Innenminister Karl Nehammer sagte zu der Razzia: “Das konsequente Vorgehen gegen Rechtsextremismus ist nicht nur Teil der historischen Verantwortung, sondern auch ein klares Bekenntnis zu unserem demokratischen Zusammenleben in Österreich.”
Es war nicht die erste Aktion gegen mutmaßliche Neonazis in Österreich in diesem Jahr. Im Juli beschlagnahmte die Polizei bei koordinierten Razzien gegen eine Biker-Gang, deren Anführer eine “Miliz der Ehrbaren” plante, automatische Waffen und Handgranaten, die “das System stürzen” sollte.
Die Unterstützung des Nationalsozialismus ist in Österreich strafbar. Die prominenteste Neonazi-Figur ist Gottfried Küssel, der 2013 zu einer neunjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, weil er den Nationalsozialismus im Internet propagierte. Es war seine zweite Verurteilung.
Bernhard Weidinger, der im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands in Wien Rechtsextremismus studiert, sagt, die Kriminalisierung der NS-Ideologie habe dafür gesorgt, dass sie weder besonders stark noch organisiert sei.
“Aber was wir haben, ist eine sehr hohe Häufigkeit von Waffenfunden”, sagte er gegenüber CNN.
Neonazi-Aktivitäten in Europa werden häufig mit Bikergangs, organisierter Kriminalität und Fußballfans in Verbindung gebracht. In Österreich verfolgt eine Gruppe namens Immortal den Verein Rapid Wien und zeigt manchmal bei Spielen die Reichskriegsflagge. In Italien übernehmen Fangruppen, die als Ultras bekannt sind, faschistische Parolen und Spitznamen.
In Österreich wie auch anderswo in Europa umfasst die Neonazi-Szene sowohl virulente Formen des Antisemitismus als auch des antimuslimischen Rassismus.
In Österreich gaben 12% der 18- bis 34-Jährigen an, noch nie vom Holocaust gehört zu haben. Österreich hatte auch die höchste Anzahl von Menschen in der Umfrage – vier von zehn Erwachsenen –, die angaben, „nur ein bisschen“ über den Holocaust zu wissen. Und ein Drittel der Österreicher (32 %) sagt, dass jüdische Menschen zu viel Einfluss auf Wirtschaft und Finanzen auf der ganzen Welt haben, was eine langjährige antisemitische Trope widerspiegelt.
Österreich setzt sich auf andere Weise mit dem Erbe des Antisemitismus auseinander. Seit fast einem Jahrzehnt steht eine Statue in Wien im Zentrum dieser bewegten Geschichte. Es ist von Karl Lueger, dem Bürgermeister der Stadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Lueger nutzte bei seiner Bewerbung um das Amt antijüdische Gefühle aus, betonte die christliche und germanische Vormachtstellung und wurde von Adolf Hitler sehr bewundert.
Die vier Meter hohe Bronzestatue wurde verunstaltet, steht aber noch immer an prominenter Stelle auf einem Wiener Platz. Die Stadtbehörden haben diesen Monat beschlossen, dass sie bestehen bleiben, aber in den Kontext gestellt werden.
Sellner ist zu einer führenden Persönlichkeit in der Identitären Bewegung geworden, die sich gegen Massenmigration stellt und Europa eine homogene weiße und christliche Identität geben möchte. Sie sehen, dass diese Identität von politischen Eliten verkauft wird, die sich dem Multikulturalismus verschrieben haben.
Die österreichischen Behörden haben ihn und 16 weitere Personen 2018 mit Anti-Mafia-Gesetzen strafrechtlich verfolgt und ihnen Hassreden und kriminelle Vereinigung vorgeworfen. Nach einem hochkarätigen Prozess wurden sie freigesprochen.
Analysten unterscheiden zwischen traditionellen Neonazis – deren Aktivitäten auf Gewalt und Kriminalität basieren – und den aufstrebenden Identitären Gruppen, die politisch sind. Dazu gehören neben Sellner und der IBO in Österreich die Génération Identitaire in Frankreich und die Neuen Rechte in Deutschland.
In Wien schlossen sich Gottfried Küssel – jetzt aus dem Gefängnis – und andere, die zuvor mit Neonazismus in Verbindung gebracht wurden, an Märschen gegen die Sperrung an.
Es sei bemerkenswert, sagt Weidinger, dass sie auch eine jüngere Generation angezogen haben – Menschen in den Zwanzigern –, die sich ihnen anschließen. Sie haben auch zum ersten Mal seit vielen Jahren begonnen, ihren eigenen Protest zu organisieren, sagte er gegenüber CNN.
In einer Videobotschaft sagte Sellner den Demonstranten, sie könnten eine “breite, patriotische Masse” mobilisieren, um die “große Strategie” der globalen Eliten zu bekämpfen. Mitglieder der Reichsburger Gruppe versuchten, ins Parlament einzudringen, ein symbolischer Akt, der an den Reichstagsbrand durch die Nazis erinnern sollte.
Sowohl in Deutschland als auch in Österreich sprechen die extremeren Fraktionen vom “Tag X” – einer apokalyptischen Fantasie, wenn demokratische Institutionen in einer Flut von Gewalt zusammenbrechen und ein Neonazi-Staat geboren wird.
Das ‘Mainstream’-Recht
Es gibt einige ideologische Überschneidungen zwischen Identitären Gruppen und den etablierten rechten Parteien Europas, wie der Freiheitlichen Partei in Österreich, der Nationalen Rallye (ehemals Front National) in Frankreich und der Lega Nord von Matteo Salvini in Italien.
“In einer Zeit, in der Europa mit einer schweren demografischen Krise mit niedrigen Geburtenraten und einer alternden Bevölkerung konfrontiert ist, sollte eine familienfreundliche Politik eine Antwort anstelle von Masseneinwanderung sein”, sagten sie.
Bernhard Weidinger sagt, dass die Identitären der in Österreich rechts dominierenden Freiheitlichen Partei (FPÖ) eine “kritische Solidarität” bieten, wie er es nennt. Er sagt, dass die Freiheitliche Partei nun in Österreich in der Opposition ist, nachdem sie in einer Regierungskoalition weiter nach rechts gekippt ist und der IBO eigenes Territorium entzogen hat.
Die europäische Rechtsextreme ist eine zersplitterte Umgebung, in der sich politischer Aktivismus und Aufrufe zur Gewalt überschneiden und Gruppen schnell wachsen und sich verwandeln. Vieles davon ist online oder im Untergrund, aber es hat – sowohl in Europa als auch in Amerika – durch Sperren, Impfvorschriften und eine Epidemie von Verschwörungstheorien neuen Auftrieb erhalten.
Wo es – zumindest im Geiste – zusammenwächst, sind die Themen kulturelle Identität und Migration, die von Gruppen wie der österreichischen IBO als unmittelbare existenzielle Bedrohung angesehen werden.
Im Juni dieses Jahres hat das österreichische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Symbole der IBO und einer anderen Gruppe, “Die Österreicher”, verbietet und sie im Wesentlichen mit Terrorgruppen verwechselt.