Das lange Warten: Probleme in internationalen Lieferketten

Illustration Adina Renner / NZZ; Bilder Allen J. Schaben / Los Angeles Times / Getty

Seit dem Ausbruch der Pandemie läuft der Welthandel nicht mehr rund: Staus vor Häfen, Mangel an Containern, zu wenig Lastwagenchauffeure. Wir zeigen auf, wie schlimm es tatsächlich ist und ob sich der Knoten in den Lieferketten zu lösen beginnt.

Die Hoffnungen gegen Ende vergangenen Jahres waren gross. Es gab Anzeichen, dass sich nach dem Weihnachtsgeschäft die Situation im Welthandel etwas entspannt. Die Kosten für den Schiffstransport von Containern gingen zurück, und es schien, als ob die Wartezeiten für Schiffe vor so manchen Häfen ein Plateau erreicht hätten. In den ersten Wochen des neuen Jahres machte sich jedoch Ernüchterung breit. «Bei den Lieferketten hat es keine Entspannung gegeben», sagt Matthias Wolf, der Geschäftsführer des Schweizer Ablegers des Logistikkonzerns Kühne + Nagel.

Zwar hat sich die schnelle Ausbreitung der neuen Omikron-Variante bisher nicht als so verheerend erwiesen wie zuvor angenommen. Für Kopfzerbrechen in der Logistikbranche sorgt jedoch besonders die sogenannte Zero-Covid-Policy der chinesischen Regierung. Schon wenige Ansteckungsfälle können zu einem neuen Flaschenhals bei der Produktion, beim Binnentransport oder an den Häfen führen. Bisher konnten die chinesischen Behörden aber Schliessungen ganzer Hafenterminals wie im vergangenen Jahr verhindern.

«Noch nie erlebt»

Wie angespannt die Lage in China ist, schildert Hans Christian von der Crone: «Ich bin jetzt schon seit 34 Jahren im Importgeschäft mit Fernost. Eine solche Situation wie jetzt gerade habe ich noch nie erlebt», sagt der Geschäftsführer der Schweizer Nimex AG, die seit den 1980er Jahren Spielzeug, Uhren und Elektronik aus China importiert und in Europa weiterverkauft.

Insbesondere die Planungsunsicherheit sei Gift für den Handel mit China, sagt von der Crone. Auch ohne Hafenschliessungen sei momentan aufgrund der Zero-Covid-Policy mit Verzögerungen bei Einfuhren aus China zu rechnen.

In einer solchen Lage müssen sich Händler anpassen: Von der Crone bestellt heute früher als sonst üblich und erhöht seine Lagerhaltung. All das bedeutet höhere Kosten, die zu einem bestimmten Ausmass auch an die Kunden weitergegeben werden. Lagerhaltung in der Schweiz bindet viel Kapital und erhöht die Risiken: Es besteht immer die Möglichkeit, dass Importeure zu einem ungünstigen Zeitpunkt einkaufen und dann auf hochpreisiger Ware sitzenbleiben, wenn die gleichen Güter schon wieder weniger kosten.

Die Folgen der Lieferschwierigkeiten zeigen sich allgemein in gestiegenen Produzenten- und Konsumentenpreisen. Inflation wird zunehmend zu einer der grössten wirtschaftspolitischen Sorgen. Die grosse Frage ist, wie temporär die Logistikprobleme sind. Manche Kommentatoren sprechen gar davon, dass die Unterbrüche bis ins nächste Jahr hinein andauern könnten.

Ein Ausblick ist auf alle Fälle schwierig. Kaspar Engeli, der Direktor des Branchenverbandes Handel Schweiz, beschreibt dies so: «Die neue Normalität ist diese Unsicherheit, die wir gerade erleben.» Ein Blick auf verschiedene Lieferkettendaten zeigt zumindest, wo sich die Lage verbessert und in welchen Bereichen die Probleme liegen.

Bitte warten! Containerschiffe liegen vor der amerikanischen Ostküste vor Anker.

Bitte warten! Containerschiffe liegen vor der amerikanischen Ostküste vor Anker.

Tim Rue / Bloomberg

Das Containerschiff «Swordfish» der Reederei CMA CGM hat es geschafft: Der Frachter wird am Hafen von Los Angeles entladen.

Das Containerschiff «Swordfish» der Reederei CMA CGM hat es geschafft: Der Frachter wird am Hafen von Los Angeles entladen.

Tim Rue / Bloomberg

Eines der sichtbarsten Zeichen für die Risse in den internationalen Lieferketten sind die zahlreichen Frachtschiffe, die vor den Häfen liegen und darauf warten, entladen zu werden. Laut Daten von Kühne+Nagel warteten Anfang Februar 500 Schiffe in den Gewässern vor den Häfen dieser Welt, was eine Verbesserung gegenüber Oktober ist. Damals waren rund 600 Schiffe in Warteposition. Das Logistikunternehmen DB Schenker spricht aber immer noch davon, dass zwischen 15 und 20 Prozent der Schiffskapazitäten ausfallen, weil sich die Frachter in Warteschlangen befinden oder anderweitig aufgehalten werden.

Besonders gravierend ist die Lage immer noch in Los Angeles und in Long Beach – trotz den Anstrengungen der Regierung Biden. Über die zwei Häfen an der Westküste der Vereinigten Staaten werden rund ein Drittel aller amerikanischen Importe per Container abgewickelt. Die ankommenden Schiffe liegen derzeit durchschnittlich für zwei Wochen im Hafen. Die Probleme gehen dann weiter: Es dauert derzeit rund vier Wochen, bis ein Lastwagen zum Weitertransport verfügbar ist. Laut einem «Disruption Indicator» von Kühne+Nagel, der die weltweiten Wartezeiten mit der Anzahl der verschifften Container gewichtet, gehen zurzeit 80 Prozent der weltweiten Störungen auf nordamerikanische Häfen zurück.

Durchschnittlich sechs Wochen Verzögerung am Hafen von Los Angeles

80 Prozent der Störungen gehen auf nordamerikanische Häfen zurück

Global Disruption Indicator, kumulierte Wartezeit in Tagen, gewichtet mit der Anzahl der verschifften 20-Fuss-Container

(in Millionen)

Der «Disruption Indicator» zeigt auch, dass es in den vergangenen Wochen zu keiner Entspannung gekommen ist. Vielmehr hat der Wert seit Dezember zugelegt. Für einiges Kopfzerbrechen sorgen auch die Ferien zum chinesischen Neujahr in der ersten Februarwoche. Üblicherweise schliessen an diesen Feiertagen die Fabriken in China, was bereits in «normalen» Jahren Verwerfungen mit sich gebracht hat. In der Branche befürchtet man nun, dass die Ferienzeit zu weiteren Verzögerungen und einem verstärkten Mangel an Containern führt. Zugleich heisst es, dass manche chinesische Fabriken offen blieben – auch um diesen Effekt zu dämpfen.

Moderate Beruhigung

In der vergangenen Zeit ist eine Vielzahl an neuen Indikatoren entstanden, die versuchen, den Puls der Weltwirtschaft zu messen. Ein Beispiel dafür ist der Index von Kühne + Nagel, ein weiteres der «Global Supply Chain Pressure Index» der New Yorker Federal Reserve Bank. Dieser verbindet Transportkosten mit Daten zu den Lieferzeiten und der Lagerhaltung von Unternehmen.

Der Index des New Yorker Zweigs der amerikanischen Notenbank versucht, die reinen Nachfragefaktoren herauszufiltern. Lieferkettenprobleme können einerseits durch eine starke Nachfrage und andererseits durch Engpässe beim Angebot entstehen. Für die Notenbanken auf der ganzen Welt ist es interessant zu wissen, wie stark die Effekte beider Wirkungskanäle sind. Kurzfristige Engpässe bei den Logistik- und Produktionskapazitäten und der Lagerhaltung beunruhigen die Notenbanken in der Regel in geringem Masse.

Moderate Beruhigung auf historisch hohem Niveau

Global Supply Chain Pressure Index, Standardabweichungen vom Durchschnittswert

Der Index zeigt eine moderate Beruhigung der Lage – auf hohem Niveau. Auf eine schnelle Entspannung deutet auch dieser Index nicht hin. Eindrucksvoll ist zudem die längerfristige Betrachtung, die zeigt, wie aussergewöhnlich die derzeitige Situation ist.

Containerpreise bleiben hoch

Ein ähnliches Bild zeichnen die Frachtgebühren für Container, die vor mehr als einem Jahr regelrecht explodiert sind. Neben der erhöhten gesamtwirtschaftlichen Nachfrage verschärfen die Schiffstaus den Mangel an Containern, die das Arbeitstier der Globalisierung sind. Dadurch sind die Container häufig gerade dort, wo sie nicht gebraucht werden.

Nach einer Abschwächung der Preise gegen Ende vergangenen Jahres stagnieren derzeit die Frachtgebühren. Auf manchen Routen ist der Container-Transport allerdings immer noch bis zu sechsmal teurer als zu «normalen» Zeiten. Ein Rückgang sei vorerst nicht zu erwarten, sagt Kaspar Engeli von Handel Schweiz: «Die Transportpreise haben sich auf einem Krisen-Niveau stabilisiert.»

Preise für Container aus Asien bleiben hoch

Preise in $ pro 40-Fuss-Container

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Ausbruch der Corona-Pandemie in China (Anfang 2020)

Die hohen Frachtpreise spiegeln zu einem gewissen Grad auch die weiterhin starke Nachfrage. Die Pandemie führte zu veränderten Konsumgewohnheiten: Es wurde weniger ins Kino gegangen oder auswärts gegessen, stattdessen stieg die Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern wie Waschmaschinen oder Velos, die oft in Asien hergestellt und dann nach Europa oder Nordamerika verschifft werden. Ökonomen prognostizieren, dass sich dies mit den Lockerungen von Corona-Massnahmen wieder ändern würde. Die Omikron-Welle machte diese Hoffnung vorerst zunichte, wobei einige Länder, darunter auch die Schweiz, die Restriktionen wieder lockern.

Stark betroffene Luftfracht

Omikron bringt auch Bewegung in die Luftfrachttarife. Die Pandemie und die Massnahmen setzten dem internationalen Flugverkehr stark zu. Darunter litt auch der Frachttransport per Luft. Vor allem die Anzahl der interkontinentalen Linienflüge liegt noch unter dem Niveau der Zeit vor der Pandemie. Im Bauch der Passagierflugzeuge werden auch Güter transportiert.

In den vergangenen Wochen kam es jedoch zu einer Ausweitung der Kapazitäten. Analytiker von Capital Economics verweisen darauf, dass die Omikron-Welle den Flugverkehr wohl weniger als befürchtet beeinträchtigen werde. Deshalb seien die Frachtraten auch zurückgegangen.

Preise für Luftfracht sind immer noch in luftigen Höhen

Preise für Luftfracht auf der Route Schanghai−Los Angeles in $/kg

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Beginn der Corona-Pandemie

Es gibt aber auch gegenteilige Bewegungen: In der Branche wird auf die Hongkonger Fluggesellschaft Cathay Pacific verwiesen, die wegen verschärfter Quarantäne-Bestimmungen für die Besatzungen bis März die Frachtflüge eingeschränkt haben. Cathay Pacific bietet gar Piloten einen Bonus an, wenn diese nach Hongkong fliegen, wo sie dann eine siebentägige Quarantäne auf sich nehmen müssen. Die Preise für Luftfracht dürften wohl ebenso noch länger hoch bleiben.

Weltwirtschaft unter Druck

Materialknappheit und Logistikprobleme bremsen dabei in weiterer Folge die wirtschaftliche Erholung ab. Der Internationale Währungsfonds (IMF) geht bereits von einem geringeren Wirtschaftswachstum für dieses Jahr aus: 4,4 Prozent statt 4,9 Prozent wie zuvor prognostiziert. Dagegen wird die Inflation angekurbelt.

Auf der Ebene von Unternehmen zeigen sich die Probleme in den Wertschöpfungsketten weltweit bei den Lieferzeiten, die im Rahmen des Einkaufsmanager-Index des Informationsdienstleisters IHS Markit erhoben werden. Der Index ist ein vorauseilender Konjunkturindikator. Aus den Antworten von Einkaufsmanagern wird eine Zahl berechnet, die zwischen 0 und 100 liegt. Ein Wert von über 50 bedeutet eine Verbesserung, ein Wert darunter eine Verschlechterung.

Bei der Unterkategorie der Lieferzeiten zeigen sich erhebliche regionale Unterschiede: Während chinesische Unternehmen zumindest für einige Zeit das Vorkrisenniveau erreicht haben, sind die Verzögerungen in der Euro-Zone und in den Vereinigten Staaten immer noch dramatisch, auch wenn sich jüngst eine Erholung zeigt.

Weiterhin lange Lieferzeiten in den USA und der Euro-Zone

Suppliers’-Delivery-Times-Index, ein Wert von unter 50 deutet auf eine Verlängerung der Lieferzeiten hin

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Beginn der Corona-Pandemie in China

Die Lieferkettenprobleme zeigen sich zudem in den Importpreisen, die besonders in Deutschland stark angezogen haben. Der Anstieg geht vor allem auf die Energiepreise zurück, aber zu einem guten Teil auch auf Preise für Vorleistungsgüter. Hier verbessert sich die Lage. Eine Umfrage des Ifo-Instituts ergab, dass sich der Materialmangel in der deutschen Industrie im Januar etwas entspannt hat. Von einer Trendwende will das Institut aber noch nicht sprechen.

Importpreise in Deutschland im Dezember um 24% gegenüber Vorjahr gestiegen

Veränderung der Importpreise in % gegenüber Vorjahresmonat

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Beginn der Corona-Pandemie in China

Die Probleme in den Lieferketten schlagen sich nieder in Steigerungen der Konsumentenpreise, in den USA deutlich mehr als in der Schweiz. Die amerikanische und die britische Notenbank haben bereits mit Zinserhöhungen begonnen, um gegen die Inflation vorzugehen. Eine wichtige Frage für Geldpolitiker ist dabei, wie vorübergehend die Lieferkettenprobleme sind.

«Wir dachten, die Lieferkettenunterbrüche seien temporär. Das denken wir immer noch, aber sie dauern länger an, als wir erwartet haben. Vielleicht bis Ende Jahr oder gar bis ins nächste Jahr hinein», sagte jüngst Ngozi Okonjo-Iweala, die Generaldirektorin der Welthandelsorganisation (WTO). Das ist aber sicherlich noch nicht das letzte Wort.

Konsumentenpreise in den USA um 7 Prozent gestiegen

Veränderung des Verbraucherpreisindex in % gegenüber Vorjahresmonat

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Beginn der Corona-Pandemie in China


Recherche und Datenanalyse: Florian Seliger. Text: Gerald Hosp und Rewert Hoffer. Datenvisualisierung: Jonas Oesch. Bildrecherche: Martin Berz.

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