Personalmangel wegen Omikron: Die neusten Entwicklungen

Die Omikron-Welle versetzt täglich Zehntausende Menschen in der Schweiz in Isolation und Quarantäne. Erste Konsequenzen sind wegen des Arbeitskräftemangels im öV zu spüren. Das Berner Inselspital meldet einen relevanten Anstieg an Ausfällen beim Personal. Ein Überblick.

Seit die Schule im neuen Jahr wieder begonnen hat, tragen in Zürich sogar die Erstklässler eine Maske im Unterricht.

Michael Buholzer / Keystone

Mehr als 30 000 Neuansteckungen pro Tag: Die Omikron-Variante rauscht mit hoher Geschwindigkeit durch die Schweiz, mit Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Wer sich ansteckt oder Kontakt zu einer positiven Person hatte, wird in seinem Job sieben bis zehn Tage fehlen: auf der Baustelle, am Laufband, in Schaltzentralen, im Cockpit, am Bett von Patienten, am Lehrerpult.

Noch ist die Situation überschaubar. Von einem Versorgungsengpass kann nicht die Rede sein. Mehrere Branchen machen sich dennoch Sorgen. Hotels und Restaurants in wichtigen Touristendestinationen mussten bereits ihren Betrieb einstellen. Die SBB halten seit Mittwoch (5. 1.) Zugsausfälle für wahrscheinlich.

Und auf Anfrage der NZZ schreibt das Inselspital Bern: «Die Personalausfälle aufgrund von Krankheit nehmen im Vergleich zur Vorperiode relevant zu.»

Ein Überblick über relevante Bereiche unseres Lebens und der Arbeitswelt:

Fahren noch alle Busse und Züge?

Viele Erkrankte bedeuten auch weniger Fahrgäste, und die Home-Office-Pflicht nimmt etwas Druck aus den Betrieben. Dennoch stehen die öV-Betriebe vor Problemen.

Wegen krankheitsbedingter Ausfälle beim Fahrdienstpersonal müssen die Verkehrsbetriebe der Stadt Zürich (VBZ) ab Montag (10. 01.) den Betrieb der Tramlinie 15 bis auf weiteres komplett einstellen. Wie es in einer Mitteilung am Donnerstag heisst, können mit dieser Massnahme die Verfügbarkeit des Fahrpersonals verbessert und andere Einschränkungen für die Fahrgäste möglichst tief gehalten werden. Dank der beinahe parallelen Führung der Linie 15 zu anderen Tramlinien würden weitestgehend alternative Fahrmöglichkeiten bestehen. Das oberste Ziel der VBZ sei, den Betrieb der anderen Linien möglichst lange aufrechtzuerhalten.

Auch die SBB mussten wegen der steigenden Infektionszahlen bereits Fahrten streichen und schliessen kurzfristige Zugsausfälle in den nächsten Tagen nicht aus. Immer mehr Lokomotivführerinnen und Lokomotivführer fehlten, weil sie an Corona erkrankt oder in Quarantäne seien, erklärten die SBB am Mittwoch (5. 1.) gegenüber SRF. Die Situation sei angespannt. Im grenzüberschreitenden Verkehr ist das Angebot bereits angepasst worden. Lyria, eine Tochtergesellschaft der SBB und der französischen SNCF, reduziert ab dem 10. Januar den TGV-Verkehr nach Frankreich. Die SBB-Tochtergesellschaft Tilo, die im S-Bahn-Verkehr im Tessin und in der angrenzenden Lombardei tätig ist, musste den Betrieb ebenfalls einschränken. Bei der S-Bahn Léman Express fielen am Mittwoch fünf Frühzüge aus. Von kommenden Samstag bis Montag (8. bis 10. 1.) werden die Linien L2 und L4 zwischen Coppet und Annemasse nicht Bedient. Die SBB empfehlen, sich vor Auslandreisen auf ihrer Webseite über die Situation zu informieren oder den Online-Fahrplan zu konsultieren.

Um Ausfälle zu verhindern, werde der Einsatz von fahrkundigem Personal diskutiert, das eigentlich andere Stellen innehabe. Die Rede sei von Leuten im Kader oder Auszubildenden. In der Not müsste also der oder die Vorgesetzte selber in den Führerstand klettern.

Der Leman Express, fotografiert im Dezember 2019 – als Corona im Westen noch kaum jemandem Sorgen bereitete.

Der Leman Express, fotografiert im Dezember 2019 – als Corona im Westen noch kaum jemandem Sorgen bereitete.

Martial Trezzini / Keystone

Wie ist die Lage in den Spitälern?

Grossbritannien ist bezüglich Omikron-Variante der Schweiz einige Wochen voraus und verzeichnet mehr als 200 000 Neuinfektionen an einem Tag. Die britischen Krankenhäuser leiden am steigenden Personalmangel aufgrund von Ansteckungen und Quarantäneverordnungen. In der Region Manchester waren in der ersten Woche des Jahres 15 Prozent der Spitalmitarbeiter nicht arbeitsfähig – wegen Covid-19. Auch Krankenhäuser in anderen Gebieten Grossbritanniens riefen den Katastrophenfall aus.

Mehrere britische Spitäler haben den Katastrophenfall ausgerufen, das Personal fehlt.

Mehrere britische Spitäler haben den Katastrophenfall ausgerufen, das Personal fehlt.

Andy Rain / EPA

Die Pandemie hat in der Schweiz grundsätzliche Engpässe beim Personal des Gesundheitswesens offenbart. Mit dem Andauern der Krise haben sie sich verschärft, weil viele Pflegende ihren Beruf ausgebrannt aufgeben. Deshalb könnte Omikron auch in den Schweizer Spitälern für Schwierigkeiten sorgen. «Wenn wir die Kontakte nicht einschränken, wird Omikron zu kritischen Personalausfällen in den Gesundheitsinstitutionen führen», sagte warnend Samia Hurst, Vizepräsidentin der unabhängigen wissenschaftlichen Task-Force des Bundes, an einer Pressekonferenz am Dienstag (4. 1.).

Im Inselspital Bern liessen sich Absenzen derzeit durch Verschiebungen auffangen, schreibt die Medienstelle. Aber: «Die Personalausfälle aufgrund von Krankheit nehmen im Vergleich zur Vorperiode relevant zu.» Aufgrund der raschen Ausbreitung von Omikron rechne das Spital «in den kommenden Wochen mit einem weiteren Anstieg der Ausfälle durch Infektionen» beim Personal.

Um die Versorgung trotz einer hohen Zahl an abwesenden Mitarbeitern zu gewährleisten, hat das Spital drei Massnahmen vorgesehen: Als Erstes würden Fachkräfte in andere Teams verschoben. Reiche das nicht aus, müsste Personal mit einer Quarantäneverordnung (nicht Isolation) unter strikter Einhaltung der Schutzmassnahmen trotzdem arbeiten, aber die Quarantäne im privaten Umfeld weiterführen. Herrsche nach diesen ersten zwei Massnahmen trotzdem ein Versorgungsnotstand, würde man nach Absprache mit der Kantonsärztin die Isolationsdauer bei asymptomatischen, positiv getesteten Mitarbeitenden verkürzen.

Auch das Universitätsspital Zürich (USZ) «verzeichnet mit dem Anstieg der Infektionszahlen auch mehr Krankheitsausfälle bei den Mitarbeitenden», wie das Spital auf Anfrage schreibt. Relevant sei allerdings nicht bloss die reine Zahl, sondern welche Bereiche und Berufsgruppen betroffen seien. Gerade bei der ohnehin angespannten personellen Lage auf den Intensivstationen würden sich Ausfälle schnell auf die Kapazitäten auswirken. «Es mussten und müssen auch am USZ deshalb immer wieder nicht dringliche Operationen verschoben werden», schreibt das Spital.

Auch das USZ arbeitet mit Stufenplänen, in denen geregelt ist, wie Personal erweitert oder verschoben wird. Es gäbe interne Pools an Mitarbeitern in der Pflege, die Abteilungen bei Personalengpässen unterstützen könnten. «Da viele Tätigkeiten eine Spezialisierung erfordern, sind diese Möglichkeiten aber begrenzt, ebenso durch den generellen Mangel an Pflegefachpersonen», so das USZ. Die Spitalsituation müsse allerdings im grösseren Zusammenhang betrachtet werden. Die Kantone koordinieren bei schwierigen Situationen den Einsatz von Personal zwischen regionalen und überregionalen Institutionen.

Um den Personalmangel aufzufangen, hat man in Genf auch auf Personen in Ausbildung oder Rentner zurückgegriffen. Zwar führen die Hôpitaux universitaires de Genève (HUG) nicht Buch über die Art der Ausfälle, und diese lagen im Dezember nur ein Prozent höher als im Jahresschnitt. Trotzdem mussten die HUG aufgrund der höheren Anzahl an Covid-19-Patienten nicht dringliche Eingriffe verschieben. Die HUG erhalten Unterstützung von Feuerwehr, Zivilschutz sowie von rund 60 Personen, die jüngst pensioniert wurden. Über die Festtage wurden Medizinstudenten mit einbezogen.

Das Kantonsspital Aarau kann derzeit die Patientenversorgung sicherstellen, wie die Medienabteilung auf Anfrage schreibt. Es liefen aber Vorbereitungen in Hinblick auf mögliche Engpässe. Eine Möglichkeit sei, den Betrieb der Ambulatorien zu reduzieren und ihr Personal für die stationäre Patientenbetreuung einzusetzen.

Im Genfer Universitätsspital sind derzeit auch Armeeangehörige im Einsatz.

Im Genfer Universitätsspital sind derzeit auch Armeeangehörige im Einsatz.

Laurent Gillieron / Keystone

Können die Kinder in die Schule?

Seit dem 3. Januar sind in elf Schweizer Kantonen die Schulen wieder offen. Die restlichen nehmen den Unterricht eine Woche später auf. Bereits jetzt betreffen die vielen Omikron-Infektionen Lehrerinnen und Lehrer. «Ich rechne damit, dass diese Ausfälle in den nächsten Tagen zunehmen», sagte Thomas Minder, Präsident des Verbands der Schulleiterinnen und Schulleiter, gegenüber SRF.

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass mit den Schulöffnungen in der ganzen Schweiz die hochansteckende Mutation in den Klassenzimmern zirkulieren wird und auch viele Lehrkräfte sieben bis zehn Tage nicht an der Wandtafel werden stehen können. Das Schulwesen tut sich generell schwer, Stellvertreterinnen und Stellvertreter zu finden. Personen aus den Schulleitungen oder Assistenzen würden wohl vor die Klassen treten müssen, und so sei ein geregelter Unterricht kaum vorstellbar, sagte Minder gegenüber SRF. Silvia Steiner, die Präsidentin der Konferenz der kantonalen Bildungsdirektorinnen und -direktoren, denkt fürs Überbrücken der Notsituation an pensionierte Lehrkräfte oder an Studentinnen und Studenten.

Die Rufe nach landesweiten Regelungen und Schutzmassnahmen werden lauter. Dagmar Rösler, die Präsidentin des Schweizerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, fordert etwa eine einheitliche Handhabung der repetitiven Tests und versucht damit, Schulschliessungen zu verhindern.

Kommt die bestellte Jeans rechtzeitig mit der Post an?

Die Pandemie hat den Online-Handel befeuert und der Post viel Arbeit beschert. Um die täglichen Berge an Paketen zu verteilen, braucht es viel Personal, das nun mit Omikron knapper werden könnte. Auch die Post wird mit zunehmenden Ausfällen konfrontiert. «Wir verzeichnen zwar einen Anstieg der Infizierten», schreibt die Medienstelle, allerdings bewege sich dieser in einem Bereich, der die Dienstleistungen der Post zurzeit nicht beeinträchtige.

Die Post habe viel in Prävention investiert und analysiere regelmässig die Abwesenheitsstatistiken ihrer Standorte. Sie versuche auf diese Weise, Hotspots zu erkennen und auf sie zu reagieren. Während der Festtage waren temporäre Mitarbeiter im Einsatz. Es sei denkbar, diese bei vielen Krankmeldungen weiter zu beschäftigen oder zusätzlich einzustellen. Seit Pandemiebeginn habe die Post Szenarien erarbeitet, um viele Abwesenheiten abzufedern. So gebe es etwa eine interne Jobbörse, die man im Notfall aktivieren könnte. Mit ihr könnten vorübergehend Personen zwischen Abteilungen und Standorten wechseln, wie etwa Büroangestellte, die Kollegen in Paket- und Briefzentren unterstützten.

Bleibt das Lieblingshotel direkt beim Skilift offen?

Der Schnee fiel früh und in grossen Mengen in den Schweizer Alpen. Die Hotelbuchungen gingen so flott ein wie nie in den vergangenen fünf Jahren. Die Omikron-Variante bremst nun die Pandemie-geplagte Branche des Tourismus nochmals aus. Nicht nur wegen der erschwerten Ein- und Ausreisebestimmungen. Nun fehlt auch das Personal in den Restaurants und Hotels. In Davos musste das Steigenberger Grandhotel Belvédère seinen Betrieb vorübergehend einstellen, weil rund 40 Prozent des Personals nicht arbeiten konnten. Zahlreiche andere sind von Schliessungen von Teilbereichen wie etwa dem Restaurant betroffen, ein Dutzend Gastrobetriebe im Bündnerland ist wegen Personalmangels aufgrund von Corona geschlossen. Andreas Züllig, Präsident von Hotellerie Suisse, sagte am Dienstag gegenüber der «Tagesschau» von SRF: «Die Ausfälle sind enorm.» Täglich habe man Krankheits- und Quarantänemeldungen und komme an die Grenzen.

Wird es genug Brot und Milch im Supermarktregal haben?

Den Grosshändlern dürfte Omikron vorerst keine Schwierigkeiten bereiten. Ware sei ausreichend da, die Lager seien gut gefüllt, schreibt Migros auf Anfrage. Auch Coop sieht derzeit keine Probleme. «Alle unsere Verkaufsstellen sind geöffnet, und wir können, wie bis anhin, unseren Versorgungsauftrag erfüllen.» Beide Unternehmen gehen mit bewährten Schutzkonzepten und Zuversicht in die kommenden Wochen.

Wird der Malediven-Flug doch noch abgesagt?

Wer während der Weihnachtsfeiertage ein Flugzeug besteigen wollte, brauchte auch etwas Glück. Mehr als 12 000 Flüge in die USA wurden zwischen dem 24. Dezember und den ersten Januartagen gestrichen. Allein an Neujahr waren es weltweit rund 4300. Grund dafür war auch das Wetter; Personalausfälle bei den Airlines aufgrund von Corona waren aber ebenso dafür verantwortlich.

Die Airline Swiss musste jüngst nur einen einzigen Flug nach London wegen Personalknappheit ausfallen lassen, wie die Medienstelle auf Anfrage schreibt. «Wir verzeichnen aktuell einen leichten Anstieg der Krankheitsfälle von Mitarbeitenden, der allerdings keine grösseren Auswirkungen auf den operativen Betrieb hat», so die Swiss. Die Fluggesellschaft plant gerade an den stärker belegten Wochenenden mehr Reserven ein.

Mit Agentur-Material

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