Atomprogramm hat Ursprung in Deutschland und der Schweiz

Derzeit wird in Wien über das umstrittene Atomprogramm Irans verhandelt. Das Projekt wurde bereits Mitte der 1980er Jahre lanciert. Wichtige Grundlagen lieferten deutsche und Schweizer Unternehmen. Selbst ausländische Geheimdienstoperationen hielten sie nicht davon ab.

Auf die Lieferanten für das pakistanische Atomprogramm von A. Q. Khan wurden Sprengstoffanschläge verübt, und sie erhielten Drohungen per Telefon.

Illustration Joana Kelén / NZZ; Bilder Imago, Keystone, AP

Der Startschuss für Irans Atomprogramm, das seit vielen Jahren die Weltpolitik umtreibt, erfolgte 1987 in Zürich. In einem Hotel trafen sich eine Delegation der iranischen Organisation für Atomenergie und einige europäische Vertreter aus dem Netzwerk des pakistanischen Wissenschafters Abdul Qadeer (A. Q.) Khan. In seiner Heimat sollte Khan später als «Vater der ersten islamischen Atombombe» gefeiert werden.

Die iranische Delegation war unter der Leitung des Maschineningenieurs Masud Naraghi in die Schweiz gereist. Naraghi hatte in den USA promoviert und vorübergehend für die Weltraumbehörde Nasa gearbeitet. Auf der anderen Seite des Verhandlungstischs sassen für das Netzwerk von A. Q. Khan unter anderen zwei deutsche Ingenieure, Gotthard Lerch und Heinz Mebus.

Die erstaunliche Nähe von Firmen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz zum iranischen Atomprogramm ist relativ gut erforscht. Neue, bis anhin nicht bekannte Dokumente aus Archiven in Bern und in Washington schärfen dieses Bild.

Von Pakistan profitiert

Irans Atomprogramm ist eng verbunden mit jenem Pakistans. Der Gottesstaat profitierte von der Aufbauarbeit Khans, die dieser zuvor über viele Jahre hinweg geleistet hatte. Pakistan startete sein eigenes Atomwaffenprogramm bereits 1974, kurz nachdem das verfeindete Indien nahe der pakistanischen Grenze erstmals einen atomaren Sprengkopf gezündet hatte.

Damals eilte Pakistan der Ruf voraus, mit eigenen Mitteln nicht einmal eine Haarnadel herstellen zu können. Für das industriell unterentwickelte Land kam A. Q. Khan deshalb wie gerufen. Auf sein Know-how und sein Netzwerk von europäischen Lieferanten konnten sich die wechselnden pakistanischen Machthaber mehr als zwei Jahrzehnte lang verlassen. Khan, der im vergangenen Oktober im Alter von 85 Jahren gestorben ist, war mit einer Niederländerin verheiratet. In jungen Jahren hatte er in Deutschland und in den Niederlanden studiert. Einige Studienkollegen gehörten später zu seinem berüchtigten Netzwerk, das mit der Proliferation von Nukleartechnik Geschäfte machte: Es vermittelte und verkaufte Bestandteile für die Herstellung einer Atombombe.

Handel mit gestohlenen Plänen

Die spezifischen Kenntnisse für die Nukleartechnologie hatte sich Khan nach dem Studium beim Urenco-Konsortium angeeignet. Urenco steht für Uranium Enrichment Company – das Unternehmen mit Sitz im niederländischen Almelo betreibt bis heute Urananreicherung für die zivile Nutzung. Dazu reicht es, den Anteil des leicht spaltbaren Uran-Isotops 235, der bei Natururan bloss rund 0,7 Prozent beträgt, auf 2,5 Prozent zu erhöhen. Dafür werden zumeist Gas-Ultrazentrifugen eingesetzt. Für die Verwendung in einer Atombombe muss der Anreicherungsgrad auf mindestens 90 Prozent erhöht werden. Das Verfahren dazu ist aber grundsätzlich dasselbe. Derzeit verfügt Iran über 60-prozentig angereichertes Uran.

Nach seinem Abstecher bei Urenco kehrte Khan 1975 in seine Heimat zurück. Er bot Premierminister Zulfikar Ali Bhutto an, die Leitung für das heimische Atomwaffenprogramm zu übernehmen. Im Gepäck hatte er nicht nur Pläne für die Herstellung von Zentrifugen, die er bei seinem früheren Arbeitgeber herausgeschmuggelt hatte. Khan kannte auch all die Lieferanten, welche die Bestandteile für die hochpräzisen Apparaturen ganz legal an Urenco lieferten.

Viele dieser Lieferanten, vorwiegend aus Deutschland und der Schweiz, gingen bald millionenschwere Geschäfte mit Pakistan ein: Leybold-Heraeus, Wälischmiller, Cora Engineering Chur, Vakuum-Apparate-Technik (VAT, mit dem Chefeinkäufer Friedrich Tinner) oder die Metallwerke Buchs, um nur einige zu nennen. Sie profitierten von einem wichtigen Umstand: Die deutschen und die Schweizer Behörden legten ihre Dual-Use-Bestimmungen sehr grosszügig aus: Die meisten Bestandteile, die es für die Urananreicherung braucht, zum Beispiel hochpräzise Vakuumventile, werden vorwiegend für zivile Zwecke verwendet.

Nicht mehr unislamisch

Dass Mitte der achtziger Jahre auch Iran begann, sein Atomprogramm zu forcieren, hängt wesentlich mit dem damaligen Krieg gegen den Irak zusammen. Noch 1979 hatte der Revolutionsführer Ayatollah Khomeiny die Nutzung von Atomkraft für unislamisch erklärt. Doch das sollte sich bald ändern, angesichts eines verlustreichen Stellungskriegs, bei dem der irakische Diktator Saddam Hussein auch vor dem Gebrauch von chemischen Waffen nicht zurückschreckte. In der begründeten Annahme, dass der Irak die Entwicklung einer eigenen Atombombe plante, war Iran entschlossen, gleich lange Spiesse zu schaffen.

Zeitlich fiel dieser Entscheid mit einer Änderung von A. Q. Khans Geschäftsmodell zusammen: Statt all die Apparaturen und Gerätschaften, die es zum Bau der Zentrifugen braucht, einzig nach Pakistan zu importieren, wollte Khan fortan auch ins Exportgeschäft einsteigen. So konnte man Synergien schaffen, und finanziell war es lukrativ.

«Starterkit» für den Bau einer Atombombe

Wenige Monate nach dem ersten Treffen in Zürich verhandelten 1987 die neuen Geschäftspartner ein zweites Mal, diesmal in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Bei diesem klandestinen Meeting boten die Vertreter des Khan-Netzwerkes der iranischen Delegation eine Art «Starterkit» an. Es umfasste alles, was es zur Herstellung von hochangereichertem Uran braucht. Doch nach stundenlangen Beratungen zeigte sich die iranische Delegation wählerisch – sie verzichtete auf das All-inclusive-Angebot.

Stattdessen kaufte sie einzig Kopien der gestohlenen Baupläne für die Gas-Ultrazentrifugen aus der Schmiede von Urenco. Die Teile dafür hingegen wollten sich die Iraner auf dem freien Markt beschaffen, in der Hoffnung, sie seien dort etwas günstiger zu haben. Der Preis, den Iran für die Urenco-Pläne bezahlt hat, variiert in der einschlägigen Literatur (siehe Fussnote) zwischen 5 und 10 Millionen Dollar. Anhand der Bauanleitung entstanden Zentrifugen der ersten Generation. Der Typ IR-1 wird bis heute eingesetzt. Allerdings verfügt Iran inzwischen auch über neue, deutlich leistungsfähigere Zentrifugen, die das Uran um ein Mehrfaches schneller anreichern.

Mehrere Millionen Dollar sollen schliesslich ins St. Galler Rheintal geflossen sein: zum einen an Gotthard Lerch, der hier nach seinem Abgang bei Leybold-Heraeus ein eigenes Unternehmen gegründet hatte; zum andern an Friedrich Tinner, der inzwischen selbständig arbeitete, nachdem er sich mit seinem früheren Arbeitgeber VAT wegen der Pakistan-Geschäfte zerstritten hatte.

Das Dilemma der USA

Die rege Geschäftstätigkeit mit proliferationsrelevanten Gütern blieb den westlichen Nachrichtendiensten nicht verborgen. Doch im Fall von Pakistan befanden sich insbesondere die USA in einem Dilemma. Indien befand sich im Einflussbereich der Sowjetunion, deshalb wollten die USA Pakistan nicht als strategischen Partner verlieren. Als sowjetische Truppen 1979 in Afghanistan einmarschierten, waren die Amerikaner erst recht auf Pakistan angewiesen – damit sie mit dessen Hilfe die afghanischen Mujahedin in ihrem Kampf gegen die Sowjettruppen unterstützen konnten.

Um das seit je schwierige Verhältnis zur Regierung in Islamabad nicht weiter zu belasten, verzichtete die Administration von Präsident Jimmy Carter auf eine direkte Intervention. Statt die Atomanlagen in Pakistan zu bombardieren, sollte das Übel an der Wurzel bekämpft werden – bei den europäischen Lieferanten, vornehmlich in Deutschland und in der Schweiz. Kürzlich hat das National Security Archive, eine private Dokumentationsstelle in Washington, Akten veröffentlicht mit diplomatischen Vorstössen, die das State Department 1980 in Bonn und in Bern einbrachte.

Daraus geht hervor, wie sich die USA über den lockeren Umgang der beiden Länder mit den heiklen Lieferungen nach Pakistan ärgerten. In der Notiz eines Mitarbeiters wurde Berns Verhalten als «hands-off approach» bezeichnet – den hiesigen Behörden wurde also sinngemäss vorgeworfen, beide Augen zuzudrücken. In den jetzt freigegebenen, früher als geheim klassifizierten Depeschen sind erstmals jene Unternehmen aufgelistet, die von den USA bezichtigt wurden, mit ihren Lieferungen das pakistanische Atomwaffenprogramm zu unterstützen. Aus Deutschland und der Schweiz waren in der Liste je rund ein halbes Dutzend Firmen aufgeführt.

Anschläge und Drohungen

Wenige Monate nach der erfolglosen Intervention des amerikanischen Aussenministeriums in Bonn und Bern verübten unbekannte Täter auf drei dieser Firmen Sprengstoffanschläge: am 20. Februar 1981 auf das Haus eines führenden Mitarbeiters der Cora Engineering Chur, am 18. Mai 1981 auf das Fabrikgebäude der Firma Wälischmiller in Markdorf und schliesslich, am 6. November 1981, auf das Ingenieurbüro von Heinz Mebus in Erlangen. Bei allen drei Anschlägen kam es lediglich zu Sachschaden, getötet wurde einzig der Hund von Mebus.

Begleitet wurden die Sprengstoffanschläge von mehreren Telefonanrufen, bei denen Unbekannte weiteren Lieferfirmen auf Englisch oder in gebrochenem Deutsch drohten. Manchmal befahl der Anrufer, die Drohungen auf Band aufzunehmen. «Der Anschlag, den wir gegen die Firma Wälischmiller verübt haben, kann auch Ihnen passieren» – so wurde etwa das Sekretariat von Leybold-Heraeus eingeschüchtert. Siegfried Schertler, der damalige Inhaber von VAT, und sein Chefverkäufer Tinner wurden mehrmals auf ihren privaten Anschlüssen angerufen. Gegenüber der schweizerischen Bundespolizei gab Schertler zudem zu Protokoll, dass der israelische Geheimdienst mit ihm Kontakt aufgenommen habe. Das geht aus den Ermittlungsakten hervor, welche die NZZ erstmals einsehen konnte.

Hinweise auf einen Geheimdienst

Die Vermutung, dass hinter den Anschlägen und Drohungen der Mossad stecken könnte, kam schon bald auf. Für Israel stellte die Aussicht, dass mit Pakistan erstmals ein islamischer Staat über eine Atombombe verfügen könnte, eine existenzielle Bedrohung dar.

Offiziell bekannte sich aber eine Organisation zu den Anschlägen, die zuvor noch nie in Erscheinung getreten war – die «Organization for the non-proliferation of nuclear weapons in South Asia». Danach hörte man nie mehr etwas von ihr. Der Inhalt einzelner Drohungen setzte ein Insiderwissen voraus, das fast nur nachrichtendienstlich erworben sein konnte.

Aufhorchen lassen schliesslich die Schilderungen von Siegfried Schertler, die er für die Ermittlungsbehörden schriftlich protokollierte. Darin schildert der VAT-Chef, wie ein Mitarbeiter der israelischen Botschaft in Deutschland, der sich «Mr. David» nannte, mit ihm Kontakt aufgenommen habe. Bei einem persönlichen Treffen in der Botschaft in Bonn und später bei mehreren Telefonaten riet ihm «Mr. David», dafür zu sorgen, dass VAT «dieses Geschäft» aufgebe und stattdessen ins Textilgeschäft wechsle.

Für den Zeithistoriker und Nachrichtendienst-Experten Adrian Hänni ist eine Beteiligung des Mossad wahrscheinlich. Zwar fehle für den abschliessenden Beweis eine «smoking gun», die Anschläge trügen aber eine geheimdienstliche Handschrift. Auffällig sei etwa die Übereinstimmung mit dem Strickmuster einer Serie von Sprengstoffanschlägen, die der israelische Geheimdienst in den zwei Jahren zuvor in Westeuropa ausgeführt habe, im Zusammenhang mit dem irakischen Atomprogramm, sagt Hänni.

Während VAT die Lieferungen an Khan schon früh eingestellt hatte, liessen sich andere Protagonisten selbst von den Anschlägen und Drohungen nicht davon abbringen. Zumeist auf eigene Faust hielten sie am lukrativen Proliferationsgeschäft mit Pakistan und Iran fest, später auch mit Nordkorea und Libyen. Es sollte noch rund zwei Jahrzehnte dauern, ehe beispielsweise Lerch und Tinner strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen wurden. Mebus war schon zuvor eines natürlichen Todes gestorben.

Masud Naraghi, der 1987 die iranische Delegation in Zürich angeführt hatte, reiste einige Jahre später erneut in die Schweiz. Diesmal war die amerikanische Botschaft in Bern sein Ziel. Ihm wurde erlaubt, mit seiner Familie in die USA auszureisen – nicht als Asylbewerber, sondern als Informant der CIA. Seither dürfte der amerikanische Auslandgeheimdienst genauestens informiert sein über die Anfänge des iranischen Atomprogramms. Doch im Gegensatz zu den Akten des State Department sind jene der CIA noch weitestgehend geschlossen.

David Albright: Peddling Peril. Free Press, New York 2010; Gordon Corera: Shopping for Bombs. Oxford University Press, New York 2006; Egmont R. Koch: «Der Physiker der Mullahs», ARD, 2007.

Die Atomverhandlungen mit Iran drohen zu scheitern

A. R. Die Atomgespräche in Wien zwischen Abgesandten aus Iran, Europa, China und Russland sind festgefahren. Berlin, Paris und London sprechen inzwischen offen von einem möglichen Scheitern. Die europäische Dreiergruppe ist enttäuscht darüber, dass Iran seine Verhandlungsposition gegenüber früher verschärft hat. Die Europäer hatten gehofft, dass man auf der Basis eines im Juni ausgearbeiteten Entwurfs rasch zu einer Einigung über die Wiederbelebung des Atomabkommens von 2015 kommen könnte. Aus diesem waren die USA 2018 unter Präsident Trump ausgestiegen. Gleichzeitig wurden gegen Iran harte Sanktionen verhängt. Neben der EU strebt auch Präsident Biden eine Rückkehr zum alten Abkommen an. Doch die neue iranische Regierung verlangt umfangreiche Änderungen des Entwurfs vom Juni. Mit einem schnellen Durchbruch ist weniger denn je zu rechnen. Die iranische Seite lehnt auch weiterhin Direktgespräche mit den USA ab. Die Verhandlungen mit den übrigen Staaten sollen hingegen fortgeführt werden.

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