Beat Feuz will sich auf die Highlights konzentrieren

Auch mit bald 36 Jahren ist Beat Feuz noch hungrig nach Erfolg. Er möchte sich in der kommenden Saison mehr auf die Highlights konzentrieren und sagt, die Fähigkeit, besonders gefühlvoll zu rasen, sei ihm nicht in die Wiege gelegt worden – er habe sie sich wegen der schweren Verletzungen aneignen müssen.

«Es gab eine Art Wow-Effekt»: Beat Feuz über die Folgen seines Olympiasieges an den Spielen von Peking.

Goran Basic / NZZ

Beat Feuz, Sie hatten fast neun Monate Zeit, den Olympiasieg sacken zu lassen. Was bedeutet er mit der Distanz? Hat er an Wichtigkeit gewonnen?

In gewisser Weise ist das so. Eigentlich hat er fast von dem Moment an, wo er feststand, an Bedeutung gewonnen. Vorher versuchte ich, dem nicht zu viel Gewicht zu geben. Aber Olympische Spiele sind speziell, vor allem aus internationaler Sicht ragt dieser Titel heraus. Es gibt Länder wie die USA, in denen fast nur das zählt. Bei uns ist es nicht ganz so, aber wenn ich im Ausland bin, spüre ich, dass ich als Olympiasieger anders wahrgenommen werde.

Franz Klammer sagte in einem Interview mit der NZZ, ohne diesen Titel wären Sie bloss ein sehr guter Abfahrer gewesen, durch ihn seien Sie herausragend. Nehmen Sie das auch so wahr?

Bei den Leuten im Dorf und in der weiteren Umgebung war das im Frühling schon spürbar, es gab eine Art Wow-Effekt. Ich glaube, das verpufft wieder, weil die Leute merken, dass sich im Grunde nichts ändert. Aber ich kann mir vorstellen, dass der Titel nach meiner Karriere wieder an Bedeutung gewinnt, wenn das grosse Bild zählt.

Die Siegesfahrt von Beat Feuz in Peking.

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Für einen jungen Athleten kann ein Titel auch wirtschaftlich einen grossen Sprung bedeuten. Sie sind schon lange erfolgreich. Haben Sie trotzdem noch einmal viele zusätzliche Sponsoren gewonnen?

Sicher bringt ein Olympiasieg wirtschaftlichen Nutzen. Es gibt verschiedene Optionen, aber bei einer neuen Partnerschaft müssen für mich diverse Faktoren zusammenpassen. Deshalb steht für mich die Anzahl Sponsoren nicht im Vordergrund. Ich war in jungen Jahren schon erfolgreich und hätte Chancen gehabt, das im grossen Stil zu nutzen, aber ich habe damals bewusst nicht alles wahrgenommen. An dieser Einstellung ändert sich auch mit 35 Jahren nichts.

Aber Sie brauchen diese Einnahmequelle doch auch?

Sicher sind Sponsoren sehr wichtig, ich lebe ja auch von diesem Geld. Aber ich gehöre nicht zu den Leuten, die Woche für Woche Auftritte haben müssen. Ich versuche, langfristige Partnerschaften mit Firmen einzugehen, die sehr gut zu mir passen.

Wie sehr müssen Sie sich davor schützen, sich nicht zu verzetteln?

Ich bin nicht der Typ, der zu allem Ja sagt. Deshalb gibt es immer wieder Anfragen, bei denen wir uns gar nicht gross auf Gespräche einlassen. Wenn etwas zu mir passt, schaue ich es genauer an. Aber ich glaube nicht, dass ich mich deshalb verzetteln würde.

Sie gruppieren die Termine?

Wenn es irgendwie geht, absolviere ich meine Verpflichtungen in Blöcken. Das halte ich schon seit Jahren so. Dafür gibt es dann auch Phasen, in denen ich meine Ruhe habe und die Familie geniessen kann. Damit bin ich bisher sehr gut gefahren.

Im Winter sind Sie oft nur zwischen den Rennen kurz zu Hause. Ist der Sommer für Sie auch eine Art Papizeit?

Ich geniesse die Zeit mit den Kindern und der Familie sehr. Im Sommer flog ich auch nicht nach Südamerika, sondern blieb hier und wartete, bis wir eine Woche gutes Wetter hatten, dann ging ich auf die Ski. Ich versuche, diese Trainings so kompakt wie möglich zu gestalten, damit ich keine Zeit mit dem Hin- und Herfahren verliere.

Und zu Hause sind Sie 24 Stunden am Tag für Ihre Kinder ansprechbar?

Nicht gerade 24 Stunden, ich mache auch noch Konditionstraining. Ich wechsle mich mit meiner Partnerin ab und schaue, dass ich möglichst viel Zeit für die Kinder habe.

Wie sehr geniessen das die Kinder?

Katrin verbringt auch viel Zeit mit ihnen, und wir achten darauf, dass die ganze Familie oft zusammen ist. Ich glaube, die Kinder schätzen das sehr.

Ihre ältere Tochter Clea hat das Mami schon im vergangenen Winter gefragt, wann der Papi endlich pensioniert werde. Machen es solche Momente schwieriger, im Winter ständig unterwegs zu sein?

Sie hat das schon ein-, zweimal gefragt. Wenn ich einen Termin hatte oder im Sommer auf den Ski war, hat sie auch schon wissen wollen, ob ich nicht einmal einen Tag frei nehmen könne. Ich sagte: «Frei habe ich, wenn ich zu Hause bin.» Solche kindlichen Fragen sind lieb, aber sie machen es nicht einfacher, die Koffer zu packen und zu verreisen.

Der Saisonstart findet wie üblich in Lake Louise statt, die für Ende Oktober in Zermatt geplanten Rennen mussten wie einige andere wegen der hohen Temperaturen abgesagt werden. Gibt Ihnen das zu denken?

Grundsätzlich schon. Das hat weniger mit der Momentaufnahme zu tun, denn es gab auch früher schon Absagen, weil es im Dezember zu warm war. Aber es zeigt sich deutlich, in welche Richtung sich das Klima entwickelt. Das ist nicht gut für uns Rennfahrer.

Bestreiten Sie eine aussterbende Sportart?

Ich bin nicht sicher, ob man von Aussterben reden kann, denn es gibt ja im Winter immer noch viel Schnee. Bei mir im Emmental waren die letzten zwei, drei Winter ausserordentlich gut. Aber es scheint, dass sich der Zyklus verändert. Den Herbst gibt es fast nicht mehr, es ist eher ein langer Sommer, und die Winter werden kürzer. Man muss sich wohl irgendwann fragen, ob es nicht sinnvoll wäre, die Saison später zu starten und weiter in den Frühling hineinzuziehen. Denn es gibt immer Orte, wo man Ende März oder Anfang April noch sehr gut fahren kann.

Der Skirennsport leidet offensichtlich unter dem Klimawandel, aber gleichzeitig jettet der Tross um die Welt. Wenn im Sommer nicht auf den Schweizer Gletschern trainiert werden kann, weicht man nach Südamerika aus – ist das nicht absurd?

Ich könnte jetzt auf klimaneutral machen und sagen, ich sei nicht in Südamerika gewesen . . .

. . . aus ökologischen Gründen?

Nein, das hatte andere Gründe. Ich glaube, es ist nicht die Aufgabe von uns Athleten, Reisereglemente oder Ähnliches zu entwerfen. Die Rahmenbedingungen werden von den Verbänden festgelegt. Wir müssen schauen, dass wir so schnell wie möglich vom Start ins Ziel kommen.

Was waren denn die Gründe, dass Sie in Europa blieben?

Die Familie spielte eine wichtige Rolle, ich wollte nicht im Sommer drei, vier Wochen am Stück weg sein. Der zweite Grund ist mein Körper, auf den ich nach all meinen Verletzungen Rücksicht nehmen muss. Ich war oft genug in Südamerika, und ich musste mehr als einmal vorzeitig zurückfliegen, weil ich mich verletzt hatte. Irgendwann geht man in so langen Trainingskursen mehr ans Limit, weil man sich besser fühlt und allmählich schnell wird.

Diese Gefahr besteht in Europa nicht?

Daheim auf dem Gletscher kann ich alles so einteilen, dass es für mich stimmt. Ich brauche im Sommer auch nicht extrem viele Skitage, und ich muss nicht so an die Grenzen gehen, wie das vor zehn Jahren noch der Fall war. Der wichtigste Block für mich ist jener vor den Rennen in Lake Louise und Beaver Creek. Das Ziel ist, dass ich wieder topfit bin, wenn ich zurück nach Europa komme.

Waren Sie allein in Zermatt, während die Kollegen in Südamerika trainierten?

Swiss Ski hatte immer geplant, dass ein Trainer hierbleibt, um sich um Fahrer zu kümmern, die von Verletzungen zurückkehren. Er war dann auch für mich da. Den ersten Kurs habe ich gemeinsam mit Mauro Caviezel absolviert, im zweiten bin ich mit Urs Kryenbühl gefahren. Danach war ich mehr mit den Schweizer Abfahrerinnen unterwegs. Ihr Coach Roland Platzer hat früher auch mich trainiert.

Die Saisonvorbereitung war offensichtlich gut. Trotzdem haben Sie kürzlich gesagt, dass Sie eher nicht um die Disziplinenwertung fahren, sondern sich auf einzelne Highlights konzentrieren werden. Warum?

Ursprünglich waren vierzehn Abfahrten geplant, und das ist wirklich viel. Mein Körper war in den vergangenen Jahren schon bei acht bis zehn Abfahrten oft am Limit. Nach der Absage der Matterhorn-Rennen fangen wir wieder in Lake Louise an. Ob man eine Kristallkugel anvisieren kann, zeichnet sich ohnehin erst im Verlauf des Winters ab. Darüber können wir nach Kitzbühel diskutieren.

Spielt es auch eine Rolle, dass Sie alles gewonnen haben, was ein Abfahrer gewinnen kann, und unbewusst nicht mehr bereit sind, in jedem Rennen mit vollem Risiko zu fahren?

Wichtiger ist wohl, dass ich bald 36-jährig bin. Es gibt jüngere Athleten wie Aleksander Kilde, das sind Draufgänger. Also muss ich versuchen, die Chancen da zu nutzen, wo es geht. Und dort, wo es nicht geht, sollte ich es nicht übertreiben. In den Jahren, in denen ich spürte, dass ich eine Chance hatte, um eine Kugel zu kämpfen, ging ich auch auf jenen Strecken ans Limit, die mir nicht unbedingt zusagten.

Franz Klammer bezeichnete Beat Feuz einmal als Schneestreichler. Der Weg dorthin war allerdings qualvoll.

Franz Klammer bezeichnete Beat Feuz einmal als Schneestreichler. Der Weg dorthin war allerdings qualvoll.

Christian Hartmann / Reuters

Wenn Sie sich nun tatsächlich auf die grossen Rennen konzentrieren – welche sind das für Sie?

Für mich sind das seit Jahren Wengen und Kitzbühel. Ich versuche immer, die Form auf diese Rennen aufzubauen, das war auch in den Jahren so, in denen ich die Kugeln gewann. Ich fuhr selten irgendwo besser Ski als in Wengen und Kitzbühel.

Franz Klammer hat gesagt, Sie hätten die Gabe, in entscheidenden Momenten voll an die Grenze zu gehen und es trotzdem sehr sicher aussehen zu lassen. Wie machen Sie das?

Der wichtigste Grund ist wohl, dass ich sehr zentral auf den Ski stehe, ich liege selten nach hinten, nach vorne oder zu stark in die Kurve. Dadurch spare ich Energie, die ich gegen Ende des Rennens brauchen kann. Diese Stabilität lässt vieles selbstverständlich oder einfach aussehen – aber für mich selber ist es ganz und gar nicht einfach. Beim Fahren brodelt es gewaltig in mir.

Franz Klammer hat Sie auch als Schneestreichler bezeichnet. Hatten Sie diese Gabe schon immer?

Das würde ich nicht sagen. Als Junger war ich kein herausragender Abfahrer, ich schaffte es teilweise nicht einmal, mich im Europacup teamintern für die Rennen zu qualifizieren. Ich kam aus dem Slalom, und das hat nichts mit Schneestreicheln zu tun. Ich denke, ich habe diese Fähigkeit wegen der Verletzungen entwickelt.

Das widerspricht der Ansicht vieler Experten, dass man dieses gefühlvolle Fahren nicht lernen könne.

Viele kommen halt nie in die Situation, in der es heisst: Lerne es, oder du bist weg! Ich hätte nicht mehr Ski fahren können, wenn ich das nicht hinbekommen hätte. Gewisse Positionen, die ich früher einnahm, waren nicht mehr möglich. Ich musste mich adaptieren, und es musste auch funktionieren. Das hat es bei mir, und das hat nicht nur mit Fleiss zu tun, ich hatte auch Glück.

Wie wichtig ist Ihnen auf der Tour das Drumherum, die Teamkollegen und der soziale Austausch?

Das ist immer gut, ich möchte nicht allein hin und her reisen. Ein Leben, wie es die Tennisspieler führen, könnte ich mir nicht vorstellen. Ich bin froh, wenn ich am Nachmittag einmal mit den Kollegen spielen oder einfach quatschen kann.

Haben Sie beim Jassen die Kollegen so gut im Griff, dass Sie an den Schweizer Meisterschaften im Jassen teilnehmen mussten, um richtige Gegner zu finden?

Irgendwann habe ich in einer Werbung gesehen, dass es das gibt. Also habe ich mich angemeldet und im Oktober täglich meine zwei Partien gespielt. Das macht man online, und man spielt gegen einen Computer. Am zweiten Tag habe ich mich gleich für den Halbfinal qualifiziert. Aber dort bin ich im hinteren Feld gelandet. Der Final wäre ein richtiges Turnier gegen echte Spieler gewesen.

Bleiben wir noch bei den Kollegen: Marc Gisin hat während der Olympischen Spiele gesagt, wenn man mit Ihnen das Zimmer teile, müsse man sicher nie Hunger leiden. Reisen Sie immer mit einem Koffer voller Fressalien an?

Nein, nein, so ist es schon nicht. Aber wenn ich wusste, dass ich mit Marc zusammen sein würde, nahm ich immer einen Snack mit. Er hatte eine riesige Freude, wenn es etwas war, das er nicht kannte. Es hat sich dann eingebürgert, dass ich in Österreich etwas suchte, das man in der Schweiz nicht unbedingt kennt.

Sie stehen kurz vor dem Saisonstart. Wenn Ihre Tochter Clea diesen Winter wieder fragt, wann Sie sich pensionieren lassen – bekommt sie dann eine konkrete Antwort?

Wir haben uns eigentlich schon geeinigt. Ich habe sie einmal gefragt, wie lange ich noch Ski fahren soll, bevor ich in Pension gehe. Sie sagte: «Ja, noch so vier Jahre.» Clea kann noch nicht so ganz einschätzen, was das bedeutet, also sagte ich ihr, das sei schon noch lange. Das Datum ist also noch offen.

Der Trophäensammler

reg. · Beat Feuz ist der beste und erfolgreichste Abfahrer der Gegenwart: Er wurde 2017 Weltmeister und 2022 Olympiasieger, zwischen 2018 und 2021 gewann er viermal in Serie die Weltcup-Wertung in der Königsdisziplin. Auf seinen Lieblingsstrecken in Wengen und Kitzbühel triumphierte er je dreimal. Der 35-Jährige lebt mit seiner Freundin Katrin Triendl in der Nähe von Innsbruck; die beiden haben zwei Töchter.

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