Bezwing die Glucke in dir – Die können das. Alleine.

Unsere Autorin ist eine Gluckenmutter. Zum Glück weiß sie, dass es sich lohnt, das lieber nicht zu sehr auszuleben. Sie kann gut so tun, als sei sie eine coole Mum. 

Ich habe es geschafft. Mit einem Einkaufszettel, einer Umhängetasche und einem Zehner in der Hosentasche ist sie losgelaufen. Sechs Jahre alt, also gerade erst geboren, holt meine Tochter zum ersten Mal alleine Brötchen. In mir kocht es wie im Kilauea. Brodelnde Gedankenlava überströmt mein Mutterherz. Was, wenn sie jemand anspricht? Was, wenn ein Auto sie beim Ausparken übersieht? Was, wenn sie in den kleinen Bach fällt? 1000 Gedanken, die ich alle nicht ausspreche. Was ich sage? “Keine Angst. Das schaffst du locker!” Dann erinnere ich sie wie nebenbei daran, dass man nicht mit Fremden mitgeht und dass Autos auch rückwärts fahren können. “Weiß ich doch”, lächelt meine Tochter milde. Bevor sie die Tür schließt, sagt sie “Keine Angst. Du schaffst das auch, Mama!” Zu dumm, dass Kinder einen so einfach durchschauen.

Es ist ok, Angst zu haben

Im Grunde finde ich es aber nicht wirklich schlimm, dass ich ertappt worden bin. Ja, verdammt, ich hab die Hosen gestrichen voll, und zwar immer, wenn meine Kinder wieder ein Stück Welt erobern. Das sollen sie ruhig wissen. Wirklich wichtig finde ich bloß, dass ich das nicht zu ihrem Problem mache. Also sage ich oft: “Puh, so groß bist du jetzt also schon? Weißt du was, wenn du dir das zutraust, dann trau ich dir das auch zu. Aber ich werde ganz schön aufgeregt sein.” Das halte ich für die ehrlichste Variante. Geschadet hat es dem Selbstvertrauen meiner Kinder bisher nicht. Die bestellen in Estland ohne Sprachkenntnisse alleine Kakao, lieben das Smaland bei Ikea und gehen nun also auch Brötchen holen. Weil sie so weit sind, auch wenn ich es nicht bin.

Die Angst darf nicht regieren

Gedanken mache ich mir um die Kinder, die von der Angst ihrer Eltern erzogen werden. Das sind die “Kletter-nicht-so-hoch-Eltern”, die “Dafür-bist-du-noch-zu-klein-Eltern” und die “Wie-soll-das denn-klappen-Eltern”. Ich verurteile diese Eltern keineswegs. Den Impuls kenne ich nämlich viel zu gut und ja, ich habe ihm auch schon nachgegeben. Aber ich habe auch gemerkt, dass Erwachsene grundsätzlich dazu neigen, den eigenen Nachwuchs zu unterschätzen. Auch ich. Und dann denke ich an all die Kinder, die anderswo mit 6 Jahren einen ganzen Haushalt schmeißen oder drei Stunden in die Schule laufen, um dann die letzten Meter mit dem Floß über den Krokodilsee zu fahren. Nein, so ein Leben ist nicht kindgerecht und ich wünschte, kein Kind müsste solche Hindernisse überwinden. Aber ein Brötchenholgang durchs Neubaugebiet verliert trotzdem irgendwie an Schrecken, wenn man mal bedenkt, wie es anderswo so läuft mit dem Kindsein.

Bezwingt sie, die dumme Glucke

Ich glaube, die größte Gefahr, der unsere Kinder ausgeliefert sind, ist unser Misstrauen. Wenn wir sie mit GPS-Trackern ausstatten, ihnen immer und überall ein Handy mitgeben und ihnen permanent unser Halbwissen aus den Nachrichten als beachtenswerte Realität verkaufen, wie sollen sie dann je auf sich selbst vertrauen? Und vor allem: Was sollen sie für ein Weltbild entwickeln? Ich möchte, dass meine Kinder wissen, dass die meisten Menschen es gut mit ihnen meinen. Dass in der Welt nicht nur Gefahren, sondern sehr viel Freude und tolle Menschen lauern und dass sie mehr können, als wir Großen ihnen zutrauen. Solange sie wissen, dass sie immer NEIN sagen dürfen und Strategien kennen, sich selbst zu schützen, sollen sie rausgehen und ihren Eltern eine verdammte Angst einjagen. Das haben wir auch getan und tun wir noch immer. Denn die Sorge um den Nachwuchs wird nun einmal immer bleiben. Also gewöhnen wir Glucken uns lieber an sie, anstatt sie mit Übervorsicht zu bekämpfen. Meine Tochter sagt, wir schaffen das schon. Alleine.