Von Kennedy bis Trump – Wahlkampf mit dem amerikanischen (Alb-)Traum – News


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Aufbruch oder Abrissbirne: Der Präsidentschaftswahlkampf war schon immer ein Spiegel der seelischen Verfassung der USA. Ein Rückblick auf vier prägende Duelle.

Düster, drohend, diffamierend: Wer den aktuellen Präsidentschaftswahlkampf in den USA verfolgt, wähnt sich in einem Land am Abgrund. Herausforderer Donald Trump bezeichnet seine politischen Gegner als «Ungeziefer», das es auszurotten gilt. Amtsinhaber Joe Biden wirft seinem Herausforderer Nazi-Rhetorik vor – und spricht von der «ersten nationalen Wahl seit dem Aufstand vom 6. Januar, als der amerikanischen Demokratie ein Dolch an die Kehle gesetzt wurde». Eine Vision für ein neues, ein besseres Amerika? Fehlanzeige.

2024 stehen die Zeichen auf Abbruch statt auf Aufbruch. Der (selbsternannte) Leuchtturm der Demokratie wankt. Dass er so lange in die Welt hinausstrahlte, war auch dem Aufstieg der Massenmedien zu verdanken – allen voran den TV-Geräten, die die US-Wahlen seit den 1960er-Jahren zu globalen Events machten.

Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.

Zum ersten Politpopstar sollte John Fitzgerald Kennedy, kurz «JFK», werden. Jung, irischer Abstammung und katholisch ist seine Präsidentschaftskandidatur im Jahr 1960 eigentlich ein Himmelfahrtskommando. Doch als Spross einer vermögenden Bostoner Familie stehen Kennedy im Wahlkampf fast unerschöpfliche finanzielle Mittel zur Verfügung – und er weiss sie zu nutzen: Mit einer perfekt geölten PR-Maschinerie im Rücken tourt der Demokrat durchs Land; und in einer Zeit, in der neun von zehn amerikanischen Haushalten ein Fernseher steht, zieht der charismatische Strahlemann die Massen in seinen Bann.

In der ersten TV-Debatte der US-Geschichte trifft Kennedy auf den damaligen Vizepräsidenten Richard Nixon, den Kandidaten der Republikaner. Ein Duell, das spätere Kommentatoren an Luke Skywalker gegen Darth Vader erinnern wird: Hier der jugendlich wirkende Kennedy, der rhetorisch brillant zum amerikanischen Volk spricht; dort der finster hereinblickende Nixon, der nach einem Spitalaufenthalt einen elenden Eindruck hinterlässt und «von der Filmstar-Aura seines Rivalen geradezu leergepumpt wirkt», wie ein Reporter festhält.

70 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner verfolgen eines der grössten Medienereignisse der Geschichte vom Wohnzimmer aus. Nixons Vizekandidat bilanziert: «Dieser Hurensohn hat soeben die Wahl verloren.»

Wir werden denen wieder Hoffnung geben, die keine Hoffnung mehr haben und sie willkommen heissen in unserem nationalen Kreuzzug, um Amerika wieder grossartig zu machen.

«Make America Great Again»: Ganze 36 Jahre bevor Donald Trump den Slogan auf Baseballmützen drucken lässt, betätigt sich ein kalifornischer Schauspieler als Baumeister des amerikanischen Traums: «Lasst uns Amerika wieder grossartig machen!», ruft Ronald Reagan der in die «Stagflation» gefallenen Nation zu – die USA befinden sich in einem unseligen Strudel von steigenden Preisen und schwachem Wachstum.

Reagan verspricht nicht weniger als eine Wiedergeburt der USA – und weckt damit den Patriotismus seiner Landsleute. Sein demokratischer Kontrahent – der glücklose Präsident Jimmy Carter – ist zu diesem Zeitpunkt längst zum Gesicht der amerikanischen Malaise geworden. Und zur leichten Beute für Reagan, der die Wahlen mit deutlicher Mehrheit gewinnt:

Yes We Can!

Im Jahr 2008 startet ein schwarzer Senator aus Chicago einen Wahlkampf, dem etwas Messianisches anhaftet: Mit seinem Versprechen auf Wandel richtet sich Barack Obama an die an sich selbst leidende Nation. Im Irak und Afghanistan erleben die Vereinigten Staaten ihr zweites Vietnam, die Finanzkrise von 2008 erschüttert den Glauben an das westliche Wirtschaftssystem in seinen Grundfesten. «Yes we can!», versichert Obama einem Amerika, das auf Erlösung hofft.

Mit der ersten perfekt orchestrierten Internetkampagne entfacht Obamas Team einen regelrechten Personenkult; zahlreiche Popstars und Hollywood-Schauspieler unterstützen den 47-jährigen Demokraten, schliesslich wird Obama zum ersten afroamerikanischen US-Präsidenten der Geschichte gewählt.

Im Wahlkampf zeigen sich auch die Schattenseiten des anbrechenden Social-Media-Zeitalters: Im Netz kursieren Verschwörungstheorien, die Barack Hussein Obama wahlweise zum Ausländer, Araber oder Terroristen machen. Obamas republikanischer Herausforderer, der Kriegsveteran John McCain, widerspricht: Bei einem Wahlkampfauftritt erklärt er unter Buhrufen, dass Obama «ein anständiger Bürger und Familienvater ist, vor dessen Präsidentschaft sich niemand fürchten muss.»

Make America Great Again.

«Wir werden von einem Mann angeführt, der nicht einmal die Worte ‹radikal-islamischer Terrorismus› in den Mund nehmen kann. Obama führt etwas im Schilde»: Acht Jahre später knüpft der New Yorker Immobilienmogul Donald Trump an die Verschwörungstheorien an, die mittlerweile wild durchs Netz wuchern. Das Establishment karikiert den Reality-TV-Star als ideologiebefreiten Politclown, er selbst inszeniert sich als Mann mit der Abrissbirne.

Radikale Lösungen, vorgetragen in einer radikalen Sprache: Im Wahlkampf bläst Trump zur Jagd auf «Crooked Hillary» (dt. betrügerische Hillary»), seine demokratische Rivalin Hillary Clinton. «Sperrt sie ein!», skandiert das aufgewiegelte Publikum. Die TV-Debatten zwischen den beiden werden zu einem würdelosen Schauspiel, das den Ruf der amerikanischen Demokratie schwer beschädigt.

Clinton bezeichnet Trumps Anhänger bei einer Fundraising-Veranstaltung als «basket of deplorables» (dt. «Korb der Erbärmlichen») – und erhält an der Wahlurne die Quittung.

Acht Jahre später steht das neueste Duell ums Weisse Haus an. Auch diesmal wird der Leuchtturm der Demokratie nicht in die Welt hinausstrahlen.

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