The Guardian-Sicht auf das deutsche Wahlergebnis: Verhandlungen über eine neue Ära | Redaktion

Eine SPD-geführte Koalition wäre im besten Interesse des Landes, aber nach einem Ergebnis auf Messers Schneide gibt es keine Garantie dafür, dass sie zustande kommt

Vor weniger als zwei Jahren lag die deutsche Sozialdemokratie in den Umfragen bei 11% und schien eine sterbende politische Kraft zu sein. Die auf Messers Schneide stehende Bundestagswahl am Sonntag, bei der die SPD mit 26% der Stimmen knapp an der Spitze lag, ist daher eines der unwahrscheinlicheren politischen Comebacks der letzten Zeit. Es ist auch eine persönliche Rechtfertigung für Olaf Scholz, den Kanzlerkandidaten der Partei. Als die SPD auf einem schlechten dritten Platz hinter CDU/CSU und Grünen landete, wurde die Überzeugung von Herrn Scholz, den Spitzenposten noch erobern zu können, als Fantasiepolitik des Vertreters einer Partei auf dem Weg zur nirgends. Aber als seine Rivalen während einer Achterbahn-Kampagne immer unfallanfälliger wurden, wurde der Vorschlag von Herrn Scholz, er sei das sicherste Paar, um Deutschland über die Merkel-Ära hinaus zu führen, immer plausibler.

Ob er die Chance dazu bekommt, ist noch offen und wird es wohl noch einige Zeit bleiben. Die Wahlen haben eine fragmentarische politische Landschaft mit einem nahezu perfekten Kräfteverhältnis zwischen links und rechts geschaffen. Gezüchtigt nach dem schlechtesten Abschneiden ihrer Geschichte schloss die CDU dennoch nur zwei Prozentpunkte hinter der SPD ab. Und während die Grünen mit dem dritten Platz ihr bestes Ergebnis aller Zeiten erzielten, wird ihr Einfluss bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen fast von der wirtschaftsliberalen FDP erreicht, die sich gegen Steuererhöhungen ausspricht und sich für die Wiederherstellung der während der Pandemie gelockerten Schuldenbeschränkungen einsetzt. Vorverhandlungen zwischen diesen beiden „Königsmachern“ werden dabei helfen zu entscheiden, ob die künftige Koalition nach links oder rechts kippt. Sicher ist derzeit nur, dass Deutschland erstmals seit den 1950er Jahren von einer Dreiparteienkoalition regiert wird.

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