“Er hat dir vor Entsetzen in den Bauch geschlagen”: das Genie von Christian Boltanski

Der große französische Konzeptkünstler, der mit 76 Jahren gestorben ist, war das Gewissen der zeitgenössischen Kunst. Seine Denkmäler für Gräueltaten waren riesig und allumfassend und erweckten uns zum Leiden anderer

Christian Boltanski erregte erstmals 1995 meine Aufmerksamkeit, als ich eine US-Nachrichtensendung sah. Unter den Morden und Verwüstungen befand sich eine Geschichte über einen Künstler, der Tausende von verlorenen Gegenständen in der New Yorker Grand Central Station ausstellte. Es war neu, weil es seltsam war – die Verwendung von alltäglichen Dingen, unverändert, war damals noch ungewöhnlich in der Kunst, ganz zu schweigen von der schieren Größe der Installation an einem so öffentlichen Ort.

Aber jenseits der Sensation war es herzzerreißend. In welcher privaten Krise hat jemand seinen Football-Helm, seine Bibel zurückgelassen? Und das war noch nicht alles. Diese einstigen Besitztümer von Unbekannten, diese Unmengen von Reliquien, die in einem belebten Bahnhof zur Besichtigung bereitgelegt wurden, ähnelten den Kleidern und Schuhen der im Holocaust ermordeten Millionen.

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