“Erziehen ist Gewalt!“: Reichen Verständnis & Liebe tatsächlich?

Mit dieser Meinung mischen sich Vertreter der “unerzogen”-Community häufig in Diskussionen auf Elternforen ein. Aber reichen Verständnis, Begleitung und Liebe tatsächlich, um Kinder gesund und glücklich groß werden zu lassen? Darüber sprach ELTERN-Autorin Nora Imlau mit der Berliner Bloggerin und Kinderrechtsaktivistin Aida S. de Rodriguez.

Nora Imlau: Eltern, die ihre Kinder nicht erziehen: Das klingt für viele Menschen absurd. Schließlich ist doch alles irgendwie Erziehung, was wir mit unseren Kindern im Alltag tun.

Aida S. de Rodriguez: Wenn ich von Erziehung spreche, die ich ablehne, meine ich damit die bewusste Formung eines Menschen in eine von mir gewünschte Richtung, nicht das alltägliche Miteinander. In der Kinderrechtsbewegung “Krätzä” hieß es schon 1998: Erziehen ist gemein.

Nora Imlau: Warum?

Aida S. de Rodriguez: Weil Erziehung Kinder diskriminiert. Der Gedanke, dass ein Mensch einem anderen Menschen vorschreiben darf, wie er zu sein hat, nur weil zwischen diesen beiden Menschen ein Altersunterschied besteht, ist in unserer Gesellschaft so tief verankert, dass uns die tiefe Ungerechtigkeit darin oft gar nicht mehr auffällt.

Nora Imlau: Aber Kinder sind nun mal keine kleinen Erwachsenen: Brauchen sie nicht mehr Fürsorge – und auch mehr Führung?​

Aida S. de Rodriguez: Natürlich ist für Kinder wichtig, dass wir uns um sie kümmern und sie ins Leben begleiten. Doch solange wir sie dabei erziehen, machen wir sie zu Objekten, die wir in unserem Sinne formen. Diesen Machtmissbrauch aufzuheben und miteinander auf Augenhöhe umzugehen – das ist der Kern von „unerzogen“.

Nora Imlau: Klingt verdächtig nach 1968 und antiautoritärer Erziehung.

Aida S. de Rodriguez: Es meint aber nicht dasselbe, denn auch die antiautoritäre Erziehung, wie sie allgemein verstanden wird, ist ja eine Form von Erziehung. Nur kehren sich dabei die Machtverhältnisse um: Statt dass der Erwachsene über das Kind bestimmt, bestimmen nun die Kinder über die Erwachsenen. Unerzogen zu leben heißt aber, ganz aus dem Machtkampf auszusteigen.

Nora Imlau: Was konkret ändert sich in der Familie, wenn Eltern auf hören zu erziehen?

Aida S. de Rodriguez: Die Eltern hören auf, ihren Kindern zu sagen, was sie tun sollen. Konkret heißt das, nicht mehr in Regeln zu denken, sondern sich in jeder einzelnen Situation aufs Neue zu fragen: Was brauche ich? Was braucht mein Kind? Und wie kommen wir jetzt zusammen? Sich aufgrund der eigenen Machtposition einfach durchzusetzen, ist dabei tabu. Es gilt, kreative Lösungen zu finden.

Nora Imlau: Das klingt anstrengend.

Aida S. de Rodriguez: Anfangs ist es das auch, ja. Die Umstellung vom Erziehen zum Nicht-Erziehen in einer so von Erwachsenen geprägten Gesellschaft – das ist ein riesiger Schritt. Manchmal auch ein schmerzhafter. Dabei wird uns nicht nur bewusst, was wir unseren Kindern bisher für eine Gewalt angetan haben, sondern auch, welche Gewalt uns selbst als Kindern angetan wurde. Aber wenn das erst mal geschafft ist, wird es schlagartig leichter.

Nora Imlau: Natürlich ist das eine schöne Vorstellung: alles im Konsens zu lösen. Doch wer mehrere Kinder hat, kennt genug Situationen, in denen das einfach nicht geht. Beispiel: Ich muss meine Tochter aus der Kita abholen, mein Zweijähriger will gerade aber partout nicht das Haus verlassen. Irgendwann schnappe ich ihn mir dann einfach und gehe mit ihm los – freundlich, aber bestimmt.

Aida S. de Rodriguez: Und übergriffig. Denn mit einem Erwachsenen würden wir das niemals machen: ihn einfach schnappen. Das fänden wir respektlos. Und bei einem Kind soll das in Ordnung sein, nur weil es kleiner ist? Natürlich kenne ich solche stressigen Alltagssituationen auch, und gerade als meine Zwillinge noch klein waren, war ich vor Terminen mit ihnen oft schweißgebadet, weil beide partout nicht in den Buggy wollten. Gleichzeitig war für mich klar: Gewalt ist keine Lösung, und sie einfach reinzusetzen und festzuschnallen ist Gewalt. Unsere Lösung war dann ein Bollerwagen: Den fanden sie so toll, dass sie freiwillig einstiegen.

Nora Imlau: Solche Bilderbuchlösungen sind prima – aber sie klappen eben nicht immer. Anderes Beispiel, Zähneputzen: Da finden sich im Internet Berichte von Eltern, die „unerzogen“ leben und ihrem Kind seit Wochen nicht die Zähne geputzt haben, weil es das nicht will. Ist das noch Selbstbestimmung oder schon Vernachlässigung?

Aida S. de Rodriguez: Wenn Eltern sich entscheiden, nicht mehr zu erziehen, fallen bestimmte Handlungsoptionen einfach aus. Ein Kind zum Zähneputzen zu zwingen ist ein solches Beispiel. Das ist Gewalt, und Gewalt ist indiskutabel – egal, welche Gründe dahinterstehen. Doch „unerzogen“ zu leben bedeutet nicht, einfach aufzugeben und zu sagen: dann eben nicht. Sondern mit meinem Kind in Beziehung zu treten und zu schauen: Was kann ich jetzt tun, um ihm diese Sache, die mir wirklich wichtig ist, zu erleichtern? Woran liegt seine Scheu, seine Abwehr?

Nora Imlau: Und wenn ich alles ausprobiert habe und trotzdem nichts funktioniert?

Aida S. de Rodriguez: Dann muss ich das Thema vielleicht wirklich erst mal eine Weile ruhen lassen. Zahnhygiene ist wichtig, aber Schäden an den Zähnen lassen sich leichter reparieren als Schäden an der Seele.

Nora Imlau: Damit bürdet man „unerzogen“-Kindern aber unglaublich viel Verantwortung auf, die eigentlich bei den Eltern liegen sollte.

Aida S. de Rodriguez: Nein. Unerzogen heißt schließlich nicht Laisserfaire – die Verantwortung trage immer ich! Ich vertraue meinen Kindern und schütze sie natürlich gleichzeitig vor Gefahren, die sie allein noch nicht abschätzen können – etwa im Straßenverkehr.

Nora Imlau: Kann die große Freiheit bei „unerzogen“- Kinder nicht auch überfordern? Klare Regeln geben schließlich Halt und Sicherheit.

Aida S. de Rodriguez: Ich glaube, diese Sehnsucht nach Berechenbarkeit tragen wir alle in uns, auch wir Erwachsenen. Vertrautes gibt uns Sicherheit, erwartbare Abläufe erleichtern uns den Alltag. Und natürlich ist auch in einem unerzogenen Familienleben Raum für Strukturen und Rituale. Der Unterschied ist nur, dass sie nicht in Stein gemeißelt sind, sondern flexibel: Passen sie nicht mehr, werden sie verändert, bis es wieder allen damit gut geht. Halt und Sicherheit erfahren die Kinder vor allem durch verlässliche Beziehungen.

Nora Imlau: In diesen hohen Ansprüchen liegt aber auch die Gefahr, dass Eltern sich völlig aufopfern und darüber selbst verlieren.

Aida S. de Rodriguez: Dass Eltern sich mit ihrem eigenen Perfektionismus regelrecht ins Burnout zu treiben, ist ein riesiges Problem, allerdings auch für viele Eltern, die ganz klassisch erziehen. Vor allem Müttern fällt es oft schwer, ihre eigenen Grenzen zu vertreten. Und warum? Weil sie dazu erzogen wurden. Ohne Erziehung zu leben bedeutet also zunächst einmal, mir selbst zu erlauben, dieses anerzogene Muster loszulassen: Ich muss nicht alles mit mir machen lassen, ich darf für mich selbst einstehen. Auch meinen Kindern gegenüber.

Nora Imlau: Das heißt: Wenn mein Kind meinen Kleiderschrank ausräumen will, kann ich das auch als unerzogene Mutter verbieten? Oder wäre das dann wieder Erziehung?​

Aida S. de Rodriguez: Auch eine unerzogene Mutter kann sagen: Stopp, das will ich nicht. Entscheidend dabei ist die Haltung, nicht die Handlung: Erwarte ich, dass mein Kind mir gehorcht, weil ich hier das Sagen habe? Oder vertrete ich eine persönliche Grenze, wie ich das einem Erwachsenen gegenüber auch tun würde?

Nora Imlau: Okay. Und wenn meine ganz persönliche Grenze nun die tiefe Sorge um die Gesundheit meines Kindes ist? Und ich deshalb eben doch auf Zähneputzen bestehe, um noch mal auf dieses Beispiel zurückzukommen? Aida S. de Rodriguez: Aber diese Sorge kann kein Freifahrtschein für übergriffiges Verhalten sein. Wie weit bin bereit fürs Zähneputzen zu gehen? Und ist das dann wirklich noch zum Wohle meines Kindes? Schützende Gewalt ist nur dann legitim, wenn es um Leben oder Tod geht, wenn ich zum Beispiel mein Kind vor einem Auto zurückreißen muss oder keine Alternative sehe, wenn eine lebenswichtige medizinische Maßnahme sofort nötig ist.

Nora Imlau: Andere Frage: Wenn Kinder so frei groß werden – wie kommen sie dann später in einer Gesellschaft zurecht, die immer auch ein gewisses Maß an Anpassung erwartet?

Aida S. de Rodriguez: Ich halte es für eine Illusion, unsere Kinder auf die Welt von morgen vorbereiten zu können. Wer weiß schon, welche Fähigkeiten sie in 20 oder 30 Jahren dringend brauchen? Sich einfügen zu können halte ich jedenfalls für kein erstrebenswertes Ziel – ich bin doch nicht der verlängerte Arm einer Gesellschaft, die aus Kindern möglichst stromlinienförmige Arbeitskräfte machen will! Meine Kinder sollen sich nicht anpassen lernen, sondern ihre Welt selbst gestalten.

Nora Imlau: Trotzdem wäre es schön, wenn sie sich auch in eine soziale Gruppe einfügen könnten, oder?​

Aida S. de Rodriguez: Klar, aber warum sollten sie das nicht können? Ich erlebe die unerzogenen Kinder in meinem Umfeld allesamt als ausgesprochen rücksichtsvoll, empathisch und sozial kompetent.

Nora Imlau: Obwohl sich die „unerzogen“-Community Gewaltfreiheit auf die Fahnen geschrieben hat, empfinden viele Eltern „unerzogen“ und diejenigen, die die Haltung im Internet vertreten, oft als sehr verletzend und dogmatisch. Wie passt das zusammen?​

Aida S. de Rodriguez: Viele Eltern stoßen auf uns in einer sehr verletzlichen Phase ihres Lebens. Dann damit konfrontiert zu werden, was für eine Gewalt wir alle unseren Kindern tagtäglich antun, ist natürlich unbequem und tut weh. Mütter wie Väter sehnen sich oft danach, dass ihnen jemand auf die Schulter klopft und sagt: Ihr macht das doch alles schon ganz gut. Das kann und will „unerzogen“ aber nicht leisten. Denn wir sind keine Selbsthilfegruppe für verunsicherte Eltern, sondern im Kern eine Kinderrechtsbewegung. Und das heißt: Wir müssen Eltern die schmerzhafte Wahrheit zumuten, dass das, was sie da im Alltag so mit ihren Kindern anstellen, fies und gemein ist – auch wenn sie es liebevoll verpacken und gut meinen.

Nora Imlau: Aber wäre es gerade im Sinne des Kinderschutzes nicht wichtig, Erziehungsfreiheit nicht als „Ganz oder gar nicht“-Philosophie zu vertreten, sondern zu sagen: Jeder Schritt hin zu mehr Augenhöhe ist gut?​

Aida S. de Rodriguez: Wenn ich gegen Rassismus oder Sexismus antrete, erwartet kein Mensch von mir, dass ich sage: Ein bisschen weniger menschenverachtende Diskriminierung wäre doch auch schon toll. Da ist es völlig normal zu sagen: keine Toleranz gegenüber jeder Form von Gewalt. Wir müssen die Menschen aufrütteln, um sie mit unserer Botschaft zu erreichen, auch wenn sie schmerzt. Schließlich ist „unerzogen“ keine Methode, kein Trend und erst recht kein Erziehungsstil. Es ist einfach nur eine wertschätzende Grundhaltung, die aus der tiefsten Überzeugung erwächst, dass alle Menschen gleichwertig sind. Davon kann ich keine Abstriche machen.

Leserbriefe zum Artikel mit Stellungsnahme von Aida S. de Rodriguez

Auf diesen Artikel hin haben uns sehr viele Leserbriefe erreicht. Aida S. de Rodriguez hat sich die Zeit genommen, diese ausführlich zu beantworten:  

Leserbrief von Nicole Poplawski:  

Liebes Eltern-Team!  

Das Interview von Aida S. de Rodriguez musste ich fast mit Überwindung lesen.  Bei Facebook habe ich schon einiges von Aida S. de Rodriguez mitbekommen und ich finde ihre Sicht der Dinge sehr fragwürdig!  

Natürlich sollte man Kindern nicht gewalttätig begegnen, weder in Wort noch in Tat, aber es sollte Regeln und Grenzen geben. Ich finde Kinder müssen lernen, dass bestimmte Dinge sein müssen.  

Bestimmte Umgangsformen gehören zum sozialen Miteinanders dazu! Grüßen wenn man jemanden trifft und sich verabschieden ist höflich. Man muss noch keinen Händedruck oder gar Kuss erzwingen aber ein ‚Hallo‘ oder ein schüchternes Winken sind nicht zu viel verlangt.  

Besonders amüsiert hat mich der Satz: Schäden an den Zähnen lassen sich leichter reparieren als an der Seele! Zähneputzen gehört dazu, ob man nun Lust hat oder nicht.  

Viele Grüße   

Nicole Poplawski    

Die Antwort von Aida S. de Rodriguez:  

Liebe Frau Papowski,

Eltern brauchen und sollten keine Grenzen setzen. Unerzogen bedeutet dennoch nicht ein Leben ohne Grenzen, denn Grenzen sind überall da, wo Menschen einander begegnen und dies bedingt gegenseitige Rücksichtnahme. Unser Job ist es dabei, unsere Kinder zu begleiten, mit tatsächlich vorhandenen und nicht willkürlich gesetzten Grenzen umzugehen sowie Strategien zu entwickeln, ihre eigene sowie die Integrität anderer zu erkennen und zu wahren. Zum Beispiel indem wir selbst die Integrität unserer Kinder achten. Wir Erwachsenen müssen dabei die altersbedingten Fähigkeiten und Möglichkeiten junger Menschen berücksichtigen und auf diese Grenzen Rücksicht nehmen.

Damit einhergehend heißt unerzogen auch unsere Erwartungen an jungen Menschen stets zu hinterfragen und uns in Rücksichtnahme zu üben.  

Ambiguitätstoleranz bedeutet in diesen Zusammenhang junge Menschen unter Berücksichtigung ihrer Möglichkeiten eigene Entscheidungen treffen zu lassen sowie sie anzunehmen wie sie sind. Auch dann, wenn wir bestimmte Entscheidungen und Verhaltensweisen nicht als richtig empfinden und womöglich für uns selbst anders treffen würden. Aufklärung über Normen, Kausalitäten und Konsequenzen ist wichtig, dies bedingt aber keine Erziehung zur Höflichkeit. Kinder erleben und übernehmen in der Regel zunächst auf ganz natürliche Weise die Werte und Moralvorstellungen ihrer Bezugspersonen.

Hier besteht durch Erziehung viel eher die Gefahr aus einer ehrlich gemeinten Entschuldigung oder Verabschiedung ein krampfhaftes Befolgen einer Höflichkeitsregel zu machen, die am Ende vor allem den begleitenden Erwachsenen ein befriedigendes Gefühl vermittelt. Regeln befolgen wir Menschen, wenn diese für uns einen Sinn ergeben. Sinnerfassendes Denken ist zum einem aber ein Reifungsprozess und gelingt zum anderem vor allem dann, wenn Kinder am Entwicklungsprozess der Regel gleichberechtigt beteiligt werden. Bis dahin tun wir gut daran unsere Erwartungen zu überdenken, unsere Kinder zu begleiten, für sie und andere falls nötig zu übersetzen und in der Verantwortung zu bleiben.   

Es ist möglich seiner Fürsorgepflicht nachkommen und dabei dennoch auf jegliche Art von Gewalt zu verzichten. Einem Kind seine Integrität zu lassen, diese zu achten und zu respektieren, bedeutet alles andere als sein Kind dabei sich selbst zu überlassen. Es bedeutet, das Kind in seiner Gleichwürdigkeit anzuerkennen und somit auch seine Rechte als Mensch. Prävention steht für Maßnahmen, die ein unerwünschtes Ereignis vorbeugen soll. Prävention vor einer möglichen, temporären gesundheitlichen Folge rechtfertigt jedoch nicht den Einsatz von Gewalt. Das Leben eines Kindes hängt nicht davon ab, seine Zähne täglich im Badezimmer geputzt zu bekommen. Gewaltfreiheit setzt Reflexion, Bewusstsein, Flexibilität und Kreativität voraus. Wenn wir aber Gewalt bereits im Alltag legitimieren, wird sie zur Regel. Wenn wir Eltern wollen, dass unsere Kinder ihre Integrität zu wahren wissen, müssen wir ihre Integrität wahren. Wenn wir wollen, dass unsere Kinder lernen Nein zu sagen, dann müssen wir ihr Nein respektieren.  

Wenn wir unsere Kinder für das Leben stark machen und sie schützen wollen sowie verhindern möchten, dass unsere Kinder selbst übergriffig werden, dann müssen wir aufhören, uns im Alltag übergriffig zu verhalten und solches Verhalten damit zu rechtfertigen, dass das Kind es durch sein Verhalten verursacht hat oder es zu „seinem Besten“ ist. Das sind fatale Botschaften im Sinne der Gewaltprävention. Ein Kind, das im Namen der Gesundheit unter körperlichem Zwang die Zähne geputzt bekommt, lernt, dass es Umstände gibt, die einem Anderen das Recht einräumen, über seinen oder ihren Körper zu verfügen. Wird die Gegenwehr des Kindes dann auch noch mit Schimpfen und Strafen getadelt, lernen sie, dass ihr Nein nicht nur nicht gehört wird, sondern auch nicht erwünscht ist. Sie denken, dass ein Nein falsch ist und dass sie nur durch ein Ja der Liebe ihrer Eltern und anderer würdig sind. Sie denken, dass sie nicht ok sind und dadurch keine Liebe verdienen.

Es mag wie ein Dilemma erscheinen. Aber wenn wir ehrlich sind, geht es ganz oft um Ungeduld und um Macht. Es gibt kaum ein Konflikt mit Kleinkindern, der sich nicht mit ein wenig Kreativität und Geduld lösen lässt. Doch Zeit ist etwas, was uns Erwachsenen im Alltag ständig fehlt. Das hat verschiedene Gründe, letztlich aber hat das Kind selbst am allerwenigsten damit zu tun. Wir haben außerdem ganz oft einfach wenig Wissen über die kleinkindliche Entwicklung und werten das Verhalten von Kindern nach unseren erwachsenen Maßstäben. Wir können nicht erwarten, dass junge Kinder aus Vernunft und Sinnerfassung bei der präventiven Zahnhygiene kooperieren. Sie tun es, weil sie uns lieben oder aber, weil sie dabei Spaß und Freude erleben. Wenn wir das mit der gewaltfreien Kindheit und der Gleichwürdigkeit also ernst meinen, so liegt es an uns kreative Wege zu finden, um unsere Fürsorgepflicht in Bezug auf die Zahnhygiene beizukommen, ohne aber auf grenzüberschreitendes Verhalten zurückzugreifen. Bei dem einem Kind kann dies ein Zahnputzlied sein, beim nächsten ist es ein Ortswechsel vom Bad ins Wohnzimmer. Wieder ein anderes Kind verträgt das Gefühl mit einer konventionellen Bürste im Mund nicht und braucht gänzlich andere Lösungen, sei es über die Ernährung oder andere zunächst nicht ganz so offensichtlichen Alternativen.  

Herzliche Grüße Aida S. de Rodriguez      

Leserbrief von Theresa Folger:  

Liebes Redaktionsteam,

Frau Rodriguez wertet das Wort „Erziehung“ durchweg negativ – vermutlich weil sie damit autoritäre Handlungen der Eltern verbindet. Für mich bedeutet Erziehung aber etwas anderes, nämlich dass ich meine kleine Tochter ins Leben begleite und ihr dabei helfe, sich bestmöglich zu entwickeln. Natürlich gehören Regeln dazu, aber diese bringe ich meiner Tochter – soweit es geht – spielerisch bei und so sind sie schon bald Normalität. Habe ich ihr damit Gewalt angetan? Meine Güte, natürlich nicht!   Wie verläuft zum Beispiel ein Mittagessen bei Frau Rodriguez, wenn die Kinder sich mit Essen bewerfen wollen und den Teller auf den Boden pfeffern? Ist das erlaubt? Oder „darf“ sie es verbieten, weil es sie persönlich verletzt?Oder das Beispiel Zähneputzen: Meine Tochter wollte auch keine Zähne putzen, weil sie mit 16 Monaten den Sinn dahinter nicht sieht. Ich schon. Wir haben also ein Spiel aus dem Putzen gemacht und jetzt freut sie sich darauf.  War das jetzt Erziehen oder hätte es Frau Rodriguez genauso gemacht?   Außerdem hat Frau Rodriguez bis jetzt nur Kleinkinder. Wie wird es sein, wenn die Kinder in der Schule sind? Wenn sie nicht sitzen, sondern im Klassenraum herumrennnen wollen? Wenn sie morgens nicht aufstehen wollen und den Schulbesuch ganz verweigern? Dürfen die das? Dann steht wohl eines Tages die Polizei vor der Tür.  

Kurz: Frau Rodriguez verwendet das Wort „Erziehung“ als Label und prangert alle an, die sich zu diesem Wort stellen. Natürlich ist es gut, dem Kind auch Selbstbestimmung zu ermöglichen. Und das tun sicher die meisten Eltern. Aber von der autoritären 50er Jahre Erziehung ist ein klares “Nein” doch bitte weit entfernt. Und auch Frau Rodriguez erzieht ihre Kinder, selbst wenn sie es anders nennt. Dass sie dann moralisierend mit dem Finger auf alle zeigt, die nicht so alternativ denken wie sie, finde ich schade.   

Freundliche Grüße Theresa Folger    

Die Antwort von Aida S. de Rodriguez:  

Liebe Frau Folger,

es ist richtig, dass die Definition eines Wortes maßgeblich ist. In der meiner Arbeit zugrundeliegenden Definition bedeutet Erziehung die bewusste Formung eines Menschen in eine von einer anderen Person, in der Regel die Eltern, Pädagogen oder andere dem Kind nahestehende Erwachsene, für richtig befundene Richtung. Das Kind wird dabei – willentlich oder auch unbewusst – zum Objekt der Erziehungsziele des Erwachsenen degradiert. Um diese Ziele zu erreichen, bedienen sich erziehende Menschen verschiedener Methoden. Sowohl diese Methoden als auch Erziehung an sich, so wie oben definiert, sind in meinen Augen, Gewalt, unabhängig davon, ob eine autoritäre oder liebevolle Erziehung dahinter liegt.

Es ist tatsächlich zunächst vollkommen irrelevant, ob auf besonders liebevolle und bedürfnisorientierte Methoden geachtet wird und ob die Ziele mit den allerbesten Absichten verfolgt werden. Wenn ich Ziele für andere verfolge, bin ich bereits übergriffig. Dabei geht es nicht darum andere Eltern abzuwerten oder sich selbst zu erheben, sondern um den Diskurs um Erziehung im Kontext einer gewaltfreien Kindheit. Alice Miller schreibt in ihrem Buch „Am Anfang war Erziehung“ dazu: “Meine antipädagogische Haltung wendet sich nicht gegen eine bestimmte Art von Erziehung, sondern gegen Erziehung überhaupt, auch gegen die antiautoritäre.” Und weiter “Im Wort „Erziehung“ liegt die Vorstellung bestimmter Ziele, die der Zögling erreichen soll – und damit wird schon seine Entfaltungsmöglichkeit beeinträchtigt. Aber der ehrliche Verzicht auf jede Manipulation und auf diese Zielvorstellungen bedeutet nicht, dass man das Kind sich selbst überlässt. Denn das Kind braucht die seelische und körperliche Begleitung des Erwachsenen in einem sehr hohen Maße.”   

Im Zusammenleben mit Kindern werden wir mit Dingen konfrontiert, die uns womöglich inakzeptabel erscheinen. Für den einen ist es das schmeißen mit Essen, für den nächsten ist es das bereits, wenn Kinder selbständig den Esstisch wieder verlassen und nicht stillsitzend darauf warten bis alle fertig gegessen haben. Wir sind von dem geprägt, was uns umgibt und wie wir selbst einst aufgewachsen sind. Im Zusammenleben mit Kindern ist es aber in meinen Augen unabdingbar, dass wir uns, unser Lebensentwurf und Lebenssituation stets hinterfragen. Dazu gehört auch unser Zuhause. So kann eine Ja-Umgebung einige Konflikte vorbeugen, indem ich ein altersgerechtes Umfeld für mein Kind schaffe, welches es Teilhabe ermöglicht. Kinder wollen ihre Welt erfahren und erleben. Mit allen Sinnen erforschen, spüren und begreifen. Sie haben Spaß am Entdecken. Im Falle vom „Essen vom Tisch herunterschmeißen“, kann dies bedeuten, dass wir vorübergehend am Boden gemeinsam ein Picknick machen oder aber ich ermögliche meinem Kind in einer anderen Situation seiner Entdeckungsfreude nachzukommen, wenn ich dies am Essenstisch nicht gut aushalten kann.

Es geht also auch um kreative Lösungen. So können wir tatsächlich nicht erwarten, dass Kleinkinder aus Vernunft und Sinnerfassung bei der präventiven Zahnhygiene kooperieren. Sie tun es, weil sie uns lieben oder aber, weil sie eben dabei Spaß und Freude erleben. Genau diese Art Lösungen sind gefragt: kreativ, spielerisch, zugewandt, altersgerecht, rücksichts- und liebevoll.  

In der Auseinandersetzung über ein gewaltfreies Miteinander, insbesondere im Umgang mit unseren Kindern, gibt es immer wieder einen Punkt, der eine Art Bruch darstellt. Schule determiniert nicht selten die Art und Weise, wie mit Kindern umgegangen wird, denn „spätestens in der Schule“ müssen die Kinder ja auch dies und jenes tun. Ich halte diese Zukunftsorientierung im Umgang mit Menschen für hinderlich, denn es nimmt den Fokus von dem, was hier und jetzt gebraucht wird. So benötigen Kinder für ihre Entwicklung ganzheitliche Erfahrungen sowie die Möglichkeit alle Sinne einzusetzen und somit auch Bewegung um zu lernen. Sie wachsen und müssen immer wieder aufs Neue lernen mit ihren neuen Körperverhältnissen umzugehen. Kinder drücken außerdem ihre Emotionen über die Motorik aus, wie Remo Largo es erklärt. Es ist die natürliche Anlage von Kindern, in Bewegung zu sein und maßgeblich für die Ausbildung von Sozialverhalten, für eine gesunde Entwicklung, zur Potentialentfaltung und für nachhaltiges Lernen, dass sie sich frei und selbstbestimmt bewegen dürfen und nicht gezwungen werden, über einen längeren Zeitraum am gleichen Ort zu sitzen. Sie benehmen sich nicht schlecht in der Schule, wenn sie „herumzappeln“.

Was sie benötigen, ist eine kindgerechte Lernumgebung. So sind meine drei Kinder tatsächlich längst schulpflichtig, sie gehen jedoch in einer freien, soziokratischen Schule, in der die Bedürfnisse von Kindern beim Lernen, Leben und Wachsen vollumfänglich berücksichtigt sind sowie auch ein Arbeitgeber darauf zu achten hat, seinen angestellten Mitarbeitern eine adäquate Arbeitsumgebung zu schaffen.  

Herzliche Grüße Aida S. de Rodriguez    

Leserbrief von Anna und Luke: 

Liebes Team der ELTERN Zeitschrift,

Die Grundidee “wo Gewalt anfängt bei der Kindererziehung” (als Bsp das festschnallen im Buggy mit Gegenwehr) finde ich schon sehr interessant und auch sehr geeignet für eine Diskussion.  Allerdings die Erziehung komplett als Gewaltakt anzusehen… Krasse Sache! Ich bin der Meinung, dass meine Eltern mich sehr gut erzogen haben, genau so möchte ich es auch weitergeben. Mein kleiner Zwerg ist zwar erst 7 Monate, aber dennoch erwische ich mich oft beim Nein sagen… Immerhin können wir schon robben und finden Kabel total toll…

Ich fühle mich – trotz “normaler” Erziehung definitiv nicht seelisch misshandelt. Meine Mutter erzählt aber auch oft genug das ich ein super liebes Kind war – hoffe das liegt in meinen Genen und dass diese dominant sind bei meinem Sohn 😉

Ich finde es toll wenn das so klappt und die Eltern auch die Zeit dafür haben das genau so umzusetzen, aber ich denke dass es hierbei auch auf die Kinder selbst ankommt. Schließlich ist jedes Kind (Temperament) anders und bedarf auch eine passende Erziehung. 

Liebe Grüße und vielen Dank für eure tolle Zeitschrift 

Anna und Luke   

Die Antwort von Aida S. de Rodriguez:  

Liebe Anna,

Haltung ist unabhängig von der Individualität des Gegenübers. Was meine ich damit? Kinder sind Menschen und somit begegne ich ihnen mit demselben Respekt wie jeden anderen Menschen auch. Sie als Menschen zu respektieren und mit ihnen daraus resultierend auf Augenhöhe in Beziehung zu gehen, bedeutet sie in ihrer Individualität anzunehmen und sich darauf einzulassen. Wenn ich Kinder aber erziehe, habe ich auch Ziele, die ich verfolge, ganz unabhängig davon, wer mein Gegenüber ist. Erziehung ist Sache des Erziehenden und damit per se nicht offen für Vielfalt. Beziehung hingegen entsteht in der Wechselwirkung zwischen zwei Menschen. Ist diese dann noch von Offenheit und Neugier geprägt, kann tatsächlich auch eine individuelle und bedürfnisorientierte Begleitung im Miteinander gelebt werden.  

Herzliche Grüße Aida S. de Rodriguez    

Leserbrief von Julia Hofstetter:  

Liebes Redaktionsteam,

sicherlich werdet ihr zu diesem Artikel mit Zuschriften überhäuft! Auch ich habe das Bedürfnis, hierzu meine Meinung zu äußern. „Erziehung ist Gewalt“ – selten so was Eigenartiges (ich will jetzt nicht „Dummes“ schreiben) gehört! Soll ich meine 7 ½ Monate alte Tochter morgens nicht anziehen, weil sie keine Lust darauf hat und strampelt, sobald ich mit Body und T-Shirt komme? Soll ich ihr die volle Windel nicht wechseln, nur weil sie jetzt in einem Alter ist, in dem sie nicht mehr still auf der Wickelkommode liegen mag, sondern lieber nackt davon krabbelt? Hier ist nun mal ein festerer Handgriff erforderlich, aber zum Wohle des Kindes, da ansonsten eine Erkältung oder ein wunder Popo oder auch ein kackeverschmiertes Badezimmer die Folgen sind. Hat doch niemand was davon. Meinem Baby kann ich noch nicht erklären, warum Anziehen oder Wickeln erforderlich sind. Dies mag vielleicht bei einem Dreijährigen funktionieren, aber auch da halte ich diese Nicht-Erziehmethode fraglich. Ich zitiere aus dem Text zum Thema Zähneputzen: „Zahnhygiene ist wichtig, aber Schäden an den Zähnen lassen sich leichter reparieren als Schäden an der Seele.“ Ich glaube bei Frau de Rodriguez läuft da gehörig was falsch! Ich jedenfalls kenne niemanden, der heute zum Psychologen geht, weil er früher zum Zähneputzen gezwungen oder im Buggy festgeschnallt wurde.

Ganz herzliche Grüße Julia Hofstetter  

Die Antwort von Aida S. de Rodriguez:  

Liebe Frau Hofstetter,

hier ist Geduld, Vertrauen, Empathie, Flexibilität und Kreativität gefragt. Sicher aber kein übergriffiges Verhalten. Gewalt ist nie die Lösung. Sie hat vor allem stets auch Folgen für den Betroffenen und für die Beziehungsqualität zueinander. Uns hat an dieser Stelle immer wieder geholfen, beispielsweise ein Bad mit dem Wechsel der vollen Windel oder Kleidung zu verbinden, uns mit Windelfrei auseinanderzusetzen, leicht ausziehbare Kleidung zu nutzen und nicht zuletzt beim Wickeln und Umziehen Erkenntnisse der Kinesiologie zu beachten sowie uns viel Zeit für unsere drei Babys zu lassen.  

Herzliche Grüße Aida S. de Rodriguez    

Leserbrief von Melanie M.:

Liebes Eltern Team,

Kaputte Milchzähne können, unabhängig mal von Schmerzen für das Kind, auch dessen 2. Zähne massiv schädigen! Ich hab auch noch niemanden gehört, dessen schlimmste Kindheitserfahrung das Zähne putzen war… 😉

Viele grüße, Melanie M.  

Die Antwort von Aida S. de Rodriguez:    

Liebe Melanie M,

die Auseinandersetzung mit Entwicklungstraumata wäre an dieser Stelle sehr interessant, sprengt aber vermutlich den Rahmen. Viele Menschen leiden sehr unter den Erfahrungen ihrer Kindheit. Fehlende Empathie und die Legitimierung von übergriffigen Verhalten ist eine Folge davon.    

Wenn ein Kind sein Verhalten plötzlich ändert und ganz vehement den Schulbesuch verweigert, hat dies gute Gründe und es ist wichtig diese Einladung zum genauen Hinsehen auch nachzugehen. Ist in der Schule etwas vorgefallen? Wird mein Kind gemobbt? Ist der Leistungsdruck zu groß? Hat es Angst vor Hänseleien, weil es sich körperlich verändert hat? Ist in den Ferien etwas vorgefallen? Wie ist die Situation Zuhause? Hat es entwicklungspsychologische Ursachen? Hat das Kind womöglich im freien Spiel festgestellt, dass es sich in der Schule nicht ausreichend frei entfalten kann? Erst dann können Lösungswege gefunden werden und auch eine Pause kann ein Ansatz sein, nicht nur im Kindergarten, sondern auch in der Schule. Die letzte Frage mag befremdlich und nach einer Laune, der man nicht nachgeben kann, wirken, aber in der Tat war dies eine meiner Motivationen für die Gründung meiner Schule. Mir ist es wichtig, dass meine sowie auch andere Kinder, so auch in der Schule, die Möglichkeit haben sich selbstbestimmt und frei zu entfalten. Wir ermöglichen unseren Kindern auf dieser Weise ein freies Lernen in einem schulischen Kontext, andere Eltern wählen da andere Wege, wandern aus und ermöglichen ihren Kindern Homeschooling, Worldschooling und Freilernen.  

Herzliche Grüße Aida S. de Rodriguez  

Leserbrief von Andrea Mahler:  

Liebes Eltern Team, 

Ich bin aber auch der Meinung dass ein hundertprozentiges Leben nach diesen Idealen nicht optimal für ein kleines Kind/ Baby ist. Kinder sind, wie Nora Imlau sagt, keine kleine Erwachsenen. Sie müssen erst lernen wie diese Welt funktioniert und wir können Ihnen dabei helfen indem wir sie beim Lernen unterstützen, aber auch klare Grenzen ziehen was nicht geht. Ich bin der Meinung einem Kind gibt nichts mehr Sicherheit in seinem Alltag als klare Strukturen, geregelte Abläufe und erwachsene Bezugspersonen auf die es sich fest verlassen kann. Auch ich versuche im Alltag nicht gegen mein Kind zu erziehen. Wickeln ist bei uns ein unleidiges Thema im Moment… aber nur weil sie es nicht will kann ich ja nicht einfach sagen ich mach das nicht mehr. Die unerzogen Bewegung macht es sich da viel zu einfach finde ich. Vielmehr muss ich meinem Baby sagen: das müssen wir jetzt machen, ich versuche es aber so angenehm wie möglich für dich zu gestalten, indem ich währenddessen mit dir singe zum Beispiel.

Ich versuche im Team zu arbeiten mit meinem Kind und ihm aber gleichzeitig zu vermitteln, es läuft jetzt grad so und so und nicht anders. Das ist für mich eine gute Erziehung. Und da darf auch mal ein klar und deutliches Nein sein wenn eine Erkältung vorher warum nicht, nicht fruchtet. Ohne Gewalt versteht sich. Aber ein Kind muss doch auch lernen dass sein Handeln Konsequenzen hat und dass es Regeln in unserer Welt gibt. 

Ich bin der Meinung dass die Kinder, die heute unerzogen aufwachsen im späteren Leben einmal massive Probleme bekommen. Egal ob in Schule oder Arbeitswelt. Gerade die wird in Zukunft mit Sicherheit nicht weniger Leistungsorietiert werden. Und es stimmt auch das viele dieser Eltern dogmatisch sind… allein schon die Aussage der Dame, dass alle Eltern die ihre Kinder “normal” Erziehen ihnen Gewalt damit antun finde ich sehr anmaßend.  Liebes Eltern-Team vielen Dank für diese kontroverse Interview! 

Viele Grüße, Andrea Mahler

     

Die Antwort von Aida S. de Rodriguez:  

Liebe Frau Mahler, 

nein, auf Erziehung zu verzichten, ist nicht immer einfach. Schließlich wurden wir einst auch erzogen und die Mehrheit der Menschen um uns erzieht immer noch. Erziehung ist überall. In uns und um uns. Wie sollte es da ein einfacher Weg sein? Unerzogen bedeutet dabei nicht das Kind sich selbst zu überlassen, sondern dem Kind Raum zu geben, zu sein. Raum für Erfahrungen, zum Fehler machen und erneuertem Ausprobieren. Im Wissen unseres Schutzes, unserer Liebe und in Sicherheit. Es bedeutet achtsam zu sein, zu begleiten sowie zu unterstützen und helfen, falls dies benötigt und eingefordert wird. “Ich bin da, wenn du mich brauchst.” 

Es geht also darum Orientierung und Halt durch in der Haltung verlässliche Beziehungen. Kinder, die so begleitet werden, können sich darauf verlassen, dass sie auch in Konfliktsituationen mit Respekt und auf Augenhöhe behandelt werden, auch dann, wenn sein Verhalten nicht in Ordnung war. Eine enge emotionale Bindung, echtes Interesse am Kind, die Freiheit und den Raum zum Sein sowie ein bedürfnisorientiertes Umfeld bieten gute Voraussetzungen für das Meistern von allen zum Leben dazu gehörenden Widrigkeiten. Kinder brauchen nicht auf das Leben vorbereitet werden, denn sie leben bereits. Wir können unsere Kinder nicht davor schützen Probleme, Konflikte und Krisen zu durchleben, aber wir können sie mit unserer bedingungslosen Liebe und durchs Vorleben eine gute Basis für das spätere Leben, auch ohne uns an ihrer Seite, mitgeben, so dass sie mit den auftretenden Problemen, auch in einer leistungsorientierten Gesellschaft, fertig werden können.

Herzliche Grüße Aida S. de Rodriguez    

Leserbrief von Franziska Höffkes:  

Liebe Eltern- Redaktion,  

vielen Dank für das schöne Interview mit Aida S. de Rodriguez! Ich bin hellauf begeistert. Sehr klar zeigt sie die kleinen und großen Übergriffe gegenüber Kindern auf, die in unserer Gesellschaft als “normal” gelten. Diese von ihr vertretene, zutiefst wertschätzende Grundhaltung teile ich und wünsche mir für mich und meine Tochter, dass ich viele kreative Ideen im Kontakt mit ihr entwickle, und sie sich ebenso wunderbar “unerzogen” und selbstbestimmt entwickeln kann.  

Viele Grüße, Franziska Höffkes    

Die Antwort von Aida S. de Rodriguez:  

Liebe Franziska,  

vielen Dank für Ihre wertschätzende Rückmeldung. 🙂  

Herzliche Grüße Aida S. de Rodriguez    

Leserbrief von Dr. Evelyn Martin:

Liebes Eltern-Team,

mit zunehmender Skepsis habe ich den Artikel „Erziehen ist Gewalt“ gelesen. Generell bin ich der festen Überzeugung, dass alle Eltern selbst den passenden Erziehungsstil für sich und auch ihr Kind finden müssen. Denn so vielfältig die Erziehungsstile, so vielfältig auch die Menschen. Als Zahnärztin hat mich jedoch der Satz “Zahnhygiene ist wichtig, aber Schäden an den Zähnen lassen sich leichter reparieren als Schäden an der Seele.” mehr als aufgerieben. Für ein Kind, dass es nicht schafft für die kurze Zeit des Zähneputzens in heimischer Umgebung den Mund zu öffnen, löst ein Zahnarztbesuch weitaus größere Probleme aus, abgesehen vom klaren Fall der elterlichen Vernachlässigung, zu deren Meldung Zahnärzte bei offensichtlichen Fällen verpflichtet sind. Meiner Ansicht nach macht es sich die unerzogen-Bewegung sehr leicht, indem es die Erziehung auslagert und anderen (Erziehern, Lehrern, Zahnärzten etc.) überlässt.  

Viele Grüße, Dr. Evelyn Martin (34 Jahre, 1 Sohn, 15 Monate)  

Die Antwort von Aida S. de Rodriguez:  

Liebe Frau Martin,

Eltern, die auf Erziehung verzichten, sehen sich regelmäßig mit dem Vorurteil konfrontiert, sie würden ihre Erziehungsaufgabe auslagern. Dies mag im Einzelfall zutreffend sein, das ist jedoch nicht das, wofür die Bewegung steht. So war es mir wichtig, meinen Kindern auch im Kindergarten und in der Schule eine zugewandte, kindgerechte und bedürfnisorientierte Umgebung zu ermöglichen. Kinder sind unheimlich kompetent und ich erlebe als Schulleiterin jeden Tag wie empathisch und sozial, Kinder sind, die selbstbestimmt und gleichwürdig aufwachsen können.  

Herzliche Grüße Aida S. de Rodriguez

Dieser Artikel ist ursprünglich auf Eltern.de erschienen.

Nora Imlau