfolg hat auch Trainer Sebastian Hoeneß, der die Mannschaft im vergangenen Sommer knapp vor dem Abstieg bewahrt hat. Was hat er mit dem Team gemacht und was zeichnet ihn aus?

Sebastian ist es gelungen, ein junges Team aus einer wirklich schwierigen Situation herauszuführen, die Spieler weiterzuentwickeln und eine stabile Mannschaft zu formen. Wir hatten im Sommer 27 Transferaktivitäten, 17 Spieler haben uns verlassen, zehn sind gekommen. Er hat einen klaren Plan, den er der Mannschaft erklärt hat, die Spieler folgen ihm. Er ist sehr besonnen, setzt seine Ideen aber auch mit Durchsetzungsstärke um. Das merkt man auch im Spiel, dass er eine Partie sehr gut lesen und entsprechend agieren oder auch reagieren kann. Sebastian ist ein extrem guter Kommunikator, der es versteht, aus sehr guten Einzelspielern eine verschworene Einheit zu formen. Zudem versteht er, wie der VfB und unser Umfeld ticken.

Es gibt unter vielen VfB-Fans den Running-Gag, dass der Klub immer dann falsche Entscheidungen trifft, wenn es besonders gut läuft. Nun ist mal wieder so eine Phase …

Diesen Running-Gag kannte ich noch gar nicht. Und abgerechnet wird ja auch erst nach 34 Spieltagen. Aber wir als Verantwortliche haben immer die Zielsetzung, die besten Entscheidungen für den VfB zu treffen. Das ist bei uns nicht anders als in anderen Vereinen.

Wie sieht denn Ihre mittelfristige Vision für den VfB aus?

Wir wollen bis zum Beginn der Saison 2026/27 ein etablierter Bundesligist sein. Und nicht mehr zwischen 1. und 2. Liga pendeln. Bis dahin wollen wir ruhige Saisons spielen, attraktiven Fußball vor vollem Haus bieten. Aber wir verändern parallel auch die Infrastruktur, treiben die Internationalisierung und Digitalisierung des VfB voran. Wir wollen sportlichen Erfolg, allerdings geknüpft an wirtschaftliche Vernunft.

Wie genau treiben Sie die Internationalisierung und Digitalisierung voran?

Wir nehmen neue Zielmärkte in den Blick. Die USA, Japan und Korea beispielsweise. Im Sommer planen wir auch eine Japan-Reise. Wir bereiten eine Markteintrittsstrategie vor. Das bedeutet, dass wir international mehr Fans gewinnen wollen. Aber auch Partner und Sponsoren, die am deutschen Markt interessiert sind. Wir gehen den Weg über Fußballschulen und Kooperationen. Und bei der Digitalisierung nehmen wir alles in den Blick, auch um neue Vermarktungspotenziale zu wecken. Das Thema E-Sports etwa haben wir wieder neu eingebracht. Aber auch unsere gesamte digitale Präsenznehmen wir in den Blick. Wir wollen uns da weiterentwickeln, um auf allen Ebenen wachsen und Erlöse zu generieren, die dann wieder in die Mannschaft fließen.

Ein wichtiger Faktor für neue Einnahmen ist der angestrebte Porsche-Deal. Wie ist da der Stand der Dinge?

Beim Einstieg von Porsche als Gesellschafter beim VfB geht es nicht in erster Linie um Geld. Porsche ist eine der wertvollsten Marken der Welt. Die Ausstrahlung erfolgt vom Stammsitz in Stuttgart aus. Es hat deshalb für den VfB Stuttgart und die Bundesliga eine besondere Bedeutung, dass sich ein solches Unternehmen für unseren Klub und den Fußballsport entscheidet, nicht nur mit einem Sponsoring, sondern eben auch als Teil des Ganzen. Wir sind auf einem guten Weg zur Finalisierung der Umsetzung der Vereinbarung. Das Signing ist vollzogen. Jetzt geht es ans Closing. Für den VfB Stuttgart ist das ein Quantensprung. Mit den beiden Weltkonzernen Mercedes-Benz und Porsche ist das Fundament und die Substanz unseres VfB signifikant gestärkt. Die beiden bekanntesten Industrie-Unternehmen begegnen sich beim VfB Stuttgart auf Augenhöhe zur Stärkung des Fußballs, der Region und des Wirtschaftsstandorts. Dies ist ein starkes Zeichen auch für die Bundesliga. Wir befinden uns diesbezüglich auf der Zielgeraden und stehen in guten Gesprächen mit der Deutschen Fußball Liga.

Es geht darum, dass geklärt wird, ob Porsche als unabhängiges Unternehmen von Volkswagen anerkannt wird. Der VW-Konzern besitzt bereits mehrere Anteile an Fußballklubs, daher dürfte Porsche, wenn der Konzern nicht als eigenständig gilt, weniger als zehn Prozent der Anteile vom VfB übernehmen. Es sollen aber etwas mehr als zehn Prozent sein. Richtig?

Selbstverständlich verhalten wir uns rechtskonform und wir halten uns an die Satzung. Die rechtlichen Fragen sind aus unserer Sicht geklärt. Das Bundeskartellamt hat der Transaktion auch bereits zugestimmt. Wir erwarten in Kürze grünes Licht. Porsche ist ein unabhängiges, selbstständiges Unternehmen und nicht in diesem Sinne von VW abhängig.

Die DFL beschäftigt sich derzeit auch mit einem anderen Investorenthema. Bei den Fans sorgt der geplante Einstieg eines Private-Equity-Unternehmens nicht nur für große Sorgen, sondern auch für massive Wut. 77 Prozent sind einer aktuellen Umfrage gegen den Einstieg. Sie als VfB haben Ihre Meinung geändert und in der zweiten Abstimmung für den geplanten Deal gestimmt. Wie ist die Stimmung im Umfeld?

Wir haben mit unseren Fans total offen diskutiert, haben ihnen die Beweggründe erläutert. Wir haben uns umentschieden, weil das Modell angepasst worden ist. Im ersten Entwurf ging es um eine direkte Ausschüttung an die Klubs, die die Schere noch vergrößert hätte. Nach der Überarbeitung gibt es eine Gesamtinvestition in die Liga. Da wurde aus unserer Sicht gut nachgearbeitet, deswegen haben wir zugestimmt.

Aber nochmal, wie ist die Stimmung im Umfeld? Viele Fans im Land haben ja beklagt, dass sie, die gerne als Bild für das Besondere im deutschen Fußball genommen werden, nicht ausreichend gehört worden sind.

Ich finde, jeder Klub ist in der Pflicht die Fans mitzunehmen und ihnen die Beweggründe sowie das Modell zu erläutern. In unserem Fanausschuss sind alle relevanten Gruppen vertreten. Sie können unsere Beweggründe für den Einstieg nachvollziehen, auch wenn es immer noch Gruppen gibt, die das eher kritisch sehen oder eine andere Meinung haben. Aber mir ist einfach wichtig, dass wir auf Augenhöhe diskutieren können und die Fans unsere Entscheidung verstehen.

Warum ist es auch aus Ihrer Sicht so wichtig, dass die DFL einen Investor bekommt?

Wir wollen und müssen international wettbewerbsfähig bleiben. Dazu müssen sich unsere internationalen Einnahmen deutlich steigern. Durch einen Investor bekommen wir neue Impulse. Unter anderem beim Aufbau einer eigenen OTT-Plattform (Anmerk. d. Red.: Over-the-Top-Dienst, um TV-Inhalte und Videoangebote über das Internet zu empfangen). Wir glauben, dass wir die TV-Einnahmen durch veränderte Distributionen positiv gestalten können und so nachhaltig Wachstumsfelder generieren.

Eine Milliarde Euro soll der Investor einbringen und dafür bis zu acht Prozent Anteile an der DFL-Tochtergesellschaft erhalten, in welche die Medienrechte ausgelagert sind. Eine Kritik lautet, dass man der Premier League und ihren gigantischen Einnahmen damit nicht begegnen kann.

England ist das eine, aber wir befinden uns auch im Wettbewerb mit anderen Ligen wie Spanien, Italien oder Frankreich, die ihre Erträge auch mit Investorenmodellen deutlich steigern wollen. Wenn wir in diesem Wettbewerb nicht mitgehen, werden wir auf Strecke internationale Startplätze verlieren und es wird immer schwieriger, Ausnahmefußballer in der Bundesliga zu sehen. Daher glaube ich nicht, dass es im Sinne der Fans wäre, wenn wir nicht mehr konkurrenzfähig sind.

Sie sprechen Spanien gerade an. Der Supercup des Verbands wird gerade in Saudi-Arabien ausgetragen. Für Fans in Deutschland ist so etwas ein absolutes No-Go. Können Sie ausschließen, dass es so etwas geben wird?

Ja, das ist sichergestellt. Die Regularien, wie ein Wettbewerb organisiert ist, wie ein Spielplan und wie die Ansetzungen sind, darauf hat ein Investor keine Einflussmöglichkeit. Aber nochmal: Der Begriff Investor führt ohnehin zu einer falschen Interpretation. Es handelt sich ja um ein Lizenzmodell, einen Partner, der uns eine wichtige Anschubfinanzierung ermöglicht. Das gibt es bei Vereinen, unter anderem bei uns beim VfB, ja bereits etwa über die Agenturen Sportfive oder Infront. Sie unterstützen bei der Vermarktung und gehen nach Ablauf des Vertrags wieder raus. So ist es auch bei der DFL. Nach 20 Jahren verabschiedet sich der Partner und besitzt keine Beteiligung mehr. Deswegen sehe ich eine falsche Angst bei den Fans, dass es für immer und so bleibt. Wir brauchen einen Partner jetzt in der Phase, wo Wachstum nötig ist und wir das Wachstum so beschleunigen können.

Welche Kriterien wären Ihnen denn bei der Auswahl wichtig?

Die Entscheidung obliegt dem DFL-Präsidium. Aber grundsätzlich geht es darum, dass wir einen verlässlichen Partner finden, der uns dabei hilft, das Wachstum so zu generieren, wie wir uns das vorstellen.

Ein Kandidat soll CVC sein, das unter anderem vom saudischen Staatsfonds PIF mitfinanziert wird. Nun gab es beim spanischen Supercup Pfiffe während der Schweigeminute für Franz Beckenbauer. Spielt so etwas mit rein in die Entscheidung?

Wie gesagt, die Entscheidung obliegt dem DFL-Präsidium, das sich meines Wissens bei allen Partnern auch die Herkunft der Investitionsmittel anschauen wird. Soft Facts werden sicher eine Rolle bei der Bewertung spielen. Soft Facts bedeutet für mich, dass ein grundlegendes Verständnis für die Bundesliga vorhanden ist, dafür, dass Fußball bei uns ein Kulturgut ist. Diese Kultur ist uns ganz wichtig. Bedeutet also: Keine Einflussnahme für einen strategischen Partner in unsere Hoheitsrechte wie die Spielpläne oder die Größe der Liga.

Mit Alexander Wehrle sprach Tobias Nordmann

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