Annie Ernaux gewinnt den Literatur-Nobelpreis

Der Nobelpreis für Literatur gilt als die prestigeträchtigste literarische Auszeichnung der Welt. Auf der sogenannten Longlist für den Preis standen in diesem Jahr 233 Kandidaten.

Sie ist die aktuelle Siegerin: Die 82-jährige Schriftstellerin Annie Ernaux.

Leonardo Cendamo / Getty

Die französische Schriftstellerin Annie Ernaux wird in diesem Jahr mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Das gab die Schwedische Akademie am Donnerstag in der Altstadt von Stockholm bekannt. Die 82-Jährige bekomme den Preis «für den Mut und die klinische Schärfe, mit der sie die Wurzeln, Entfremdungen und kollektiven Beschränkungen der persönlichen Erinnerung aufdeckt», sagte der Ständige Sekretär der Akademie, Mats Malm, bei der Bekanntgabe.

Ernaux glaube an die befreiende Kraft des Schreibens, hiess es von der Akademie. Sie schreibe kompromisslos und in klarer, sauberer Sprache. Mit grossem Mut und klinischer Schärfe offenbare sie die Qual der Klassenerfahrung und beschreibe unter anderem Scham, Demütigung und Eifersucht.

«Wir haben es noch nicht geschafft, Annie Ernaux telefonisch zu erreichen», merkte Malm bei der Bekanntgabe an. Sie erfuhr erst kurz darauf durch einen Anruf der schwedischen Nachrichtenagentur TT von der Auszeichnung, wie die Agentur berichtete. «Nein! Wirklich?» sagte sie nach TT-Angaben. «Ich habe heute Morgen gearbeitet und das Telefon hat die ganze Zeit geklingelt, aber ich bin nicht dran gegangen», sagte sie demnach und ergänzte: «Ich höre es jetzt die ganze Zeit klingeln.»

Im vergangenen Jahr war der Literaturnobelpreis an den bis dahin eher unbekannten tansanischen Schriftsteller Abdulrazak Gurnah gegangen. Er wurde «für sein kompromissloses und mitfühlendes Durchdringen der Auswirkungen des Kolonialismus und des Schicksals des Flüchtlings in der Kluft zwischen Kulturen und Kontinenten» geehrt. Im Jahr davor hatte die amerikanische Dichterin Louise Glück den Nobelpreis erhalten – auch sie galt vorab nicht als eine der zahlreichen Favoritinnen und Favoriten.

Ganz anders nun Ernaux: Die Französin wurde vor der Preisbekanntgabe von mehreren Literaturexperten zum engen Favoritenkreis gezählt. Der deutsche Literaturkritiker Denis Scheck hatte sie als seine grosse Favoritin auf dem Zettel gehabt. Es handle sich um einen «Festtag für die Literatur», sagte er am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Sowohl in ästhetischer als auch in politischer Hinsicht sei die diesjährige Entscheidung «eine beglückende Wahl».

Der Nobelpreis für Literatur gilt als die prestigeträchtigste literarische Auszeichnung der Welt. Auf der sogenannten Longlist für den Preis standen in diesem Jahr 233 Kandidaten – welche Namen darunter sind, wird alljährlich streng geheim gehalten.

Die Bekanntgabe des Literatur-Nobelpreises zum Nachschauen.

Nobel Prize / Youtbe

Die wichtigsten Informationen zum Nobelpreis

Die diesjährigen Nobelpreisverleihungen sind am Montag, dem 3. Oktober, mit der Vergabe des Medizinpreises gestartet, am Dienstag folgte die Vergabe des Physikpreises. Bis zum 10. Oktober werden täglich die Gewinner einer Kategorie bekanntgegeben. Am Mittwoch wird der Träger des Chemie-Preises benannt. Am Donnerstag und Freitag folgen die Bekanntgaben für den Literatur- und den Friedensnobelpreis. Am Montag darauf folgt der Nobelpreis für Wirtschaft.

Vom 3. bis zum 10. Oktober werden täglich die Gewinner einer Nobelpreis-Kategorie bekanntgegeben.

Vom 3. bis zum 10. Oktober werden täglich die Gewinner einer Nobelpreis-Kategorie bekanntgegeben.

Angela Weiss / AP

Folgende Gewinner sind bereits bekannt:

Nobelpreis für Chemie

Die Gewinner des Chemie-Nobelpreises 2022: Carolyn R. Bertozzi, Morten Meldal und K. Barry Sharpless.

Die Gewinner des Chemie-Nobelpreises 2022: Carolyn R. Bertozzi, Morten Meldal und K. Barry Sharpless.

Christine Olsson / Imago

Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an die Forscher Carolyn Bertozzi (USA), Morten Meldal (Dänemark) und Barry Sharpless (USA) für die Entwicklung von Methoden zum zielgerichteten Aufbau von Molekülen. Bertozzi ist die erste Frau, der in diesem Jahr ein Nobelpreis zugesprochen wurde. Sharpless hatte bereits 2001 einen Chemie-Nobelpreis erhalten.

Sharpless und Meldal haben laut dem Nobelkomitee die Grundlagen für die sogenannte «Klick-Chemie» gelegt. Sie teilen sich den Preis mit Bertozzi. Sie habe die «Klick-Chemie» in eine neue Dimension gebracht und begonnen, sie für die Kartierung von Zellen zu nutzen. Zudem habe sie sogenannte bioorthogonale Reaktionen erforscht. Das Konzept der «Klick-Chemie» ermöglicht es, schnell und zielgerichtet Moleküle aus kleineren Einheiten zu synthetisieren. «Klick-Chemie» kommt etwa bei der Entwicklung von Arzneimitteln, bei der Kartierung der DNA und bei der Herstellung von Materialien zum Einsatz, wie es hiess. Mithilfe bioorthogonaler Reaktionen haben Forscher etwa die Zielgenauigkeit von Krebsmedikamenten verbessert.

Die renommierteste Auszeichnung für Chemiker ist in diesem Jahr mit insgesamt zehn Millionen Kronen (rund 900 000 Franken) dotiert. Die feierliche Übergabe der Preise findet traditionsgemäss am 10. Dezember statt, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.

Seit 1901 wurde der Chemie-Nobelpreis an 187 verschiedene Forscher vergeben. Carolyn R. Bertozzi ist erst die achte Frau, die damit ausgezeichnet wird. Ebenfalls selten ist, dass ein Forscher den Preis bekommt, der bereits einen Nobelpreis erhalten hat: Barry Sharpless hält die Ehre nun aus den Jahren 2001 und 2022.

Die Bekanntgabe des Nobelpreises für Chemie im Live-Stream.

Nobel Prize / Youtube

Nobelpreis für Physik

Das Nobelpreiskomitee verkündet die Auszeichnung der drei Quantenphysiker Alain Aspect, John F. Clauser und Anton Zeilinger.

Das Nobelpreiskomitee verkündet die Auszeichnung der drei Quantenphysiker Alain Aspect, John F. Clauser und Anton Zeilinger.

Jonas Ekströmer/ Imago

Der diesjährige Nobelpreis für Physik geht an den Franzosen Alain Aspect, den Amerikaner John F. Clauser und den Österreicher Anton Zeilinger auf dem Gebiet der Quantenphysik. Die Forscher hätten bahnbrechende Experimente mit verschränkten Quantenzuständen durchgeführt, bei denen sich zwei Teilchen wie eine Einheit verhalten, auch wenn sie getrennt sind, teilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften mit. Die Ergebnisse hätten den Weg geebnet für neue, auf Quanteninformation basierende Technologien. Die bedeutendste Auszeichnung für Physiker ist in diesem Jahr mit insgesamt zehn Millionen Kronen (rund 906 000 Franken) dotiert.

Der Österreicher Anton Zeilinger zeigte sich nach der Bekanntgabe auf positive Weise fassungslos, dass er in diesem Jahr mit zwei weiteren Wissenschaftern den Nobelpreis erhält. «Ich bin immer noch irgendwie geschockt», sagte der 77-Jährige, als er telefonisch zur Preisbekanntgabe in Stockholm zugeschaltet wurde. Es handle sich aber definitiv um einen «positiven Schock». Gut eine Stunde vor der Verkündung hatte ihn die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in das Geheimnis eingeweiht, dass er zu den diesjährigen Preisträgern zählt. «Dieser Preis ist eine Ermutigung für junge Menschen», sagte er später.

Die Bekanntgabe der Gewinner des Physik-Nobelpreises zum Nachschauen im Stream.

Nobel Prize / Youtube

Nobelpreis für Medizin

Svante Pääbo posiert nach einer Pressekonferenz mit einem Neandertaler-Schädel.

Svante Pääbo posiert nach einer Pressekonferenz mit einem Neandertaler-Schädel.

Jens Schlueter / Getty

Wo kommen wir her? Und inwiefern sind wir anders als unsere Vorfahren? Der schwedische Evolutionsforscher Svante Pääbo hat seine Karriere diesen Fragen gewidmet und am Montagmittag für seine Forschung zur Evolution des Menschen und zu dessen ausgestorbenen Verwandten den Nobelpreis für Medizin erhalten.

Pääbo ist Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Zu seinen wesentlichen Forschungsergebnissen gehört die Erkenntnis, dass Erbgutspuren des Neandertalers noch heute in der DNA des Menschen zu finden sind – die beiden Arten hatten sich in ihrer gemeinsamen Zeit auf der Erde untereinander vermehrt.

«Die Frage, woher wir kommen und was uns einzigartig macht, beschäftigt die Menschheit von alters her», schreibt das Nobelkomitee in seiner Begründung für die Vergabe. Pääbos Arbeiten zur Aufdeckung genetischer Merkmale, die alle lebenden Menschen von den ausgestorbenen Homininen unterscheiden, bilden nach Ansicht des Komitees die Grundlage für die Beantwortung dieser Fragen.

Pääbo hatte sich bereits früh in seiner wissenschaftlichen Karriere mit der Möglichkeit beschäftigt, DNA von Neandertalern zu untersuchen. Das Problem: DNA ist ein recht instabiles Molekül und zerfällt im Laufe der Zeit in immer kleinere Bruchstücke. Dennoch gelang es dem Forscher, Erbgut des Neandertalers aus alten Knochenfragmenten zu isolieren und zu analysieren. Damit legte er die Basis für einen neuen Wissenschaftszweig: die Paläogenetik, also eine Art Kombination aus Archäologie und Genetik.

2010 stellte er eine erste Version des Neandertaler-Genoms vor. Vergleiche mit dem Erbgut des modernen Menschen zeigten unter anderem, dass bei Menschen mit europäischer oder asiatischer Herkunft etwa 1 bis 4 Prozent des Genoms auf den Neandertaler zurückgehen. Homo sapiens und Homo neandertalensis mussten also Kinder miteinander gezeugt haben – eine bahnbrechende Erkenntnis.

Ein weiterer Meilenstein seiner Karriere war die Entdeckung des sogenannten Denisova-Menschen. 2008 war ein kleines, 40 000 Jahre altes Fingerknochenfragment in der Denisova-Höhle in Sibirien gefunden worden. Untersuchungen zeigten, dass sich die DNA-Sequenz des Menschen von jener des Neandertalers und jener des modernen Menschen unterschied – eine weitere Frühmenschen-Art war entdeckt. Auch Spuren vom Erbgut des Denisova-Menschen finden sich im Erbgut des modernen Menschen. Zuerst sei dies bei Menschen aus Melanesien und anderen Teilen Südostasiens erkannt worden, wie das Nobelkomitee schreibt. Die Erbgutspuren unserer ausgestorbenen Verwandten beeinflussen bis heute die Gesundheit des Menschen. So gebe es etwa Neandertaler-Gene, die auf die Immunantwort bei verschiedenen Infektionen wirkten, so das Nobelkomitee.

Medienkonferenz zur Preisverleihung des Nobelpreis für Medizin 2022.

Alfred Nobel (1833 bis 1896) war ein schwedischer Chemiker, der durch die Erfindung des Dynamits und anderer Sprengstoffe zu einem der reichsten Männer seiner Zeit wurde. Ein Jahr vor seinem Tod beschloss der kinderlose Industrielle, sein Vermögen von 31 Millionen schwedischen Kronen (das entspräche einer heutigen Kaufkraft von 160 Millionen Franken) zu stiften. In seinem Testament verfügte er, dass «die jährlichen Zinsen als Preise denen zugeteilt werden, die im verflossenen Jahr der Menschheit den grössten Nutzen gebracht haben».

Nobel bestimmte, die Zinserträge gleichmässig auf fünf Bereiche aufzuteilen: Physik, Chemie, Physiologie bzw. Medizin, Literatur und Frieden. Der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften wurde erst 1968 von der Schwedischen Nationalbank gestiftet und 1969 zum ersten Mal verliehen. Bis heute gibt es Kontroversen darüber, ob das im Sinne Alfred Nobels war. Dieser hatte angeblich eine Abneigung gegen die Wirtschaftswissenschaften und zweifelte an ihrem Nutzen für die Gesellschaft.

Was Nobel dazu bewogen hat, sein Geld zu stiften, ist nicht überliefert. Manche mutmassen, der Unternehmer sei vom schlechten Gewissen geplagt worden und habe der Menschheit etwas Gutes tun wollen. Andere machen den Einfluss der österreichischen Pazifistin Bertha von Suttner geltend, die kurzzeitig als Privatsekretärin für Nobel arbeitete. Das allein kann es aber nicht gewesen sein. Vermutlich hatte Nobel zudem das Bedürfnis, den Wissenschaften, denen er als Chemiker so viel zu verdanken hatte, etwas zurückzugeben.

Das Preisgeld beträgt derzeit 10 Millionen schwedische Kronen pro Kategorie. Das entspricht knapp 900 000 Schweizerfranken. Zusätzlich erhalten die Preisträger eine Medaille aus Gold mit dem Konterfei Alfred Nobels und eine Urkunde. Während der Literaturnobelpreis in der Regel an eine einzelne Person verliehen wird, gibt es in den anderen Kategorien bis zu drei Preisträger. Diese müssen sich das Preisgeld teilen. Reich wird man durch den Nobelpreis also nicht, zumal das Preisgeld in den meisten Ländern versteuert werden muss.

Wer den Nobelpreis erhält, entscheidet nicht die Nobelstiftung (Nobel Foundation), sondern je nach Preis verschiedene Institutionen:

  • Frieden: das Norwegische Nobelkomitee, bestehend aus fünf Personen, die vom norwegischen Parlament ernannt wurden.
  • Literatur: die Schwedische Akademie, eine Institution zur Förderung der schwedischen Sprache und Literatur.
  • Physiologie oder Medizin: das Karolinska-Institut in Schweden, eine der grössten medizinischen Universitäten Europas.
  • Physik, Chemie und Wirtschaft: die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften. Die Institution fördert vor allem Naturwissenschaften und Mathematik.

Innerhalb dieser Institutionen gibt es die Nobelkomitees, also Arbeitskreise, die sich mit der Auswahl befassen. Diese holen im Laufe des Jahres Fachgutachten ein, treffen sich in Meetings und Referenzgruppen und streichen die Liste der Kandidaten nach und nach zusammen. Die Nobelpreiskomitees schlagen schliesslich ihre Kandidaten vor, die endgültige Entscheidung wird dann aber von einer grösseren Versammlung getroffen. Diese setzt sich bei den Preisen für Physik, Chemie und Literatur aus Mitgliedern der gesamten Akademie zusammen. Das für den Friedenspreis zuständige Norwegische Nobelkomitee hat einen besonderen Status, weil es gleichzeitig der vorschlagende Arbeitskreis sowie das Gremium ist, das den Nobelpreis verleiht. Wer übrigens nominiert wurde und den Preis doch nicht bekam, erfährt das nur noch mit Glück: Die Nobelstiftung gibt ihre Unterlagen erst fünfzig Jahre nach einer Preisverleihung frei.

Gemessen am Preisgeld gibt es heute bedeutendere Preise als den Nobelpreis. Am lukrativsten ist der Breakthrough-Preis, der in den Kategorien Grundlagenphysik, Lebenswissenschaften und Mathematik vergeben wird. Jeder Preisträger erhält ein Preisgeld von 3 Millionen Dollar. Der Preis wurde 2012 von dem israelischen Unternehmer Yuri Milner und seiner Frau Julia gestiftet. Die Gewinner werden von ehemaligen Laureaten ausgewählt. Im Gegensatz zum Nobelpreis erfolgt die Auswahl in einem öffentlichen Prozess.

Obwohl der Breakthrough-Preis manchmal – vor allen von seinen Stiftern – als Nobelpreis des 21. Jahrhunderts bezeichnet wird, ist er in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mit dem Nobelpreis vergleichbar. Das gilt auch für andere hochkarätige Auszeichnungen wie den Lasker-, den Wolf-, den Kavli- oder den Körber-Preis. Nicht umsonst wird immer wieder erwähnt, wie oft einer dieser Preisträger später den Nobelpreis erhalten hat. Dieser ist nach wie vor der einzige Preis, der die Karriere eines Forschers komplett auf den Kopf stellen kann – im Guten wie im Schlechten.

Um den Nobelpreis und seinen Stifter ranken sich viele Legenden. Eine lautet, die russische Mathematikerin Sofia Kowalewskaja sei der Grund dafür, dass es keinen Nobelpreis für Mathematik gebe. Alfred Nobel soll der weltweit ersten Professorin für Mathematik angeblich Avancen gemacht haben. Diese sei jedoch eine Liaison mit dem schwedischen Mathematiker Gösta Mittag-Leffler eingegangen, den Nobel nicht mochte.

Der Wahrheitsgehalt dieser Legende ist nicht belegt. Wahrscheinlicher ist, dass Nobel die Mathematik nicht bedachte, weil sie in seinen Augen nicht dem Kriterium genügte, dem Wohle der Menschheit zu dienen. Die Mathematiker muss das nicht grämen. Mit der Fields-Medaille und dem Abel-Preis gibt es inzwischen zwei dem Nobelpreis ebenbürtige Auszeichnungen.

Das ist möglich, passiert aber nur selten. In der mehr als hundertjährigen Geschichte gab es bisher nur vier Personen, die den Nobelpreis zweimal gewonnen haben: Marie Curie, Linus Pauling, John Bardeen und Frederick Sanger. Während Curie (Physik und Chemie) und Pauling (Chemie und Frieden) in zwei verschiedenen Kategorien ausgezeichnet wurden, erhielt Bardeen zweimal den Physik- und Sanger zweimal den Chemie-Nobelpreis. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz wurde für seine Friedensbemühungen sogar dreimal mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Im Unterschied zu den anderen Nobelpreisen kann der Friedensnobelpreis nicht nur an Einzelpersonen, sondern auch an Institutionen verliehen werden.

Zwischen 1901 und 2021 wurden 609 Nobelpreise an 947 Laureaten und 28 Organisation verliehen. Die jüngste Preisträgerin ist Malala Yousafzai. Sie war 17 Jahre alt, als sie 2014 für ihren Einsatz für Kinderrechte den Friedensnobelpreis erhielt. Der älteste Preisträger ist John B. Goodenough. Er wurde 2019 im Alter von 97 Jahren mit dem Chemienobelpreis ausgezeichnet und bestätigte damit einen Trend: Mit Ausnahme der Friedensnobelpreisträger werden die Laureaten immer älter. Ihr Durchschnittsalter liegt bei weit über 60 Jahren.

Woran das liegt, ist unklar. Eine Erklärung lautet, dass es heute immer weniger nobelpreiswürdige Entdeckungen gebe und man deshalb in der Vergangenheit wühlen müsse, um Preisträger zu finden. Wahrscheinlicher ist jedoch eine andere Erklärung. Heute gibt es viel mehr Wissenschafter und Literaten als zu Beginn des 20. Jahrhunderts, so dass es bei der Vergabe der Nobelpreise einen Stau gibt.

Das Alter ist nicht die einzige Schlagseite, die der Nobelpreis hat. Bisher gibt es nur 59 Preisträgerinnen. Ihre Zahl entspricht damit ungefähr der Zahl der männlichen Laureaten über 80 Jahre. Wenn das geflügelte Wort von den alten weissen Männern irgendwo Sinn ergibt, dann hier.

Dass die Entscheidungen des Nobelpreiskomitees regelmässig kritisiert werden, liegt in der Natur der Sache. Meist ist es nicht das Thema, an dem Kritik laut wird, sondern die Auswahl der Preisträger. Da höchstens drei Personen pro Bereich ausgezeichnet werden können, gibt es immer jemanden, der sich übergangen fühlt. Tatsächlich gab es in der Vergangenheit einige krasse Fehlentscheidungen. So versteht heute niemand mehr, warum 1962 Francis Crick und James Watson für die Strukturaufklärung der DNA ausgezeichnet wurden, während die Biochemikerin Rosalind Franklin leer ausging. Erst sie hatte ihre beiden männlichen Kollegen auf die richtige Spur gebracht. Sie ist nicht die einzige Frau, die übergangen wurde.

Ein anderer Vorwurf lautet, dass manche Entdeckungen viel zu spät gewürdigt werden. Das widerspricht der Vorgabe Alfred Nobels, jene auszuzeichnen, die der Menschheit im vergangenen Jahr den grössten Nutzen gebracht haben. Diese Kritik ist allerdings zweischneidig. Denn der Nutzen von Grundlagenforschung zeigt sich oft erst Jahrzehnte später. Als die Physiker William Shockley, John Bardeen und Walter Brattain im Jahr 1947 den Transistor erfanden, ahnte wohl niemand, welche Revolution sie damit auslösten.

Umgekehrt gilt: Man kann Nobelpreise auch zu früh verleihen. So ging der Friedensnobelpreis in der Vergangenheit wiederholt an Personen, bei denen man die Entscheidung im Nachhinein noch einmal überdenken würde. Die schärfste Kritik richtete sich in den letzten Jahren gegen den Literaturnobelpreis. Durch die Auszeichnung von Schriftstellern, die kaum jemand kenne, verabschiede sich der Preis in die Bedeutungslosigkeit, so die Kritiker.

Mitarbeit: Gioia da Silva, Christian Speicher, Alan Niederer, Roman Bucheli. Mit Agenturmaterial

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