1992 schrieben Schweizer Architektenbauten Museen Geschichte

Nach den postmodernen expressiven Bauten der achtziger Jahre entstanden 1992 drei wegweisende Museumsneubauten. Sie glänzten durch Nüchternheit und die Schlichtheit der Materialien.

Das 1992 eröffnete Kirchner-Museum in Davos von Gigon/Guyer hat mit seinen einfachen und klaren Strukturen die Museumsarchitektur seither stark beeinflusst.

Pati Grabowicz

Auf halbem Weg zwischen Airolo und Bellinzona, am Rand von Giornico in der Leventina, steht das vielleicht ungewöhnlichste, auf jeden Fall aber eines der eindrücklichsten Ausstellungsgebäude der Schweiz: La Congiunta, ein Haus für plastische Arbeiten des Künstlers Hans Josephsohn, entworfen vom Zürcher Architekten Peter Märkli, fertiggestellt 1992.

Nähert man sich dem Gebäude, so deutet nichts auf seinen Zweck hin. Der fensterlose, dreigliedrige Betonbau besteht aus einer Abfolge von unterschiedlich hohen, aber gleich breiten Betonkuben, die mit Oberlichtaufsätzen versehen sind; der dem Dorf zugewandte Gebäudeteil ist mit einem niedrigeren Anbau versehen. Man geht um das Gebäude herum und öffnet mit dem Schlüssel, der in der Osteria im Dorf hinterlegt ist, eine schmale, über eine Trittstufe erreichbare Metalltür, dann überquert man die Schwelle und steht im ersten der drei Räume.

Die rohen Betonwände bilden einen idealen Hintergrund für die bronzenen Reliefs und Halbfiguren des Künstlers, anthropomorphe Figuren, die wie aus einer Urmaterie herausgeformt erscheinen – oder im Begriff sind, in diese zurückzusinken. Der Beton ist nicht wie sonst in der Schweiz zur Perfektion hochpoliert, er zeigt Schründe, Risse, Kiesnester. Und wirkt damit wie ein Echo auf die Verletzlichkeit der an die Wände gehängten oder im Raum stehenden Arbeiten von Josephsohn.

Der Beton und das von oben einfallende Tageslicht bestimmen die Raumwirkung, entscheidend sind überdies die Proportionen: Der erste Raum ist mittelhoch und kürzer als die folgenden, der zweite deutlich niedriger, der dritte merklich höher und überdies von vier Raumzellen flankiert, die wie Seitenkapellen wirken. Mag das Äussere an einen Infrastrukturbau erinnern, von denen es in der Leventina viele gibt, so löst die sinnliche Kargheit des Inneren fast sakrale Assoziationen aus.

Katalin Deér, Kesselhaus JosephsohnSt.Gallen

Katalin Deér, Kesselhaus Josephsohn St.Gallen

Katalin Deér, Kesselhaus Josephsohn St.Gallen

Das Josephsohn-Museum La Congiunta liegt am Dorfrand von Giornico in der Leventina (Bild oben). Der archaisch anmutende Betonbau, 1992 von Peter Märkli errichtet, beherbergt Hans Josephsohns urwüchsige Plastiken.

Katalin Deér, Kesselhaus JosephsohnSt.GallenKatalin Deér, Kesselhaus Josephsohn St.Gallen

Das ist der architektonischen Reduktion und der Konzentration auf das Wesentliche zu verdanken. Denn La Congiunta hat all das nicht, ohne das Museen heute nicht auskommen: Es gibt keine Heizung und keine Klimatisierung, kein künstliches Licht und keine Saaltexte, keine Garderoben, keine Toiletten, keine Aufsicht. Selbstverständlich auch keinen Museumsshop, kein Café, keinen Board-Room. Und Werbebanner oder Aufschriften am Äusseren erst recht nicht.

Nach der Postmoderne

Man kann Märklis programmatisches Tessiner Projekt als Kritik an der Institution Museum im Allgemeinen verstehen. Insbesondere aber an den spektakulären Museumsbauten der Postmoderne, die besonders in Deutschland realisiert wurden. Die dichte Sequenz dieser expressiven Neubauten begann 1982 mit dem Museum Abteiberg in Mönchengladbach von Hans Hollein, es folgten – um nur einige zu nennen – die Staatsgalerie Stuttgart von James Stirling (1984), die diversen Museen in Frankfurt am Main, das Vitra Design Museum von Frank O. Gehry in Weil am Rhein (1989) und schliesslich – gewissermassen als Schlusspunkt – das Kunstmuseum Bonn von Axel Schultes (1992).

Gemeinsam ist diesen Bauten die ostentative Formenopulenz, der Wunsch, mit der architektonischen Gebärde zu überwältigen. Museen, infolge der Umwälzungen um 1968 noch als elitäre Bildungstempel geschmäht, avancierten nun zu Kristallisationspunkten des öffentlichen Lebens der Freizeitgesellschaft und wurden zu Eckpfeilern des Stadtmarketings. Und das mit grossem Erfolg, wie das Museumsufer-Konzept des Frankfurter Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann bewies: Mit einer Reihe von Museumsneubauten auf beiden Seiten des Mains verschaffte sich die Bankenmetropole ein neues Image.

Natürlich war es zu begrüssen, dass Museen sich öffneten und breitere Kreise sich für Kulturangebote interessierten. Doch angesichts all des Spektakels drohte die Kunst selbst in den Hintergrund zu geraten. Stirling amalgamierte in Stuttgart klassische Moderne und Pop-Ästhetik, verfremdete den klassischen Galerietypus und vereinte alles mit einer Architektur von pharaonischer Wucht, die durch scheinbar aus der Fassade herausgefallene Steinblöcke zugleich auch wieder ironisiert wurde.

Und um das Spektakel noch zu potenzieren, kamen beim Museum im niederländischen Groningen (1994) gleich vier Architektur- und Designteams zum Einsatz: Alessandro Mendini, Michele de Lucchi, Philippe Starck und Coop Himmelb(l)au. Popularisierung führte indes auch zu Kommerzialisierung. Es begann die Ära der Blockbuster-Shows, und Museumsshops beanspruchten immer grössere Flächen. «Museum = Shopping», behauptete der niederländische Architekt Rem Koolhaas süffisant.

Reduktion als Prinzip

Im Jahr 1992 eröffnete in Deutschland aber auch ein Ausstellungshaus, das mit seiner Tendenz zur Reduktion La Congiunta durchaus verwandt ist: die Sammlung Goetz in München von Herzog & de Meuron. Es besteht strukturell aus einer in den Boden versenkten Betonkiste, zwei darauf ruhenden Betonröhren im Erdgeschoss für Empfang und Serviceräume sowie einer daraufgestellten Holzkiste. Diese archaisch anmutende Konstellation ist im Inneren durchaus komplex organisiert und wirkt nach aussen höchst effektvoll. Die Ausstellungsräume im Untergeschoss und im Obergeschoss werden von oben seitlich belichtet; dadurch ergibt sich ein Fassadenbild, bei dem das hölzerne Obergeschoss oben und unten von Fensterbändern gerahmt wird.

Mit schlichten weissen Wänden und Decken sowie Parkett wirken die Ausstellungsräume neutral, und die identische Lichtstimmung führt dazu, dass man nicht unterscheiden kann, ob man sich gerade im Unter- oder im Obergeschoss befindet. Mit ihrem fein detaillierten und dank schlichten Materialien unprätentiösen ersten Ausstellungsbau setzten die Basler einen markanten Kontrapunkt zu den formverliebten zeitgenössischen Museumsbauten in Deutschland. Acht Jahre später sollten sie mit dem Umbau der Bankside Power Station in London zur Tate Modern zu den weltweit gefragtesten Museumsarchitekten avancieren.

Das hölzerne Obergeschoss der Sammlung Goetz in München wird oben und unten von Fensterbändern gesäumt, durch die das Licht in die Ausstellungsräume fällt. Das Museum wurde 1992 von Herzog & de Meuron gebaut.

Das hölzerne Obergeschoss der Sammlung Goetz in München wird oben und unten von Fensterbändern gesäumt, durch die das Licht in die Ausstellungsräume fällt. Das Museum wurde 1992 von Herzog & de Meuron gebaut.

Dennis Gilbert / Imago

GOETZ COLLECTION/SAMMLUNG GOETZ, MUNICH, GERMANY, HERZOG & DE MEURON, EXTERIOR, STAIR

GOETZ COLLECTION/SAMMLUNG GOETZ, MUNICH, GERMANY, HERZOG & DE MEURON, EXTERIOR, STAIR

Imago

GOETZ COLLECTION/SAMMLUNG GOETZ, MUNICH, GERMANY, HERZOG & DE MEURON, INTERIOR, FIRST FLOOR GALLERY VIEW _ ARTIST: ANDREA ZITTEL

GOETZ COLLECTION/SAMMLUNG GOETZ, MUNICH, GERMANY, HERZOG & DE MEURON, INTERIOR, FIRST FLOOR GALLERY VIEW _ ARTIST: ANDREA ZITTEL

Dennis Gilbert / Imago

Blick in das Treppenhaus der Sammlung Goetz (links) und in den Ausstellungsraum (rechts).

Dennis Gilbert / ImagoImago

Ob Minimalismus oder neue Einfachheit der richtige Begriff für derartige Tendenzen der Schweizer Architektur ist, mag dahingestellt bleiben. Tatsache aber ist, dass der Minimalismus in der Kunst, etwa der eines Donald Judd, für Herzog & de Meuron eine wichtige Inspirationsquelle darstellte.

Ideale Ausstellungsräume

Von Gigon/Guyer stammt der dritte Ausstellungsbau, der 1992 von einem Schweizer Architekturbüro fertiggestellt wurde. Es ist unter den drei Projekten das programmatischste – und auch das mit der stärksten Nachwirkung. Denn es handelt sich nicht um ein für klar definierte Werkgruppen eines Bildhauers massgeschneidertes Gehäuse wie La Congiunta, nicht um ein Galeriegebäude wie die Sammlung Goetz in München, sondern um ein veritables Museum mit Räumen für Dauer- und Wechselausstellungen: das Kirchner-Museum in Davos.

Vier rechteckige, miteinander nicht verbundene Ausstellungssäle werden über ein gemeinsames Foyer erschlossen. Sichtbeton an Boden, Decken und Wänden bestimmt zusammen mit den grossflächigen Verglasungen, die Ausblicke auf Davos und die Hochgebirgslandschaft freigeben, das Foyer; Parkett, weisse Wände und gläserne Lichtdecken prägen die Museumssäle. Mit einem Saalmodell im Massstab 1:10 wurde seinerzeit die Belichtungslösung erprobt.

Die Lichtaufsätze, die sich auch an der Fassade ablesen lassen, wirken tagsüber transluzent und werden abends, wenn die künstliche Beleuchtung eingeschaltet ist, zu leuchtenden Laternen. Zu den Vorbildern von Gigon/Guyer zählen formal reduzierte Säle in Schweizer Museen, beispielsweise die des Kunsthauses Glarus von Hans Leuzinger aus den 1950er Jahren.

Wichtig ist aber auch der Bezug zu den Bauten von Rudolf Gaberel, dem lokalen Vertreter der klassischen Moderne. Gaberel war Pionier der Flachdacharchitektur, die im Bereich der Promenade in Davos zur Vermeidung von Dachlawinen baurechtlich vorgeschrieben ist. In der Empfangshalle des Bahnhofs Davos Platz entwickelte er ausserdem eine Oberlichtlösung, die dem Kirchner-Museum ähnlich ist.

Blick in die Ausstellungsräume des Kirchner-Museums in Davos. Das Haus wurde 1992 von den Architekten Annette Gigon und Mike Guyer gebaut.

Blick in die Ausstellungsräume des Kirchner-Museums in Davos. Das Haus wurde 1992 von den Architekten Annette Gigon und Mike Guyer gebaut.

Stephan Bösch

Kirchner Museum bei NachtBildlegende: Kirchner Musuem Davos

Kirchner Museum bei Nacht
Bildlegende: Kirchner Musuem Davos

Stephan Bösch

Die Ausstellungsräume des Kirchner Museums am Samstag (26.11.22) in Davos. Die Ausstellung zeigt anlässlich des 30jähiregen Bestehens des Museums das Werk der ArchitektInnen Annette Gigon & Mike Guyer. Foto: Stephan Bösch

Die Ausstellungsräume des Kirchner Museums am Samstag (26.11.22) in Davos. Die Ausstellung zeigt anlässlich des 30jähiregen Bestehens des Museums das Werk der ArchitektInnen Annette Gigon & Mike Guyer. Foto: Stephan Bösch

Stephan Bösch

Nachts werden die Lichtaufsätze zu leuchtenden Laternen (links). Die Ausstellungsräume werden von Oberlichtern beleuchtet (rechts).

Stephan Bösch

Gigon/Guyer ist das Kunststück gelungen, sich vom Kontext inspirieren zu lassen – und doch eine Interpretation zu finden, die für den Museumsbau der folgenden Jahrzehnte stilbildend wurde. Das Kunsthaus in Bregenz von Peter Zumthor oder die Tate Modern von Herzog & de Meuron in London: Ohne das Davoser Vorbild wären diese Museen kaum denkbar.

Obwohl dreissig Jahre alt, überzeugt das Museum noch heute wie zur Zeit seiner Eröffnung – auch wenn damals die Davoser sich erst damit anfreunden mussten. Dieses Museum ist im besten Sinne, da frei von modischen Attitüden, zeitlos. Gute, wohlproportionierte Räume für die Kunst mit einfachen und unprätentiösen Materialien, das war und ist das Thema.

Das Museum der Träume

Entscheidend für die Gesamtkonzeption war ein Vortrag des Künstlers Rémy Zaugg, den dieser am 1. Dezember 1986 im Kunstmuseum Basel hielt. Annette Gigon befand sich seinerzeit unter den Zuhörenden. Unter dem Titel «Das Kunstmuseum, das ich mir erträume, oder Der Ort des Werkes und des Menschen» umriss Zaugg, wie er sich die ideale architektonische Situation für ein Zusammentreffen von Kunstwerk und Mensch vorstellte.

Er thematisierte dabei architektonische Elemente wie Boden, Mauern und Decke, doch auch Licht, Materialität sowie die Proportionen und Anordnungen der Säle. Manche dieser Gedanken wurden bereits früher in Architekturkreisen diskutiert, doch Zaugg gelang es, diese Ideen erstmals konkret zu verdichten. Im Kern geht es darum, der Kunst ihre Autonomie zurückzugeben. So fordert Zaugg etwa, auf die klassischen Enfiladen der Museumsgalerien des 19. Jahrhunderts zu verzichten, weil diese mit der chronologischen Abfolge auch eine kunsthistorische Entwicklung suggerieren.

Er entwickelt alternativ ein schematisches Konzept, bei dem die Säle für die Kunst unverbunden und ohne hierarchische Ordnung in einen grösseren Raum eingestreut sind. Während die Ausstellungsräume sich introvertiert zeigen und die Konzentration auf das Werk ermöglichen, öffnen sich vom Bewegungsraum aus Fenster zur Umgebung, um das Museum mit der lebensweltlichen Wirklichkeit zu verbinden.

Zaugg selbst hatte zuvor mit Atelier 5 zusammengearbeitet, so 1983 bei der Erweiterung des Kunstmuseums Bern, eines der wenigen – und derzeit skandalöserweise vom Abriss bedrohten – Schweizer Museumsbauten der 1980er Jahre, und kurz darauf noch einmal für ein nicht realisiertes Museumsprojekt für die Sammlung Thyssen-Bornemisza. Doch nirgends wurden seine Postulate so paradigmatisch umgesetzt wie von Gigon/Guyer beim Kirchner-Museum. Inspiriert von ihm, aber ohne seine direkte Mitwirkung.

Nobilitierung des Alltäglichen

Revolutionär mutet das Museum auch aufgrund seiner komplett verglasten Fassade an, die allerdings nur teilweise Einblick in die Innenräume gewährt. Zum grösseren Teil ist hinter der gläsernen Hülle die für einen Betonbau nötige Einrichtung zur Wärmedämmung sichtbar. Annette Gigon, vor der Bürogründung mit Mike Guyer von 1985 bis 1988 bei Herzog & de Meuron tätig, hatte das Thema der nicht versteckten, sondern bewusst als Gestaltungselement eingesetzten Installation schon einmal 1987 bei einem Verwaltungsgebäude für den Pharmakonzern Sandoz vorgeschlagen, sich damit aber nicht durchsetzen können. Beim Kirchner-Museum war nun Gelegenheit dazu: Die in Kassetten verpackten Wärmedämmelemente scheinen durch die gläserne Fassadenhaut hindurch und bilden eine schimmernde horizontale Struktur in Kontrast zum vertikalen Raster der Glasplatten.

Auch an diesem Detail zeigt sich, in welchem Masse die Schweizer Architektur seinerzeit einen Gegenpol zur Form- und Materialwelt des postmodernen Museumsbaus darstellte. Einfache, selbstverständliche, alltägliche Werkstoffe rückten im hiesigen Bauschaffen – und im architektonischen Vokabular – verstärkt in den Vordergrund, wie unter anderem das Frühwerk von Herzog & de Meuron beweist. Sperrholz, Dachpappe oder Eternit wurden nicht mehr als minderwertige Baustoffe bewertet, sondern bewusst gegenüber massiveren, edleren und als dauerhafter konnotierten Materialien bevorzugt und damit nobilitiert.

Die drei Schweizer Museumsbauten des Jahres 1992 machen deutlich, wie auf je eigene Weise Alternativen sowohl zum bildungsbürgerlichen Museumskonzept klassischer Prägung als auch zum populären Formenspiel postmoderner Ausstellungsgebäude entwickelt wurden. Diese Werke hatten als architektonische Manifeste nachhaltigen Erfolg, nicht zuletzt im nördlichen Nachbarland, wo Schweizer Architekten im Museumsbau zahlreiche ikonische Bauten realisieren konnten.

2007 eröffnete das Diözesanmuseum Kolumba in Köln von Peter Zumthor. Meili Peter Architekten haben vor wenigen Jahren das Sprengel-Museum in Hannover erweitert, Herzog & de Meuron bauen derzeit das Museum der Moderne neben Mies van der Rohes Nationalgalerie in Berlin. Und vor wenigen Wochen wurde in Bottrop die Erweiterung des Josef-Albers-Museums eröffnet. Erneut ein kühn-nüchternes Ausstellungsgebäude von Gigon/Guyer, mittlerweile ihr vierzehntes.

Im Hirmer-Verlag erschien unlängst die Publikation «Gigon/Guyer: Kirchner Museum revisited».

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