Top 10 Romane über Nachkriegsdeutschland | Fiktion

MIhre Mutter weigerte sich mit ihrer Kriegskindheit, deutschen Boden zu betreten. Aber 1975 ging es für mich nach Berlin. Am Flughafen nahm sie die goldene Jungfrau Maria von ihrem Hals und legte sie mir um. Bis dahin war mein Leben von einer „Großbritannien-hat-den-Krieg-gewonnen“-Geschichte umhüllt. Mit der Zeit würde ich Romanautor werden und lernen, den Roman als Gegenerzählung zur Geschichte der Gesellschaft zu sehen. Im Moment habe ich Material gesammelt.

Wie ist Deutschland mit seinem Kriegserbe umgegangen? Ich meldete mich bei einem alten Mann im NS-Kriegsverbrecherregister an, fand Arbeit, unternahm Ausflüge über die Berliner Mauer hinaus in die kommunistische Ostzone. Diese Erfahrungen trieben meinen Debütroman von 1992 an Auf gebeugten Knien. Und begann eine lebenslange Untersuchung, wie die Schuld und die Traumata des Krieges an nachfolgende Generationen weitergegeben werden.

Damals fand ich wenige Bücher von Deutschen, die sich mit ihrem jüngsten Erbe auseinandersetzen: Diese Nation, die zwei Weltkriege verloren, den Völkermord industrialisiert und nach 1945 in zwei Teile gespalten war. 1950 versuchte es Heinrich Böll mit seinem ersten Roman Der stumme Engel, der in den unmittelbaren Nachkriegsruinen spielt von Köln. Seine Verleger hielten die Öffentlichkeit für eine solche Selbstprüfung noch nicht bereit und blieben bis nach Bölls Tod unveröffentlicht. Deutschland hatte Kriegsprozesse, aber keinen „Wahrheits- und Versöhnungsprozess“, weil es die Millionen vernichtete, mit denen es sich hätte versöhnen können.

Dreißig Jahre später, als On Bended Knees in seiner Jubiläumsausgabe neu aufgelegt wird, habe ich das Feld überprüft. Es ist gewachsen. Mehrere Bücher auf dieser Liste nehmen die Perspektive eines Kindes ein, mit der Frage „Was wussten meine Ältesten?“. Antworten bleiben verborgen. Einige Älteste waren an den Schrecken des Krieges mitschuldig, andere schwemmten in der Flut von Flüchtlingen, die vor den russischen Streitkräften flohen, nach Westen. Ausländische Schriftsteller schlossen sich der Mischung an, denn die Geschichte bietet Romanautoren kein härteres Terrain zum Erkunden. Angesichts der Neupositionierung Großbritanniens nach dem Brexit und Russlands Krieg gegen die Ukraine sind diese Romane so aktuell wie eh und je.

1. Der Eine vom Anderen von Philip Kerr (2006)
1949 lässt sich Bernie Gunther als Privatdetektiv in München wieder nieder. Im True-Noir-Modus schickt ihn eine Femme Fatale auf Verbrecherjagd – aber Bernie hat seine eigene SS-Geschichte und stellt bald fest, dass er der Gejagte ist. Wer ist in diesem Deutschland Verbündeter, wer Feind – und wie unterscheidet man das eine vom anderen?

2. Lost von Hans-Ulrich Treichel (1999)
Der Bruder des Erzählers ging als Baby verloren, während eines Flüchtlingsfluges vor herannahenden russischen Truppen in die Arme eines Fremden gestoßen. Der Erzähler weiß, dass seine eigene Geburt weniger als ein Trostpreis war. Seine Eltern sehnen sich nach ihrem Arnold, der vielleicht gefunden wurde. Die Bürokratie greift. Die Schiefe der Stimme des aufgesetzten Erzählers birgt Überraschungen, die mich schockiert zum Lachen bringen.

3. Schweben in der Palme meiner Mutter von Ursula Hegi (1990)
Im letzten Kriegsjahr geboren, wächst Hanna in einer Kleinstadt am Rhein auf. Mit 12 Jahren beginnt sie eine ernsthafte Erkundung ihrer Stadt, indem sie die Hintergrundgeschichten ihrer Bewohner enträtselt und errät. Kriegsgeister tauchen in diesem Patchwork aus Leben auf, aber es sind Erinnerungen an die Überschwemmungen in der Region und an häusliche Familiendramen, die diesen totalen Charmeur dominieren.

4. Billard um halb zehn von Heinrich Böll (1959)
Als ein Septembertag im Jahr 1958 auf eine Party zum 80. Geburtstag zurollt, entfaltet sich die Geschichte durch die Reflexionen der verschiedenen Charaktere. Drei Generationen von Architekten und Menschen in ihrem Kreis blicken zurück auf den Aufstieg und die Zerstörung einer Abtei im 20. Jahrhundert, auf verlorene Leben, auf diejenigen, die von der Nazimacht angelockt wurden, und auf diejenigen, die sich widersetzten. Ein meisterhafter, detailreicher Versöhnungsroman. An sich Bölls Nobelpreis wert.

Schuld und Freude … Kate Winslet und David Kross im Film „Der Vorleser“ von 2008. Foto: Weinstein Co/Kobal/Shutterstock

5. Der Vorleser von Bernhard Schlink (1995)
Der 15-jährige Michael wird von Hanna, Mitte 30, verführt. Glücklich gibt er sich hin. Wurde er missbraucht? Warum fühlt er sich schuldig? Sie verschwindet, um sechs Jahre später bei einem Kriegsprozess aufzutauchen, den Michael beobachtet. Sie war eine Lagerwache, die am Tod von Hunderten schuld war. Er nimmt eine entfernte Beziehung wieder auf, als sie im Gefängnis ist, und liest Bücher in Kassetten für das, was er jetzt als Analphabetin Hanna erkennt. Schuld und Vergnügen umranken Generationen mit ihrem teilweise untersuchten Leben.

6. Der Spion, der aus der Kälte kam von John le Carré (1963)
Alec Leamas wird von der Leitung der britischen Spionageoperationen in Berlin zurückgeholt, überlistet von seinem ostdeutschen Amtskollegen. „Control“, sein britischer Chef, bereitet ihm seine Rückkehr vor. In einer Verschwörung voller Doppelkreuze und einer Stadt, in der jegliches Vertrauen verloren ist, wird Leamas seiner Identität beraubt und muss sich eine wahre formen. Dieses neue Modell für den Spionageroman fühlt sich von Albert Camus beeinflusst und untersucht die Sinnlosigkeit einer moralisch bankrotten Welt.

7. Du hättest mich vermisst von Birgit Vanderbeke (2016)
Unser Erzähler ist sieben. Im Alter von fünf Jahren wurde sie von ihrer Mutter aus der DDR gerissen und floh in den Westen. Das Zuhause wird zum Flüchtlingslager und das Mädchen freut sich, in der Menge Gesellschaft zu finden. Der soziale Aufstieg ihrer Eltern bedeutet, die Menschen, die sie liebt, hinter sich zu lassen. Stattdessen erzählt sie Geschichten. Basierend auf der Kindheit des Autors in den 1960er Jahren.

8. Das Deutsche Haus von Annette Hess (2018)
Im Frankfurt der 1960er Jahre ist Eva hin- und hergerissen. In ihren späten 20ern möchte ihr Verlobter, dass sie die vorbildliche Hausfrau für den Haushalt wird. Sie ist fest entschlossen, als Übersetzerin für Polen in den laufenden Prozessen gegen Nazis zu arbeiten, die jetzt aufrichtige Bürger sind, die für die Schrecken von Auschwitz verantwortlich sind. Sie ist sich neu bewusst, dass Gräueltaten verborgen wurden, und stellt fest, dass sich die Schuld auf alle ausbreitet, die sie kennt. Dieser Roman verbindet geschickt die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit einer Familie und einer Nation, eine Romanze und die Suche einer Frau nach Selbstidentität.

9. Besuch von Jenny Erpenbeck (2008)
Ein Haus am östlichen Stadtrand von Berlin wird durch die Mieter und Eigentümer gesehen, die es vor der Flucht zu ihrem Zuhause gemacht haben. Dazu gehören seine jüdischen Besitzer und der Architekt, der es zu einem reduzierten Preis kauft, wenn sie vor der Unterdrückung durch die Nazis fliehen, die wiederum vor der Annäherung russischer Truppen flieht. Erpenbeck bringt ihr eigenes ostdeutsches Erbe in die Darstellung der Schriftstellerin und ihrer Familie ein, die als nächstes einziehen und sich mit der neuen Bedeutung des Eigentums im kommunistischen Staat auseinandersetzen. Bis sogar dieser Schriftsteller dazu gebracht wird, weiterzumachen.

10. Hier in Berlin von Cristina Garcia (2017)
The Visitor, verwandt mit dem kubanisch-amerikanischen Autor, verbringt Monate des Jahres 2013 in Berlin. Sie bringt Fragen mit sich wie „Was hat der Krieg immer geboten, um sein Überleben zu sichern?“. Kann dieses Deutschland des 21. Jahrhunderts noch seinen Nachkriegszustand hinterfragen? Es scheint so. Sie zieht Geschichten von lebendigen und verschiedenen Überlebenden in der Stadt. Einige sind so echt, dass sie Fotos haben, einer ist aus der Blechtrommel von Günter Grass geklaut, und alle bieten ihre eigene Version von Ehrlichkeit an.

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