Instabilität hält ein geschwächtes Europa fest, da globale Raubtiere Blut riechen | Simon Tisdall

Tritt Europa in ein gefährliches neues Zeitalter der Instabilität ein? Seit dem Höhepunkt des Kalten Krieges mit der Sowjetunion sah es nicht mehr so ​​anfällig für feindliche Kräfte aus.

Die Zunahme externer Bedrohungen und interner Spaltungen, gepaart mit einem schwächer werdenden US-Sicherheitsbündnis, einer unnachgiebigen Subversion Russlands und dem machthungrigen Chinas Krieg gegen westliche Werte offenbaren grundlegende strategische Schwächen.

Europa gleicht zunehmend einer belagerten demokratischen Insel in einer anarchischen Welt, in der eine zunehmende Flut von Autoritarismus, Straflosigkeit und internationalen Regelbrüchen sie zu überschwemmen droht. Einige europäische Staats- und Regierungschefs verstehen dies, insbesondere der französische Präsident Emmanuel Macron, doch langfristige politische Abhilfemaßnahmen entziehen sich ihnen. So ist beispielsweise der Einsatz von Migranten durch den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko, um Druck auf die EU auszuüben, unverschämt.

Aber es funktionierte in dem Sinne, dass Deutschlands Übergangskanzlerin Angela Merkel ihn zu einem Gespräch anrief und damit seine Isolation nach dem Putsch beendete. Ihre einseitige Demarche verständlicherweise wütende baltische Staaten. Es war ein Zugeständnis an einen Schläger, keine dauerhafte Lösung.

Karte von Europa, Russland und Nachbarstaaten

Apropos Schläger: Die anhaltende Einschüchterung der Ukraine durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin riskiert eine Ausweitung der Feuersbrunst. Der jüngste Grenzaufbau von 90.000 russischen Soldaten könnte ein Säbelrasseln sein, ähnlich den Provokationen im Donbas und am Schwarzen Meer im vergangenen Frühjahr. Wenn nicht, ist Europa selbst schuld. Putins Aufdringlichkeiten ergeben sich direkt aus seiner de facto Duldung seiner illegalen Annexion der Krim im Jahr 2014.

Die Instabilität an der Peripherie Europas erstreckt sich bis auf den Balkan, da begründete Befürchtungen, dass Bosnien-Herzegowina 26 Jahre nach den Friedensabkommen von Dayton wieder in den Konflikt zurückfällt, befürchten.

Der wiederauflebende ethnische Nationalismus, verkörpert durch den separatistischen Führer der bosnischen Serben, Milorad Dodik, wird von Belgrad und Moskau angeheizt. Ein größeres strategisches Problem ist die Unfähigkeit der EU Versprechen einlösen einer engeren Integration mit der Region.

Auch Europas Beziehungen zur Türkei, einem wichtigen Torwächter, sind dysfunktional, auch dank Recep Tayyip Erdoğan, ihrem zutiefst unangenehmen Präsidenten. Als er letztes Jahr die EU-Mitglieder Griechenland und Zypern bedrohte, schickte Macron Seestreitkräfte ins östliche Mittelmeer. Der Rest Europas saß auf seinen Händen.

Erdoğan mischt sich auch in die Ukraine und den Aserbaidschan-Armenien-Konflikt ein wieder aufgeflammt letzte Woche. Doch Brüssel bezahlt ihn dafür, Flüchtlinge aus dem Nahen Osten fernzuhalten, also wagt es kaum, ihn herauszufordern.

Bei dem lasterähnlichen Kreislauf der Instabilität, der Europa erdrückt, geht es um mehr als einen tatsächlichen oder potentiellen bewaffneten Konflikt. Eines seiner größeren Dilemmata ist die Migration. Trotz der syrischen Flüchtlingskrise 2015 fehlt der EU noch immer eine abgestimmte, humane Politik. Das garantiert mehr Ärger auf der Straße. Ironischerweise einer der Hauptverweigerer, ist Polen, die Migrantenquoten ablehnt. Doch angesichts des Grenzchaos riefen seine heuchlerischen rechten Führer, die wie Ungarns Viktor Orbán in einem erbitterten Kampf mit Brüssel über Rechtsstaatlichkeit und Demokratiefragen stehen, zur EU-Solidarität auf.

Beunruhigend ist auch die Art und Weise, wie viele europäische Meinungen illegale Pushbacks und routinemäßige Misshandlungen von Asylsuchenden, sei es in Lagern in Libyen oder an den Stränden Griechenlands, unter Verstoß gegen EU-Recht akzeptiert haben. Dies spiegelt eine weitere selbst zugefügte Wunde wider: den zunehmenden Einfluss fremdenfeindlicher Rechtspopulisten und die Re-Normalisierung der ultranationalistischen Politik von ca. 1914 in ganz Europa.

Wenn die Europäer in einer von Donald Trump-Klonen und Nachahmern überrannten Welt nicht für westliche demokratische Werte eintreten, wer dann? Leider können sie nicht nach Großbritannien schauen. Das Vereinigte Königreich unter Boris Johnson ist kein vertrauenswürdiger Freund mehr. Großbritannien ist irritierender als Verbündeter.

Verteidigungsminister Ben Wallace nutzte die damit verbundene Krise zwischen Weißrussland und der Ukraine in der vergangenen Woche, um die Brexit-Agenda voranzutreiben und Waffengeschäfte mit Warschau und Kiew zu besiegeln. Bezeichnenderweise schickte Großbritannien Truppen an die polnische Grenze, keine humanitäre Hilfe.

Das Zeitalter der Instabilität in Europa ist auch auf Ereignisse zurückzuführen, die sich seiner Kontrolle entziehen. Nur wenige sagen voraus, dass Trump versuchen würde, das zu sprengen, was Franklin D. Roosevelt das „Arsenal der Demokratie“ nannte, und die westliche Allianz damit. Vielleicht versucht er es noch einmal.

Ebenso wenig vorhergesagt, wie Merkel gibt jetzt zu, dass China als solch ein dominierender, wirtschaftlich aggressiver, antidemokratischer globaler Konkurrent hervortreten würde.

US-Präsident Joe Biden versichert den Europäern, dass die Nato auch nach Afghanistan so wichtig wie eh und je sei. Aber sein kantiger Videogipfel mit dem Chinesen Xi Jinping letzte Woche hat gezeigt, wo sein wahrer Fokus liegt.

Putin sieht das und riecht Blut. Europas Gasversorgung ist ein Druckpunkt. Verdeckte Cyberangriffe sind eine andere. Russlands rücksichtsloser Anti-Satelliten-Raketentest, der europäische Sicherheitsbedenken verachtete, war der erste aufgezeichnete Rowdytum im Weltraum.

Die Unfähigkeit Europas, Putin einen hohen Preis für die Aggression in Georgien und der Krim zahlen zu lassen, seine Dezimierung der russischen Demokratie, seine Einmischung in ausländische Wahlen und seine mörderischen Angriffe auf Alexei Nawalny – und andere Gegner auf europäischem Boden – verstärken das Gefühl des Niedergangs.

In China gibt es keine Einheitsfront. Eine solche Schwäche ermutigt andere Raubtiere. Was ist also zu tun?

Europa ist wie immer ein geteiltes Haus. Osteuropäer vertrauen weiterhin eher auf Washington als auf Brüssel, trotz klarer Vorzeichen eines weiteren transatlantischen Bruchs, wenn die Demokraten 2024 das Weiße Haus verlieren.

Die EU-Bürokratie ist schwach geführt, ihr Parlament zahnlos. Deutschland fehlt ein bewährter Führer. In Frankreich steht Macron gegenüber eine grausame Frühjahrswahl Schrott gegen die von Russland unterstützte extreme Rechte.

Doch Macrons Vorstellungen von einer verbesserten politischen, sicherheitspolitischen und militärischen „strategischen Autonomie“ Europas und einer stärkeren, finanziell und wirtschaftlich stärker integrierten EU bieten den hoffnungsvollsten Weg nach vorne.

EU-Verteidigungsminister letzte Woche diskutiert ein „Strategischer Kompass“-Plan um die gemeinsamen Fähigkeiten zu stärken. Aber eine Einigung über vorgeschlagene „Schnelleinsatzkräfte“ und dergleichen scheint in weiter Ferne zu liegen.

Werden andere Staats- und Regierungschefs diesen kritischen Moment anerkennen und Macron unterstützen, während sich Frankreich auf die Übernahme der EU-Präsidentschaft vorbereitet? In einer Welt voller Haie, Schlangen und gruseliger Monster stehen Europas Unabhängigkeit, Zusammenhalt und Werte auf dem Spiel wie nie zuvor.

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