Was Sie vor den Bundesratswahl wissen sollten

Die Schweiz hat zwei neue Bundesräte. Aber wer wählt die Schweizer Regierung eigentlich? Und welche Aufgaben nimmt sie wahr? Acht Fragen und Antworten zur Wahl.

Am Mittwoch wird entschieden, wer für Simonetta Sommaruga und Ueli Maurer in den Bundesrat nachrückt.

Peter Schneider / Keystone

Warum werden am 7. Dezember – noch in der Amtsperiode – zwei neue Bundesräte gewählt?

Während im Parlament oder in den kantonalen Regierungen Rücktritte zum Ende einer Legislatur üblich sind, sind diese im Bundesrat die Ausnahme: Seit 1911 gaben nur gerade 21 von 73 abtretenden Bundesräten ihren Rücktritt zum Ende der Legislatur bekannt, 70 Prozent dagegen erfolgten während der Amtsperiode. So auch die Rücktritte der scheidenden Bundesräte Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga.

Tritt ein Mitglied des Bundesrats zurück, erfolgt die Wahl des neuen Bundesrates in der Regel während der darauffolgenden Session. Das neu gewählte Bundesratsmitglied tritt sein Amt gemäss Verfassung spätestens zwei Monate nach der Wahl an. Albert Rösti und Elisabeth Baume-Schneider werden ihr Amt per Januar 2023 in Angriff nehmen und zu den bisherigen Bundesräten Guy Parmelin (SVP), Alain Berset (SP), Karin Keller-Sutter (FDP), Ignazio Cassis (FDP) und Viola Amherd (die Mitte) stossen.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Ersatzwahlen vom Mittwoch: Wer schafft’s in den Bundesrat? Die Kandidatinnen der SP und die Kandidaten der SVP im Überblick

Wie wählt die Schweiz ihren Bundesrat?

Im Gegensatz zum Parlament wird der Bundesrat nicht vom Volk gewählt, sondern von der Vereinigten Bundesversammlung. Diese besteht aus den beiden gleichgestellten Parlamentskammern: dem Nationalrat mit 200 Mitgliedern und dem Ständerat mit 46 Mitgliedern.

Neben den Ersatzwahlen, im Fall eines Rücktritts, finden alle vier Jahre reguläre Wahlen statt: Bei den sogenannten Gesamterneuerungswahlen werden die Mitglieder für eine Legislatur gewählt oder bestätigt, eine zeitliche Begrenzung des Amts gibt es nicht. Die letzte reguläre Wahl fand 2019 statt. Gewöhnlich werden wieder antretende Regierungsmitglieder bestätigt. Eine Ausnahme bilden in der jüngeren Geschichte die Abwahl der damaligen CVP-Bundesrätin Ruth Metzler 2003 und jene des SVP-Urgesteins Christoph Blocher.

Wie läuft die Wahl genau ab?

Die Bundesratswahlen werden schon am Abend zuvor eingeläutet: mit der Nacht der langen Messer. Diese geht auf den Vorabend der Bundesratswahl 1983 zurück, an dem die Wahl des Sozialdemokraten Otto Stich als Sprengkandidat angezettelt wurde.

In der Eingangshalle des Hotels Bellevue wird bis in die frühen Morgenstunden noch an den Allianzen geschmiedet und werden Zögerer bearbeitet – dass dabei die Wahl Entscheidendes herauskommt, ist jedoch selten.

Nach letzten Sitzungen in den Fraktionen fällt um 8 Uhr der offizielle Startschuss – oder besser Glockenschlag – der Vereinigten Bundesversammlung: Der Nationalratspräsident Martin Candinas eröffnet die Wahlen, die im Nationalratssaal stattfinden, mit der Glocke. Nach der kurzen Verabschiedung der abtretenden Bundesräte dürfen die Fraktionen ihre Empfehlungen für die Wahl abgeben: In erster Linie werden SVP und SP die Möglichkeit nutzen, um nochmals ihre Kandidatinnen und Kandidaten vorzustellen.

Gewählt wird geheim und schriftlich: Jedes Parlamentsmitglied erhält dafür einen Zettel pro Wahlgang. In den ersten beiden Wahlgängen kann jede wählbare Person Stimmen erhalten – auch Personen, die nicht kandidieren.

Ab dem dritten Wahlgang können nur noch Personen gewählt werden, die in den ersten beiden Wahlgängen Stimmen erhalten haben. Erreicht niemand das absolute Mehr, also über die Hälfte aller Stimmen, scheidet jene Person mit den wenigsten Stimmen aus. Das Prozedere wiederholt sich, bis ein Kandidat oder eine Kandidatin das absolute Mehr erzielt und damit gewählt ist.

Ausgezählt werden die Stimmen von den Stimmenzählerinnen und Stimmenzählern, selbst National- oder Ständeräte. Das Resultat wird in eine Excel-Liste eingetragen. Das finale Ergebnis wird jedoch analog übermittelt: Edith Graf-Litscher, Chefin der Zählenden, wird das Resultat auf einem kleinen Zettel dem Nationalratspräsidenten Candina überreichen.

Besiegelt ist die Wahl jedoch erst, wenn die Auserwählten diese auch in ihrer Rede akzeptieren, und zwar mit den Worten «Ich erkläre Annahme der Wahl».

Im Anschluss an die Bundesratswahl wird der Bundespräsident – ein Mitglied des Bundesrats – für ein Jahr gewählt.

Dass auf Ueli Maurer ein SVP-Kandidat folgt und auf Simonetta Sommaruga jemand aus der SP, scheint gesetzt. Weshalb?

Der Grund liegt in der sogenannten «Zauberformel», die allerdings in den letzten Jahren mehrmals ins Wanken geriet. 1959 einigten sich die vier wählerstärksten Parteien, die FDP, die CVP, die SP und die BGB (heutige SVP), auf folgendes Parteienverhältnis in der Landesregierung: 2:2:2:1. Die Formel ist ein Ausdruck der sogenannten Konkordanzdemokratie, in der möglichst viele Akteure in den politischen Prozess mit einbezogen werden sollten. Sie verhindert das in vielen Demokratien typische Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition.

Die Zauberformel galt bis ins Jahr 2003. Die SVP hatte die CVP bezüglich Wähleranteil inzwischen überholt. Bei den Gesamterneuerungswahlen holte sich die SVP im Sinne der Konkordanz einen zweiten Bundesratssitz – nämlich mit obengenanntem Christoph Blocher, der den Platz der abgewählten CVP-Bundesrätin Ruth Metzler übernahm.

Im Jahr 2007 kam es zum erneuten Knall: Anstelle von Christoph Blocher wird in einem überraschenden Manöver Eveline Widmer-Schlumpf gewählt – die zwar auf kantonaler Ebene für die SVP politisiert, jedoch gar nicht kandidiert hatte. Nach Überwerfungen in der eigenen Partei wechseln die beiden damals amtierenden SVP-Bundesräte Eveline Widmer-Schlumpf und Samuel Schmid zur neugegründeten Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP). Auf den Rücktritt Schmids folgte 2009 mit Ueli Maurer zwar wieder ein SVP-Bundesrat, jedoch war die einstige Zauberformel zunichte.

Nach Jahren der Unruhe bezüglich der Parteiverteilung im Bundesrat kehrte nach Widmer-Schlumpfs Rücktritt mit Guy Parmelin 2015 wieder ein zweiter SVP-Bundesrat in die Regierung zurück. Seither lautet die «Zauberformel» wieder 2:2:2:1: 2 Bundesräte der FDP, 2 der SP, 2 der SVP, 1 Bundesrat der CVP.

Die Formel wird jedoch bereits wieder herausgefordert, dieses Mal vonseiten der Grünen, die zu den grossen Siegern der letzten Parlamentswahlen gehörten und darum Anspruch auf einen Sitz erheben. Für die Ersatzwahlen vom Mittwoch haben sich die Grünen selbst aus dem Rennen genommen. Die Partei will nun die Wahlen im Herbst 2023 abwarten, um zu entscheiden, ob sie bei den Gesamterneuerungswahlen im Dezember eine Kandidatur stellen will.

Die Zauberformel hatte nicht von Anbeginn Bestand: Bei seiner Gründung bestand der Bundesrat ausschliesslich aus Anhängern des Freisinns (heute FDP) – und dies sollte sich erst nach 43 Jahren ändern.

Wie setzt sich der Bundesrat abseits der Parteien zusammen?

In der mehrsprachigen, föderalistischen Schweiz spielt die Zusammensetzung des Bundesrats eine zentrale Rolle. Das Parlament achtet deshalb auf eine angemessene Vertretung der Sprachregionen, der Kantone und der Geschlechter.

Sprachregionen

Bereits 1848 zählte die Schweizer Regierung ein Mitglied aus der Welschschweiz und eines aus dem Tessin. Seither wurde nur selten vom Verhältnis 5:2 (fünf Deutschschweizer, zwei Vertreter aus dem Tessin oder der Welschschweiz) abgewichen. Gegenwärtig herrscht mit Alain Berset (Kanton Freiburg), Guy Parmelin (Kanton Waadt) und Ignazio Cassis (Kanton Tessin) gar ein Verhältnis von 4:3.

Mit der Wahl der jurassischen Ständerätin Elisabeth Baume-Schneider steht das Verhältnis ab Januar sogar bei 5:2, die Romandie ist damit im Bundesrat in der Überzahl – einer der Punkte, die eigentlich gegen eine Wahl von Baume-Schneider sprach. Denn: Seit 1999 heisst es in der Verfassung: «Es ist darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Landesgegenden und Sprachregionen angemessen vertreten sind.»

Kantone

Im Gegensatz zu den Sprachen legte die Bundesverfassung zu Beginn klar fest, wie die Kantone im Bundesrat vertreten sein dürfen: nicht mehr als ein Bundesrat pro Kanton. Mit der Bundesverfassungsreform von 1999 wurde die straffe Regel jedoch aufgegeben.

Tatsächlich haben seit 1848 die meisten Kantone mindestens einen Bundesrat gestellt. Die bevölkerungsstärksten Kantone, Zürich, Bern und Waadt, waren fast durchwegs vertreten. Hingegen gab es noch nie einen Bundesrat aus Schaffhausen, Uri, Schwyz, Nidwalden und dem Kanton Jura.

Die Kantons- und Sprachregionszugehörigkeit war auch bei der jetzigen Ersatzwahl ein wichtiges Argument: Mit der Wahl von Albert Rösti wird der Kanton Zürich zum ersten Mal seit dreissig Jahren aus dem Bundesrat ausscheiden. Baume-Schneider ist die erste jurassische Bundesrätin überhaupt, ihre geschlagene Konkurrentin Eva Herzog wäre die erste Vertreterin aus der Nordwestschweiz seit 1995 gewesen.

Geschlechter

Mit Elisabeth Baume-Schneider zieht im Januar eine weitere Frau in den Bundesrat ein – die zehnte überhaupt. Nachdem die Schweiz 1971 das Frauenstimmrecht eingeführt hatte, hielten auch die ersten Frauen im Parlament Einzug. Bis mit Elisabeth Kopp (FDP) die erste Frau in den Bundesrat gewählt wurde, dauerte es aber noch bis 1984.

Die Frauen im Bundesrat: ein Rückblick

Welche Aufgaben übernimmt der Bundesrat genau?

Der Bundesrat bildet die Exekutive der Schweiz. Als siebenköpfiges Regierungskollegium leitet der Bundesrat die Verwaltung, schlägt Gesetze vor und vollzieht sie. Im Durchschnitt entscheidet der Bundesrat über rund 2500 Geschäfte pro Jahr. Dafür trifft er sich in der Regel einmal in der Woche zur Sitzung, normalerweise am Mittwoch, während der Session am Freitag.

Fällt der Bundesrat nicht gerade Entscheide im Plenum, dienen die Mitglieder auch als Vorsteher ihres jeweiligen Departements. Wer welches Departement (Ministerium) übernimmt, machen die Regierungsmitglieder unter sich aus.

Das offizielle Bundesratsfoto 2022: Im Uhrzeigersinn von links Guy Parmelin, Alain Berset, Simonetta Sommaruga, Bundeskanzler Walter Thurnherr, Ueli Maurer, Karin Keller-Sutter, der Bundespräsident Ignazio Cassis und Viola Amherd.

Während die Anzahl der Bundesräte seit den Anfängen, der Gründung des Bundesstaates 1848, gleich blieb, haben sich die Aufgabenbereiche verändert: Das heutige Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) beispielsweise hiess zu seinen Anfängen Postdepartement, dann Post- und Eisenbahndepartement und schliesslich Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement.

Was verändert sich finanziell für die neuen Bundesräte?

Amtierende Bundesräte verdienen momentan rund 450 000 Franken brutto pro Jahr. Der Lohn wird nächstes Jahr aufgrund der Teuerung um 2,5 Prozent erhöht – wie alle Löhne des Bundespersonals auch. Obendrauf wird den Bundesrätinnen und Bundesräten eine Spesenpauschale von jährlich 30 000 Franken gestellt. Gratis beziehen können die Regierungsmitglieder zudem Abonnemente für Handy- und Festnetztelefon sowie Multimedia-Infrastruktur wie IT, Fernsehen oder Radio. Selbst bezahlen müssen Bundesrätinnen und Bundesräte Steuern, Miete und Serafe-Gebühren. Auch für den Transport ist gesorgt: Bundesräte können auf ihren persönlichen Dienstwagen oder auf ihr Erste-Klasse-GA (Wert 6300 Franken) zurückgreifen.

Dienen sie länger als vier Jahre, haben sie zudem Anspruch auf eine Rente. Diese entspricht der Hälfte des Einkommens einer amtierenden Bundesrätin oder eines amtierenden Bundesrats.

Der Bundesrat wird nie vom Volk gewählt. Tatsächlich?

Seit 1848 wird der Bundesrat vom Parlament gewählt. Seine Volkswahl wird zwar immer wieder diskutiert, das Projekt scheiterte jedoch schon mehrfach an der Urne. Doch: Während der ersten Jahrzehnte nach der Gründung gab es eine Art Volkswahl des Bundesrates. Gesetzlich vorgeschrieben war sie nicht, dennoch musste sie jeder amtierende Bundesrat über sich ergehen lassen: Wollte er in der Landesregierung bleiben, musste er in seinem Heimatkanton erst für die Wahl in den Nationalrat antreten. Wurde er in die grosse Kammer gewählt, galt seine Popularität beim Volk als erwiesen. Misslang der Einzug in den Nationalrat, musste er den Bundesrat verlassen.

Diese sogenannte «Komplimentswahl» überstanden die meisten Mitglieder des Bundesrates problemlos. Ulrich Ochsenbein verpasste 1854 den Einzug ins Parlament und war damit der erste Bundesrat, der auf diese Weise abgewählt wurde. Die Komplimentswahl verlor jedoch über die Jahre an Bedeutung und wurde noch vor Ende des 19. Jahrhunderts hinfällig.

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