Regenerative Landwirtschaft im Klima-Labor: “Viel Unwissenheit, wie es funktioniert”

Konventionelle Landwirtschaft hat einen großen Anteil am Klimawandel. Um das zu ändern, versucht das Agrar-Start-up Klim, Landwirte von regenerativer Landwirtschaft zu überzeugen. Die Idee gibt es schon seit 50 Jahren, wird bisher an Universitäten aber kaum gelernt. “Es fehlt oft an Wissen, wie genau es funktioniert”, erzählt Klim-Gründer und Chef Robert Gerlach im Klima-Labor von ntv. Denn in seinen Augen hat das Konzept viele Vorteile: Konventionelle Landwirtschaft zerstört den Boden durch Monokulturen sowie starken Einsatz von Düngemitteln und treibt damit den CO2-Ausstoß an. Regenerative Landwirtschaft dagegen könne den Boden durch Methoden wie ganzjährige Bedeckung, Zwischenfrüchte und Untersaaten in einen gesunden Kohlenstoffspeicher verwandeln, der CO2 aus der Atmosphäre rauszieht. Auch für die Tierwelt und für die Erträge soll das Konzept gut sein. In den ersten sechs Monaten hätten sich etwas mehr als 500 Landwirte in der Klim-App angemeldet, um sich über die neuen Methoden zu informieren oder den Versuch zu wagen, erzählt Gründer Gerlach im Interview. Landwirte, die auf eine Brückenfinanzierung des Startups und höhere Verkäufe durch das hauseigene “klimapositive” Label spekulieren. Woher kommt das Geld dafür? Vorerst von einem Investor, der auch das umstrittene Unternehmen Gorillas unterstützt. Und danach? Wie wird kontrolliert, ob Landwirte die regenerativen Methoden tatsächlich umsetzen? Was halten die davon, dass ein Startup ihre Aussaat kontrolliert?

ntv.de: Sie sind Gründer von nachhaltigen Geschäftsmodellen. Das neueste Projekt heißt “Klim”. Es geht um regenerative Landwirtschaft. Was ist das eigentlich?

Robert Gerlach: Die konventionelle Landwirtschaft hat durch Monokulturen oder starke Bodenbearbeitung über die letzten 100 Jahre stark zum Klimawandel beigetragen – insgesamt zu ungefähr 25 Prozent. Die Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft sind ein Viertel der weltweiten Emissionen. Das entsteht zum Teil durch die Zerstörung von Humus. Humus ist der organische Anteil im Boden und besteht zu 60 Prozent aus Kohlenstoff. Wenn ich den durch Überdüngung zerstöre, dann wird dieser Kohlenstoff in Form von CO2 in die Atmosphäre freigesetzt.

Regenerative Landwirtschaft kann diesen Humus wieder aufbauen. Das funktioniert zwar sehr langsam, aber dadurch, dass wir große Flächen haben, um die es hier geht, kann ich große Mengen CO2 aus der Atmosphäre entnehmen und wieder im Boden binden. Zum Beispiel möchte regenerative Landwirtschaft den Boden so weit wie möglich bedeckt halten, statt ihn nach einer Ernte brachliegen zu lassen. Ein anderes Prinzip ist, dass ich den Boden möglichst permanent stark durchwurzelt lassen möchte oder ihn nur dann bearbeite, wenn es notwendig ist.

Wie unterscheidet sich regenerative Landwirtschaft von der ökologischen Landwirtschaft?

Regenerative Praxen können sowohl in der konventionellen als auch in der ökologischen Landwirtschaft angewandt werden. Ökologische Landwirtschaft bedeutet nicht gleichzeitig regenerative Landwirtschaft. Das heißt, es ist möglich, dass ich ökologische Landwirtschaft anwende, trotzdem Humus zerstöre und CO2 in die Atmosphäre entweichen lasse. Zudem ist es so, dass der ökologische Landbau zwar die CO2-Emissionen pro Hektar reduziert, aber oftmals habe ich auch Ertragsverluste. Bei der regenerativen Landwirtschaft ist die schöne Sache, dass ich die Erträge nicht signifikant reduziere, sondern mittel- bis langfristig sogar steigern kann.

Ist die regenerative Landwirtschaft die beste Landwirtschaft?

“Tatsächlich ist es so, dass die regenerative Landwirtschaft an Universitäten noch nicht umfangreich gelehrt wird”, sagt Klim- Gründer Robert Gerlach.

(Foto: Klim)

Nein, das ist nicht korrekt. Uns ist wichtig, dass wir für alle Landwirte, ob konventionell oder Öko, relevant sein möchten. Wir glauben, dass alle von den regenerativen Praxen profitieren können. Aber wir sehen die regenerative Landwirtschaft tatsächlich als Zukunft an, weil sie neben der Einspeicherung von Kohlenstoff in Böden noch viele andere Vorteile mit sich bringt. Wenn ich zum Beispiel regenerative Landwirtschaft anwende und den Boden regeneriere, führt es dazu, dass ich mittel- bis langfristig viel weniger Input wie Düngemittel, Pestizide oder Herbizide brauche. Ich komme automatisch auch in eine Richtung, wie sie der Ökolandbau eigentlich möchte.

Neu ist die Methode aber nicht, die gibt es seit 50 Jahren. Warum machen das so wenige, wenn regenerative Landwirtschaft so viele Vorteile hat?

Das haben wir uns auch gefragt. Am Anfang haben wir deshalb mit mehr als 100 Landwirten intensive Gespräche geführt, um zu verstehen: Was sind eigentlich die Barrieren für die Anwendung regenerativer Landwirtschaft? Wir haben drei wesentliche Hürden identifiziert:

Zunächst einmal fehlt es an Überbrückungsfinanzierung. Wenn ich regenerative Methoden als Landwirt anwende, zum Beispiel Zwischenfrüchte oder Untersaaten, muss ich mir das Saatgut erst einmal kaufen. Das geht natürlich mit einem gewissen Risiko einher. Jedes Mal, wenn ich meine Methoden umstelle, kann irgendetwas schiefgehen. Das heißt, man braucht dort finanzielle Unterstützung.

Klima-Labor von ntv

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Klima-Labor ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen unter die Lupe nehmen, die toll klingen, aber vielleicht gar nicht toll sind. Kühe mit Seegras füttern? Aufforsten? Künstlicher Regen?

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Die zweite Barriere, die wir identifiziert haben, hat uns etwas mehr überrascht: Es fehlt oft an Wissen und Sicherheit, wie genau es funktioniert. Natürlich weiß jeder Landwirt genau, was eine Zwischenfrucht, eine Untersaat und vielleicht auch, was ein Agroforstsystem ist. Aber welche Untersaat, welche Saatgut-Kombination, welche Saatgut-Mischung ist für meinen Bodentyp bei dieser Hauptfrucht die beste Lösung? Was sind die Vorteile? Was sind die Risiken? Solange Landwirte das nicht genau wissen, dass das, was sie tun, auch das erreicht, was sie möchten, zögern sie bei der Anwendung. Tatsächlich ist es so, dass die regenerative Landwirtschaft an Universitäten noch nicht umfangreich gelehrt wird.

Die dritte Hürde ist, dass sich viele Landwirte fragen: Wenn ich mir die Mühe mache, auf regenerative Landwirtschaft umzustellen, wird ein Verbraucher das würdigen? Uns allen sind die Proteste der Landwirte bekannt, sie sind in den vergangenen zehn Jahren öffentlich stark in der Kritik gewesen und für den Klimawandel mitverantwortlich gemacht worden. Gleichzeitig ist es so, dass viele Landwirte aktiv viel für den Klimaschutz tun. Sie wünschen sich Wertschätzung. Das ist ein Thema, das man nicht überschätzen kann.

Aber wenn es nicht gelehrt wird, ist dann wirklich wissenschaftlich bewiesen, dass diese Landwirtschaft diese Vorteile hat?

Ja, das kann man auf die einzelnen regenerativen Methoden heruntergebrochen anschauen. Es gibt sehr viele Studien, die in Feldversuchen aufzeigen, wie hoch die Speicherleistung ist. Die Ergebnisse schwanken natürlich, einige Methoden machen das mehr als andere. Aber es ist nachgewiesen, dass ich Humus aufbauen kann. Was allerdings Tatsache ist, ist, dass die Wissensdichte verbessert werden muss. Es gibt bei vielen Methoden Unwissenheit, wie genau es funktioniert. Das heißt, wir sind tatsächlich in der Phase, wo viele Landwirte experimentieren.

Und welche Rolle spielt dann “Klim”?

Wir haben für die Landwirte eine digitale Plattform entwickelt. Auf dieser Plattform – die gibt es als App in iOS, Android und auch im Web – kann der Landwirt ein Profil erstellen und sehr, sehr einfach dokumentieren, welche Methoden er anwendet. Darüber hinaus berechnen wir über ein Punktesystem, das wir entwickelt haben mit Unterstützung einer wissenschaftlichen Institution, die CO2-Speicherleistung der Landwirte pro Methode. Der Landwirt erhält zusätzlich über unsere App Fachartikel, die ihm helfen, zu verstehen, welche regenerative Methode für ihn am besten geeignet ist. Der Landwirt kann sich auch mit anderen Landwirten austauschen. Denn so gerne Landwirte von Agrarberatern lernen, manchmal lernen sie auch gerne von anderen Landwirten.

Es gibt auch ein Lebensmittelsiegel.

Genau. Diese Verifizierung, die wir in der App vornehmen, die Quantifizierung der CO2-Speicherleistung, hängt zusammen mit unserem Lebensmittellabel. Wir ermöglichen Partnern in der Lebensmittelindustrie, Lebensmittel mit dem “Klim”-Label zu versehen. Dafür wird der CO2-Fußabdruck von Produktion, Transport, Verpackung berechnet. Das bedeutet, dass ein Verbraucher, der ein Lebensmittel mit solch einem Label kauft, einen Landwirt dabei unterstützt, regenerative Methoden anzuwenden.

Wie wird denn kontrolliert, ob der Landwirt sich tatsächlich an die Vorgaben hält?

Der Landwirt muss nachweisen, dass er eine bestimmte regenerative Methode auf einem Feld – Schlag genannt – anwendet. Das erfolgt zum Beispiel durch die Dokumentation über Fotos, die der Landwirt aufnimmt. Das heißt, wenn der Landwirt zum Beispiel eine Frucht anfängt, muss er an verschiedenen Wachstumsstadien der Frucht dokumentieren, dass er das auch wirklich tut. Zum Beispiel macht er ein Bild bei der Aussaat, beim Aufkeimen und beim Untergrubbern. Es gibt für die Fotos einen Geostempel und einen Zeitstempel, dadurch haben wir eine digitale Verifizierung. Zudem ist es so, dass vor Ort kontrolliert wird und wir in bestimmten Fällen auch mit Bodenproben Nachweise erbringen, dass am Ende Kohlenstoff aufgebaut wurde.

Wie oft passiert das?

Ungefähr einmal im Jahr wird jemand vorbeikommen. Was die Dokumentation der Methoden betrifft, passiert das vielleicht innerhalb von vier Monaten drei Mal.

Und ist das dann ein Wissenschaftler, der vorbeifährt?

Bei uns im Landwirtschaftsteam gibt es Agrarwissenschaftler, die in dem Thema die Expertise haben.

Wie kommt das bei den Bauern an? Das klingt ja nach viel zusätzlicher Arbeit und Sie hatten es selbst angesprochen: Landwirte wünschen sich Wertschätzung. Wie finden die das, wenn jemand vorbeikommt und sie kontrolliert?

Wir stoßen auf sehr viel Zuspruch. Vor allem deshalb, weil unsere App, unser digitaler Begleiter, von Beginn an auf Nutzerfreundlichkeit und Einfachheit ausgelegt war. Die Dokumentation ist wirklich super einfach und kinderleicht. Wir haben zum Beispiel von einigen gehört, dass es unglaublich unbürokratisch ist. Genau das war uns wichtig. Wir wollten nicht als jemand wahrgenommen werden, der die Landwirte gängelt und in bürokratische Prozesse drückt.

Im Übrigen ist es so, dass der Landwirt auch für sich selbst etwas mitnimmt. Er kann sich Notizen machen und dokumentieren, wo es Probleme gab. Wo ist etwas gut gelaufen? Dazu ist es so, dass die Landwirte das Gesamtkonzept begrüßen, indem sie nämlich über das Label beim Verbraucher positioniert werden. Das finden die alle super. Wenn die dann ein Produkt mit unserem Label in der Hand halten, merkt man, dass es wirklich etwas ist, wo man sich auch drüber freut. Die App generell wird sehr gut bewertet, weil sie wirklich sehr nutzerfreundlich ist.

Wie ist denn die Erfolgsquote? Funktioniert das immer beim ersten Mal?

Die Frage ist schwierig zu beantworten, weil es nicht binär ist, nicht schwarz oder weiß. Das kommt auf viele Faktoren an: Wie ist die Saison? Wie verhält sich das Wetter? Wie viel Vorerfahrung hat der Landwirt? Wie ist der Bodentyp? Üblicherweise fängt der Landwirt, wenn er noch nicht so viel Erfahrung hat, mit den einfachen Methoden an. Dort ist die Erfolgsquote sehr hoch. Die komplexeren Methoden sind etwas beratungsintensiver.

Und wenn es nicht funktioniert, bekommen die Landwirte ihr Geld zurück?

Nein. Sie erhalten von uns finanzielle Unterstützung, wenn sie eine bestimmte Methode anwenden, diese abschließen und den Aufwand über mehrere Jahre gleich halten. Das entspricht dem Prinzip von Permanenz, weil wir möchten, dass die Methoden nicht nach drei Jahren wieder aufgehört werden und somit die Aufbauleistung wieder rückgängig gemacht wird. Das Risiko liegt beim Landwirt, aber die meisten Landwirte können damit umgehen.

Das heißt aber: Wie verdient “Klim” Geld?

Wir verdienen Geld über unser Label, indem wir eine Lizenzgebühr nehmen, die von den Geldern, die an die Landwirte fließen, abgeht. Das heißt, ein kleiner Teil der Gelder, die aus den Label-Einnahmen an die Landwirte fließen, nutzen wir, um unsere eigenen Aufwände zu finanzieren, zum Beispiel die Verifizierung und die Bereitstellung der App.

Aber das ist ja ein Grundproblem bei Labeln oder Siegeln: Derjenige, der sie vergibt, hat ein finanzielles Interesse daran, möglichst viele auf den Markt zu bringen. Als Verbraucherin denkt man doch: Oh, noch ein Siegel. Hilft das wirklich?

Quellen für CO2-Speicherleistung

Die wissenschaftlichen Quellen für die Abschätzung der CO2-Speicherleistung liegen nach Angaben von Klim derzeit doch noch nicht öffentlich vor. Auf der Webseite sollen sie demnach nach einem Relaunch verfügbar sein.

Wir lösen das Problem durch völlige Transparenz. Unser Klim-Label ist eigentlich kein Label, sondern ein großflächiger Aufdruck auf den Produkten mit einem QR-Code, in dem der Verbraucher informiert wird: Was ist denn überhaupt regenerative Landwirtschaft? Der Verbraucher kann auch sehen, welcher Landwirt hier gefördert wird und, welche Methoden angewandt werden. Die wissenschaftlichen Datenquellen, die wir für die Abschätzung der CO2-Speicherleistung nutzen, die sind auch öffentlich einsehbar.

Wo?

Über unsere Webseite und über die QR-Codes auf den Produktverpackungen.

Und wie viele Landwirte machen im Moment mit?

Wir haben derzeit über 550 Landwirte auf unserer Plattform. Wir sind erst im März gestartet, sind also noch relativ neu. Aber der Zuspruch ist enorm. Natürlich ist es nicht so, dass alle schon regenerative Methoden anwenden. Viele informieren sich auch erst einmal, um zu verstehen, welche Methoden für sie relevant sind. Aber wir sind sehr optimistisch, was die Annahme unserer Idee und unserer Bewegung angeht. Vielleicht noch mal ganz wichtig: Wir sehen uns als Bewegung, wo Verbraucher, Lebensmittelmarken, der deutsche Lebensmitteleinzelhandel und Landwirte gemeinsam dafür sorgen, dass die Landwirtschaft zum Teil der Klimalösung wird.

Aber Sie haben bei einer Investitionsrunde auch Geld von Christophe Maire eingesammelt. Der hat auch beim Schnelllieferdienst Gorillas groß investiert. Bei regenerativer Landwirtschaft geht es darum, anders zu verbrauchen. Gorillas steht dafür, alles möglichst schnell und günstig zu bekommen. Wie passt das zusammen?

Ich kann das Geschäftsmodell von Gorillas unter Nachhaltigkeitsaspekten gar nicht abschließend bewerten. Es kann zum Beispiel sein, dass ein Lebensmittellieferdienst am Ende sogar positive Effekte generiert, weil sich der Lebensmittelabfall reduziert. Vielleicht horte ich weniger Lebensmittel im Kühlschrank, wenn ich nur dann bestelle, wenn ich es wirklich benötige?

Der zweite Punkt ist: Ja, unser allererster Unterstützer ist Christophe Maire von Atlantic Food Labs. Er ist ein sehr visionärer Akteur in Deutschland, der insbesondere ganz jungen Initiativen hilft, Fuß zu fassen, die sich andere Investoren eventuell in der Frühphase gar nicht anschauen würden. Er ist ins Risiko gegangen und hat dafür gesorgt, dass insbesondere im Sustainable-Food-Bereich viele tolle Unternehmen entstanden sind.

Mit Robert Gerlach sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Lesbarkeit gekürzt und geglättet worden.

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