The Guardian-Ansicht zu Europas Covid-Protesten: Mit Vorsicht behandeln | Redaktion

EINWährend die vierte Welle von Covid-19-Infektionen die Intensivstationen in Krankenhäusern von Brüssel bis Berlin zu überwältigen droht, klingen die europäischen Regierungen sowohl verärgert als auch ängstlich. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat am Montag die Herausforderungen des kommenden Winters als Weckruf demonstriert. Bis zum Frühjahr, warnte Spahn, sei die überwiegende Mehrheit der Deutschen „geimpft, geheilt oder tot“. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte wies gewalttätige Demonstranten gegen die Beschränkungen des ungejabbed als „Idioten“ ab, während sein belgischer Amtskollege Alexander De Croo sagte, dass ähnliche Szenen in Brüssel „absolut inakzeptabel“ seien.

Die Kommentare von Herrn Rutte und Herrn De Croo bezogen sich ausdrücklich auf die gewalttätigen Randgruppen, die Demonstrationen in der belgischen Hauptstadt und in Rotterdam entführten. Unter den politischen Führern in Westeuropa herrscht jedoch ein allgemeineres Gefühl der Frustration: Während der erwartete Herbstaufschwung ordnungsgemäß eintrifft, verschärft eine bedeutende Minderheit der Bürger die Krise, indem sie sich weigert, sich impfen zu lassen. Der Umgang mit dieser Bevölkerungsgruppe, die nach einer Infektion mit viel größerer Wahrscheinlichkeit eine Krankenhausbehandlung benötigt, ist zu einem großen politischen Dilemma für Regierungen geworden, die versuchen, die bürgerlichen Freiheiten mit der Notwendigkeit zu verbinden, die Interessen der gesamten Gesellschaft zu schützen.

Dies ist ein tückisches Terrain für jede liberale Demokratie. Die sich entwickelnde politische Reaktion bestand darin, die Aktivitäten der Ungeimpften in Form von Covid-Pässen und -beschränkungen schrittweise zu unterdrücken. Diese werden nun verschärft. In Belgien ist für das Betreten von Cafés, Restaurants und Nachtclubs ein Impfnachweis oder ein negativer Test erforderlich, und die Impfung für Pflegepersonal ist zur Pflicht geworden. In Deutschland ähnlich Einschränkungen werden in Staaten mit einer hohen Rate an Krankenhausaufenthalten im Zusammenhang mit Covid eingeführt. Der Chef des Robert-Koch-Instituts – der Seuchenbekämpfungsbehörde des Landes – hat genannt dass die Impfraten dringend von 68 % auf deutlich über 75 % angehoben werden müssen, um eine ausgewachsene Krise zu vermeiden.

Dies sind angesichts exponentiell steigender Infektionsraten und steigender Sterberaten verständliche und vertretbare Maßnahmen. Dennoch müssen die Regierungen bei der Auferlegung außerordentlicher Vorsicht walten lassen. Sie sollten vermeiden, dem Beispiel Österreichs zu folgen, das vergangene Woche eine Impfpflicht ab Februar angekündigt hatte. Wie die Weltgesundheitsorganisation am Dienstag betonte, ist ein „Impfstoff plus“-Ansatz notwendig, der die Bedeutung von sozialer Distanzierung und dem Tragen von Masken für alle Bürger betont. Und während libertäre Argumente das Bedürfnis nach sozialer Solidarität im Kontext einer Pandemie nicht übertrumpfen dürfen, muss die formale Diskriminierung der Ungeimpften durch stärkere Informations-, Überzeugungs- und Hörversuche für die Zurückhaltenden und Skeptiker ergänzt werden.

Dies gilt insbesondere für Bevölkerungsgruppen, in denen das Vertrauen in die Regierung auf einem historischen Tiefstand liegt und ein Gefühl der bürgerlichen Entmündigung bereits weit verbreitet ist. Eine zweistufige Covid-Gesellschaft wird, wenn sie für einen sinnvollen Zeitraum bestehen bleibt, ein Geschenk an rechtsextreme Parteien, die nach fruchtbarem Boden suchen. Österreichs Freiheitliche Partei, kürzlich beschädigt durch a Korruptionsskandal das seine Popularität einbrechen musste, nutzt Proteste gegen Impfungen als Mittel zur Rehabilitation. In Deutschland wird derzeit heftig darüber diskutiert, ob eine Umstellung auf eine Impfpflicht gegen die verfassungsmäßig Recht auf „körperliche Unversehrtheit“. In Berlin und anderswo ist es wichtig, dass ein konsensualer Weg gefunden wird.

source site-31